Rezensions-Blog 108: Die schlafende Welt

Posted April 19th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, ich gebe zu, ich habe ein Faible für Space Operas, für altmodische Invasions­geschichten, so sehr sie auch von den heutigen Naturwissenschaftlern gering­schätzig belächelt werden. Die Abgründe zwischen den Sternen, heißt es (ver­mutlich mit Recht, zumindest für die uns zur Verfügung stehende Technologie), seien so gigantisch, dass es absurd schiene, ein Volk mit hoch entwickelter Technik würde die Abgründe zwischen den Sonnensystemen zu überwinden im­stande sein und dann allein plumpe Eroberungsgelüste zur Schau stellen. Da wird dann gern von Xenophobie und ähnlich seltsamen Dingen gemurmelt.

Gleichwohl kann man nicht übersehen, dass die Science Fiction gerade auf die­sem Gebiet eine Vielfalt von Varianten hervorgebracht hat und durchaus inno­vativ ist. Natürlich gerät das manchmal zur gigantomanischen Groteske wie etwa in Filmen a la „Independence Day“. Aber es gibt auch charmante Invasi­onsgeschichten, so bizarr das auf den ersten Blick auch wirken mag. Und eine solche, die schon ihre glatten 50 Jahre auf dem Buckel hat, möchte ich euch heute als Lesetipp antiquarisch ans Herz legen.

Albern? So alte Geschichten seien allenfalls noch Staubfänger? Nun, Freunde, da seid ihr aber gründlich falsch gewickelt. Da habt ihr noch nichts von William Burkett jr. und seinen „Larrys“ gelesen. Das solltet ihr ändern, und einen kleinen Vorgeschmack darauf gibt es genau jetzt:

Die schlafende Welt

(OT: Sleeping Planet)

von William R. Burkett jr.

Terra-Taschenbuch 118

176 Seiten, 1966

Aus dem Amerikanischen von Thomas Schluck1

(antiquarisch)

Die Menschheit des Jahres 2432 befindet sich im Krieg mit einem uralten Ster­nenimperium, dem Reich der menschenähnlichen Llaralaner. 90 Parsek von der Erde entfernt erobern irdische Truppen llaralanische Welten, und längst werden die Fremden von den Terranern nur noch „Larrys“ genannt. Man sollte nun mei­nen, dies sei weit weg, aber leider ist dem nicht so – ständige Störangriffe robo­tischer „Larry“-Schiffe zwingen die irdische Bevölkerung regelmäßig in die Schutzunterkünfte. Und auf einmal beginnt der Alptraum, den aber nur wenige Personen wirklich miterleben.

Da ist beispielsweise Bradford Donovan, ein einstmaliger Jäger vom llaralani­schen Planeten Rißtair, der beide Beine verlor und seither wieder auf der Erde wohnen muss. Als er im Schutzbunker in London ist, wird er Zeuge davon, wie alle Männer, Frauen und Kinder rings um ihn her auf gespenstische Weise in Schlaf sinken. Sie sind durch nichts zu wecken. Als Donovan den Bunker ver­lässt, geht der Alptraum erst richtig los – denn vom Himmel schweben Legionen von Gleitscheiben mit schmalen, uniformierten Gestalten: Larrys! Obwohl er geistesgegenwärtig einige von ihnen töten kann, fällt Donovan ihnen dennoch in die Hände.

In Georgia fällt zeitgleich dem Anwalt Rierson, der sich hier zur Erholung auf der Jagd befindet, eine Reihe von seltsamen Vorkommnissen auf. Dazu zählen En­ten, die im Gewässer ertrinken (!), Wildhüter, die nicht auf Benachrichtigungen antworten und bewusstlose Menschen an einer Tankstelle – ganz zu schweigen von dem Raumschiff, das über dem Naturschutzgebiet plötzlich auftaucht. Als Rierson realisiert, dass die Erde Opfer einer „Larry“-Invasion geworden ist, wie auch immer das möglich sein soll, und dass das gesamte gesellschaftliche Leben auf dem Planeten paralysiert wurde, verbirgt er sich in der Großstadt Atlanta, seiner Heimatstadt. Und als „Gespenst von Atlanta“ beginnt er einen verzwei­felten 1-Mann-Kleinkrieg gegen die llaralanischen Invasoren.

Möglich wurde diese Attacke durch einen llaralanischen Verschwörer, der die Vorbereitungen getroffen und das Angriffssignal gegeben hat. Als Martak Sarno, der Oberbefehlshaber der llaralanischen Truppen die Erde erreicht, ist völlig klar, dass bis auf eine Handvoll Immuner – und ein „Gespenst“ – niemand mehr wach ist. Hastig gehen die Invasoren daran, die schlafende Bevölkerung Terras, der Venus und des Mars in ein Faustpfand zur Kapitulation der terranischen Truppen an der Front zu verwandeln.

Allerdings… gibt es Probleme. Sehr seltsame Probleme.

