Rezensions-Blog 181: S.E.C.R.E.T. (1)

Posted September 12th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute begeben wir uns mal in den Süden der Vereinigten Staaten, direkt an den Golf von Mexiko – auf nach New Orleans und in das Leben einer einfachen Frau, die hier als Kellnerin ihr vergleichsweise schlichtes Dasein fristet und die von Jahr zu Jahr melancholischer und einsamer wird. Wir kennen solche Menschen zur Genüge, sie finden sich in jeder Stadt. Und für eine Autorin sind solche Per­sonen stets gute Aufhänger, weil die Leser ihnen von Herzen wünschen, dass sie aus ihrem erdrückenden Alltagstrott ausbrechen.

Bei Cassie geschieht das durch einen interessanten Zufall, und es bleibt, fand ich, ein wenig das Geheimnis der Autorin, ob dies tatsächlich reiner Zufall ist oder ob die Geheimgesellschaft, auf die sie trifft, vielmehr Zwischenfälle dieser Art für Menschen inszeniert, denen man ansieht, dass sie in einem Strudel des unsichtbaren Unglücks gefangen sind.

Ich fand den Gedanken einer solchen Geheimgesellschaft, deren Ziel darin be­steht, das Glück der Menschen herbeizuführen, von Anbeginn an faszinierend. Und dass es sich dabei dann auch noch um einen erotischen Roman handelte, machte ihn beinahe unwiderstehlich.

Neugierig geworden? Dann schaut mal, wovon ich hier im Detail eigentlich rede:

S.E.C.R.E.T.

(OT: S.E.C.R.E.T.)

von L. Marie Adeline

Heyne 54564

304 Seiten, TB

9.99 Euro, Februar 2014

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken1

Cassie Robichaud ist das, was man eine graue Maus nennen würde, wenigstens sieht sie sich selbst so. Sie ist 35 Jahre alt, verwitwet und als Kellnerin im eher mäßig erfolgreichen Café Rose in New Orleans tätig, wohin sie mit ihrem Mann Scott nach dem Abflauen des Sturms Katrina gezogen war. Seit vier Jahren lebt sie nun im selbst gewählten, eher unabsichtlichen Zölibat, bewundert den Un­ternehmungsgeist ihres Chefs Will Foret, und eigentlich hat sie das dumpfe Ge­fühl, bereits am Ende ihres Lebens angekommen zu sein. Nach 14 Jahren Ehe und vier Jahren Witwendasein, in einem Wohnblock untergekommen, der gern als Hort der alten Jungfern bezeichnet wird, lediglich mit einer Katze als Gesell­schaft, sieht sie die Welt grau in Grau.

Das ändert sich völlig überraschend, als sie eine Fundsache aufhebt, die eine at­traktive Frau versehentlich fallen gelassen hat – ein kleines, in Leder gebunde­nes Büchlein. In dem Wunsch, vielleicht die Adresse der Frau herauszubekom­men, blättert sie darin. Zwar findet sie den Namen der Besitzerin, Pauline Davis, aber was da noch drinnen enthalten ist… das ist… nun, pikant, um es behutsam zu formulieren.

Pauline hat hier offensichtlich ein erotisches Tagebuch geführt, das ihr bei den wenigen Blicken, die Cassie hineinwirft, die Schamröte in die Wangen treibt. Und doch… irgendwie animiert sie dieser Blick in die leidenschaftliche Intimität einer fremden Frau.

Und dann ist da dieses Inhaltsverzeichnis.

Wenn das ein Inhaltsverzeichnis sein soll:

Schritt eins: Hingabe

Schritt zwei: Mut

Schritt drei: Vertrauen

Schritt vier: Großzügigkeit

Schritt fünf: Furchtlosigkeit

Schritt sechs: Selbstvertrauen

Schritt sieben: Neugier

Schritt acht: Wagemut

Schritt neun: Überschwang

Schritt zehn: Entscheidung.“

Sehr seltsam. Sehr animierend. Und Cassie ist außerdem schockiert.

