Rezensions-Blog 247: Lust und Gefahr

Posted Dezember 18th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

üblicherweise rezensiere ich an dieser Stelle Romane oder Kurzgeschichten­sammlungen bzw. Anthologien (wenn es um Sammlungen mit verschiedenen Verfassern geht). Dass ich einen Novellenband rezensiere, also ein Mittelding zwischen diesen drei Varianten, kommt eher selten vor. Ich schätze, dass solche Novellenbände noch häufiger vorkommen können, obwohl ich aktuell keinen „Kandidaten“ dafür an der Hand hätte, um ihn zu benennen.

Natürlich gibt es z. B. bei dem unten erwähnten Label Plaisir d’Amour inzwi­schen auch Novellen als handliche Printformate, also Bände, die gerade mal 100-130 Seiten Umfang haben und sich geradezu enttäuschend an einem Nach­mittag lesen lassen (und selbstverständlich immer zu kurz sind). Aber das sind Ausnahmen. Etablierte Verlage neigen doch eher dazu, ein Seitenlimit von 200 Seiten nicht zu unterschreiten, da sind die Verhältnisse heute anders als noch in den 1980er-Jahren, wo 146-160 Seiten üblicherweise das untere Seitenlimit für Taschenbücher darstellte (man schaue sich beispielhaft die Terra Fantasy-Reihe oder die Doc Savage-Serie an).

Hier jedoch hat Knaur drei erotische Kurzkrimis in einem Band zusammenge­schaltet, und ich fand das Experiment interessant. Wie ist es gelungen? Nun, seht selbst:

Lust und Gefahr

(OT: Baddest Bad Boys)

3 Novellen von Cate Noble, E. C. Sheedy und Shannon McKenna

Knaur 50689, Juni 2010

400 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Tine Mey

ISBN 978-3-426-50689-9

Man findet es eher selten, ein solches Mittelding zwischen einer Kurzgeschich­tensammlung (ein Verfasser) oder einer Anthologie (verschiedene Verfasser) und einem Roman. Hier haben wir eine Sammlung von drei längeren Novellen vor uns. Jede einzelne wäre – vor dem Zeitalter des E-Books – zu klein für ein Buchformat gewesen, zusammengeschaltet ergeben sie aber eine respektable Portion Lesestoff. Der Obertitel der Novellensammlung gibt dabei den Kurs für das Ganze vor und trifft zumindest in der Übersetzung zu (der englische Titel führt in die Irre, da es eigentlich nicht wirklich um „Bad Boys“ geht): es geht hier um erotische Liebesgeschichten, die einen lebensgefährlichen Krimitouch haben. Und das erwartet den Leser:

In „Mein unmoralisches Angebot“ von Cate Noble existiert seit vielen Jahren die unterschwellige erotische Spannung zwischen dem schwerreichen Max De­Luca und der schönen Ellie. Und Max möchte in der Tat mehr mit ihr zu tun ha­ben, nur gibt es da emotionale Komplikationen – denn Ellie hat seinen Bruder Stefan DeLuca geheiratet, einen ausgesprochenen Mistkerl. Bis vor drei Jahren, bis zu Stefans Unfalltod, war Ellie damit natürlich für ihn vollkommen tabu. Aber nun geht es um Stefans Erbe und DeLucas Schiffbaufirma, an der Ellie dank der Verbindung mit Stefan natürlich Anteile hat.

Die Übernahmeverhandlung von Ellies Anteilen gestaltet sich anders, als er das angenommen hat – denn Ellie schlägt ihm tatsächlich eine gemeinsame Nacht vor. Offenbar existieren tatsächlich noch romantische Gefühle ihrerseits aus ih­rer Zeit vor der Ehe mit Stefan. Er macht ihr schließlich ein unmoralisches Gegenangebot: Eine Nacht reicht ihm nicht, er würde sie gern für eine Woche auf eine Insel vor der Küste entführen, um die sinnlichen Erfahrungen etwas ausgiebiger auszukosten. Zögernd nimmt Ellie dieses Angebot an.

