Rezensions-Blog 59: Kull von Atlantis

Posted Mai 10th, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, ja, ich versprach euch in der vergangenen Woche, wir würden heute nach Valusien aufbrechen – und wohin führt uns die Reise? Nach ATLANTIS? Nun… wer diese Person kennt und den Autor Robert E. Howard, der wird begreifen, dass ich hier keineswegs Irreführung betrieben habe. Das passt schon alles stimmig zusammen.

Ebenso müsste ich, sehr streng formalistisch betrachtet, oben hinter den Titel in Klammern eine „1“ schreiben, weil es schließlich noch einen zweiten Band mit Stories um den Barbarenkönig Kull von Atlantis gibt. Aber ich habe das fortge­lassen, weil die Aufteilung auf zwei Bände aus verlagstechnischen Gründen er­folgte und zudem keine klare, enge chronologische Verbindung besteht, wie das beispielsweise bei klaren mehrteiligen Romanen der Fall ist. Paradebeispiele wären hierfür etwa die Werke von Peter F. Hamilton.

Mit Kull und den zu seinem Dunstkreis gehörenden Geschichten stelle ich also wieder mal eine heute vergriffene Buchausgabe des prominenten Robert Ho­ward vor, dessen Prosa ich nach wie vor äußerst lesenswert finde. Jeder, der da mal ein paar Stippvisiten unternimmt, wird die lebenspralle Sprache bei ihm vorfinden, die leidenschaftlichen Gefühle und die beeindruckend dichte atmo­sphärische Schilderung seiner archaischen Settings.

Wer dieses Buch nicht kennen sollte, der folge mir jetzt einfach mal hinein in die Kurzvorstellung:

Kull von Atlantis

(OT: King Kull, 1. Teil)

von Robert E. Howard & Lin Carter

Terra Fantasy Band 28

Rastatt, 1976

146 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Lore Strassl

Jedes Sandkorn auf dem Strand von Valusien trägt unzählige Universen in sich, und es selbst, als ein Ganzes, ist genauso ein Teil des großen Planes aller Univer­sen wie die Sonne, die du kennst. Dein Universum, Kull von Valusien, ist viel­leicht ein Sandkorn am Strand eines andern mächtigen Königreichs…“

Philosophische Worte, die bei dem Adressaten, König Kull von Valusien, durch­aus nicht auf taube Ohren stoßen, wiewohl Kull nun wahrhaftig ein kraftstrot­zender Barbar ist, der lieber rot sieht und mit Faust und Schwert argumentiert denn grübelt und strategisch denkt. Der Leser fühlt sich bei dieser archaischen Gestalt aus dem legendären hyborischen Zeitalter Robert E. Howards durchaus ein wenig an Conan den Cimmerier erinnert. Und das ist kein Zufall.

Kull ist, wenn man so will, der Archetyp und Urahn von Conan, und während Kull von Valusien, der Mann ohne eigene Geschichte, der sich, vom kriegeri­schen Atlantis kommend, im dekadenten, mondänen valusischen Königreich auf den Topasthron putscht, kaum jemals richtig an das Licht der Öffentlichkeit trat, spielte er doch Pate für den ungleich berühmteren Conan.

Howard ersann Kull zuerst – wohl zwischen 1926 und 1930 entstanden alle diesbezüglichen Geschichten – , und er adaptierte viele Ideen dieser meist un­publizierten Geschichten, die Farnsworth Wright, der Herausgeber von WEIRD TALES, nicht haben wollte, für die Conan-Stories. Die Konsequenz war natürlich, dass die Kull-Geschichten nun meist erst posthum nach Howards tragischem Selbstmord im Jahre 1936 zu Tage traten, z. T. erst in dieser Geschichtensamm­lung.

Da, wo Conan gleich zum Schwert greift, geschieht das bei Kull eher erst später, und wenn er auch manchmal buchstäblich auf dem Schlauch steht, bis der Le­ser kichert, so geht doch nie das Grüblerische, Nachdenkliche so gänzlich verlo­ren, der mitunter heidnische Respekt vor dem Wissen und den verloren gegan­genen Kenntnissen der Ahnen.

