Rezensions-Blog 413: Skirmish

Posted Juli 19th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, das ist wieder mal der Fall eines sehr alten Buches und zu­gleich ebenfalls einer ziemlich angegrauten Rezension aus dem Jahre 2001 … mit der bekannten Konsequenz, dass ich damals nicht alle bibliografischen Daten erfasst habe (Originaltitel, ISBN und Erscheinungsjahr etwa). Das tut dem Gesamteindruck aber, will ich hoffen, keinen signifikanten Abbruch. Ich würde mal schätzen, dass das Goldmann-Taschenbuch, da ich es schon als Jugendlicher im Büchereiregal stehen sah, etwa um das Jahr 1977 erschienen sein muss, die Stories selbst stammen schät­zungsweise aus den 60er Jahren.

Es ist also kein Wunder, wenn sich mir bei der Lektüre der Ein­druck aufdrängte, manche der verwendeten Topoi seien altbe­kannt … das galt vielleicht nicht für die Zeit, als Bob Shaw sie geschrieben hat, aber seither ist viel Wasser den Bach hinabge­flossen.

Aber Alter der Storysammlung hin, Alter der Geschichten selbst her: Das Fazit ist immer noch interessant, wie ich finde. Denn die einzelnen Facetten der Phantastik, die der Autor darbietet, haben schon einigen Reiz, auch nach so langer Zeit. Das ist ein bisschen wie bei Robert Howard oder Ray Bradbury, deren Wer­ke auch nur sehr begrenzt altern bzw. auch nach Jahrzehnten noch einigen stilistischen Charme ausstrahlen.

Seht ihr das genauso in diesem Fall? Riskiert mal einen Blick:

Skirmish

von Bob Shaw

Goldmann 23261

192 Seiten, TB

Deutsch von Tony Westermayr

Es ist schon faszinierend, wenn man ein Buch ausgelesen hat, das zehn Jahre lang in den eigenen Bücherregalen geschmach­tet hat – und wenn man zugleich dann die Impression spürt, die auf den ersten Zeitpunkt des Kennenlernens dieses Buches ver­weist. Im Fall der Storysammlung SKIRMISH von Bob Shaw weiß ich das noch sehr genau: Ich fand das Buch erstmals in der Hauptstelle der Stadtbücherei Wolfsburg, als ich noch ein klei­ner Junge war, das muss etwa im Jahre 1978 oder 1980 gewe­sen sein. Damals, als man mir – sehr zu meiner Verärgerung! – sagte, ich sei noch „zu jung“ für die Hauptstelle und solle mich doch an die Kinderbücherei wenden, die im selben Gebäude wäre. Meine Worte, dort hätte ich schon alles gelesen, was von Interesse war (was zumindest thematisch stimmte!), wurden nicht geglaubt.

An Bob Shaws Buch bin ich freilich, wenn auch etwas vom Cover fasziniert, eher vorbeigegangen, als ich dann schließlich in die SF-Ecke vorstoßen durfte. Vielleicht hätte ich es damals lesen sollen. Heute bin ich etwas zu kritisch für dieses Werk, so sehr ich Shaw auch schätze.

In Skirmish, der Titelgeschichte (was in etwa „Scharmützel“ be­deutet und deshalb naheliegenderweise nicht übersetzt auf dem Cover landete – so ein Buch würde sich mit DEM Titel ge­wiss nicht verkaufen), wird ein verkrüppelter alter Mann na­mens Gregg im Wilden Westen Zeuge, wie aus dem Nichts in der Wüste eine hochschwangere Frau in einem silbernen Anzug auftaucht und kann sie gerade noch vor zwei Reitern retten, die in der Frau eine Mexikanerin (!) sehen und sich mit ihr vergnü­gen wollen, bevor sie ihr den Garaus machen.

Es ist nur zu dumm, dass die beiden Reiter Josh Portfields Ranchtruppe angehören, die Greggs Arme bereits einmal gebro­chen haben. So hat Gregg mehrere Probleme: eine schwangere Frau, die unbedingt auf SEINER Farm ihr Kind bekommen möch­te, außerdem die Leute von Portfield, die ihm ans Leder wollen. Und dann stellt sich heraus, dass die fremdartige Frau auch noch verfolgt wird …

Schneemenschen im Himalaya dürfte meinen Freund Michael Baumgartner frustrieren. Denn die Lösung, die diese Geschichte für das Yeti-Problem bietet, ist doch gar zu bizarr. Und zudem muss man, um den Ursprung der Yetis zu finden, etliche Licht­jahre von der Erde fortfliegen in ein fremdes Sternensystem und durch einen Glasfaser-Nachbau des Mount Everest. Wie das zu­sammenpasst, sei hier nicht verraten …

