Rezensions-Blog 131: Brennendes Wasser

Posted September 26th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

da sind wir also wieder bei Clive Cussler gelandet… genauer gesagt bei einem seiner erfolgreichen Tandempartner, nämlich Paul Kemprecos, der noch eine ganze Reihe Werke zum NUMA-Kosmos beigesteuert hat. Das hier ist der zweite Band der so genannten „NUMA-Files“, und wie erwartet, geht es wieder richtig zur Sache. Dass meine Rezension dennoch nicht so überzeugend ausfiel wie die zu seinem Erstling neulich („Das Todeswrack“), liegt vermutlich in zweierlei Ur­sachen verborgen: erstens einmal bin ich nun mal, was Cussler angeht und his­torische Zusammenhänge dazu, ein recht kritischer Leser. Und zweitens ist dem Buch anzumerken, dass es deutlich zügiger als der Erstling geschrieben wurde. Mit der unschönen Konsequenz, dass da einige Sachen hinten runterfallen bzw. zu kurz dargestellt werden. Das Buch hätte sicherlich hundert Seiten mehr In­halt gebrauchen können und ein solides wissenschaftlich-historisches Korrefe­rat.

Nun, man kann den Roman natürlich auch so lesen, wie ich unten schreibe. Amüsant ist er allemal, und wenn man selbst historisch nicht sattelfest ist, ent­gehen einem vermutlich die ganzen Wischiwaschi-Details dieses Buches. Aber um euch davon selbst ein Bild zu machen, lasse ich mal die Rezension selbst sprechen:

Brennendes Wasser

(OT: Blue Gold)

Von Clive Cussler & Paul Kemprecos

Blanvalet 35683, 2002

480 Seiten, TB

ISBN 3-442-35683-0

Aus dem Amerikanischen von Thomas Haufschild

Da ist er also, der zweite Roman mit Cusslers „neuen Helden“, dem hünenhaf­ten, weißblonden Kurt Austin und seinem kleineren, kompakteren Kompagnon mit mexikanischen Wurzeln, Joe Zavala. Der Leser entsinnt sich, die beiden Hel­den in ihrem Erstling „Das Todeswrack“ kennen gelernt zu haben, wo sie im Mittelmeer einer Meeresarchäologin das Leben retteten und so auf die Spur ei­nes bruderschaftlichen Geheimbundes kamen, der strikt alle Indizien vernich­ten wollte, die darauf hindeuteten, dass es jemals zwischen der Alten und der Neuen Welt kulturelle Kontakte gegeben hatte, und zwar vor Christoph Kolum­bus. Witzig genug – dies führte letzten Endes zur Entdeckung von Kolumbus´ verschollenem Grab in der Unterwelt von Guatemala. Wie ich schon jüngst an­lässlich des Romans sagte: solch ein Auftakt macht natürlich neugierig auf weitere Bände der Serie der so genannten „Numa Files“. Dies hier ist der zweite.

Die Geschichte beginnt mit einem Cussler-typischen Vorspann, diesmal im Jahre 1991. Die schöne, junge Professorin Francesca Cabral ist von ihrer Heimat Brasi­lien aus unterwegs mit dem Flugzeug zu einem Umweltkongress in Kairo, wo sie ein revolutionäres neues Verfahren vorstellen will, das ein drängendes Mensch­heitsproblem lösen wird – bedauerlicherweise erweist sich, dass die neuen Pilo­ten der Crew Handlanger einer kriminellen Organisation sind, deren Ziel in Fran­cescas Kidnapping besteht. In der Konsequenz des sich im Flugzeug entspan­nenden Kampfes führt diese Veränderung der Situation allerdings dazu, dass ihr Flugzeug mit allen Insassen mitten im venezolanischen Urwald abstürzt und nie­mand mehr wieder von ihr hört.

Im Jahre 2001 erleben wir dann den Beginn der Haupthandlung und sogleich den rasanten Auftritt von Kurt Austin und Joe Zavala, die ein neues experimen­telles Rennboot bei einem Bootsrennen vor San Diego testen. Kurz vor dem Ende rast die Rennbootphalanx allerdings in eine Herde von toten Walen und löst ein einziges Chaos aus, in dem allein Austins Wagemut eine noch größere Katastrophe verhindert.

