Rezensions-Blog 98: Rückkehr auf die Sechseck-Welt (4)

Posted Februar 8th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, und damit waren wir dann wieder zurück in dem Kosmos des Jack L. Chalker, der nach seinem beeindruckenden Sechseck-Welt-Zyklus leider nicht mehr allzu viel geschrieben hat, das ich aus dem Stegreif benennen könnte. Im Gegensatz etwa zu Leuten wie Iain Banks, Peter F. Hamilton oder Stephen Baxter, die über eine lange Zeitspanne hinweg beeindruckende schriftstellerische Kontinuität zeigen, verblasste Chalkers Stern – wenigstens nach meiner Kenntnis – nach den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bedauerlich rasch. Dabei hätte er beson­ders aus dem Sechseck-Welt-Garn noch eine Menge machen können.

In diesem Band, der 700 Jahre nach dem dritten Teil spielt und, genau genom­men, nur die erste Hälfte eines gesplitteten Romans darstellt, kehren alte Be­kannte und neue Protagonisten zum Schauplatz der ersten Romane zurück, zur legendären Markovier-Welt und ihrem „Schacht der Seelen“.

Um was zu tun?

Um das Ende des Universums zu verhindern.

Wie das kommt? Ach, lest doch einfach weiter:

Rückkehr auf die Sechseck-Welt

(OT: The Return of Nathan Brazil)

von Jack L. Chalker

Goldmann 23801

288 Seiten, TB

Januar 1981

Übersetzt von Tony Westermayr

Der Krieg auf der Sechseck-Welt ist seit gut 700 Jahren vorbei. Er wurde von zwei Gruppen unter der Anleitung des größenwahnsinnigen Möchtegern-Impe­rators Antor Trelig und des Wissenschaftlers Ben Yulin geführt, der sich schlus­sendlich als ebenfalls verrückt und sexuell manisch-besessen herausstellte. Zu­sammen mit einer Unterschätzung seines Gegners, namentlich des Computers Obie, führte das zu seinem Tod.

Kurz vor der vermeintlichen Vernichtung des Asteroiden Neu-Pompeji, der von Obie gelenkt wurde, gelang elf transformierten Gegnern Yulins die Flucht in den Herrschaftsbereich der Menschheit, in den sogenannten Kom-Bund. Von der Gestalt her übermenschlich schöne Frauen mit Pferdeschweifen, gründeten sie auf dem Planeten Olympus eine neue Menschenrasse, die Olympier.

In der Gegenwart, also siebenhundert Jahre nach diesen Ereignissen, ist Olym­pus das Zentrum eines Kultes, der sich um die Schachtwelt und um Nathan Bra­zil als DEN HERRN, also Gott, rankt. Die Olympierinnen, die ihre wenigen Män­ner in Unwissenheit und als reine Sexmaschinen halten, suchen nach ihm, doch Brazil verbirgt sich irgendwo im inzwischen weit expandierten Kom-Gebiet, das nun vierzehn nichtmenschliche Rassen eingemeindet hat.

Damit ist der Kom groß genug, um die Begehrlichkeit einer fremden Spezies auf sich zu ziehen, der mikroskopisch kleinen Dreel, intelligenter Bakterien-Schwarmintelligenzen, die die Geister ihrer Gastkörper auslöschen, die Körper gebrauchen und sich selbst für die ultimate Spezies halten. Als durch einen Zu­fall die Invasion entdeckt wird, entschließen sich die Dreel zur harten Gangart und bauen auf militärische Gewalt.

Der Kom hingegen öffnet die seit Jahrhunderten verschlossenen Waffenkam­mern und verwendet das Vernichtungspotential zur Zerstörung des Gegners. Dummerweise reicht das nicht, es ist etwa so, als wolle man mit Nuklearwaffen auf Spatzen schießen. In ihrer Hilflosigkeit und auf der Suche nach einer verbes­serten Waffe werden verschlossene Geheimakten geöffnet und man findet… die Erfindung von Gilgam Zinder (in diesem Buch, wie es im übrigen häufig vor­kommt, falsch als Gilgram Zinder bezeichnet): ein Computer mit der Möglich­keit, Materie in Energie zurückzuverwandeln. Die sogenannten „Zinder-Vernich­ter“ entstehen und können den Angriff der Dreel tatsächlich aufhalten.

Nur sind sie zu perfekt: die Zinder-Vernichter löschen nicht nur Materie aus, sondern auch Energie, Raum und Zeit – und ein Riss frisst sich nun durch das Universum, der in den nächsten hundert Jahren erst das Kom-Gebiet und dann langfristig den gesamten Kosmos auslöschen wird.