Wenig später kehrt Paulina Davis zurück, doch sie ist nicht alleine, sondern in Begleitung einer älteren Dame namens Matilda Greene. In dem sich entspin­nenden Gespräch macht die sehr energische Matilda Cassie überraschend den Vorschlag für ein persönliches Gespräch und überreicht ihr ihre Visitenkarte. Auf der Rückseite findet Cassie ein weiteres Rätsel vor, denn dort steht nur ein Akronym: „S.E.C.R.E.T.“ Außerdem die beunruhigenden Sätze „Kein Urteil. Keine Grenzen. Keine Scham.“

Was soll das nur bedeuten? Und was meint Matilda mit der Bemerkung, Frauen wie Cassie seien „ideale Kandidatinnen“? Kandidatinnen wofür? Und – ist sie für solch eine Erfahrung überhaupt bereit? Wäre es nicht besser, einfach alles zu vergessen und… ja… mit ihrem Kellnerinnenleben fortzufahren?

Ach, wenn es doch nur nicht so glanzlos wäre. So hoffnungslos. So immer gleichbleibend. Paulinas Notizbuch und Matildas Andeutungen scheinen zu signalisieren, dass es irgendwo da draußen noch mehr gibt. Dass sie selbst, Cas­sie, womöglich etwas versäumt, wenn sie nicht wenigstens mit Matilda das Ge­spräch sucht.

Sie gibt sich einen Ruck.

S.E.C.R.E.T. erweist sich, wie Cassie alsbald erkennen muss, als eine Art von Ge­heimgesellschaft von Frauen, die sich in New Orleans etabliert hat. Ihr Ziel ist es, wenigstens vordergründig, Frauen mittleren Alters – also Frauen wie Cassie – , die aus irgendwelchen Gründen die stärkste Kraft ihres Lebens, nämlich die weibliche Sexualität, verschüttet und vielleicht sogar verleugnet haben, zu neuem Leben zu erwecken und die betroffenen Kandidatinnen so zu vitalisieren.

Die nervöse, unsichere und scheue Cassie, die sich weder ihres eigenen Äuße­ren recht bewusst ist noch ihrer sexuellen Phantasien („Was, wenn ich gar keine habe?“ „Oh, Sie haben welche. Sie wissen es nur noch nicht.“), braucht eine Wei­le, um auf Matildas Offerte einzugehen. Wenn sie dies tun will, erfährt sie, wird sie wie jede Absolventin von S.E.C.R.E.T. ein Armband mit neun goldenen An­hängern erhalten, so genannte „Charms“. Jeder Anhänger steht für eine der neun Prüfungen, durch die ihre Sexualität zu neuem Leben erweckt werden soll.

Als sie sich dazu entschließt, die Herausforderung anzunehmen, steht auch schon die erste Prüfung direkt vor ihrer Haustür – ein ungemein attraktiver, tä­towierter Mann, der seine Massageliege gleich mitgebracht hat und Cassie zu lustvollen Erlebnissen und Höhepunkten führt, die sie für unmöglich gehalten hätte.

Und das ist alles erst der Anfang…

Es ist immer wieder schön, neue Autorinnen kennen zu lernen, namentlich sol­che, die erotische Literatur schreiben, und ich gebe zu, in diesem Fall war es ein besonders kurzweiliges Vergnügen (das gerade mal 48 Stunden dauerte, eher noch weniger). Das Buch, bestehend aus 13 Kapiteln, ist offensichtlich durch­konzipiert und darum nicht das Werk einer intuitiven Autorin – was es freilich nicht weniger lesenswert macht. Man ahnt zwar schnell, dass quasi jedes Kapi­tel nach den erforderlichen Anfangsabschnitten notwendig eine Prüfung für Cassie Robichaud beinhaltet, doch bleibt die Natur dieser Herausforderungen grundsätzlich unklar. Es ist stets ein Wagnis. Das kann in Cassies eigener Woh­nung geschehen, in einem Tanzsalon, in einer gründlich (und unabsichtlich) ver­wüsteten Küche oder auf einer Yacht auf See… man ist einfach von Mal zu Mal verdutzter, was der Autorin an interessanten Situationen so einfällt.

