Rezensions-Blog 3: Der verstrahlte Westernheld

Posted April 15th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wie jüngst versprochen, kommt heute was Kürzeres auf euch zu… und auch wieder etwas völlig anderes als bisher. Wir befinden uns hier nämlich nun nicht in phantastischen Gefilden, sondern in unserer Alltagsrealität. Mit diesem Buch tritt das erste Sachbuch auf den Plan, dessen Rezension ich euch hier servieren möchte. Es werden noch viele weitere folgen, die meisten, so denke ich, aus dem Feld der Geschichtswissenschaft und der Biografie. Hier hat nun zunächst mal John Wayne seinen Auftritt, der „verstrahlte Westernheld“…

Der verstrahlte Westernheld

und anderer Irrsinn aus dem Atomzeitalter

von Rudolph Herzog

Galiani, Berlin 2012,

260 Seiten, geb.

ISBN 978-3-86971-054-9

Die Atombombe, wer kennt sie nicht? Der Schrecken des 20. und leider auch des 21. Jahrhunderts. Und dabei fing alles eigentlich so harmlos an. Als am Ende des 19. Jahrhunderts allmählich die interessanten Eigenschaften des Radi­ums und bald darauf auch die des Urans entdeckt wurden, waren die Vorstel­lungen eher noch von biederer Natur. Man suchte Energiequellen, und zumin­dest der Theorie nach schien alles dafür zu sprechen, dass man – wenn man diesen Prozess unter Kontrolle bekam – , durch die Spaltung von Atomkernen unglaublich viel Energie gewinnen könnte, die den Energiehunger der Mensch­heit ein für allemal sättigen könnte. Ja, vielleicht wäre es dadurch sogar mög­lich, hochfliegende, phantastische Pläne umzusetzen, gewaltige Metropolen in energetische Paradiese zu verwandeln, die Völkerfeindschaften zu beenden, Nahrungsmangel zu bekämpfen…

Nun, so ist das mit Idealisten. Sie denken zumeist fast ausschließlich einseitig und vergessen dabei eine ganz wesentliche Eigenart des Menschen: die menschliche Spezies neigt grundsätzlich dazu, segensreiche Entdeckungen zu­nächst einmal zu höchst destruktiven Zwecken einzusetzen.

Kaum war das Feuer entdeckt, das die Menschen wärmte, ihre Nahrung besser zubereitete und sie vor den Unbilden des widrigen Wetters schützen konnte, da waren die Feuermacher auch schon dabei, das Haus des Nächsten abzufackeln. Kaum hatte man mit dem Bogen eine elegante Waffe gefunden, die Jagd leich­ter und gefahrloser zu machen, indem man das Töten auf Distanz realisieren konnte, schon legten die Bogenschützen auch schon auf Mitmenschen an. Ähn­lich verhielt es sich mit sehr vielen anderen neumodischen Erfindungen, vom Schießpulver bis hin zu Luftschiffen und Automobilen.

Natürlich war das bei der Atomspaltung nicht anders. Es werde dabei unglaub­lich viel Energie freigesetzt? Welch wunderbare Möglichkeit, damit feindliche Städte in Schutt und Asche zu legen? Was dann prompt – siehe Hiroshima und Nagasaki – auch getan wurde. Mit grässlichen Konsequenzen.

Denn dummerweise gab es ein Problem mit dieser neumodischen Waffe, das alle früheren nicht in diesem extremem Maß besessen hatten: sie war hochgif­tig, und die Hinterlassenschaften nuklearer Strahlung sah man in der Regel nicht, man schmeckte und roch sie nicht, und sie führten üblicherweise zu ei­nem langsamen, schleichenden und völlig unaufhaltsamen Tod.

Radioaktivität hieß das Schlüsselwort.

Und dummerweise war auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der partiell mit der Atombombe entschieden wurde, das Verhängnis nicht vorbei, denn es schloss sich der Kalte Krieg zweier Supermächte an, die sich mittels Spionage, Erpres­sung und offener Nötigung anschickten, auch auf dem Sektor der Nukleartech­nik immer weiter voranzukommen und stetig bessere, das heißt: tödlichere Waffen zu entwickeln.