Ein vollwertiges Clubmitglied zu werden, ist nicht einfach. Es reicht keineswegs, alle 43 Tage seine 864.000 Dollar zu zahlen. Aber das merkt Philip Connor, auf der Jagd nach seiner durch Erbschaft neureichen Freundin – und auf der Jagd nach einem unbeschreiblich perfekten Feuerzeug! – zu spät. Denn die per­fekten Waren, die offenbar nur von dem Eigentümer benutzt werden können, kommen buchstäblich von den Sternen …

Die stillen Partner wären gut miteinander ausgekommen. Wenn es nur beide Seiten rechtzeitig gewusst hätten. Leider argwöhnt der entführte Purvey zu schnell, dass das, was ihm sein un­menschlicher Gesprächspartner erzählt, nicht so ganz stimmen kann, und bringt ihn daraufhin um. Das hätte er besser nicht getan …

Das Lächeln der Gioconda ist weltberühmt. Leonardo da Vinci malte die Mona Lisa vor Jahrhunderten, und noch heute ist ihr Lächeln unentschlüsselbar. Phil Dexter, Psi-Detektiv von Beruf, hat mit Kunst nicht viel am Hut. Das ändert sich dramatisch, als seine neue Klientin Carole Colvin ihn darum bittet, mit seinen Gaben die Echtheit eines Gemäldes nachzuprüfen, das sie von ihrem Vater geerbt hat.

Es ist die Mona Lisa.

Oder zumindest fast. Zweifelsohne hat sie da Vinci gemalt, das spürt der Psi-Detektiv eindeutig mit seinen Fähigkeiten. Doch sie scheint die Hände anders zu halten … existieren mehrere Versionen davon? Gibt es vielleicht noch mehr davon? Der allei­nige Gedanke daran ist atemberaubend. Auf der Suche nach dem Ursprung des Gemäldes geraten die beiden schließlich nach Italien in eine Höhle, wo sie sowohl den Herkunftsort des Gemäldes finden als auch den Grund für das rätselhafte Lächeln der Mona Lisa. Aber dann …

Die Horrorgeschichte in 81 Bildern ist wider Erwarten völlig un­bebildert. Sie folgt dem Ablauf nach alten Comic-Horrorge­schichten aus der Frühzeit der Horrorstory zu Beginn dieses Jahrhunderts. Ein etwas zurückgebliebener und introvertierter Junge wird eines Abends Zeuge, wie ein gespenstisches Etwas aus dem Fluss nahe der Stadt steigt. Bald darauf verschwindet ein Passant. Wenig später eine zweite Person.

Und dann wird das Ungeheuer – was auch immer es sein mag – auf ihn aufmerksam, und mit panischer Angst versucht er, den Behörden einen Tipp zu geben, wohin die Verschwundenen ge­gangen sind. Allerdings versteht er bis zuletzt nicht, weshalb die Opfer das langsame Fremdwesen nicht GESEHEN haben, das sie tötete …

Sonnenhund gegen Ikarus ist ein Ausflug in die Mythologie, frei­lich mit einem Großraumflugzeug, das eine besondere Art von Nuklearwaffe in ein Krisengebiet bringen soll. Dabei begegnet ihnen ein Vogel … oder vielleicht doch etwas anderes …?

Tödlicher Reigen hätte besser unter seinem Originaltitel Waltz of the Bodysnatchers gestanden. Auf dem Planeten Oregonia herrscht die katholische Kirche. Ehebruch und Selbstmord sind ebenso verboten wie Scheidungen und Mord. Das ist eine schwierige Lage für einen Mann wie Mike Lorimer, der eine in­tensive uneheliche Beziehung zu einer jungen, aufregenden Frau hat. Im Gegensatz zu ihm ist Fay Willen nämlich mit dem alternden Gerard verheiratet, der sie mental liebt, aber eben nicht physisch.

Um den perfekten Mord zu begehen, braucht Lorimer einen Selbstmörder. Das klingt etwas seltsam, wird aber verständli­cher durch die Handlungslogik: Wenn ein Selbstmörder Gerard Willen tötet, wird bei der persönlichen Bestrafung dessen Geist in den Körper des Toten übertragen und umgekehrt. Der eigent­lich Ermordete lebt also weiter, allerdings in einem anderen Kör­per. DANN aber ist – nach kirchlichem Recht – der Bund der Ehe aufgelöst, und Fay Willen wäre frei für Lorimer.

