Rezensions-Blog 16: Keiner von uns

Posted Juli 15th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heutzutage mag die Kenntnis über die Krimiautorin Patricia Highsmith ein wenig eingerostet sein, wo sie doch schon so viele Jahre nicht mehr unter uns weilt. Aber glücklicherweise ist es mit Romanen und Kurzgeschichten nicht so, dass sie mit dem Tod ihrer Verfasser sich kurzerhand in Nichts auflösen. Das wäre eine seltsame – wenn auch ohne Zweifel interessante und reizvolle – Welt, in der es sich so verhielte. Man lasse nur mal die muntere Spekulation weiter wu­chern und frage sich, mit welchem Personal heutzutage vielleicht Filmklassiker bestückt wären, wenn ihre visuellen Anima mit dem Tode der Schauspieler erlö­schen würden…

Ah, solche Gedanken mögen wir ein anderes Mal verfolgen, manchem Interes­sierten könnten sie als Anstoß für eigene Geschichten dienen. Heute kümmern wir uns um das vorliegende Buch. Und das hat es wirklich in sich, meine lieben Freunde:

Keiner von uns

(OT: The Black House)

von Patricia Highsmith

detebe 21179

Elf Geschichten

352 Seiten, TB, 1982

Aus dem Amerikanischen von Anne Uhde

(und Ulla Neckenauer)

Der Kenner ist schon vorgewarnt, wenn er den Klappentext liest: „Elf Erzählun­gen von gewöhnlichen Leuten: Feiglinge, Betrüger, Ehebrecher, Matrosen, Sa­disten, Senioren, begabte und weniger begabte Kinder und vor allem die Schwa­chen, die im Kampf gegen die Gemeinheiten des Alltags auf der Strecke blei­ben…“

Und dann blättert man das Buch dennoch auf und beginnt, in die furchterre­gende Welt der Patricia Highsmith einzutauchen, die man im ersten Moment durchaus mit der unsrigen verwechseln könnte. Ja. Und das ist das Gemeine daran. Denn auf subtil-bösartige Weise untergräbt sie unsere Erwartungen, oder, wo sie sie bestätigt, unterspült sie unsere Moral. Die Konsequenz ist, dass man sie nicht so eben mal „am Stück“ lesen kann, sondern nach jeder Geschich­te ein paar Stunden Erholung benötigt. Schauen wir uns einfach mal ein paar Beispiele an.

Edmund Quasthoff, die Hauptfigur der Titelgeschichte, hört mit dem Rauchen auf, ebenso mit dem Trinken. Sympathisch, hm? Leider. Er ist Steuerberater in einer Anwaltsfirma, seit einem Jahr geschieden, und nun hat er wieder geheira­tet. Seine Freundesrunde um die wohlhabende Lucienne Gauss ist hochkarätig besetzt: ein Rechtsanwalt, eine Bibliothekarin, ein Journalist, ein Verlagsredak­teur… und insgeheim kritisieren sie ihren „gefallenen“ Freund Edmund. Eigent­lich mögen sie ihn ganz gern, nur seine Frau nicht. Und dennoch beginnen sie ganz subtil einen Vernichtungsfeldzug gegen ihn…

Was mag man sich unter einem Storytitel wie „Die Schrecken des Korbflechtens“ vorstellen? Ich wusste es nicht, und darum las ich die Story als erste: Dia­ne ist Pressereferentin in einer Werbeagentur, mit ihrem Mann Reg besitzt sie ein kleines Cottage an der Küste von Massachusetts, das sie beide am Wochen­ende meist aufsuchen. Die handwerklich recht unbegabte Diane findet hierbei am Strand einen beschädigten Weidenkorb, den sie sich gut als Dekorations­stück vorstellen kann. Das Reparieren geht flink von der Hand, aber kaum ist sie fertig, beschleicht sie das Grauen. Warum? Das soll hier nicht verraten werden.