Anschließend ist er jedoch neugierig, was es mit den toten Tieren auf sich hat und entdeckt, dass sie offensichtlich an den Folgen extremer Erhitzung gestor­ben sind, was ihm einigermaßen rätselhaft vorkommt – und das ist alles erst der Anfang. Die Fährte führt nämlich nach Mexiko in eine Tortilla-Fabrik (kein Witz!), wo sie zudem ein geheimes Forschungslabor entdecken, das gerade während ihrer Entdeckung buchstäblich in die Luft fliegt und sie beinahe umbringt. Ein Wrackteil der Station entpuppt sich sodann, und damit wird die Sache noch um einiges rätselhafter, als Bauteil eines so genannten Deltaflüglers der US Air Force aus den frühen 50er Jahren… allerdings eines Deltaflüglers, der offiziell nie gebaut wurde.

Der Leser knobelt an dem Problem herum und fragt sich, wo das wohl alles hin­führen mag. Zu dem Zeitpunkt noch ganz ergebnislos, und das macht die Sache wirklich interessant. Zudem wird man dann auch noch von einem Kapitel stets zum nächsten von der Kurt Austin-Handlungsebene in den venezolanischen Ur­wald verschlagen (die Handlungsebenen alternieren anfangs fast von Kapitel zu Kapitel, nachher bekommt die Austin-Handlung deutliches Übergewicht, und da sind jetzt Seiten und nicht Kalorien gemeint!), wo wir weitere alte Bekannte aus dem ersten Roman treffen: Gamay Morgan-Trout und ihren Mann Paul Trout, ebenfalls beide bei der NUMA angestellt. Sie sind von einem hiesigen Wissen­schaftler namens Dr. Ramirez gebeten worden, sich die Bedingungen der Wasserqualität eines inländischen Flusslaufes in Venezuela anzusehen, um ab­schätzen zu können, ob für die Population der Flussdelphine eine Gefahr be­steht.

Das ist offenkundig nicht der Fall – aber während sie noch bei Dr. Ramirez sind, wird ein Einbaum mit einem toten Eingeborenen angetrieben, der eine seltsam blauweiße Körperzeichnung trägt. Ein so genannter „Chulo“, ein Angehöriger ei­nes sehr zivilisationsfeindlichen Indiostammes, den man auch „Geisterindianer“ nennt. Angeblich wird der Stamm von einer weißen Göttin regiert, was einiger­maßen unglaubwürdig scheint. Aber der Tote, der erst gefoltert worden zu sein scheint, um anschließend durch einen Schuss getötet zu werden, hat ein paar sehr beeindruckende technische Hilfsmittel dabei, unter anderem einen Bogen aus Aluminium. So etwas macht Gamay und Paul natürlich schon neugierig… aber ihr folgender Besuch bei den Chulo ist mehr ein Unfall, der einiges zu tun hat mit Biopiraterie, skrupellosen Pharmakonzernen und Mord und Totschlag.

Derweil verfolgen Kurt Austin und sein Gefährte Joe Zavala die Fährte in Mexiko weiter und landen bei einem Liebhaber alter Duellpistolen (ganz wie Kurt) – dummerweise ist der Mann namens Enrico Pedralez nicht nur Besitzer einer Tortilla-Fabrik, sondern auch Banden- und Drogenboss im Grenzgebiet zu New Mexiko, und er steht im Ruf, jeden, der ihm seltsam kommt, kurzerhand umzu­bringen, auch einen Gringo.