Alles ganz einfach? Es sieht sogar perfekt aus, als mit Raymond Settle ein Selbstmörder zu Lorimer kommt. Aber das perfekte Verbrechen sieht dann etwas anders aus, als es den Anschein hat …

Jagd auf den Feuermann ist eine der Geschichten, die durch den Anfang wirklich besticht. Warum? Weil die Neugierde sofort wach ist. Man schaue:

Der tote Polizist schwebte in einer Höhe von etwa dreitausend Metern auf die Kontrollzone Birmingham ein. Es war eine Win­ternacht, und die Frosttemperaturen, die in dieser Höhe herrschten, hatten seine Gliedmaßen erstarren lassen und sei­nen ganzen Körper mit schwarzem Eis überzogen. Blut, das durch zerschmetterte Panzerung geflossen war, hatte sich an­nähernd in Form eines Krebses verfestigt, dessen Scheren sei­nen Brustkorb umfassten …“

Selbst als der Leser den Grund dieses Schwebens begreift, bleibt dieses Bild beherrschend im Verstand stehen.

Die Gesellschaft der Zukunft hat mit Hilfe individueller Flugan­züge den Flugverkehr weitgehend aufgelöst. Das bringt natür­lich eine Reihe Probleme mit sich, unter anderem dreidimensio­nale Flugregeln für fliegenden Individualverkehr, mit Positions­lichtern, Flugkorridoren usw. Nun gibt es allerdings eine Vielzahl von Leuten, die sich daran nicht halten, die ihre Lichter aus­schalten, selbstmörderisch durch die Fluglevels rasen und den Verkehr gefährden. Dafür gibt es Flugpolizisten.

Und es gibt jemanden, der Flugpolizisten jagt und sie mit einer Lanze tötet, als sei er bei einem mittelalterlichen Reitturnier. Dieser Verbrecher ist der Feuermann, und Flugpolizei-Sergeant Robert Hasson möchte ihn dringend zur Strecke bringen. Diese Jagd entwickelt sich allerdings zu einer tödlichen Angelegenheit …

Die Vielzahl von Geschichten in dieser Storysammlung gibt ei­nen guten Einblick in Bob Shaws Vielseitigkeit, die von gruseli­gen Stories bis zu echten Hard-Science-Stories reichen. Ein we­nig bedauerlich fand ich nur, dass viele dieser Ideen für einen Vielleser der Phantastik nicht wirklich neu sind, und dass Shaw ein wenig zu stark die Neigung zu einem mehr oder weniger un­eingeschränkten Happy End hat. Die Gesellschaften der Zu­kunft, die er entwirft und von denen er in ausgesprochen flüssi­gem, lesbaren Stil erzählt – ein Lob an dieser Stelle an den Übersetzer Tony Westermayr – , sind in gewisser Weise nicht kri­tisch genug, sondern bleiben irgendwie beliebig. Shaw drückt sich gerne vor genauen geographischen oder zeitlichen Zuord­nungen, was sich auf die Geschichten nachteilig auswirkt.

Als Leser von fünfzehn Jahren hätte ich das womöglich gar nicht bemerkt. Heute jedoch, wo ich Wert darauf lege, das Umfeld besser kennenzulernen als nur durch ein paar skizzierte Pinsel­striche, und wo ich kritischer gegenüber gesellschaftlichen Visionen bin, erscheinen mir manche von Shaws Geschichten fast munter beiläufig und schlicht.

Lesbar sind sie, das ist unbestreitbar. Sehr unterhaltend und mitunter lustig (besonders die Himalaya-Geschichte und die Gioconda), andere haben eine Prise schwarzen Humors (die Bil­dergeschichte etwa und die Bodysnatchers). Aber sehr tiefge­hend ist das alles nicht, der richtige BISS fehlt sozusagen. Viel­leicht hat die Übersetzung etwas entschärft, das kann man nie ausschließen. Vielleicht WAR Shaw damals aber auch so zahm. Weitere Werke werden das zeigen. Es liegt noch einiges von ihm seit Jahren bei mir „auf Halde“ und wird nun wohl verstärkt im nächsten Jahr gelesen werden …

© 2001 by Uwe Lammers

Ich würde schon sagen, dass man davon sprechen kann, dass hier eine ziemlich bunte Mischung aus phantastischen Ge­schichten vorliegt, die einen genaueren Blick selbst nach so vie­len Jahrzehnten durchaus rechtfertigen.

In der nächsten Woche wende ich mich einem sehr viel jünge­ren Buch zu, das wieder einem vollkommen anderen Genre ent­stammt. Am ehesten lässt es sich vielleicht der Reiseliteratur zuordnen. Es ist auch eindeutig von Vorteil, wenn man – wie ich – Katzenliebhaber ist. Wir besuchen eine idyllische Mittelmeerin­sel.

Mehr sei hier noch nicht verraten. Wer mehr wissen will, schaut in einer Woche hier wieder herein.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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