Rezensions-Blog 33: Der nackte Gott (6)

Posted November 11th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

man könnte als argloser, prüder Leser nun meinen, auf einmal ginge es um einen mythologischen Porno, aber da läge er vollkommen falsch. Nein, Peter F. Hamilton hatte hier keine Midlife-Crisis sexueller Natur, als er diesen Roman schrieb, sondern etwas völlig anderes im Sinn, und das kam dann schließlich auch dabei heraus. Das titelgebende Etwas ist weder ein Mensch noch recht ei­gentlich spirituell… aber es ist essentiell für den Schluss von Hamiltons „Arma­geddon-Zyklus“, der mit diesem Band (fast) abgerundet wird.

Wieso fast? Nun, weil es bald darauf noch einen siebten Band gab, auf den ich noch zu sprechen kommen werde, in drei Wochen, um exakt zu sein. Kenner der Geschichte wissen natürlich, wovon ich rede. Aber alle Neuankömmlinge auf dieser Seite oder in Hamiltons Geschichtenkosmos erwartet eine inter­essante Überraschung.

Doch schauen wir uns zunächst an, wie sich Joshua Calvert im verzweifelten Ringen mit den übermächtigen „Besessenen“ schlägt. Das wollt ihr doch sowie­so alle längst wissen, wenn ihr die vorherigen Bände verschlungen habt. Nun, hier folgt also die Auflösung:

Der nackte Gott

(OT: The Naked God, Part II)

Armageddon-Zyklus, 6. und letzter Roman

von Peter F. Hamilton

Bastei 23234

1024 Seiten, TB

März 2001, 9.90 Euro

Übersetzt von Axel Merz

Es wird eng.

Ja, es wird eng für die Menschheit und für alle Wesen, die sich einstmals als zur Menschheit gehörig betrachteten und nun unwiderruflich in den Strudel hinein­gezogen werden, den sie selbst mit schaffen halfen – die Besessenen unter­schiedlichster Couleur, überall im irdischen Sternenreich. Letzteres ist ja nur eine Konföderation, also ein Zusammenschluss auf wirtschaftlicher und politi­scher Ebene, wobei die individuellen planetaren Ökonomien höchst unter­schiedlich gewichtet sind.

Während nun der Abenteurer Joshua Calvert und die Voidhawk-Kommandantin Syrinx als Duo mit zwei Raumschiffen in die Tiefen der Milchstraße vorstoßen, um das Geheimnis des „Schlafenden Gottes“ der Tyrathca zu lösen, beginnt die Konföderation zu wanken.

Wohl gelingt es den Regierenden, auf Ombey allmählich die Krise der Halbinsel Mortonridge unter Kontrolle zu bekommen, wohl entschließt sich die Konföde­rierte Navy, endlich massiv gegen Al Capones Organisation auf New California zuzuschlagen, doch allen wird schnell klar, dass dies die Kräfte der Konföderati­on bei weitem überschreitet. Mortonridge lässt sich nicht wiederholen, weder finanziell noch humanitär. Der Schaden für die Demokratie ist gewaltig.

Und das ist nicht einmal das Schlimmste: was Louise Kavanagh schon lange ge­fürchtet hat, ist Realität geworden – der sinistre Quinn Dexter ist auf der Erde eingetroffen, und jeder Versuch, seiner habhaft zu werden, endet in einem un­beschreiblichen Blutbad. Doch er ist wie ein Geist, unfassbar, diabolisch und ge­wissenlos. Die Erde selbst wird zum Schlachtfeld der Besessenen, und eine Ar­kologie nach der nächsten gerät an den Rand des Abgrunds. Zum Schluss ver­fügt Quinn sogar noch über die ultimate Waffe, um seine Herrschaft zu vervoll­kommnen, und in Louises Gegenwart ruft er seinen finsteren Herrn, den Licht­bringer Luzifer selbst…

In den Tiefen der Galaxis stoßen unterdessen Joshua Calvert, Alkad Mzu, Syrinx und ihre Gefährten auf das Ursprungssystem der Tyrathca, das längst zerstört ist… aber entgegen ihren Vorstellungen ist hier keineswegs alles Leben erlo­schen, sondern vielmehr kommen sie alle in Kontakt mit einer weiteren Spezies, den Mosdva. Doch die Verhandlungen entpuppen sich als außerordentlich schwierig – und sie werden noch mehr erschwert, als ein Hellhawk auftaucht und die Verhandlungen unbedingt torpedieren will…

Einen Roman von fast 2000 Seiten mit einem Titel zu belegen, der lediglich auf die letzten hundert Seiten zutrifft, könnte man als einen Versuch gezielter Irre­führung bezeichnen. Gut für Hamilton ist, dass er auch jenseits des Titelbezugs eine Menge interessanter, wichtiger, spannender und lebendiger Dinge zu er­zählen weiß und in diesem Roman nun endlich die Handlungsfäden wieder zu­sammenführt, nachdem sie sich über Hunderte und Tausende von Seiten so weit voneinander entfernt hatten, dass man sie als reine Nebenhandlungen ab­zuqualifizieren bereit war.