Und Pedralez ist immer noch nicht die Spitze des Eisbergs, sondern nur ein weiterer Mosaikstein, der letztlich zu einem Moloch führt, der sich „Gokstad“ nennt und von einer skrupellosen Persönlichkeit beherrscht wird, die für ihre Pläne letztlich über Leichen geht, wenn nötig, auch über die Leichen ganzer Na­tionen…

Im Vergleich zu manch anderem Cussler-Buch ist dieses hier eher schmal gera­ten, die Konsequenz besteht dann in lediglich vier Lesetagen. Auch diesmal ist zu konstatieren, dass das Lesen einfach Spaß bereitet, und zwar außerordentli­chen. Es gibt nur wenige Wermutstropfen. Einer ist der Titel. „Brennendes Wasser“ ist wirklich selten dämlich, darum geht es nicht in Wahrheit.1 Es GEHT zwar um Wasser, aber das brennt eigentlich nicht. „Blaues Gold“ wäre also in je­derlei Hinsicht die bessere Übersetzung gewesen (klang dem Verlag aber viel­leicht nicht spannend genug). Auch das Titelbild ist ausnehmend einfallslos.

Dann gewinnt man ein bisschen das Gefühl, der Verfasser habe zu viele Filme gesehen, etwa „Der Smaragdwald“, und zudem ist er zweifelsohne eifriger NA­TIONAL GEOGRAPHIC-Leser. Ich erkannte jedenfalls die im Gamay-Handlungs­strang beschriebene Kunststoffkonstruktion zur Erforschung der Gipfelregion der tropischen Regenwälder recht deutlich wieder – sie fanden sich in Artikeln sowohl im NATIONAL GEOGRAPHIC als auch im deutschen GEO Ende der 80er Jahre. Ähnlich verhielt es sich mit den gigantischen Tafelbergen und dem spek­takulären Wasserfall. Dabei (dieselben Anregungsquellen können angegeben werden) handelt es sich fraglos um den Abglanz der venezolanischen „Zeugen­berge“, der Tepui, zu denen es ein höchst beeindruckendes Buch von Uwe Geor­ge gibt.2 Das ist nicht unbedingt negativ zu verstehen, aber in der Umsetzung war es mir dann doch ein bisschen zu wenig, was die Autoren daraus machen, das hätte definitiv Stoff für schönere Beschreibungen hergegeben.

Und dann kommen wir zu „Gokstad“, jenem verbrecherischen Superkonzern mit seinem sinnigerweise „Walhalla“ genannten Stammsitz und den noch viel ver­rückteren Plänen (mit „Walhalla“ und den nordischen Geschichten hat Cussler es irgendwie. Man erinnere sich an diverse seiner früheren Romane). Die Hauptperson und ihr biografischer Background bleiben letztlich bedauernswert ungenügend. „Nur“ böse, größenwahnsinnig und machtgierig, das ist ein biss­chen wenig, um letztlich überzeugend zu sein. Und was die Kulisse angeht, so ist auch das ein wenig lieblos ausgefallen. Das gilt übrigens allseitig – der Kon­zern benennt sich nach dem legendären Gokstad-Schiff der Wikinger, von dem auch ein 1:1-Nachbau in der Konzernzentrale ausgestellt ist3, und das bekom­men die NUMA-Mitarbeiter schließlich auch heraus. Doch dort, wo sonst Cuss­ler sein Präzisionswissen einbringt, regiert hier ein wenig Halbheit. Da heißt es dann, das Gokstad-Schiff sei „irgendwann im 19. Jahrhundert“ in Norwegen ge­funden worden. Das kann man doch genauer herauskriegen, dachte ich und schlug nach:

Gokstad ist eine südnorwegische Stadt an der Mündung des Oslofjordes und bekannt geworden durch den Fund eben des Gokstad-Schiffes, einer Schiffsbe­stattung aus der Wikingerzeit. Das Schiff selbst ist 23,8 Meter lang und 5 Meter breit mit einem Tiefgang von 1,1 Metern. Es wurde in einem Grabhügel bei Gokstad samt dem Toten im Jahre 1880 ausgegraben und ist heute im Museum von Bygdöy bei Oslo. Was im Roman ebenfalls richtig (aber nur vage) erwähnt wurde, ist die Tatsache, dass ein Nachbau dieses Schiffes von Norwegen nach Amerika segelte und damit die transatlantische Seetüchtigkeit nachdrücklich unter Beweis stellte. Das fand im Jahre 1893 statt und brachte damals eine nor­wegische Delegation zur Weltausstellung von Chicago.4

Ich meine, wenn ICH solche Daten schon herauskriegen kann, dann muss man doch konstatieren, dass entweder Verlag, Übersetzer oder aber die Verfasser hier ganz schön geschlafen haben, ganz zu schweigen von dem vielen inter­essanten Detailwissen, was solche Romane (nicht zuletzt den Erstling!) erst so faszinierend machte.