Doch es gibt Komplikationen: zum einen taucht nun wie ein böser Geist Max´ verflossene Lebensgefährtin Bridgette St. Regis auf, die alle Register zieht, um wieder mit ihm zusammen zu kommen. Und auf der anderen Seite wird Ellie von einem unbekannten Stalker verfolgt, der ihr immerzu näher zu kommen scheint und schließlich akut ihr Leben bedroht …

Bei E. C. Sheedy lernen wir in der Novelle „Komm und küss mich“ bekommt die Angestellte Tommi ernste Probleme mit ihrem aktuellen Lover Reid McNeil, der in derselben Firma arbeitet wie sie selbst. Sie entdeckt, dass er in Unterschla­gungen und Betrug in großem Stil verwickelt ist und sichert die Beweise. Dann begeht sie den Fehler, ihn damit zu konfrontieren und wird von ihm nun brutal drangsaliert und erpresst. Da der Firmenchef selbst derzeit nicht im Land ist, muss sie die nächsten paar Tage irgendwie überbrücken und braucht einen sicheren Unterschlupf, ehe sie die Geschichte mit dem Chef selbst klären kann. Sie scheut sich nämlich seltsamerweise, mit den Beweisen direkt zur Polizei zu gehen und befindet sich deshalb in akuter Gefahr.

Sie wendet sich an einen alten Freund namens Hugh Fleming, der ihr eine Un­terschlupfmöglichkeit in der Wildnis von Vancouver anbieten kann – dorthin hat sich sein jüngerer Bruder Mac zurückgezogen, der mit Tommi nie warm gewor­den ist. Zögernd und ohne wirkliche Perspektivmöglichkeiten nimmt sie die Of­ferte an und landet tatsächlich mitten in der Wildnis.

Die Überraschungen, die folgen, hat sie nicht erwartet – der früher unansehnli­che, pickelige Mac ist zu einem gestandenen Mannsbild herangereift, und zwi­schen ihnen prickelt es enorm. Dummerweise machen sie einander dann fal­sche Hoffnungen und versuchen anschließend alles, um es „nur bei unverbindli­chem Sex“ zu belassen und daraus keine weiteren Verpflichtungen erwachsen zu lassen … wobei offenkundig ist, dass sie sich geradezu magnetisch zueinander hingezogen fühlen und mit dieser Entscheidung definitiv unglücklich sein wer­den.

Und schließlich wird es dann vollends dramatisch, als McNeil herausfindet, wo­hin sie sich geflüchtet hat – und er entscheidet sich dafür, das „Problem“ aus der Welt zu schaffen, und zwar mit einem Gewehr …

Shannon McKennas Geschichte „Ein echter Kerl“ handelt vordergründig von Detective Jon Amendola, der nach einem traumatisierenden Fall eines Serienkil­lers mit den Nerven ziemlich am Ende ist. Der Fall um William Geddes, den „Vo­gelei-Mann“, der die Angewohnheit hatte, junge Frauen zu entführen, zu foltern und zu ermorden, um den toten Opfern dann ein Rotkehlchen-Ei in den Mund zu legen, hat ihn gründlich geschafft. Er hat sich jetzt in eine Jagdhütte in den Wäldern zurückgezogen, um für eine Weile vollkommen runterzukühlen. Der­weil ist er vom Dienst befreit.

Doch wer beschreibt seine Überraschung, als er an der Hütte ankommt und nicht nur schon ein Fahrzeug vorfindet, sondern auch eine offene Tür – und eine junge, atemberaubend schöne Frau, die er zunächst mal mit der Waffe be­droht (Detective ist Detective, nicht wahr?). Seine Verblüffung steigt noch an, als er in der jungen, durchaus nervösen Frau Robin MacNamara erkennt – die „kleine Robin“, die er aus der Kindheit noch kennt, als er zusammen mit Danny und Mac MacNamara herumgehangen hat. Jon, das Waisenkind, hat sich schließlich zum erfolgreichen Detective hochgearbeitet, aber Robin hat er im­mer als schüchternes Mädchen mit Zahnspange und Brille in Erinnerung ge­habt … kein Vergleich mit dieser atemberaubenden jungen Schönheit, die nun auf einmal in seiner Hütte ist.