In dieser Geschichtensammlung (Teil 1 eines Doppelbandes, der Rest der Kull-Geschichte erschien in TF 29) sind acht Stories um Kull enthalten, zwei davon durch Lin Carter vervollständigt. Außerdem wird ein Auszug aus Howards fikti­ver „Geschichte“ des hyborischen Zeitalters geboten, das zusammen mit einer Karte von Helmut Pesch den Rahmen der Zeit festzurrt, in dem diese Erzählun­gen spielen. Buchstäblich eine Zeit eines legendären Urkontinents, wo der Un­tergang von Atlantis, die Eiszeit und das Heraufdämmern der keltischen Rasse noch in ferner Zukunft verborgen liegen…

Flucht aus Atlantis führt Kull und seine etwas unorthodoxe Denkweise ein. Der junge, kraftstrotzende Barbar ist auf der Flucht aus seiner Heimat und auf dem Weg ins legendäre Valusien zur „Stadt der Wunder“, zusammen mit zwei Ge­fährten, und mit dem älteren Khor-nah bekommt er sich in die Haare, als dieser eine Geschichte über Mondverehrung erzählt:

Vor vielen hundert Jahren“, erzählte Khor-nah, „bat ein Königstiger, der von den Jägern verfolgt wurde, die Frau im Mond um Hilfe. Sie warf ihm eine Ranke her­ab, an der er hochkletterte und sich in Sicherheit brachte. Viele Jahre blieb er auf dem Mond. Seither verehren alle der Gestreiften den stillen Gefährten der Nacht.“

Das glaube ich nicht“, brummte Kull. „Weshalb sollten die Gestreiften den Mond verehren, nur weil er einem ihrer Rasse vor so langer Zeit geholfen hat? So mancher Tiger ist das Todesriff emporgeklettert und dadurch den Jägern ent­kommen. Doch ich habe nicht gehört, daß auch nur einer der Gestreiften es des­halb verehrt. Woher sollten sie überhaupt wissen, was vor so langer Zeit ge­schehen ist?“

Khor-nahs Miene verfinsterte sich… Tja, es ist schon ein Kreuz, gegen Ungläubi­ge zu argumentieren. Jeder religiöse Fanatiker kann davon ganze Liederbücher singen, nicht wahr?

Das Schattenkönigreich, eine der wenigen Kull-Stories, die je erschienen sind, überspringt mehrere Jahre. Kull gerät zwischenzeitlich in Sklaverei, kann sich aber daraus wieder befreien und sein Ziel Valusien erreichen. Hier tötet er den verweichlichten König und schwingt sich selbst auf den Thron.

Wer nun denkt, dies würde für ihn ein immerwährendes Fest mit Frauen, Ge­sang und Gelagen bedeuten, kennt Kull nicht. Mit Frauen hat er nichts im Sinn (in allen Stories nicht, was doch recht bemerkenswert ist; Conan ist bekanntlich kein solcher Kostverächter). Stattdessen kämpft Kull mit fast schon tragischer Frustration gegen überbordende höfische Zeremonien an. Dabei lernt er in die­ser Geschichte seine spätere Weggefährten aus dem Volk der Pikten (ja, die gibt es angeblich schon) kennen: Brule, den Speerschleuderer sowie seinen Clanchef Ka-nu. Anfangs misstraut er ihnen, doch bald stellt er fest, dass sie seine einzigen Verbündeten gegen eine teuflische Gefahr sind – den Schlangenorden, ein Volk von dämonischen, gestaltwandelnden Kreaturen, die Valusien erfolgreich unterwandert haben…

Der Altar und der Skorpion ist eine neckische, kleine Anekdote um die Macht der Götter, in der Kull nur indirekt vorkommt. Interessant ist hieran höchstens, dass man sich diese Geschichte im Grunde genommen auch ohne jede meta­physische Komponente erklären könnte. Aber so ist sie natürlich nicht gedacht.

Schwarzer Abgrund ist eine der beiden Geschichten, die Lin Carter vollendet hat. Hier kommen Kull und sein Freund Brule einem finsteren Geheimkult auf die Spur, der im Herzen Valusiens grausame, unterirdische Riten vollzieht, und am Schluss kämpft der König von Valusien gegen einen leibhaftigen Gott…

Delcardes´ Katze ist ein wundersames Tier. Uralt soll sie sein, der Alten Rasse angehören, und dem Volksmund zufolge kann sie sprechen. Kull glaubt nichts davon – bis er eines Tages leibhaftig Zeuge wird, wie sie wirklich spricht. Und al­les, was sie sagt, bewahrheitet sich. Um so größer ist Kulls Entsetzen, als er von ihr vernimmt, sein Freund Brule sei gerade dabei, in einem verzauberten See von einem Ungetüm getötet zu werden…