Das Hauptproblem wird den Verantwortlichen aber erst bewusst, als eine zierli­che, asiatisch anmutende Frau auftaucht: die legendäre Mavra Chang, die im Krieg auf der Sechseck-Welt mitgefochten hat und als tot gilt – gestorben als monströse Travestie eines Menschen auf dem Asteroiden Neu-Pompeji bei der Explosion von Obie.

Doch das war eine Täuschung. In Wahrheit hat sie überlebt, und sie hat schreck­liche Neuigkeiten: der Raum-Zeit-Riss erzeugt eine Interferenz mit dem Schacht der Seelen auf der Sechseck-Welt. Wenn der Schacht nicht rasch repariert wird und den Schaden beheben kann, dann wird er irreparabel beschädigt werden, was das Ende des Kosmos bedeuten könnte.

Der einzige aber, der den Schaden beheben kann, ist Nathan Brazil. Doch der weigert sich aus gutem Grund, sich finden zu lassen. Als man ihn schließlich fin­det, wird das auf entsetzliche Weise klar: wenn man den Schacht der Seelen re­parieren möchte, muss man ihn zuvor ausschalten. Da der Schacht die Existenz allen Lebens im Universum – außer auf der Sechseck-Welt – garantiert, ist die­ses Ausschalten identisch mit der Auslöschung allen intelligenten Lebens im Universum…

Mit dem vierten Band der Sechseck-Welt-Saga kehrt Chalker zurück in das Reich der Hexagonwelten (selbst wenn erst zum Schluss) und flechtet auf interessante und kurzweilige Weise ein, wie sich optimale Zivilisationen entwickeln könnten, wenn man die falschen Leute an die Regierung bringt bzw. wie sich religiöser Fanatismus in seiner Existenz schlussendlich selbst gefährden kann. Sehr sym­pathische Gestalten wie der Zigarre rauchende Minisaurier Marquoz, der un­durchsichtige Raumfahrer „Zigeuner“ und faszinierende neue Rassen auf der Sechseck-Welt machen die Lektüre auch dieses Bandes zu einem ungemeinen Vergnügen.

Über kleinere Fehler kann man da schon mal hinwegsehen. So erzählt Chalker auf Seite 119, Olympus habe „über 30 Millionen“ Bewohner, auf Seite 238 (ein paar Wochen Handlungszeit später) hat sich die Bevölkerung dort aber auf „eine Milliarde“ erhöht. Ziemlicher Zuwachs, würde ich sagen. Dass sie dort „schon vor Jahrhunderten Bevölkerungskontrolle eingeführt“ haben, wie es auf Seite 119 heißt, ist durchaus nachvollziehbar… nein, Scherz beiseite, solche Feh­ler sollten nicht vorkommen. Entweder ist es eine sehr schlampige Übersetzung in diesem Fall oder aber der Autor hat nicht noch mal selbst Korrektur gelesen. Beides ist denkbar.

Da der Roman mittendrin endet und in den Finalband mündet, empfiehlt es sich, ihn zur Hand zu haben, um darin gleich weiterzulesen. Das macht umso mehr Spaß, als Chalker in diesem Roman wirklich mal wieder intelligent ist (wie im ersten Roman und in der ersten Hälfte des zweiten). Wenn man richtig ange­steckt ist, kann man eigentlich gar nicht wieder aufhören zu lesen. Das ist ein unbestreitbarer Vorteil dieser Bücher, die übrigens mehr denn je Fantasy-Ingre­dienzen enthalten, selbst wenn der Rahmen kosmologisch-technisch ist. Ich seh’ sie aber nach wie vor nicht als Fantasy-Werke an. Sie sind mir eben inzwi­schen nur in ihrer Message zu „absolut“, zu bombastisch. Aber es gibt eine Menge neckischer, amüsanter Szenen darin, die mir sehr zusagen…

© by Uwe Lammers, 2001

Ja, wie ich oben einleitend sagte… da fehlt noch ein Stück. Ihr werdet Näheres am 8. März 2017 erfahren, wenn in Blogartikel 102 der Abschlussroman vorge­stellt wird.

In der nächsten Woche an dieser Stelle begeben wir uns in die völlig entgegen jeder Erwartung durchaus nicht so tiefe Tiefsee… das hat mich bei der Lektüre des Romans auch einigermaßen fassungslos gemacht. Zumal deswegen, weil je­mand das Werk geschrieben hat, der sich mit dem Meer nun wirklich gut aus­kennt – Clive Cussler!

Alles Nähere erfahrt ihr am kommenden Mittwoch.

Bis dann, mit Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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