Die klare Kenntnis von der Gefährlichkeit der Bombe und ihrer Hinterlassen­schaften war dabei in den politischen Entscheidungsebenen aller beteiligten Länder eher unterentwickelt. Mit der fatalen Konsequenz, dass Fehler vorka­men. Ob sich nun demokratische wie undemokratische Regierungen kurzer­hand in die Rolle von Experimentatoren versetzten und ihre eigenen, in Un­kenntnis gelassenen Soldaten oder Zivilisten munter Strahlendosen aussetzten, die verheerende Konsequenzen hatten; ob sie logen, betrogen und Landstriche auf unrechtmäßige Weise menschenleer fegten, ohne die Umgesiedelten zu entschädigen; ob sie in Naturschutzgebieten Nuklearwaffen zur Explosion brachten oder Trinkwasservorräte mutwillig vergifteten… es schien so ziemlich nichts zu geben, was in den Zeiten des Kalten Krieges nicht angewandt wurde, um diese mörderische Kraft des Atoms zu erforschen.

Selbst als klar wurde, dass der Rüstungswettlauf leicht das Ende der Welt und den Untergang der Menschheit zur Folge haben konnte, waren die idealisti­schen Nuklear-Propagandisten wie beispielsweise der Physiker Edward Teller, von ihren Plänen nicht abzubringen. Stattdessen entwickelten sie ganz beson­ders groteske Pläne, etwa die „Operation Pflugschar“ – der über viele Jahre im Westen ernsthaft verfolgte Gedanke, mit „atomarem Erdaushub“ beschleunigt etwa einen neuen Panamakanal zu bauen („die Forscher berechneten, dass man für das Projekt 302 Kernwaffen benötigen würde, die man wie an einer Perlenschnur zünden müsse…“). Andere Pläne sahen ernsthaft vor, Nuklearwaf­fen auf dem Mond zur Explosion zu bringen, von dem man annahm, dass dort das Gestein zu einem Prozent aus Wasser bestünde. So habe man „eine kosten­günstige Alternative zur Wasserversorgung der Mondbasis“. Aus nahe liegenden Gründen wurde das Projekt „Moses“ getauft.

Doch nicht nur in der militärischen und quasi-militärischen Forschung wurden atomare Wunschträume gehegt, auch die zivile Nutzung fand durchaus Berück­sichtigung… und erzeugte, wo immer es Gelegenheit gab, solche Nutzung um­zusetzen, Probleme. Ein Wunschtraum von Futurologen blieben „Atom-Autos“, die sich nicht realisieren ließen, ohne den Fahrer und die Beifahrer nuklear zu verstrahlen. Sehr wohl realisiert wurden hingegen Flugzeuge mit Mikroreakto­ren oder, noch immer sehr verbreitet, Kernenergiebatterien für die Weltraum­fahrt. Dass dabei Pannen wie etwa der verheerende Absturz des russischen Sa­telliten „Kosmos-954“ vorkamen, der leicht auch in New York hätte einschlagen können (er kam stattdessen 1977 in Kanada herunter), wurde eher als Risiko heruntergespielt. Auch Forschungsreaktoren (etwa im Kongo) oder medizini­sche Geräte, die auf Plutonium setzten und sich auf tödliche Weise dann im Alt­metallschrott wieder fanden und unzählige Menschen radioaktiver Verseu­chung aussetzten, standen eher nicht auf der Agenda der Bedenken der Atom­lobby.

Schweigen wir von abgestürzten Nuklearwaffen auf amerikanischem Boden, von Bombern, die mit Kernwaffen über Grönland oder dem Mittelmeer abstürz­ten oder von den vielen U-Booten, in denen Reaktoren und nicht geborgene Kernwaffen bis heute auf dem Meeresboden tickende Zeitbomben darstellen…

Der 1973 geborene Autor und Regisseur Rudolph Herzog (Dokumentation „Heil Hitler, das Schwein ist tot!“) hat mit diesem Buch eine sehr kurzweilig lesbare und recht solide dokumentierte Chronologie der Entwicklung des atomaren Wunschtraums des 20. Jahrhunderts, inklusive seiner finsteren Seiten und Alt­lasten vorgelegt. Er führt den Leser in 11 Kapiteln rund um die Welt, bringt uns an nuklear verseuchte Hollywood-Sets, auf entlegene Farmen, wo Atomwaffen vom Himmel regneten, zur kasachischen Steppe, wo heute noch nukleare Über­wachungsprogramme über die Altlasten die Kontrolle ausüben.

