Rezensions-Blog 193: Die Galerie

Posted Dezember 5th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es gibt solche und solche Zeiten für Lektüre… das gilt für mich als Autor natür­lich ganz besonders. Ich erwähnte schon verschiedentlich, dass mein kreativer Verstand ein wenig wie eine Waage funktioniert, oder meinethalben auch wie ein flüssiges Medium, das nur einen bestimmten Sättigungsgrad verträgt, ehe ein Stillstand eintritt. So ähnlich verhält es sich mit mir halt: es gibt Zeiten, in denen ich viel lese und Bücher geradezu verschlinge, und dann wieder Tage und Wochen, wo ich kaum etwas lese, stattdessen umso mehr schreibe.

Zwischen Januar 2017 und Mitte 2018, möchte ich das mal zeitlich eingrenzen, befand ich mich in einer Phase verstärkten Lektürekonsums, und viele der gele­senen Werke waren erotischer Natur. Meine gut gefüllten Regale bislang unge­lesener Bücher geben da immer noch jede Menge Schätze frei. Dieses vorlie­gende Buch war eines davon.

Sein doch eher sehr schlichter Umschlag, der kaum in irgendeiner Weise reizvoll erschien, brauchte lange, um mein neugieriges Auge zu interessieren. Aber als es erst mal passiert war, vertiefte ich mich binnen kürzester Zeit sehr angeregt in die Geschichte der guten Abigail. Unter dem Aspekt der „zweiten Chance“ ist er sicherlich sehr lesenswert, auch wenn ich ihn jetzt nicht spektakulär nennen wollte. Aber ich denke, ein näherer Blick lohnt sich.

Also, Vorhang auf für:

Die Galerie

(OT: Second Chance)

Von Cheryl Mildenhall

Heyne 12172, Juli 2000

336 Seiten, TB

Aus dem Englischen von Antonia Gittinger

ISBN 3-453-16990-5

Zunächst vorweg eine Warnung: der Titel ist vollständig irreführend. Es geht nur auf etwa zehn Seiten um eine Galerie, und damit hat es auf Seite 26 auch schon wieder sein Ende. Wer also denkt, es gehe hier um Kunstliebhaber oder derglei­chen, sollte den Roman gar nicht erst anrühren, er kann ausschließlich ent­täuscht werden.

Heißt das, das Buch ist schlecht? Nein. Heißt das, die Autorin hätte kein interes­santes Werk verfasst? Nein. Bedeutet es vielleicht, das Buch sei unter falschem Label – nämlich dem der Heyne-Erotik-Romane – erschienen? Ganz bestimmt nicht. Wer also vom Titel und recht schlichten Cover, das selbst mich über 15 Jahre lang von der Lektüre abhielt, absehen mag und sich einfach nur ins Lese­abenteuer stürzen möchte, der sollte das unbedingt tun. Man bewahre dabei den englischen Originaltitel im Hinterkopf, der in jederlei Weise passender ist und aus unbegreiflichen Gründen so abstrus bei der Übersetzung ignoriert wur­de.

Hierum geht es tatsächlich:

Abigail Faux ist seit rund zwanzig Jahren mit ihrem Mann Charles verheiratet. Charles führt nahe London eine Werbeagentur, seine Frau ist eine Wirtschafts­beraterin und, da bleibt der Roman etwas vage, offensichtlich Mitinhaberin ei­ner entsprechenden Beratungsfirma. Die beiden Ehepartner haben zwei Söhne und schon seit langem nur noch eher bescheidenen Sex. Charles hält sich au­ßerdem recht offenkundig eine Geliebte, und Abigail fühlt sich mit ihren 45 Jah­ren schon innerlich fast abgestorben. Zwar weiß sie selbst, dass sie, wenn sie sich vor dem Spiegel anschaut, gut und gern für zehn Jahre jünger durchgehen könnte, aber sie hat in ihrer Ehe noch nie einen Orgasmus erlebt und denkt sich desillusioniert, das werde sich jetzt wohl auch nicht mehr ändern. Innerlich denkt sie über Scheidung nach.

