Rezensions-Blog 242: Havoc – Verwüstung

Posted November 12th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

es gibt manchmal wirkliche Überraschungen, wenn man Autoren, die man aus anderen Kollaborationen kennt, auf einmal im Teamwork mit anderen Verfas­sern erlebt oder sogar, wie im vorliegenden Fall, sogar als Solo-Verfasser. Ich finde es dann stets faszinierend, zu vergleichen, wie sie sich in einer solchen Geschichte schlagen – wenn sie es souverän, spannend und plausibel meistern, weiß man, dass an den Kooperationsarbeiten, die man vorher von ihnen gele­sen hat, das meiste auf die Kappe des aktuellen Verfassers geht.

In diesem Fall kratzt natürlich die Souveränität und Dramaturgiesicherheit von Jack DuBrul an dem Nimbus des Fließband-Bestsellerautors Clive Cussler, der bekanntlich schon in die Jahre gekommen ist. Was ja auch den Grund dafür dar­stellt, dass er solo quasi keine Romane mehr schreibt, sondern mehrheitlich Ideen beisteuert und ansonsten von wechselnden Co-Autoren „schreiben lässt“. Das mag jetzt gehässig klingen, ist so aber nicht gemeint. Wer meinen Blog schon eine Weile verfolgt, der weiß, dass ich Cussler eigentlich sehr schätze.

DuBrul versucht nun, Cusslers Rezept leicht zu variieren und dem Grundstruk­turmuster treu zu bleiben – man nehme ein Rätsel der Vergangenheit, inszenie­re daraus eine packende, dramatische Schatzsuche inklusive jeder Menge sinist­rer Konkurrenten, menge politische Themen der Gegenwart ein und erhalte ei­nen spannenden Roman mit Anspruch auf einen Platz auf der Bestsellerliste (keine Ahnung, ob er da je gelandet ist).

Herausgekommen ist auf alle Fälle ein lesenswertes Buch, bei dem man die Welt um sich herum perfekt vergessen kann. Auch wenn das Kernthema … na ja, sagen wir … nicht so richtig neu ist.

Was bedeutet das konkret? Nun, lest weiter, und ihr erfahrt es:

Havoc – Verwüstung

(OT: Havoc)

Von Jack DuBrul

Blanvalet 37366

544 Seiten, TB

ISBN 978-3-442-37366-6

Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak

Man schreibt das Jahr 1937, als ein verzweifelter Mann namens Chester Bowie an Bord des Zeppelins Hindenburg den Atlantik überquert und in die Vereinig­ten Staaten zurückkehrt. Aber er ist todgeweiht, und er weiß sich verfolgt von unerbittlichen Feinden, die ihm überall auflauern. Er war in geheimem Auftrag in Afrika unterwegs und hat etwas entdeckt, was für ihn die Erfüllung seiner wissenschaftlichen Träume war… doch zugleich eine Quelle unermesslicher Ge­fahr, die auf keinen Fall in fremde Hände fallen darf. Kurz vor dem Absturz des Luftschiffes in Lakehurst gelingt es ihm, einen Reisesafe mit den wichtigsten Er­kenntnissen seiner Reise darin über Bord zu werfen. Doch das Schicksal ist ihm nicht gewogen.

Über siebzig Jahre später ist die durchsetzungsfähige Ermittlerin Cali Stowe vom Center for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta in den Wirren der Zentralafrikanischen Republik unterwegs. Sie versucht hier ein kleines Dorf zu erreichen, in dem die höchste Krebsrate der Welt ermittelt worden ist, in der Hoffnung, eine Möglichkeit zu finden, ein Heilmittel gegen diese verheerende Krankheit zu entdecken. Das Problem: die Gegend ist politisch instabil, und der Rebellenführer Caribe Dayce ist hier auf dem Vormarsch, der ganze Dörfer aus­rottet. Zu allem Überfluss wird dann auch noch ihr Auto als nächtliche Zielschei­be benutzt, so dass sie in einem Ort in unmittelbarer Nähe ihres Zieles festsitzt.

Hier stößt Cali auf Philip Mercer, einen Bergbauingenieur, der im Auftrag der UN in derselben Gegend solo unterwegs ist, um herauszufinden, ob es auch dies­seits der Grenze zum Kongo Coltan-Vorkommen gibt. Zugleich ist er betroffen von dem unermesslichen Flüchtlingselend und nutzt seinen Wagen dazu, Flüchtlingsfamilien zu evakuieren.

Gemeinsam suchen sie das abgelegene Dorf auf und müssen feststellen, dass hier einiges sehr seltsam ist. Nicht nur, dass nahe dem Dorf ein offensichtlich aufgegebenes und nirgends verzeichnetes Bergwerk liegt, die Krebsfälle sind Realität, stammen nach Mercers geologischer Expertise aber eher von einem – weitgehend abgebauten – Pechblendevorkommen. Das scheint jedoch schon vor Jahrzehnten ausgebeutet worden zu sein.