Während sich Martak Sarno und seine Männer noch mühen, herauszufinden, warum neun (oder zehn) Terraner immun waren gegen die eingesetzte Waffe, die immer funktioniert hat, beginnt der Gefangene Donovan auf einmal zu spin­nen. Er spricht in seiner Zelle mit einer nicht existenten Gestalt, die er „Großva­ter“ nennt, und im Verhör tritt er verstörend selbstsicher auf. Plötzlich nämlich sagt er: „Es tut mir leid um Sie. Wirklich, wirklich leid. Lassen Sie mich Ihnen und Ihrer Flotte mein tiefempfundenes Mitgefühl ausdrücken, ehe es dafür zu spät ist. Das Imperium wird Sie zweifellos posthum mit den höchsten Ehren beden­ken…“

Grund für seine Zuversicht, erläutert er seinen völlig perplexen Gegnern, sei die Tatsache, dass die Llaralaner alle Menschen schlafen gelegt hätten, um so den Weg frei zu machen für jene Milliarden und Abermilliarden von Toten, die einst vor der gegenwärtigen Menschheit auf der Welt gelebt hätten. Und die Toten können weder noch einmal getötet werden, noch würden sie so etwas wie Fein­fühligkeit kennen – deshalb seien alle Invasoren des Todes, das habe ihm sein Großvater erklärt (dessen Stimme die Llaralaner natürlich nicht hören könnten, weil sie mit ihm nicht verwandt seien).

Die Invasoren glauben diesen Nonsens natürlich nicht… wenigstens nicht die Führung. Die Soldaten indes, oft einfache Bauernsöhne der llaralanischen Pro­vinz, in denen der Ahnenkult nach wie vor stark sei, sind zutiefst abergläubisch. Dennoch ließe sich damit umgehen. Wenn da nicht auf einmal jemand wäre, der sich weder fassen noch töten lässt und sich zudem noch „Großvater“ nennt – und unbarmherzig Jagd auf die Invasoren macht…

Manchmal macht man wirklich überraschende Entdeckungen in dem eigenen Bücherregal, so ging es mir zu Heiligabend 2007, als ich dieses schon 1990 ge­kaufte Buch endlich wiederfand und zu lesen begann. Binnen zwei Tagen war es verschlungen, und das wahrhaftig zu Recht. Der Leser hat mit diesem Werk ein altes Buch der Terra-Taschenbuch-Reihe vor sich, das die Lektüre ernsthaft lohnt, umso mehr, als es sich eben nicht um eine der damals durchaus typischen Hau drauf-Geschichten handelt.

Subtil und psychologisch raffiniert entwickelt Burkett vor der Hintergrundfolie eines (typischen) kosmischen Krieges die Geschichte eines „Dolchstoßes“ in den Rücken durch ein gewagtes Angriffsmanöver und, damit einhergehend, den Wi­derstandskampf einer kleinen Gruppe Verzweifelter, die versucht, das Blatt zu wenden, obwohl es unmöglich scheint. Zu Hilfe kommen den Immunen dabei, und das ist das eigentlich Interessante, religiöse Aspekte der feindlichen Gesell­schaft.

Die Vorstellung zutiefst abergläubischer Wesen, die in einem Krieg normaler­weise ihren Mann stehen, im Falle irrationaler, nicht begreifbarer Geschehnisse schnell Opfer ihrer abergläubischen Grundüberzeugung werden können, hat Burkett aus dem Pazifikkrieg, wo es im Kampf gegen Japan ähnliche Vorfälle ge­geben haben soll. Es ist also realistisch, anzunehmen, dass Burkett im Zweiten Weltkrieg dort gekämpft hat (oder in Korea). So sind seine „Larrys“ sehr deut­lich an die Japaner angelehnt.

Die Grundprämissen des Buches sind indes höchst fragwürdig: weder erscheint es sonderlich realistisch, dass Robotkampfschiffe die irdische Atmosphäre durchfliegen können, während der normale Raumverkehr im Sonnensystem un­behindert ist – hier greift Burkett auf die Luftalarmstimmung des Zweiten Welt­kriegs in Europa zurück – , noch hört es sich glaubwürdig an, dass man die At­mosphäre ganzer Planeten mit einem betäubenden Stoff füllen kann (der Über­setzer ist sich hier offensichtlich nicht ganz im Klaren, was er wählen soll, mal redet er von „Staub“, dann wieder von „Gas“). Damit würde man allerdings fol­gerichtig dem gesamten Buch seine Grundlage entziehen.

Wenn man diesen Gedanken jedoch stillschweigend ad acta legt, dann hat man einen faszinierenden Abenteuerroman vor sich mit lebendigen Charakteren und einem wirklich „typisch“ amerikanischen Ende. Wie das aussieht? Lasst euch überraschen. Ich denke, die Lektüre lohnt sich.

© 2007 by Uwe Lammers

Obwohl diese Rezension auch schon zehn Jahre auf dem Buckel hat, wissen so­wohl das Buch als auch die Rezi selbst nach wie vor zu gefallen. Und wie ihr wisst, hat das durchaus was zu sagen.

In der nächsten Woche reisen wir wieder einmal ins Reich der Fantasy und schauen uns eine ebenfalls nur noch antiquarisch zu erhaltende Anthologie an, die ein paar interessante Schmankerl aufzuweisen hat. Mehr in sieben Tagen an diesem Ort.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen Schreibfehler. Gemeint ist wohl Thomas Schlück, später Inhaber einer Literaturagentur.

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