Da lernt sie durch einen Zufall in einer Kunstgalerie (!) in London den jungen Christopher (Kit) kennen, der leicht als einer ihrer Söhne durchgehen könnte, also sehr viel jünger als sie ist. Und ehe sie begreift, was geschieht, verführt die­ser unglaubliche junge Mann sie und vögelt sie geradewegs um den Verstand. Es ist so, als breche er eine harte Schale auf und befreie damit die lebensfrohe, glühende und leidenschaftliche Frau, die ihr Mann Charles nie in ihr gesehen hat. Kit ist die Form von schamlosem Liebhaber, der Abigail, die er zärtlich „Abby“ nennt, auf unvorstellbare Weise zeigt, wie viel Lust und Leidenschaft sie in ihrem Alter noch zu haben vermag. Er entfesselt eine völlig fremde Person in ihr – eine Frau, die heißblütig ganze Nachmittage mit ihrem Geliebten im Bett verbringt, die aufreizende Kleidung trägt, ohne Unterwäsche zu Meetings geht und sich in eine völlig sinnenentfesselte Furie verwandelt.

Und es beschränkt sich nicht auf Kit allein, denn auf den Partys, die sie besu­chen, lernt Abby auch einen faszinierenden anderen jungen Mann namens Ser­ge kennen, mit dem sie dann ebenfalls im Bett landet – zu dritt, um exakt zu sein.

Aber während sie ihre Libido aus den Ketten der Konvention befreit, muss sich Abigail zunehmend fragen, wie ihr Leben nun weitergehen soll, beruflich, sexu­ell und persönlich…

Zugegeben, ich hatte ein wenig Sorge, welche Absichten der charmante Kit mit seiner Abby verfolgte, und die Sorge vertiefte sich auf der Party, auf der ihr un­geniert „Coke“ angeboten wurde (was sie, in völligem Unverständnis der Situa­tion, als Coca Cola verstand – in Wahrheit war Kokain gemeint). Aber da kann sich der Leser entspannen, tatsächlich verfolgt Mildenhall keine sinistren Ziele mit dem Romansetting. Es geht nicht um erotische Erpressung oder Schlimme­res, sondern tatsächlich „nur“ um die sexuelle Neuorientierung einer älteren, leidenschaftlichen Frau, die, einmal sinnlich auf neuen Kurs gebracht, die Män­ner ringsum schier um den Verstand bringt. Und das erzeugt eine ganze Menge aufregender Szenen, soviel ist sicher.

Natürlich wird an manchen Stellen überzogen dargestellt. Selbstverständlich spielen solche Aspekte wie Eifersucht eine Rolle, und an manchen Passagen hätte man sehr wohl noch ganz andere Dinge ergänzen können. Es gibt zahlrei­che Situationen, die deutlich pikanter hätten ausgestaltet werden können, aber diese Chancen vergibt die Autorin. Ich nehme an, sie tat das mit Absicht, um Abigail nicht vollends in eine femme fatale zu verwandeln… diese Darstellung wäre wohl auch nur bedingt plausibel gewesen.

Andere Aspekte der Geschichte hätten indes besser ausgearbeitet werden kön­nen. So bleiben sowohl die Tätigkeit ihres Mannes Charles als auch die von Kit und selbst ihre eigene doch reichlich diffus und gehen in dem Reigen erotischer Begegnungsszenen recht schnell unter. Manche Nebenpersonen, die auftau­chen und die man in ihrer Wirkung nicht recht einschätzen kann, bleiben bedauernswert blass. Das gilt für Sophie ebenso wie den übergriffigen Luigi. Die beunruhigende Sache mit den Bildern wird rasch bagatellisiert – aus all diesen Dingen hätte man deutlich mehr herausholen können, als es geschah. Aber sonst ist der Roman für das Jahr 2000 der Abfassung schon beachtlich weit in seinen expliziten Schilderungen der sexuellen Begegnungen und durchweg aufregend zu lesen.

Wer also sich vielleicht selbst gerade als Leserin in einer ähnlichen Situation nach der Menopause befinden sollte und mal die heutige allgegenwärtige Furcht vor Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten außen vor lässt – denn ungeschützten Sex mit wechselnden Partnern gibt es durchaus reichlich hierin – , wer das sexuelle Erwachen einer reiferen Frau durch einen versierten jüngeren männlichen Partner beobachten möchte, der ist in diesem Roman ab­solut richtig am Platz.

© 2018 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche wird es dann wieder angemessen dramatisch, mit jeder Menge Toter und einer Schiffsversenkung – ja, richtig vermutet, es geht mal wieder um Clive Cussler. Das nächste Abenteuer der OREGON-Crew steht an, und diesmal ist es wirklich so gestaltet, dass man echt Herzrasen bekommen kann. Mehr sei noch nicht angedeutet.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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