Rezensions-Blog 103: Die Ajima-Verschwörung

Posted März 15th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

diesmal haben wir in dem breiten Regal von Clive Cussler-Veröffentlichungen ein Werk vor uns, das vermutlich inzwischen weitgehend der Vergessenheit an­heimgefallen sein dürfte – aber wie ich finde, geschieht das zu Unrecht. Das vorliegende Buch ist zweifellos erheblich packender, realistischer und dramati­scher, als es die meisten modernen Cussler-Romane sind. Selbst wenn meine Erstlektüre gut 20 Jahre zurückliegt, habe ich mich bei der Zweitlektüre im Jahr 2015 kein Stück gelangweilt… und das will durchaus was heißen und lässt sich nicht allein mit meinem mäßigen Gedächtnis begründen.

Besonders in einer Zeit, in der leider Gottes Terroranschläge international ein Phänomen sind, das man überall beobachten kann, und in einer Gegenwart, in der sich Politiker fast schon vor ihrem eigenen Schatten fürchten, ist es viel­leicht nützlich, an das James Bond-Setting dieses Romans zu erinnern und ihn als eine Art von Gegenmittel zu präsentieren.

Natürlich geht es darin auch um Terroranschläge. Aber sie erfolgen nicht seitens amorpher, gesichtsloser Schurken mit versponnenen quasi-religiösen Wahnvor­stellungen, sondern haben sehr handfeste wirtschaftliche Gründe. Weswegen es ja auch Dirk Pitt und seinen Mannen letztendlich möglich ist, die Gefahr zu verfolgen und abzuwenden.

Wie genau das gelingt, und worum es geht? Nun, schauen wir einfach mal ge­meinsam in das folgende Buch:

Die Ajima-Verschwörung

(OT: Dragon)

Von Clive Cussler

Blanvalet 35811

München 1991

544 Seiten, TB

ISBN 3-442-35811-6

Aus dem Amerikanischen von Dörte und Frieder Middelhauve

In Kriegen werden Verbrechen begangen, das ist ein Allgemeinposten. Weniger angenehm und gern verschwiegen ist dabei freilich die Tatsache, dass Verbre­chen auf allen Seiten begangen werden, auch auf Seiten der so genannten „good guys“. Die scheußliche Tatsache, dass Mörder auf der siegreichen Seite nach Kriegsende als Helden gefeiert werden, während jene auf der Verlierersei­te als Kriegsverbrecher gelten, sind zwei Seiten einer Medaille, von denen gar zu gern nur die glänzende Seite gezeigt wird.

Der mit Abstand grässlichste Exzess des Zweiten Weltkriegs ist ohne Frage die Entwicklung und der planmäßige Einsatz von Nuklearwaffen von amerikani­scher Seite gegen das japanische Volk – wie berechtigt dies auch immer gewe­sen sein mag, es ist und bleibt dennoch ein Verbrechen. Und Clive Cussler spinnt dieses Garn nur insofern ein Stück weiter, als er postuliert, dass es mehr als zwei Einsatzpläne nuklearer Artillerie gegen die japanische Zivilbevölkerung gegeben haben könnte. Damit beginnt diese Geschichte.

Am 6. August 1945 startet von Shemya Island, Alaska, eine dritte Maschine un­abhängig von denen, die Nagasaki und Hiroshima zum Ziel haben. Diese Ma­schine, ein B 29-Bomber mit dem eigenwilligen Namen „Dennings’ Demons“ unter Major Charles Dennings hat das Flugziel Tokio. Die Mordwaffe in dem Bauch seines Flugzeugs trägt den grotesken Namen „Mother’s Breath“. Doch sie erreicht ihr Ziel nie – ein zufälliger japanischer Flieger entdeckt die Todesma­schine und beschädigt sie so schwer, dass sie in den Pazifik stürzt, in die Tiefen des Meeres. Sie wird nie wieder gefunden.

