Rezensions-Blog 255: Das Vermächtnis der Maya

Posted Februar 12th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

vor sechs Wochen begann das Jahr 2020 für euch Blogartikel-Leser mit dem letzten Fargo-Abenteuer, mit „Das fünfte Grab des Königs“. Nun folgt also der nächste Roman von Thomas Perry als Coautor der Fargo-Abenteuer … und lei­der muss ich sagen, dass der Roman zwar eine wirklich schöne und beeindru­ckende Idee hat, dass die Umsetzung aber doch wirklich sehr arg zu wünschen übrig ließ.

Quintessenz? Ich konnte Clive Cusslers Enttäuschung über diesen Coautor, der danach prompt in die Wüste geschickt wurde, recht gut verstehen. Es mag ein wenig bitter klingen, wenn ich an dieser Stelle einleitend schon einen vielleicht unfairen Vergleich ziehe, aber er drängt sich mir aktuell (Schreibdatum ist der 8. August 2019) schlichtweg auf: Ich habe mir jüngst mal den Spaß erlaubt, die ersten sieben Filme der „Fast & Furious“-Reihe anzuschauen, nachdem ich sie jahrelang konsequent ignorierte. Letzteres lag nahe, da ich weder mit Autos noch mit Motorrennen irgendetwas anfangen kann … und jeder, der die Filme kennt, wird sagen: Hey, Uwe, dann bist du da aber im völlig falschen Metier ge­landet, denn genau darum geht es da.

Nun, nicht nur. Während ich die ersten paar Filme zwar ganz unterhaltsam, aber doch ein wenig zu stark testosterongesteuert und vor allen Dingen spritlastig fand, wurden sie ab dem vierten und fünften wirklich interessant. Der Teil, in dem Agent Hobbs (Dwayne Johnson) das erste Mal in den Einsatz geht, der ent­wickelte sich dann zu einem wirklich sehr ambitionierten Katz- und Maus-Spiel, garniert mit Tricks und Übertricks, Hinterhalten und pfiffigen Lösungen auf allen Seiten.

So etwas, und damit kehre ich zur heutigen Rezension zurück, so etwas wäre dem vorliegenden Roman sehr zu gönnen gewesen. Stattdessen erleben wir ein wenig anregendes und noch weniger realistisches Amateurkino mit zahnlosen Gegnern und eher snobistischen Fargos, was weder dem spannenden Thema angemessen war noch den Leser richtig zu packen vermochte.

Gut, vielleicht war ich in diesem Fall – wiewohl ich Cussler & Co. wirklich mag – schlicht der falsche Leser. Aber ich fürchte, ich stehe da nicht allein auf weiter Flur.

Dennoch, der Idee wegen, nicht der Umsetzung wegen, halte ich die Geschichte zumindest für interessant und deshalb vorstellenswert. Denn man stelle sich vor, was wohl geschehen würde, wenn man tatsächlich die verschollenen Maya-Kodizes fände …

Wer ungeachtet meiner wenig schmeichelhaften Worte neugierig geworden sein sollte, der lese bitte weiter:

Das Vermächtnis der Maya

(OT: The Mayan Secrets)

Von Clive Cussler & Thomas Perry

Blanvalet 38387

2015, 9.95 Euro

480 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-38387-0

Man schreibt den 23. Januar 1537 in dem Ort Rabinal in Guatemala, als das Schicksal mit eherner Faust zuschlägt und die Vergangenheit in Asche verwan­delt: der später berühmte Dominikanerpater Bartolomé de las Casas, der zum Ordensmann geworden ist, weil er mit den Gräueln seiner Landsleute, die sie an den zentralamerikanischen Indios vollbrachten, nicht mehr reinen Gewissens leben konnte, ist zum Anwalt der Indianer geworden und versucht, von ihrer Kultur zu retten, was ihm möglich ist. Darunter befindet sich ein unglaubliches Kunstwerk, ein prächtiger Kodex der Maya, der ihm zum Studium überlassen wurde. Als die Vandalen in Gestalt seiner eigenen Landsmänner in Rabinal ein­fallen und damit beginnen, die Kultur der Maya auszulöschen, veranlasst er, dass der Kodex in Sicherheit gebracht wird.

Hunderte von Jahren später treffen wir als Leser vor der mittelamerikanischen Küste alte Bekannte in der Gegenwart – Sam und Remi Fargo, die schon aus den Romanen von Grant Blackwood und einem von Thomas Perry vertrauten Aben­teurer und idealistischen Schatzsucher mit ihrer starken humanistischen Ader. Sie befinden sich hier gerade am rechten Platz bei einem kleinen Forschungs­auftrag, als ein schweres Erdbeben das Festland erschüttert und nahezu alle Orte von der Außenwelt abgeschnitten werden. Sie entschließen sich kurzer­hand dazu, helfend einzugreifen und transportieren wochenlang Rettungsgüter in die Krisenregion. Schließlich wagen sie es auch, ins Hinterland vorzudringen, wo zum Teil in mehreren tausend Metern Höhe entlegene Dörfer existieren, die die Naturkatastrophe ebenfalls schwer getroffen hat.

