Rezensions-Blog 214: Teuflischer Sog

Posted April 30th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute gibt es mal wieder ein Werk vorzustellen, das – leider – in die Rubrik „überkritische Rezension“ einzuordnen ist. Will heißen, ich war von der Lektüre durchaus enttäuscht, wiewohl das Buch grundsätzlich interessante Ansätze be­sitzt. Das, was die Autoren daraus gemacht haben, ist jedoch, vorsichtig gespro­chen, arg grenzwertig. Da ich in der Rezension darauf schon hinreichend hin­weise, möchte ich nur soviel vorwegnehmen: Ich schätze Schatzsuchergeschich­ten. Ihr wisst das, die ihr meinem Rezensions-Blog schon länger folgt, natürlich bestens. Ich bin auch durchaus ein Freund abenteuerlicher und dramatischer Handlungsszenarien, und Clive Cussler-Fan bin ich ohnehin.

Das alles bedeutet aber nicht, dass ich meinen kritischen Verstand an der Gar­derobe abgebe, wenn ich ein Buch lese, das ich routinemäßig rezensieren möchte – was bei den Cussler-Romanen der Fall ist. Durch jahrzehntelange Lek­türe entsprechend sensibilisiert lege ich durchaus gern mal den Finger auf die Wunde und bin unbequem. Diesmal fiel mir das, dank der unmöglichen Steil­vorlagen der Verfasser, wirklich leicht. Ich nenne nur mal die Sache mit Oak Is­land.

Aber ich sagte auch schon verschiedentlich, dass das hier kein Schönwetter-Blog ist, in dem nur rundum gelungene Superromane rezensiert werden. Das würde der Realität auf dem Buchmarkt ebenso wenig entsprechen wie wenn man einzig und allein Bücher von den Bestsellerlisten läse und sich daraufhin einbildete, DAS sei die Buchszene. Ist sie natürlich nicht. Viele Werke, die sehr gut sind, kommen überhaupt nicht auf die Bestsellerlisten, weil z. B. die Verlage gar nicht im Buchhandel vertreten sind. Oder weil es sich um Selfpublisher-Titel handelt (nur die wenigsten von ihnen werden später von renommierten Verla­gen in ihr Programm aufgenommen). Und zahlreiche „gehypte“ Titel, die auf die Spitzenpositionen kommen, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als ausge­sprochene Modeprodukte oder problematische Bücher (ich möchte hier jetzt keine aktuellen Autoren oder Titel nennen… aber ihr wisst sicherlich aus lang­jähriger Erfahrung mit Bestsellerlisten, wen man hier wohl nennen könnte).

Also rezensiere ich sowohl alte und antiquarische Titel, die es meiner Ansicht nach verdienen als auch solche, die einen guten Schlag an bissiger Kritik abbe­kommen müssen, weil das einfach Not tut. Tja, und Cusslers und du Bruls heuti­ges Werk gehört leider in die letzte Kategorie.

Das bedeutet nicht, dass es uninteressant ist oder unspannend geschrieben, durchaus nicht – ihr werdet das merken. Aber wenn man seinen kritischen Kopf einschaltet, wird man über jede Menge unschöne Stolperschwellen straucheln. Und das sollte ein wohlmeinender Rezensent lieber vorab erwähnen.

Wer trotzdem neugierig geblieben ist, der lese weiter:

Teuflischer Sog

(OT: Silent Sea)

Von Clive Cussler & Jack du Brul

Blanvalet 37751

512 Seiten, TB, 2011

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-37751-0

Der 7. Dezember 1941 ist für die Vereinigten Staaten von Amerika ein traumati­scher Tag, der sich mit zwei Worten präzisieren lässt: Pearl Harbor. Von diesem Tag an war das 20. Jahrhundert für die Amerikaner buchstäblich nicht mehr das, was es zuvor gewesen war. Aber der 7. Dezember markierte auch für die Fami­lie Ronish im Staate Washington eine Zäsur von elementarer Bedeutung. An je­nem Tag versuchten die jungen Männer der Familie wieder einmal, das Geheim­nis von Pine Island zu lösen, einer kleinen Insel im Familienbesitz, dicht vor der Küste gelegen.