Am 3. Oktober 1993 – also wie in allen klassischen Cussler-Romanen einige we­nige Jahre vor der Schreibzeit in der nahen Zukunft – findet Captain Arne Kor­vold des norwegischen Schiffes Narvik im Pazifik driftend ein japanisches Frachtschiff mit mehr als siebentausend Pkws an Bord. In der Annahme, dass sich mit dem Abschleppen des Havaristen gutes Prisengeld verdienen lässt, be­tritt ein kleines Kommando das Schiff… und stirbt einen grässlichen Tod. Schlim­mer noch: es wird eine mehrfache Nuklearexplosion ausgelöst, die sowohl den Havaristen, die „Divine Star“ als auch die Narvik schlagartig versenkt. Außerdem erwischt es noch ein britisches Forschungsschiff, das in der Nähe tätig ist.

Letzteres ist besonders verheerend, weil von dort aus eine Tiefseemission in mehreren tausend Metern Wassertiefe geleitet wird. Auf einmal ist die kleine Tauchkapsel in der Tiefsee eingeschlossen, dem sicheren Tod ausgeliefert.

Doch so obskur es klingt, es gibt noch Zeichen und Wunder, selbst in der Tiefsee – Craig Plunkett, Dr. Raul Salazar und Stacy Fox werden tatsächlich gerettet, ob­gleich sie anfangs glauben, sie würden halluzinieren. Stattdessen finden sie sich in einer streng geheimen untermeerischen Forschungsbasis wieder, die von der kleinen Stammbesatzung als „Schlamm“ bezeichnet wird. Projektleiter sind zwei alte Bekannte der Leser: Dirk Pitt und Albert Giordino von der NUMA.

Dummerweise hört die Kette der Katastrophen nicht auf – ein untermeerisches Beben zwingt die NUMA-Leute, die Basis aufzugeben und zur Oberfläche aufzu­steigen… wobei es Dirk Pitt nur mit einer gehörigen Menge Grips und viel, viel Glück schafft, das Desaster zu überleben.

Parallel dazu gibt es in den Vereinigten Staaten Schwierigkeiten mit den Vertre­tern japanischer Wirtschaftsdelegationen, deren Konzerne immer größeren Ein­fluss auf Hawaii und in Kalifornien gewinnen. Federführend ist ein Mann na­mens Ichiro Tsuboi. Seine härtesten Gegenspieler auf amerikanischer Seite sind Senator Michael Diaz und Senatorin Loren Smith – letztere ist den Lesern aus di­versen anderen Abenteuern von Clive Cussler hinlänglich bekannt. Während die Verhandlungen mit den Japanern sich also immer mehr hinziehen und die ame­rikanische Seite mehr und mehr schlechte Karten besitzt, ermitteln die amerika­nischen Geheimdienste, dass die Nuklearexplosion im Pazifik auf japanische Nu­klearwaffen zurückzuführen sein muss, die offensichtlich versteckt in Automobi­len nach Nordamerika eingeschmuggelt werden.

Heimlich wird das so genannte MAIT gegründet, das „Multi Agency Investigati­ve Team“, und dank ihrer Erkenntnisse im Pazifik werden Dirk Pitt und Al Giordi­no schanghait, um darin mitzuwirken. Das Ziel muss es sein, herauszufinden, wer die Bomben hergestellt hat, wer sie wie in die Staaten einschmuggelt, wel­ches konkrete Ziel er damit verfolgt und dies alles abzustellen.

Zu dumm, dass die Zeit gegen sie arbeitet.

Auf der Gegenseite ist der japanische Industrielle Hideki Suma dabei, in Verbin­dung mit einem kriminellen Geheimbund, dem er selbst angehört, auf eine ja­panisch dominierte neue Weltordnung hinzuarbeiten. Das „Kaiten-Projekt“, wie es intern heißt, ist sehr viel mehr als nur eine Drohgebärde, und es arbeitet keineswegs nur mit zwei Nuklearwaffen, sondern noch mit ganz anderen Tricks. Unter enormem finanziellem Einsatz und perfekter Tarnung hat Suma das so genannte „Drachenzentrum“ errichtet (daher auch der amerikanische Originaltitel des Romans), und er bedient sich dabei vielfältiger modernster Technik, perfekter Überwachung, alter traditioneller Mordwaffen und solcher Strategien wie Unterwanderung und Erpressung.