Unter eines dunklen Engels Auge“ kommt so heimtückisch daher, dass man ei­gentlich gar nicht anders kann, als zu frösteln. Wie vielen Menschen mag es so gehen wie Lee Mandeville, der ein Antiquitätengeschäft in Chicago führt? Seine alte, steinalte Mutter ist im heimatlichen Indiana in einem Altenheim, und seit vielen Jahren sind die beiden furchtbar zerstritten (oh, es gibt gute Gründe), weswegen sie sich über den Vermittler Winston Greeves unterhalten und nicht mehr persönlich verkehren. Lee bezahlt nur alle Rechnungen für seine alte Mut­ter über Greeves. Aber bei diesem Besuch, bei dem er sich entscheiden muss, ob er das alte Elternhaus verkaufen soll, um für die Unkosten der nicht sterben wollenden Mutter aufzukommen, sind einige Dinge anders. So legt etwa Winston Greeves ungewöhnlich großen Wert darauf, dass er bei ihm im Haus übernachtet, nicht in einem Hotel. Und dann begeht Lee auch noch den Fehler, ungefragt auszugehen, wobei er einen Bekannten trifft. So erfährt er etwas, was seine Welt schier zum Einsturz bringt…

Fast romantisch könnte „Der Traum der Emma C.“ sein. In dieser Geschichte ret­tet eine Fischkutterbesatzung ein wunderschönes Mädchen aus dem Meer, das beim Schwimmen aufs Meer hinausgetrieben worden ist. Und obwohl das sehr romantisch ist, kann man sicher sein, dass es fast unweigerlich ab jetzt an Bord Mord und Totschlag gibt…

Die für mich mit Abstand furchtbarste Geschichte ist zugleich die mit dem an­heimelnden Titel: „Trautes Heim“. Das ist die Heimstatt von Lois und Herbert McIntyre, die recht wohlhabend, kinderlos und sozial engagiert sind. Als sie ei­nes Tages von Skrupeln geplagt werden, „weil sie auf diesem Gebiet (des Kinder Großziehens) ihre Pflicht nicht ganz erfüllten“, beschließen sie, aus einem Pfle­geheim ein älteres, aber noch recht rüstiges Rentnerehepaar ohne Angehörige zu übernehmen und bei sich unterzubringen. Leider denken sie nicht an die Konsequenzen und leben bald im eigenen Haus im Kriegszustand mit den neu­en, sehr beharrlichen Hausbewohnern. Und am Ende gibt es nur noch eine Ra­dikallösung

Bei Patricia Highsmith kann man wirklich nicht behaupten, dass sie ein Men­schenfreund gewesen sei, diese Geschichten beweisen es aufs Neue schlagkräf­tig. Ihre Protagonisten geraten oft durch kleinste Anlässe in stürmische Untiefen des Schicksals und werden gleichsam zwischen den Mühlsteinen der Alltags­grausamkeit zermahlen. Der Leser bangt natürlich und hofft, dass sich irgend­wie eine Lösung ergibt, aber wenn sie denn kommt, ist sie nur halbwegs erleich­ternd. Häufig muss man sich dann fröstelnd fragen, ob es denn keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Ob diese Personen, die überleben, noch sympa­thisch sind (so sollte es ja eigentlich sein… aber kann man beispielsweise gegen­über Mördern uneingeschränkt Sympathie empfinden? Ich habe da so meine Probleme. Patricia nicht).

Ihre Sprache ist schlicht, knapp und treffend, insbesondere ihre Analysen der menschlichen Unzulänglichkeiten sind bisweilen quälend zielsicher, und der be­bende Leser sieht die Handlungspersonen auf den Abgrund zuschlittern, gewis­sermaßen auf die Klippe zu, an der das Schiff der Handlung und des individuel­len Lebens zerschellen muss. Wer üppig ornamentierte Geschichten liebt, wird sich hier ein wenig kalt abgefertigt vorkommen. Wer hingegen Wert darauf legt, knappe und präzise Personenbeschreibungen zu finden, in die Tiefen der menschlichen Psyche einzutauchen, der liegt völlig richtig. Und auch darin hat der Klappentext absolut recht: Diese Geschichten sind „ein außerordentliches Lesevergnügen.“

Nicht umsonst habe ich gleich mit dem nächsten ihrer Kurzgeschichtenbände angefangen: „Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde“. Demnächst in diesem Theater…

© by Uwe Lammers, 2004

Ja, ich denke, Patricia Highsmith lohnt eine Neuentdeckung, wenn ihr sie noch nicht kennen solltet. Nicht alles, was heutzutage vielleicht nicht mehr sofort in der Buchhandlung greifbar ist, ist deshalb automatisch altbacken oder uninter­essant. Jeder Buchhändler könnte euch das sagen. Heute sage ich das mal aus­nahmsweise… und ich bin sicher, der obige Band kostet gar nicht allzu viel Geld, wenn man ihn sich antiquarisch besorgen möchte.

Lohnen tut er sich unbedingt.

Soviel für heute an Buchempfehlungen. Wir sehen uns in einer Woche wieder an dieser Stelle, dann machen wir einen Abstecher in den Bereich Fantasy und Horror.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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