Der Schädel der Stille führt Kull auf die Fährte eines uralten, gebannten Fluches. Ein verwunschenes, verlassenes und versiegeltes Gebäude birgt ein magisches Ding, das schrecklicher ist als alles, was die Welt je hervorgebracht hat. Und der ungläubige Kull zerschlägt die Siegel und lässt das Etwas auf die Welt los…

Zauberer und Krieger erhellt ein wenig von der Vorgeschichte des piktischen Kriegers Brule. Allerdings war Howard mit der Geschichte wohl überhaupt nicht zufrieden und ließ sie deshalb als Fragment zurück – bis sich Lin Carter ihrer an­nahm.

Nur einen Gongschlag lang ist mit Abstand die kürzeste Story in diesem Band und ebenso mit Abstand die philosophischste. Das Einleitungszitat stammt aus ihr. Eine schöne, erstaunlich weitreichende Erzählung.

Als Quintessenz aus diesem Band lässt sich mitnehmen, dass Howards stilisti­sche Formulierungskunst und vor allen Dingen die Entwicklung ausgefeilter Sto­ryplots hier noch nicht gar so weit gediehen war wie beispielsweise bei seinen längeren Erzählungen, die im ausgehenden Mittelalter des frühen 16. Jahr-hunderts spielen. Ähnlich wie bei Howard Phillips Lovecraft findet man eine strotzende Fülle von Adjektiven, manchmal so dicht gestaffelt und gedrängt, dass man von dem Dschungel an Metaphern schier erdrückt wird. Gelegentlich wirkt es so intensiv, dass man sich ein Kichern kaum verkneifen kann, weil der Grat zur Selbstpersiflage manchmal überschritten wird.

In den beiden Erzählungen, die Lin Carter fertig schrieb, merkt man das leider sehr deutlich. Zwar bemüht sich Carter, Howards Stil zu imitieren, aber mehr als einen „Haudrauf-Schluss“ bekommt er einfach nirgendwo hin. Auch Howard ist direkt, richtig. Aber Carter besitzt einfach nicht das passende Gespür für die At­mosphäre und das Innenleben seines Protagonisten, um Kull plausibel agieren zu lassen.

Auch bei der Übersetzerin hat man gelegentlich das Gefühl, dass sie überfor­dert war, was die Wortwahl bei Howard anging. So verwandelt sie mitten in ei­ner Story Kull auf einmal in „Brak“ (eine weitere Fantasy-Barbarenfigur, aber nicht von Howard), und etwas weiter hinten dichtet sie einem Löwen „Stoßzäh­ne“ an, die ein deutscher Leser automatisch mit Mammuts assoziiert. Gemeint sind zweifellos „Fangzähne“. Doch das sind Kleinigkeiten.

Ich denke, wer den „Schatten“ finden möchte, der nachher zu Howards be­rühmtester Figur mutierte, eben zu Conan, der sollte sich diese Geschichten über König Kull von Valusien zu Gemüte führen. Man findet hier deutlich mehr als nur das blutige Gemetzel, für das Howards Fantasyhelden berühmt-berüch­tigt sind. Kull ist fast schon ein Philosoph. Freilich einer, der das Schwert nicht als Lösungsargument verschmäht.

© by Uwe Lammers, 2006

Also, das klingt doch deutlich nach einem etwas anderen Robert Howard, als man ihn gemeinhin aus seinen sonstigen Werken kennt, nicht wahr? Ich finde, aus einer Distanz von 10 Jahren zur Rezension betrachtet, dass man in diesem Buch recht deutlich Howards Anpassungsfähigkeit und thematische Flexibilität erkennen kann. Wer ihn einfach nur mit den Haudrauf-Barbaren und blutigen Massakern auf den Textseiten seiner Geschichten in Verbindung bringt, sieht nur einen kleinen Teil seines vielseitigen Werkes. Dies hier ist eine eher unter­belichtete Facette, die gerade deshalb interessant bleibt.

In der nächsten Woche machen wir uns dann auf in die Karibik des 18. Jahrhun­derts. Denn im dritten Teil von Diana Gabaldons Highland-Saga landeten ihre Protagonisten mitten im karibischen Piratensetting… nicht versäumen, Freun­de!

Bis zum nächsten Mittwoch!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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