Schlimmer noch: Selbst als die Leute von MAIT schließlich herausfinden, dass die Zentrale auf dem „Ajima Island“ positioniert ist, weiß niemand, wo diese In­sel liegt oder wie sie aussieht. Der einzige Hinweis führt zu einem japanischen Gemälde, das aber seit 1945 in Deutschland als verschollen gilt.

Und der Countdown tickt. In wenigen Tagen ist das Drachenzentrum einsatzbe­reit – dann droht der Untergang der Weltmächte auf eine ganz besonders perfi­de Art und Weise…

In den späten 80er Jahren und den frühen 90er Jahren war das goldene Zeital­ter der japanischen Hochtechnologie angebrochen. Ständige Rekorde insbeson­dere im Bereich der Halbleitertechnik, der Mikrochipproduktion, der Automati­sierung und Robotisierung beherrschten die Schlagzeilen der Presse. Kein Wun­der also, dass sich Clive Cussler auf seine gewohnte Art und Weise dieser The­matik annahm. Vermischt mit dem Grundgedanken, dass sich die stolzen japani­schen Industriellen an den Amerikanern zu rächen versuchten und dies, ganz besonders perfide, gewissermaßen mit der Aug um Auge-Methode, nämlich via nukleare Sprengsätze, das hat schon einen nicht geringen Reiz.

Ebenso vermeidet es Cussler in diesem Roman glücklicherweise, einseitig natio­nalistische Klischees flächendeckend zu bedienen. Nicht „die Japaner“ als ganze Nation sind hier originär die Bösen, sondern gewissermaßen ein singulärer ein­zelner Bösewicht und „Mastermind“, der nur eben, weil dies in den Plot passt, Japaner ist. Außerdem ist Hideki Suma auf eine durchaus originelle Weise eine Ausnahme bei Cusslers „Villains“, wie man dann gegen Ende des Romans erken­nen kann. Ich möchte hier der Lektüre nicht vorgreifen.

Interessant ist ebenfalls, wie unbestreitbar genial die japanische Technologie dargestellt wird – es ist also offenkundig, dass hier nicht plumpe Technikphobie (wie man sie beispielsweise relativ krass in den „Terminator“-Filmen sehen kann) regiert, sondern ein durchaus ambivalentes, ja, anerkennendes Verhält­nis. Hier ist klar zu erkennen, dass das Positive an Technologie ebenso regis­triert wird wie das Negative, was dann das Wesen von Technik gut wieder ein­fängt: Ein Messer kann, um nur ein schlichtes Beispiel zu nehmen, für Nutzan­wendung genommen werden als auch als Waffe zum Töten von Lebewesen.

Und das Buch hat auch insofern noch einen respektablen Schock parat, als dort tatsächlich – und zwar schon überraschend zeitig – der erschreckende Satz fällt: „Pitt hätte ungläubig aufgelacht, wenn jemand ins Cockpit gekommen wäre und ihm gesagt hätte, dass Admiral Sandecker in wenigen Wochen an seinem Grab stehen und die Trauerrede halten würde.“

Was das jetzt wieder bedeutet?

Tja, Freunde – lesen! Ich zweifle daran, dass ihr länger als vier Tage für das Buch brauchen werdet. Das jedenfalls war mein Lesetempo beim zweiten Durchgang (der erste erfolgte im Dezember 1995).

Spannender Lesestoff, unbedingt!

© 2015 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche bleiben wir in gewisser Weise dem Thriller-Genre verhaftet, schlagen aber eine völlig andere Gangart ein, die dem Thema auch durchaus angemessen ist. Es geht nach Deutschland, und alles beginnt in einem Museum mit einer kleinen, uralten Katzenfigur.

Was das bedeutet? Und warum das zu einer archäologischen Schnitzeljagd führt? Das solltet ihr wirklich nicht verpassen.

Die Antwort findet ihr in der kommenden Woche an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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