Liebe Freunde des OSM,
kehren wir ein drittes Mal in den kleinen Mikrokosmos um das Café Sugar & Spice zurück in die Vereinigten Staaten. Bekanntlich wird hier ja das Beziehungsschicksal von vier eng miteinander verbandelten Freundinnen thematisiert. Und wie das üblicherweise eben so ist in Zyklen, die auf diese Art und Weise aufgebaut sind (ich habe dazu kürzlich – Januar 2025 – einen vierteiligen romantischen Romanzyklus ausgelesen, der auch rezensiert wurde und wohl 2026 den Weg in den Rezensions-Blog finden wird), wird hier niemand vergessen, jede/r bekommt den/die Partner/in, um nicht anschließend allein im Leben zu stehen.
Wenn man einmal von dieser Grundprämisse abstrahiert und sich dann auf das Einzelschicksal fokussiert, treten bisweilen interessante und komplexe Strukturen zutage. Natürlich könnten jetzt genervte Zeitgenossen etwas von „Standardsituationen“ murmeln und der Auffassung sein, eigentlich sei doch zu Beziehungsgeschichten zwischen Männlein und Weiblein schon seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten alles geschrieben … aber ihr wisst, dass ich dieses zu enge Diktum nicht teile.
Ich weiß mich da, wenn ich in den Buchhandlungen die sich türmenden und beeindruckend erfolgreichen Stapel von Romantasy-Büchern anschaue, wo ständig neue Autorinnen nachwachsen, wohl ganz einer Meinung mit einer großen Community von LeserInnen, die den Details durchaus noch Interesse entgegenbringen können.
Dieser dritte Band des vierteiligen Zyklus bot dann auch für mich eine verblüffende Mischung aus ziemlich unterschiedlichen Sujetbausteinen, die ich meiner Erinnerung nach in dieser Kombination auch noch nicht gelesen hatte.
Die Lektüre gestaltete sich also aufregend und überraschend – wer weiß, vielleicht seid ihr ja ganz derselben Ansicht? Schaut einfach mal genauer hin:
Sugar & Spice 3: Entfesselte Begierde
(OT: Naughty)
von Seressia Glass
Knaur 52184, April 2018
368 Seiten (eigentlich nur 335), TB
Aus dem Amerikanischen von Nicole Hölsken
ISBN 978-3-426-52184-7
Audrina McNamara (in den Bänden üblicherweise nur „Audie“ genannt, die erst in diesem Roman ihren vollen Namen bekommt!) ist das Partygirl in der Vierergruppe von Freundinnen, die sich jede Woche im Café „Sugar & Spice“ in der Ortschaft Crimson Bay treffen. Alle vier Freundinnen haben an ihren Schicksalen zu tragen. Die Inhaberinnen Nadia Spiceland („Spice“) und Siobhan Malloy („Sugar“), um die sich die ersten beiden Romane des Vierteilers drehten, haben zwischenzeitlich ihren Seelenfrieden wieder gefunden und leidenschaftliche Partner, mit denen sie ein erfülltes Sexleben führen können. Insbesondere Nadia und ihr Partner Kaname Sullivan steuern unausweichlich auf die Ehe zu.
Audie, mit knapp 30 die Jüngste in der Runde, hat da nicht soviel Glück gehabt. Schon im ersten Band ist einer ihrer zahllosen One Night Stands so entgleist, dass sie, als sie „Nein“ sagte, kurzerhand krankenhausreif geprügelt wurde. Daraufhin ist ihr klar geworden, dass es so nicht weitergehen kann, und sie hat sich für eine Weile aus der Gruppe zurückgezogen. Selbst im zweiten Roman der Reihe ist es erstaunlich still um das Partygirl geworden. Eher beiläufig kommt dann allerdings zutage, dass sie sich mit der vierten Frau der Gruppe, der Dozentin Vanessa Longfellow, zusammengetan hat und sie gemeinsam einen auf halber Wegstrecke zwischen Crimson Bay und Los Angeles liegenden BDSM-Club namens „Onyx“ aufsuchen. Das geht auf einen Ratschlag ihrer Therapeutin (die seltsam unsichtbar im Roman bleibt) zurück, die geraten hat, ihre sonst ungezügelte Sexualität, die nun einen Schlag weg hat, in einem kontrollierten Umfeld auszuleben, in dem es keine Gefahren durch Übergriffe gibt.