Aber warum ist sie hier? Wie konnte sie ihn überhaupt finden? Kleinlaut ge­steht sie: Sie hat sein Telefonat mit ihrem Bruder Danny abgehört, weil sie da in der Telefonzentrale der Firma saß, und anschließend eigenverantwortlich den Plan ausgearbeitet, der sie hierher führte. Und der Plan sieht so aus: Sie ist seit Kindesbeinen an in Jon verschossen und hat sich, inzwischen 25, dafür entschie­den, dass er derjenige Mann sein soll, der ihre Jungfräulichkeit beendet (etwas, was ihre überfürsorglichen älteren Brüder bislang stets verhindert haben!). Da­mit sollen aber keinerlei weitergehende Verpflichtungen verbunden sein, er soll nicht glauben, dass sie klammere oder so.

Jon reagiert mit ungläubigem Entsetzen und glaubt an einen schlechten Scherz. Gott, ja, er ist auch seit langem scharf auf sie (was er nie gesagt hat), und in ihrem jetzigen gereiften Zustand sowieso. Aber mit der kleinen Schwester sei­nes besten Freundes rumvögeln und sie entjungfern? Das geht gar nicht. Danny wird ihn umbringen.

Also: Ganz schlechte Idee.

Aber Robin kann sehr hartnäckig sein und leider auch auf natürliche Weise äu­ßerst verführerisch. Man ahnt also als Leser, was unweigerlich kommen muss, und man wird nicht enttäuscht.

Problem: Obwohl der Killer Geddes hinter Gittern sitzt, hat Jon das dumme, un­terbewusste Gefühl, dass der Fall immer noch nicht abgeschlossen ist. Und das stimmt auch. Denn er hatte eine Komplizin, die nun hartnäckig die Verfolgung aufnimmt und nun Jon Amendolas vermeintliche Freundin ins Visier nimmt, um sie nun ebenfalls auf grässliche Weise umzubringen: Robin …

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, dass Novellen von jeweils über hun­dert Seiten Länge recht viel Zeit verschlingen könnten … aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, habe ich für jede nur einen Tag gebraucht. Dank der geschmeidigen Übersetzung und der solide dargestellten Charaktere erhält man zwar nie wirklich das Gefühl, einen ausgewachsenen Roman vor sich zu haben, aber von Langeweile kann weiß Gott auch keine Rede sein. Alle drei Autorinnen verstehen es gut, die emotionalen Turbulenzen der Protagonisten und Protagonistinnen darzustellen, ohne zugleich dabei in die „Friede-Freude-Eierkuchen“-Falle zu gehen, wie das beispielsweise ganz gern bei den mehrbändigen Zyklen des Hauses Plaisir d’Amour geschieht. Es ist hier vielmehr so, dass es nach wie vor gewisse Spannungsfelder gibt. Man merkt deutlich: die erste, vielleicht entscheidende Klippe zum Gestehen der Liebe ist überwunden, aber das ist nur der Anfang, die Sache kann langfristig durchaus immer noch schief gehen … also sehr ähnlich wie im realen Leben.

Dann ist es ebenfalls schön, dass die Frauengestalten durch die Bank nicht nur rein dekorative oder schematische Zwecke erfüllen, sondern die Personen durchaus so etwas wie einen eigenen Willen besitzen, den sie sich auch nicht nehmen lassen. Und durch die Konfliktlinien, die durch die lebensbedrohenden Umstände der Geschichten etabliert werden, erhalten die Novellen eine lese­freundliche Dynamik, die den Leser neugierig von Kapitel zu Kapitel vorantreibt.

Alles in allem eine Erfahrung, die ich gerne gemacht habe. Für Leser, die gern mal sanfte Erotik mit prickelnder Spannung verbunden wissen wollen, ist dies sicherlich eine geeignete Lektüre.

Klare Leseempfehlung.

© 2018 by Uwe Lammers

Auch in der kommenden Woche bleiben wir experimentell und reisen in die Welt der Comics. Näheres in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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