Auf Pine Island existierte ein seltsamer Schacht, der wenigstens seit dem 18. Jahrhundert Rätsel aufgab und scheinbar unerforschlich war. Er führte mehr als sechzig Meter in die Tiefe und war einwandfrei von Menschenhand geschaffen. Die Legenden um diesen Schacht waren mannigfaltig – die einen behaupteten, Piraten hätten ihn geschaffen, um einen Schatz zu verbergen. Andere nahmen an, dass flüchtende Inkas aus dem tiefen Süden dort ihre Kostbarkeiten verbor­gen hätten. Wieder andere mutmaßten, Freimaurer oder Tempelritter wären die Konstrukteure gewesen.

An diesem 7. Dezember 1941 starb einer der Ronish-Brüder im Schacht auf tragische Weise. Der Rest der Geschwister wurde bald darauf in den Zweiten Weltkrieg hineingesogen, und das Rätsel um Pine Island blieb ein Mysterium.

Jahrzehnte später befinden sich Kapitän Juan Cabrillo und eine Gruppe seiner hart gesottenen Mitstreiter von der „Company“ auf eher unüblichem Boden, nämlich im Dschungel zwischen Argentinien und Paraguay. Sie sind unterwegs, um im Auftrag der CIA einen abgestürzten zivilen Satelliten zu bergen, der dum­merweise auf argentinischem Grund und Boden niedergegangen ist. Man muss dazu wissen: in diesem Roman wird Argentinien von einer Militärjunta regiert und vom Terror der Neunten Brigade schikaniert. Generalissimo Ernesto Cora­zón lauert nur darauf, die „Gringos“ als „Imperialisten“ vorzuführen – ein abge­stürzter Satellit wäre darum ein phantastisches Fressen für ihn, zumal er über eine Plutoniumbatterie verfügt, die in Corazóns Staat ganz sicher fehl am Platze wäre. Es gibt nur eins, was dem Diktator noch lieber wäre: wenn die Gringos versuchen würden, in einer verdeckten Operation das Gerät wieder an sich zu bringen, und er diese Spione fassen und vor der Welt bloßstellen könnte.

Beinahe bekommt der Generalissimo, was er sich wünscht, denn die Mission der Company-Männer steht unter einem Unstern. Nur mit sehr viel Glück ge­lingt es ihnen, die Aufgabe zu erledigen.

Dabei machen Cabrillo und seine Männer aber zwei seltsame Entdeckungen: zum einen finden sie im Urwald das Wrack eines kleinen Luftschiffs, das schon seit ein paar Jahrzehnten dort liegen muss, die „Flying Dutchman“. Cabrillo nimmt Papiere von dort mit und will sie den Hinterbliebenen der Absturzopfer überbringen. Und zum anderen finden Cabrillos Spezialisten, als sie den Satelli­ten untersuchen, eine Beschädigung, die darauf hindeutet, dass er abgeschos­sen worden ist – mit einem Waffensystem, über das nur zwei Staaten verfügen, nämlich einmal die USA… und China.

Puzzleteile, die hinten und vorne nicht zusammenpassen, fürwahr. Es kommt noch schlimmer.

In der Antarktis existiert eine kleine Polarstation der Vereinigten Staaten na­mens „Wilson/George“. Unter anderem soll hier simuliert werden, wie Men­schen sich unter Isolation auf anderen Welten verhalten, wenn sie dort auf engstem Raum langfristig aufeinander angewiesen sind. Alles scheint dort sei­nen normalen Gang zu gehen… bis eines der dortigen Missionsmitglieder an ei­nem nahen Strand eine seltsame Entdeckung macht. Wenig später bricht der Kontakt mit Wilson/George auf spektakuläre Weise ab. Ein Sturm macht die Sta­tion für wenigstens noch eine Woche völlig unzugänglich.