Auf den ersten Blick wirkt das dennoch etwas eigenartig, und als Audie ein wenig in ihrer Dienstags-Mädelsrunde preisgibt, was sie beide dort denn tun, ist die Überraschung bei Nadia und Siobhan nicht eben gering. Vanessa, die nach außen immer ruhige, beherrschte Dozentin der Herscher University in Crimson Bay lässt dort ihrer dominanten Ader freien Lauf und erweist sich offensichtlich als Naturtalent, was ihre Fähigkeiten als Domina angeht. Und da jede Domina nun einmal Subs braucht, die sie dominieren kann, begleitet Audie sie und unterwirft sich ihr … und findet es toll.1
Das ist alles solange unproblematisch, bis sie im Club dem Besitzer begegnen, Master Nolan Reid. Und zwischen beiden funkt es sehr schnell unglaublich. Vanessa alias Mistress Vivienne spürt das rasch und lässt Audie die entsprechende Freiheit. Im Club alles kein Problem, dort kann man seine Leidenschaften in kontrollierter Umgebung ausleben, also gibt es keine Schwierigkeiten mit möglichen Übergriffen, wie sie Audie bisher traumatisiert haben.
Schwierig wird es, als Nolan Audie auch im „realen Leben“ daten möchte und sie auf ihrer Arbeitsstelle im Tierheim besucht. Denn Audie hat nun einmal eine absolut traumatische Vergangenheit, und sie flüchtet regelmäßig jede Nacht nach dem Sex in ihre eigenen vier Wände. Sie ist kein Beziehungsmensch und fest davon überzeugt, niemals familiär irgendwo anzukommen. Selbst in ihrer Freundinnenrunde betrachtet sie sich stillschweigend als ewige Verliererin.
Etwas, was Nolan so nicht zulassen will. Aber er hat keine Ahnung von ihrer Vergangenheit und drückt deshalb fast unvermeidlich die falschen Knöpfe.
Und dann wird die Lage noch komplizierter – denn nun, ein Jahr nach dem traumatischen Zwischenfall, der ihr Leben verändert hat, trifft Audie auch noch den Rettungssanitäter José Quinteras wieder, der sie damals nach dem brutalen Übergriff versorgt hat. Und auch José hat Gefühle für sie entwickelt und möchte gern mehr … zu Audies nicht geringer Verwirrung bittet er um ein Date, und auf einmal befindet sie sich in zwei recht stürmischen erotischen Beziehungen und fühlt sich zunehmend schlechter, weil sie dem einen nicht vom anderen Mann erzählt. Außerdem ist sie doch überhaupt nicht der Beziehungstyp!
Hilfe!!
Als sie dann auf Ratschlag ihrer Freundinnen das tut, was ihr insgeheim schon die ganze Zeit auf der Seele liegt, nämlich beziehungstechnisch mit offenen Karten spielt, da wollen beide Männer sich zusammen mit ihr treffen. Audie fallen Steine vom Herzen, weil nun hoffentlich alles wieder gut werden wird. Allerdings freut sie sich dabei leider viel zu früh. Denn José Quinteras und Nolan Reid kennen einander seit vielen Jahren, und sie gehen sich ebenfalls seit Jahren aus dem Weg. Der Grund war eine Frau, die sie sich miteinander geteilt hatten, was auf grässliche Weise schief ging.
Und nun findet sich Audie McNamara mitten in derselben Situation wieder – und allem Anschein nach scheint sich die Geschichte zu wiederholen, nur diesmal noch schlimmer…
„Kann ich zwei Männer lieben?“, fragte sich schon die französisch-amerikanische Autorin Anaïs Nin vor Jahrzehnten, während sie zwischen ihrem Ehemann und Henry Miller hin und her gerissen war. Ihre Tagebücher legen reges Zeugnis davon ab, wie kompliziert und schmerzhaft solche Leidenschaften von Menschen ausfallen können, die zur Liebe nicht Nein sagen können, auch wenn die Liebe portionsweise auf verschiedene Männer und dann noch zur gleichen Zeit verteilt ist.