Und dann gibt es noch diese rätselhafte Steinstele mitten im Dorf, bedeckt mit unbegreiflichen, scheinbar uralten Zeichen. Tja… und während sie noch im Dorf weilen und versuchen, all diese Rätsel zu lösen, wobei ihnen von einer alten Frau etwas von einem Amerikaner erzählt wird, der vor langer Zeit hier war und die Arbeiten geleitet habe, ein Mann namens Chester Bowie, da tauchen Caribe Dayces Schlächter auf und metzeln die Dorfbewohner nieder. Cali und Mercer geraten in Dayces Hände und stehen kurz vor der Exekution, als eine dritte Frak­tion eingreift und ein wirklich unbeschreibliches Blutbad anrichtet. Unter der Drohung, sie umzubringen, falls sie jemals zurückkehren würden, werden Mer­cer und Cali Stowe laufen gelassen.

Mercer, den das ganze Grauen zutiefst ergrimmt, will aber nun wissen, was hin­ter all diesen Vorgängen steckt, und er beginnt damit, nach Chester Bowie zu fahnden. Dass es sich dabei um eine lebensgefährliche Suche handelt, die äu­ßerst überraschende Resultate zeitigt, kann er noch nicht wissen. Aber er er­fährt es recht schnell.

Zu seiner nicht eben geringen Verblüffung muss er nämlich entdecken, dass Bo­wie dem ersten Anschein nach durchaus kein Geologe war, sondern Historiker. Zweitens, dass er recht versponnene Ansichten hegte, was die Vergangenheit der griechischen Antike und besonders der mythologischen Kreaturen angeht. Und drittens gibt es das Problem, dass er sich nun einen Wettlauf um ein tödli­ches Geheimnis der tiefen Vergangenheit liefern muss mit einem bulgarischen Söldner namens Poli Feines, der ihm zum einen immer einen Schritt voraus zu sein scheint und zweitens eine furchtbare Waffe aus grauer Vorzeit sucht, die einstmals Alexander dem Großen gehört hat: der später so genannte Alambic von Skanderbeg. Und seine Auftraggeber verfolgen ausgesprochen massenmör­derische Ziele.

Ach ja, und um das noch zu dramatisieren, gibt es auch noch einen Geheim­bund, die Janitscharen, die das Geheimnis des Alambic unerbittlich hüten und bereit sind, jeden zu vernichten, der es auch nur ansatzweise ausfindig macht. So befinden sich Philip Mercer, Cali Stowe und ihre Freunde bald in einer atem­beraubenden Hetzjagd rund um den Globus, und ob es sich um Atlantic City handelt, die Niagarafälle, Sibirien, das Schwarze Meer oder den Nasser-Stausee in Ägypten … es wird weiß Gott niemals langweilig in diesem dramatischen Roman …

Jack DuBrul kenne ich schon lange. Er machte bei mir seinen Leseauftakt mit dem Roman „Todesfracht“, den ich im Juni 2012 las, als ich mir die Fortsetzung der „OREGON“-Romane von Clive Cussler antat. Seither kenne ich den Autor gut und weiß, wie rasant er zu schreiben versteht. Er stellt es hier wieder unter Beweis, und man sieht, dass er einiges von seiner Zusammenarbeit mit Clive Cussler gelernt hat.

Der obige Roman entstand ein Jahr nach seiner begonnenen Zusammenarbeit mit Cussler, nämlich 2006. Dass er erst vier Jahre später übersetzt wurde, scha­det dem Buch durchaus, weil darin nämlich komplexe Verflechtungen des inter­nationalen Terrorismus und des arabischen Fundamentalismus eine Rolle spie­len. Manche Kontexte sind inzwischen von der Zeitgeschichte überholt, so etwa, wenn er von einer „radikalen Minderheit“ redet, die „Ägypten in einen Gottesstaat verwandeln“ wolle. Hier wissen die Leser nach dem arabischen Frühling schon deutlich mehr als der Autor damals. Interessant – und höchstwahrscheinlich ein wesentlicher Grund, warum der Roman nicht vorher übersetzt wurde – ist die Verantwortlichkeit saudi-arabischer Kreise für den 11. September 2001 (im Buch peinlicherweise als „9. September“ übersetzt, wohl der Hast der Übertragung geschuldet; Kubiak übersetzt ja gewissermaßen fließbandmäßig Cussler-Romane).

Es liefert zugleich aber außerdem eine faszinierende und durchaus plausible Er­klärung dafür, warum Selbstmordattentate heutzutage nicht mehr – wie im Ko­ran stehend – als Sünde betrachtet werden, sondern als Akte des Märtyrer­tums. DuBrul legt einem Protagonisten des Romans in den Mund, dass dafür maßgeblich Ayatollah Khomeini in den Anfangstagen des Iran-Irak-Krieges ver­antwortlich zeichnete. Wenn man, wie der verstorbene Peter Scholl-Latour in seinen Büchern zeigen konnte, weiß, wie hoch Khomeini heute noch als religiö­se Autorität in islamischen Ländern gehandelt wird, erhält diese Äußerung lei­der einiges an Plausibilität.