Während dieser Bergwanderung entdeckt das Ehepaar einen uralten Tempel aus der Maya-Zeit, der über geraume Zeit von einem Lavastrom zugedeckt war. Im Innern befindet sich eine ausgedörrte Leiche aus sehr viel späterer Zeit – und ein Krug. Da weitere Verheerungen drohen und der Vulkan, an dessen Hang sie sich befinden, durch neue Eruptionen erschüttert wird, bringen die Fargos den Leichnam und das Gefäß in Sicherheit. Zugleich wollen sie vermei­den, dass der Fund des Tempels an die breite Öffentlichkeit dringt – sie fürchten sehr zu Recht, dass er Schatzsucher und Plünderer anlocken könnte.

Doch ihr Plan geht nicht auf – in Windeseile wird der Fund bekannt.

Das ist schon fatal genug. Aber auf einmal sind die Eheleute Ziel von Diebstahl­versuchen. Das motiviert sie dazu, den noch ungeöffneten Krug außer Landes zu bringen und in ihrem renovierten Haus in La Jolla in Gegenwart eines Spezia­listen für mayanische Kultur, David Caine, öffnen zu lassen.1 Erwartungsgemäß für den Leser befindet sich in dem Krug jener mayanische Kodex, den einst Bar­tolomé de las Casas in den Händen gehabt hat. Das allein ist, weil es nur vier weitere existierende Kodizes aus der mayanischen Epoche gibt, schon spektaku­lär genug … aber es gibt auch Kartenmaterial darin, und auf diesen Karten sind unzählige versunkene Städte der Maya verzeichnet.

Ja, und dann geht alles so schief, wie es nur kann: zunächst bekommen die Far­gos mit, dass irgendeiner der eingeschalteten Wissenschaftler geschwatzt ha­ben muss. Als nächstes steht eine adrette, blonde junge Dame vor ihrer Tür, gleich mit mehreren Anwälten, die ihnen doch glatt fünf Millionen Dollar für den Kodex bietet.

Doch die millionenschwere Sarah Allersby blitzt bei den Fargos ab – und sie ist eine stolze, verwöhnte Person, die sich nicht so einfach abweisen lässt und sehr nachtragend ist. Ein Einbruchsversuch ist das nächste, was passiert. Es ist offen­sichtlich, wer dahintersteckt.

Die Fargos ziehen Erkundigungen über Sarah Allersby ein und bekommen ein immer mulmigeres Gefühl – die schwerreiche Sarah hat riesige Landflächen in Guatemala aufgekauft und steckt, soweit die Gerüchte besagen, tief im Ge­schäft mit illegalen Antiquitäten … es ist nicht auszudenken, was für eine Gold­grube der Kodex in ihren Händen sein wird.

Und dummerweise gerät er wirklich bald in Sarahs Hände – und die Fargos, die versuchen, den angerichteten Schaden möglichst zu begrenzen, finden sich we­nig später im mittelamerikanischen Dschungel im Kugelhagel. Sagen wir es vor­sichtig: das Klima wird ungesund, und sehr lange hat Sarah Allersby die Nase definitiv vorn.

Doch dann spielen die Fargos mit unlauteren Tricks …

Der fünfte Fargo-Roman hat ein phantastisches, aufregendes Thema. Wer je­mals einen der legendären Maya-Kodizes gesehen hat, kann eigentlich gar nicht anders, als sich vorzustellen, wie wohl einstmals der Glanz all dieser Werke ge­wesen sein mag, als sie noch existierten. Bevor die fanatischen, zumeist anal­phabetischen Conquistadores und ihre nicht minder verbohrten christlichen Beichtväter anhand der ihnen fremden Symbole entschieden, dies sei alles Teu­felswerk, und die Werke von Jahrhunderten der Gelehrsamkeit dem vernichten­den Feuer übergaben.

Ein Verbrechen an der menschlichen Kultur, ohne Frage. Und es steht in einer Reihe, meiner Ansicht nach, mit dem Brand der Bibliothek von Alexandria, der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten und ähnlichen Gewalttaten gegen­über der Kultur. Die Vorstellung, einen solchen gut erhaltenen Kodex zu finden und darin womöglich noch deutlich mehr als eben nur die Handelsrouten zu den geheimen Jadevorkommen der Maya (die auch Teil dieses Kodex sind) ent­hält, ist bestechend.