Langston Overholt von der CIA aktiviert daraufhin die Männer von der „Ore­gon“, also Juan Cabrillos Männer. Sie sind die einzigen, die sich dort in der Nähe aufhalten, auch wenn sie demnächst nach Südafrika unterwegs sein sollen. Overholt macht Cabrillo zudem darauf aufmerksam, dass am besten niemand von dem Besuch erfahren soll – nur wenige Kilometer entfernt von Wilson/Ge­orge liegt die argentinische Basis, und die Argentinier sind derzeit aus begreifli­chen Gründen nicht wirklich gut auf die Amerikaner zu sprechen.

Die Handlung des Buches spaltet sich nun auf – Juan Cabrillo und Max Hanley bereisen die USA und suchen die Verwandten der Toten von der „Flying Dutch­man“. Diese erweisen sich als Angehörige der Familie Ronish, und es gibt nur noch einen davon… seltsamerweise tauchen zur selben Zeit wie die beiden „Oregon“-Mitglieder dort Angehörige einer argentinischen Armeeeinheit auf, angeführt von demselben Major, der Cabrillo auch schon im Dschungel seines Heimatlandes über den Weg gelaufen ist.

Und mit einem Mal stecken Cabrillo und die Leser in einer Schatzsucherge­schichte fest. Nur: was haben, verdammt noch mal, die Argentinier mit der Schatzinsel Pine Island zu tun?

Angehörige der „Corporation“ erreichen in der Zwischenzeit Wilson/George… und finden die Reste eines Massakers. Aber nicht nur das, sondern auch seltsa­me goldene Schmuckstücke und die mumifizierten Reste einer Person, die ganz offensichtlich ein Chinese ist.

Die Angelegenheit wird immer rätselhafter. Wirklich haarsträubend ist dann aber, was die Mitglieder des Stoßtrupps in der Antarktis noch entdecken: die Argentinier sind nämlich munter dabei, den Antarktisvertrag zu unterlaufen und haben geradezu eine Stadt auf ihrem kleinen Flecken Raum geschaffen, der ih­nen vertraglich zugesichert ist. Und sie haben noch sehr viel unsolidere Absich­ten…

Juan Cabrillo stößt indessen auf das Geheimnis des Schachtes auf Pine Island, das weitaus tiefer in die Vergangenheit zurückreicht, als die meisten Spekulatio­nen vermuten. Und es führt zu einem Schatz, der mit einem Schiff zusammen­hängt, das es angeblich niemals gegeben hat, der „Silent Sea“. Dummerweise ist sie an einem Ort versenkt worden, der geeignet ist, eine weltpolitische und wirtschaftspolitische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes auszulösen. Den Welt­mächten sind die Hände gebunden, kampfbereite U-Boote patrouillieren im Po­larmeer, und Juan Cabrillo muss lügen und ethische Normen brechen, um die hauchdünne Chance wahrzunehmen, das Schlimmste zu verhindern…

Zunächst einmal: der Titel ist wieder mal vollkommener Schwachsinn. Es ist wirklich nicht einzusehen, warum der Verlag so einen bescheuerten Titel ge­wählt hat und dazu ein Cover nahm, das mit dem Inhalt mal wieder nichts zu tun hat. Hätten sie es nicht „Das Rätsel der Antarktis“ oder „Silent Sea“ oder so nennen können? Nein, konnten die Dummbatzel nicht. Na schön.

Zum zweiten ist das Buch eine Mogelpackung. Da liest man munter voran… und stellt konsterniert fest, dass auf Seite 477 (!) Schluss ist! Was kommt danach? Es folgen 30 Seiten „Leseprobe“ aus dem Roman Wüstenfeuer. Das ist singulär und wirklich strohdämlich. Man merkt hieran, dass entweder der Verfasser sich viel zu kurz gefasst hat oder dass der Übersetzer den Originaltext deutlich knap­per übertrug, als es vom verlagspolitischen Rahmen her wünschenswert gewe­sen wäre. Ich weiß nicht genau, was zutrifft, beide Varianten sind denkbar.