Das Buch selbst hat natürlich auch ein paar Punkte, an denen es schwächelte, wie ich fand. An zwei Stellen wird der Leser längere Passagen im englischen Ori­ginal finden, was verwirrt… aber vermutlich hat Kubiak völlig Recht gehabt, als er sie so drinstehen ließ. Immerhin handelt es sich dabei um Briefe an Albert Einstein, die als Grundlage für einen semantischen Verschlüsselungscode gebraucht werden. Und diese Wortspiele angemessen zu übertragen, war wohl in der zur Verfügung stehenden Übersetzungszeit einfach unmöglich.

Auch der Buchtitel ist knifflig gewesen, denke ich. Gut, „verwüstet“ wird in dem Roman weiß Gott hinreichend, das ist nicht zu bestreiten. Aber sowohl Original­titel wie 1:1-Übersetzung sagen doch eigentlich überhaupt nichts über den In­halt aus. Das ist aber mit vielen Romanen dieser Art der Fall. Auch, dass das Werk kein gescheites Titelbild besitzt, muss man einfach mal akzeptieren. Da hat sich der Verlag nun wirklich keine Mühe gegeben.

Interessant wird dann aber auch für den Leser ein Vergleich sein. Schlussendlich geht es bei der Suche nach dem monströsen „Alambic“ ja um die Suche nach dem Grab von Alexander dem Großen, und ohne vorwegzunehmen, was dieser „Alambic“ eigentlich ist und was schließlich mit dem Grab geschieht, so kann man diese Schatzsuche durchaus vergleichen. Inwiefern? Nun, mit dem vorlie­genden Roman habe ich schon die dritte „Alexander“-Suche vorliegen, die ich von unterschiedlichen angloamerikanischen Autoren geboten bekam. Die erste Begegnung erfolgte in dem wirklich guten Buch „Das Alexandria-Komplott“ von Clive Cussler, die zweite in „Der Pandora-Pakt“ von Dave Berry (hier eher mä­ßig, wie ich gestehen muss), und der vorliegende Roman ist dann die dritte Variante.1

In der Tat scheint das verschollene Grab Alexanders des Großen mit all seinen Schätzen eine Art Magnet für Schriftsteller von modernen Thrillerromanen dar­zustellen. Und in realiter ist es ja bis heute noch nicht gefunden worden. Ar­chäologische Meldungen vor rund 10 Jahren, man sei in Alexandria endlich auf Spuren seines Grabes gestoßen, wurden nie ergänzt, so dass man hier wohl ebenfalls von einem Fehlschlag reden muss.

Das Mysterium bleibt also akut, das Geheimnis erhalten. Und so ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich wieder einmal ein phantasievoller Phantast dieses Themas annimmt und es in eine packende Romanhandlung integriert. Der vor­liegende Roman jedenfalls ist ein äußerst kurzweiliges Leseabenteuer, das auch verblüffende Entdeckungen enthält und beispielsweise – unerwartet – die Frage nach der Selbstbestimmung der eigenen Handlungen aufwirft. Inwiefern?

Nun, meine Freunde, das solltet ihr selbst lesen. Aber soviel ist gewiss: wenn ihr die Coproduktionsromane von Cussler und DuBrul schon gemocht habt, seid ihr hier ganz an der richtigen Stelle, auch wenn ihr Juan Cabrillo natürlich verge­bens sucht.

© 2015 by Uwe Lammers

Ihr merkt, dass ich von dem Roman sehr angetan war, und das war ich mit Recht. Es ist eine verdammt routinierte Schreibleistung, mit weitgehend glaub­würdigen Charakteren (auch wenn man sich manchmal ein bisserl in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ beim Lesen fühlte – fand ich nicht schlimm, ich mag Indy). Alles in allem, wenn man mal von Alexander absieht, eine runde Sa­che. Und für einen vermutlichen Romanerstling als Alleinautor ist das allemal respektabel. Schade, dass ich bis heute nicht herausfinden konnte, ob DuBrul noch weitere Soloromane geschrieben hat. Wundern würde es mich nicht.

Ach ja … und wo ich eben gerade bei Clive Cussler war – um den geht es dann im Rezensions-Blog der kommenden Woche wieder. Näheres seht ihr in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Nachtrag vom 25. April 2019: Inzwischen habe ich Kenntnis von einer vierten Variante, die Chris Kuzneski in seinem zweiten „Hunters“-Roman (2018) vorgelegt haben soll. Der Roman ist mir aber noch nicht inhaltlich bekannt.

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