Zu dumm, dass die Geschichte nicht einmal entfernt hält, was sie verspricht. Es gibt jede Menge spannender Zutaten, das sei zugegeben, aber was Thomas Per­ry daraus zusammenkocht, hat leider wirklich außerordentliche Längen. Zu­nächst einmal dauert es sechzig Seiten, bis die Handlung überhaupt in Fahrt kommt (von einem kleinen Intermezzo unterbrochen, das der Autor aber nicht weiter nutzt). Dann, als die offensichtliche Antagonistenperson auftaucht, Sarah Allersby, da stellt sie sich so dämlich an, dass man denkt: Okay, sie hat die Far­gos unterschätzt … aber ein Gegner bei Cussler ist ja in der Regel lernfähig, wenn er schon am Anfang nicht gefährlich ist.

Tja, schön wäre es. Die gute Sarah, die sich offensichtlich primär über Wohl­stand, Markennamen und Hohlköpfigkeit auszeichnet, verhält sich wirklich nicht sonderlich intelligent. Man fragt sich als Leser nach ein paar hundert Seiten wirklich, wie diese Frau es schaffen konnte, a) mit all ihren unsauberen Ge­schäften durchzukommen und b) ihr Geld zusammen zu halten … die Wahl der Verbündeten ist unglücklich, die Verbündeten selbst sind auch keine Geistes­leuchten, selbst wenn sie vorgeblich welche sein sollten (immerhin Elitekiller … die sich aber wie Pat und Patachon benehmen) … und selbst, als schließlich noch ein „böser Drogenbaron“ in Erscheinung auftritt, der etwa so gefährlich ist wie ein in die Jahre gekommener, fetter Terrier, der am liebsten vor dem Kamin vor sich hindöst, kommt so überhaupt keine Spannung auf.

Seufz, dachte ich an sehr vielen Stellen des Romans. Was hätte man daraus ma­chen können? Etwas ECHTE Bedrohung, wirklich gefährliche Hinterhalte, Feinde beispielsweise auch, die etwa in der Lage wären, Handysignale abzufangen oder Peilsender zu applizieren oder Sprengfallen oder irgendwas in der Art … sucht man völlig vergebens.

Versteht mich nicht falsch, ich mag die Fargos und will sie nicht um die Ecke bringen. Aber sie sind primär Abenteurer, keine Trendsetter, denen die nächste Schuhgeneration von Manolo Blahnik wichtig wäre oder die Wahl erlesenen Weins zum Abendessen. Doch bei diesem Roman hatte ich das dumpfe Gefühl, als sei der gute Coautor dafür bezahlt worden, möglichst viele Markennamen in den Text einzuweben. Nicht so richtig geschickt. Einige wenige Krachwumm-Szenen können diesen Gesamteindruck nicht signifikant aufhellen. Ich würde darum leider sagen – ja, man kann den Roman in vier Tagen durchknabbern, wie ich das getan habe. Aber schöne Unterhaltung ist etwas anderes. Und viel­leicht ist es ja auf diese Tatsache zurückzuführen, dass Thomas Perry nach die­sem Roman aus der Coproduktion ausgeschlossen wurde und Cussler sich einen neuen Coautor für die Fargo-Romane suchte. Hoffen wir, dass er mit Russell Blake einen besseren Griff getan hat.

Ich meine … schlechter als Sarah Allersby (bei der ich, sorry, Mädel, dann leider immer irgendwie Paris Hilton vor Augen hatte) kann es wohl kaum werden. Der Vollständigkeit halber ist dieser Roman also lesbar, aber eine Leseempfehlung kann ich bedauerlicherweise nur sehr bedingt aussprechen.

© 2016 by Uwe Lammers

Tja, mal wieder leider eine Anti-Rezi zu einem Cussler-Buch, sorry, folks. Aber ihr wisst ja, ich schreibe hier keinen Schönwetter-Blog. Wenn es was zu kritisie­ren gibt, dann nehme ich da kein Blatt vor den Mund.

Ist das beim Roman der kommenden Woche auch der Fall? Definitiv nicht. Und das hat damit zu tun, dass wir es wieder mal mit dem berühmten Detektiv aus der Baker Street zu tun bekommen.

Schön neugierig bleiben, Freunde!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Warum das Haus grundrenoviert werden musste, sollte man im Vorgängerroman, „Das fünfte Grab des Kö­nigs“, nachlesen. Um ein Haar wäre der Wohnsitz der Fargos dem Erdboden gleichgemacht worden, und dass das monatelange Grundrenovierungen nach sich zog, ist äußerst plausibel.

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