Bei alledem bleibt Cassies Charakter strukturell gleich, und ihre anfängliche Nervosität, die zwar gedämpft und durch hungrige Vorfreude auf den nächsten „Vorfall“ partiell ersetzt wird, verschwindet nie völlig. Selbst zum Schluss hin hat sie – sehr begreiflich, wie ich fand, Angst vor der eigenen Courage und muss ein wenig zu ihrem Glück „überredet“ werden. Ich fand, die Handlung hatte einiges gemeinsam mit dem archäologischen Abtragen von Erdschichten – in diesem Fall von Schichten der Lethargie und Passivität, die sich über Cassies ursprüngli­che, lebenshungrige Persönlichkeit gelegt hatten wie ein erstickender Panzer. So atmet nicht nur Cassie von Kapitel zu Kapitel freier, sondern in gewisser Weise überträgt sich das auf den Leser. Ein sehr angenehmer Effekt, der romantisch-unaufgeregt daherkommt. Alles in allem ist dies also ein eher ruhiger Roman, dramatische Einbrüche muss man weder fürchten noch kann man sie erwarten.

Natürlich ist der Band Auftakt zu einer Trilogie, das bedeutet notwendigerwei­se, dass die Hauptperson zum Schluss auf eine Klippe des Schicksals treffen muss, um eine Entscheidung zu fällen. Welche Konsequenzen sich daraus erge­ben, wird sich zeigen, und zwar im zweiten Band, auf den ich schon sehr neu­gierig bin.

Ein wenig manisch fand ich Cassies Wirkung auf die Männer beschrieben, mit denen sie ihre Prüfungen durchlebt. Zu behaupten, sie seien durch die Bank von ihr begeistert gewesen, würde noch eine ziemliche Untertreibung darstel­len – euphorisch bis hemmungslos verliebt trifft es deutlich besser. Ich meine, hier hat die Autorin dann doch etwas zu stark aufgetragen. Und selbst wenn ich schon ein paar Handlungsweichen für Band 2 und vielleicht auch Band 3 erah­nen kann (vielleicht überrascht sie mich ja auch?), schmälert das das Lesever­gnügen nur sehr wenig.

Wie ein Blogger oder vermutlich mehr eine Bloggerin passend schrieb: „Endlich mal ein packender und berührender Erotikroman, der ganz ohne Fesseln und Peitschen auskommt!“ Ich schmunzelte dabei, da ich bekanntlich gegen solche Werke auch keine Einwände erhebe (sofern da nicht über die Stränge geschla­gen wird, was leider auch mal vorkommt). Dieses Leserdiktum stimmt jedenfalls unbedingt, und es handelt sich um ein angenehmes, locker-leichtes Lesevergnü­gen mit einer sehr sympathischen Protagonistin, der man etwas mehr Selbstbe­wusstsein sehr wünschen würde. Aber das hat Cassie Robichaud zum Ende des Romans zweifelsohne gewonnen – seien wir gespannt auf Band 2!

© 2017 by Uwe Lammers

Ja, das ist also erst einmal der erste Teil. Um Teil 2 kümmere ich mich in vier Wochen. Zweifellos Zeit genug, das Buch zwischendurch zu verschlingen (dauert im Idealfall keine drei Tage, wie ich schmunzelnd ergänzen möchte).

Ähnlich ist es übrigens mit dem Werk, das ich in der nächsten Woche hier vor­stellen werde. Da haben wir es dann wieder mit Kurt Austin und Joe Zavala zu tun, die sich diesmal in die phönizische Antike verirren… ein faszinierendes Garn, und das sage ich nicht allein als Historiker.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Jetzt nach einem Dreivierteljahr fällt mir hinsichtlich der Übersetzerin auf, dass sie vorab schon bei Sylvia Days Romanzyklus „Crossfire“ ihre Meriten verdient hatte… den Zyklus habe ich inzwischen ebenfalls gele­sen und rezensiert, er wird beizeiten auch hier sukzessive nachzulesen sein, allerdings zweifellos frühestens im Sommer 2019.

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