Wer so gedacht hat – dass es sich um Nebenhandlungen handelte – , der wird überrascht werden. Wer Hamiltons Denken schon ein wenig kennenlernte, dem bereitet das keine Verblüffung.

Wie war das also mit der frustriert von Zuhause flüchtenden Marie Skibbow auf Lalonde? Wie war das mit dem schrecklich zu Tode gemarterten Gefangenen­aufseher Powell Manani ebendort? Warum wohl mag es von Bedeutung gewe­sen sein, dass Marie Skibbows Vater Gerald, inzwischen psychisch völlig am Ende, von seiner Besessenheit befreit und dafür psychisch völlig zerrüttet wur­de? Was ist die letztendliche Quintessenz, warum der Valisk-Handlungsstrang und Dariats Persönlichkeit (von Tolton ganz zu schweigen) wirklich bedeutsam war? Und denkt auch an Jezzibella und Al Capone und ihre ganz besondere Be­ziehung zueinander, denkt an die kinderrettenden Besessenen um Stephanie Ash…

Alles wichtige Bausteine für den Schluss des Zyklus. Geschickt komponiert und beinahe gut gemacht. Beinahe. Tja, denn es gibt Wermutstropfen zum Schluss der ganzen Geschichte. Sie hängen mit einer Tatsache zusammen, die Hamilton nicht leugnen kann und ihn im Grunde genommen sympathisch macht: Peter F. Hamilton ist ein unverbesserlicher Romantiker mit einer unausweichlichen Be­strebung, ein Happy End zu finden. Dafür tut er alles, und das muss man hier wirklich wörtlich verstehen. Das ist der Grund, warum mir der Schluss des Zy­klus beinahe den Magen verdarb. Hat jemand ein Tonic Water da, um diese Süßlichkeit zu verscheuchen? Ah, danke!

Also, eine kleine Andeutung vor dem Lesen sei mir gestattet, um euch nicht die Freude völlig zu verderben: so sehr ich es gemocht habe, dass Josh und seine junge Geliebte zusammenfinden – was eigentlich von Anfang an abzusehen war – , so sehr sträube ich mich gegen die letztendliche Lösung des gesamten Pro­blems. Ich könnte es mir leicht machen und behaupten, das sei „Science Ficti­on“, aber das ist es ja sowieso, und diesmal heißt die Antwort deshalb, es ist nicht SF, es ist „Fantasy, gepaart mit Wunschdenken“. Die Mischung ist unge­nießbar.

Mir ist klar, weshalb er das gemacht hat – weil er verbrannte Erde zurücklassen möchte, einen Zyklus, dessen Potential so ausgereizt ist, dass es keinen Anreiz mehr gibt, dorthin zurückzukehren. Auf der einen Seite intelligent. Auf der an­deren Seite… öde. Eine Welt so in Ordnung zu bringen, dass es darin keine Ecken und Kanten mehr gibt, das ist langweilig. Und so schön das Träumen und das Abenteuern mit Peter F. Hamiltons dicken Armageddon-Schmökern auch gewesen ist – mir hätte es mehr gefallen, hätte er am Ende ein paar Ecken und Kanten übriggelassen. So bleibt nur zu sagen, dass er den Schluss vermutlich auch aus dem Bestreben heraus, endlich „fertig“ zu sein, letztlich in den Sand gesetzt hat.

Schade.

© by Uwe Lammers, 2005

Tja, und wieso bitte behaupte ich dann – siehe oben in der Einleitung, es gäbe doch noch einen SIEBTEN Teil? Weil das eine Tatsache ist. Und nein, es ist durchaus KEIN Widerspruch. Am 2. Dezember werdet ihr das verstehen.

In der kommenden Woche entführe ich euch an dieser Stelle in die Karibik und in ein weiteres Abenteuer, das Clive Cussler verfasst hat. Da wird’s dann wieder richtig abenteuerlich, verlasst euch drauf!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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