Zum Inhalt wäre festzuhalten, dass mir die Geschichte mit dem Schacht auf Pine Island äußerst bekannt vorkam, und ich wurde bei einem Besuch in der WIKIPEDIA in vollem Umfang bestätigt: Wer hier den Artikel „Oak Island“ nach­liest, wird im Abgleich mit dem vorliegenden Roman sehr schnell entdecken, dass es sich Cussler/du Brul diesmal recht leicht gemacht haben (es wird dort sogar explizit auf den vorliegenden Roman hingewiesen! Das ist also schon an­deren Lesern aufgefallen). Während „Pine Island“ fiktiv ist, sind die meisten De­tails der Geschichte einfach von Oak Island entlehnt, wo es einen derartigen Schacht tatsächlich mal gegeben hat. Heutzutage ist er aufgrund so vieler Ber­gungsversuche seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts quasi eingeebnet und nicht mehr auffindbar. Das Geheimnis ist nie gelüftet worden. Jack du Brul hat hier natürlich die Sache etwas sehr geschönt und die Gegend optisch so intakt gelassen, dass er dort normal agieren konnte. Es wirkt freilich arg überzogen, dass er dort Erfolg hat, wo Generationen von Schatzsuchern sich vergebens abmühten.

Interessant ist hingegen die kritische Großwetterlage zwischen Argentinien, den USA und China und den Interessen auf der Antarktis. Das ist eine knifflige Ge­schichte, und der Versuch der „Corporation“, zum einen das Geheimnis um die „Silent Sea“ zu lösen (die Gründe für die Versenkung und für das Desaster in Wil­son/George vermögen allerdings nicht zu überzeugen, wie ich finde), zweitens die Pläne der Argentinier zu durchkreuzen und drittens dann noch dafür zu sorgen, dass die „lebenden Schutzschilde“ befreit werden können, ohne dass jemand MERKT, dass sie befreit worden sind… Respekt, das ist eine intelligente Sache, auch wenn da manchmal gewalttätig mit der Axt gearbeitet wird.

Auch nicht recht überzeugen konnte die Lösung der Geschichte. Ohne zu viel zu verraten – weder die Lage in Argentinien wird geklärt noch die Sache mit der „Flying Dutchman“. Von der „Silent Sea“ mal ganz zu schweigen, das war sowie­so das heftigste Stück, danach war Cabrillo mir zutiefst unsympathisch. Und da­bei hätte es so schöne Möglichkeiten gegeben, hier Lösungen zu präsentieren. Ich deute mal an – es gab da einen argentinischen Militär, der moralisches Rückgrat besaß. Es hätte schöne Gelegenheiten gegeben, dies auszunützen, die allesamt verstrichen. Außerdem stellte Cabrillo zwischenzeitlich einen Kontakt zu Julian Perlmutter, dem großen Marinehistoriker, her, der eng mit Dirk Pitt von der NUMA befreundet ist. Und Meeresarchäologie ist nun einmal wirklich ein Steckenpferd der NUMA.

Wäre es also wohl undenkbar gewesen, dem Schluss des Romans archäologisch eine andere Richtung zu geben? Ich glaube kaum. Es hätte vielleicht 30 oder 40 Seiten mehr erfordert, ja. Aber wenn man weiß, dass es Juan Cabrillo-Romane von mehr als 600 Seiten gibt und dieser hier nun außerordentlich schmalbrüstig daherkommt, dann muss man sich wirklich fragen, warum diese Chance nicht genutzt wurde, das absolute Mittelmaß, das man hier nur erreichte, etwas durch einen gescheiten Schluss auszugleichen?

Am Ende des Romans bleibt ein wirklich fader Nachgeschmack zurück. Ich als Leser bin enttäuscht. Das Werk scheint hastig zusammengezimmert und herun­tergeschnurrt zu sein, aber nicht mit allzu viel Liebe. Sehr bedauerlich. Viel­leicht war du Brul im Stress, als er das Buch fertig stellen musste. Hoffen wir, dass das nächste wieder besser ist…

© 2013 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche könnt ihr euch wieder ein wenig entspannen. Dann geht es einmal mehr nach „Down Under“ zur Agentur Sweet Sins und damit zurück in den BDSM-Kosmos der Autorin Ivy Paul.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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