Er bringt uns so in unangenehm nahe Bekanntschaft mit solchen Dingen wie „Davy Crockett“, nuklearen Kofferbomben, uneinsichtigen und verlogenen Mili­tärs und Politikern, macht auf die Kollateralschäden nuklearer Forschung auf­merksam, die uns bis in das graue Niemandsland von Pakistan bringen… ja, man kann sagen, wir kommen weit herum in diesem Buch, und wir stellen fest, dass die ganze Welt ein nukleares Schlachtfeld ist – nicht nur in den Augen der Mili­tärtaktiker, die den Dritten Weltkrieg ausbrüten (die Spezies ist heute eher sel­ten und grau zudem geworden), sondern auch in den Augen von Rüstungshänd­lern oder Personen, die nach wie vor strikt von den reinen Segnungen der An­wendung von Nukleartechnologie überzeugt sind. Diese Spezies stirbt wohl nie aus.

Dabei begeht Herzog nicht den Fehler, alles zu verteufeln, wie das gern ge­schieht. Nein, er differenziert durchaus. Nicht alle Atomforscher sind Monster, viele von ihnen haben nachvollziehbare Gründe, warum sie anfangs so handel­ten, wie sie es getan haben. Er zeigt auch die Skrupel und Kehrtwenden bei Protagonisten des Nuklearzeitalters auf. Aber leider wird ebenfalls deutlich, dass moralische Bedenken nur zu oft der Machttaktik oder dem Dominanzkal­kül von (oft im Detail ganz uninformierten) Politikern und Militärs gewichen sind. Und dann wird manchmal buchstäblich über Leichen gegangen, Bürger­rechte missachtet, Bedenken und Gutachten ignoriert und einfach munter ge­plant und gegebenenfalls gebombt.

Das Buch weist eine Menge Informationen auf, die sehr dazu geeignet sind, un­ser oftmals nur vages Halbwissen über bestimmte Sachverhalte gründlich auf eine logische und rationale Basis zu stellen. Wer weiß schon genau etwas über den „Goldsboro Incident“? Oder was man wirklich unter dem „China-Syndrom“ verstand? Wer kennt denn tatsächlich die wahren oder vermeintlichen Gefah­ren der Kobaltbombe oder wie das pakistanische Atomprogramm überhaupt Realität wurde? Das und noch sehr viel mehr an Wissenswertem, wobei man oft gruseln und ungläubig den Kopf schütteln kann, ist hier zusammengetragen und lesbar aufbereitet.

Wer immer sich als atomkritisch versteht – dazu muss man kein „Grüner“ sein, sondern lediglich ein hellsichtiger Zeitgenosse, der Interesse an einer heilen und gesunden Welt und an seinem Weiterleben hat – und gern etwas Genaue­res über die mentale Ausgangslage und die historischen Wurzeln unserer heuti­gen, durchweg als atomar zu verstehenden Gesellschaft wissen möchte, ist hier goldrichtig. Und leider hat er ebenfalls Recht, wenn er zum Schluss konstatiert: „Welche Kapitel dem Zeitalter atomarer Unvernunft hinzugefügt werden müs­sen, steht in den Sternen.“

Die Hinterlassenschaften des Wahns, der in diesem Buch im Guten wie im Schlechten dokumentiert wird, prägen die Welt von heute. Und mit ihnen wer­den wir uns noch weiterhin auseinandersetzen müssen, wenigstens ein paar tausend Jahre. Dieses Werk sollte darum als Informationslektüre unbedingt empfehlenswerte Basis für die Interessierten sein, die vor derlei Problemen die Augen nicht verschließen.

Lest es, Freunde!

© by Uwe Lammers, 2013

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