Seressia Glass geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Beziehung zu fusionieren sucht. Audie trifft also nicht ihre Männer einzeln, sondern diese versuchen sie sogar fest in ihr gemeinsames Leben zu integrieren. Außerdem hat die hier dargestellte Variante noch eine männlich-homoerotische Komponente, die außerdem von einer Dominanz-Submission-Ebene überlagert wird UND, um die Sache noch komplizierter zu machen, von zwei gemeinsamen traumatischen Vergangenheitsebenen, von denen die von Audrina sehr lange im Vagen verbleibt.
Heraus kommt eine äußerst schwierige Beziehung, sowohl in den zarten Anfängen, die aus dem Dominanz-Submissions-Niveau entsprießt und dann sehr, sehr zaghaft in so etwas wie eine ernsthafte Beziehung übergeht, ehe sich José als „Störfaktor“ einmischt, was dann seine und Nolans gemeinsame Vergangenheit auf den Plan ruft und schließlich die Katastrophe durch Josés Familie letztlich eskalieren lässt.
Vieles davon war so nicht wirklich vorhersehbar, und das macht diese emotionale Achterbahnfahrt so beeindruckend. Man hat ein wenig als Leser das Gefühl, in einer Art von Wildwasserbahn zu stecken. Gut, zum Schluss, als Audie sich in hadernder Selbstzerfleischung übt und die Beziehung und ihre Beziehungsfähigkeit grundsätzlich infrage stellt, da ist das schon ein wenig anstrengend zu lesen. Da wünscht man sich als Leser tatsächlich, dass jemand mal mit der Faust auf den Tisch haut und dem armen Mädel etwas Selbstbewusstsein einflößt (was auf andere Weise passiert, als man annimmt). Hier übt sie unbewusst den Schulterschluss mit Nadia und Siobhan aus den ersten beiden Romanen, denen es ja auch im entscheidenden Moment an Selbstvertrauen massiv gefehlt hat.
Doch ist das vielleicht ein Charakterzug, der für vormalige Suchtopfer durchaus realistisch ist. Stets in der Gefahr zu schweben, rückfällig zu werden, ob es nun im Falle von Nadia oder Siobhan Tablettensucht war oder bei Audie die Rückkehr zum kurzfristigen, betäubenden One Night Stand, könnte mental gut diese Folgerungen haben. Da ich selbst mit Suchtkandidaten eher wenig zu tun habe und deren mentale Verfasstheit darum nicht kenne, maße ich mir hier kein Urteil an.
Schlussendlich ist Seressia Glass mit dem vorliegenden dritten Roman, der allerdings nur noch sehr bedingt mit dem Café zu tun hat und folglich der (deutschen) Zyklusbetitelung nicht mehr wirklich entspricht, eine interessante, wendungsreiche Geschichte gelungen, die man mühelos in zwei Tagen wegschmökern kann. Das legt auch einen entscheidenden Schwachpunkt der Autorin in diesem Buch frei: Am Ende des Romans finden sich Leseproben aus den ersten beiden (!) Bänden, und dennoch ist das Buch bedauernswert kurz.
Man merkt: der Autorin geht der Stoff massiv aus. Das sieht man im Schlussband, in dem das Schicksal von Vanessa Longfellow beleuchtet wird, noch drastischer. Ich komme dazu.
Folgerichtig erreicht dieser Roman nicht mehr ganz die Intensität der ersten beiden Romane, ist aber immer noch durchaus lesenswert. Und wer ohnehin an den Geschichten aller vier Freundinnen interessiert ist, wird zweifelsohne auch nach dem Schlussband greifen.
© 2019 by Uwe Lammers
Damit endet die Karussellfahrt erst einmal. In der kommenden Woche schwenken wir einmal mehr zu einem Altmeister der Science Fiction um und zu seinen sehr mit Recht bewunderten Kurzgeschichten.
Mehr dazu in der nächsten Woche.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Der allerdings schon in Band 2 angedachte gemeinsame Ausflug der Freundinnen in den Club findet bis Ende von Band 3 nicht statt … das wäre interessant zu beobachten. Nun, vielleicht im Schlussband …