Auch dem Zufall wird an manchen Stellen doch erheblich nachgeholfen, manch­mal auf interessante, fast tapsige Weise (etwa bei dem Handlungsstrang, in dem es dann um den alten Piloten des Deltaflüglers geht), etwas plumper bei den beiden serbokroatischen Killern, die sich im Bosnienkrieg als skrupellose Mörder und Folterer einen Namen gemacht haben und sadistisch ihre Opfer liquidieren.

Man kann aber dem Roman auf der anderen Seite dann auch zugute halten, dass er durchaus ernste Probleme anspricht. Da ist beispielsweise das Thema der Biopiraterie im südamerikanischen Urwald, das nicht nur anno 2002 ein Problem war, sondern auch heute noch ist. Da ist das Thema des globalen Wassermangels, verbunden mit der damals schon hellsichtig scheinenden Kritik, was für Gefahren eine leichtfertige, allein aus kurzfristigem monetärem Blickwinkel zuwege gebrachte Privatisierung etwa der Wasserversorgung in sich birgt. Das ist meines Erachtens heute mehr denn je ein ernstes Problem, und es scheint durchaus möglich, dass es in weiteren Romanen dieser Reihe noch in dieser Richtung entsprechende Weiterungen geben wird.

Ansonsten konstatiere ich, dass der „Zweitling“ an den Erstling definitiv nicht herankommt… aber der wirklich trockene Wortwitz ist schon die Lektüre defini­tiv wert (goldig die Szene, als eine Hauptperson fassungslos Kurt Austin fragt, wo er wohl herkomme, und er lakonisch bemerkt: „Mit dem Bus.“ Wobei man dazu sagen sollte, dass diese Begegnung in einem Unterwasserlabor stattfindet – dennoch sind seine Worte die reine Wahrheit). Doch, es gibt eine Menge zum Lachen in dem Werk, unstrittig. Und wer sich nicht um die historischen oder sachlichen Fakten so sehr schert, wird hier zweifelsohne gut unterhalten.

Kann man lesen, macht durchaus Spaß.

© 2012 by Uwe Lammers

Ein Cussler-Roman zum Abgewöhnen? Nein, würde ich so jetzt nicht sagen wol­len. Der hier ist durchaus lesenswert. Die üblen Romane kommen ja erst noch.

Auch den Roman, den ich in der kommenden Woche an dieser Stelle präsentie­ren möchte, kann ich wirklich nur wärmstens empfehlen. Und wer – im Gegen­satz zu mir – Rudyard Kiplings Werk gut kennt, wird sicherlich eine ganze Reihe Aha-Effekte erleben. Doch auch sonst ist dieses Werk, das in den 1890er-Jahren in Indien und Tibet spielt, eine famose Sache, die mir großen Spaß bei der Lektüre bereitet hat.

Neugierig geworden? Gut so. Und ich mache euch den Mund noch wässriger mit einem berühmten Namen: Sherlock Holmes.

So, damit aber genug verraten für den Moment. In der kommenden Woche seid ihr schlauer. Das solltet ihr euch nicht entgehen lassen…

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich muss dabei an griechisches Feuer denken. Das kommt im Roman zwar AUCH kurz vor, aber für die Haupthandlung spielt es eigentlich keine Rolle. Als Titel taugt es gar nicht.

2 Vgl. Uwe George: Inseln in der Zeit, Hamburg 1993 (4. Auflage).

3 Unsympathisch fiel mir auf, dass „Gokstad“ durchgängig als „Gogstad“ falsch geschrieben wird. Ich denke, das ist ein Lektoratsfehler. Aber soviel Präzision hätte doch wirklich schon sein können.

4 Vgl. Glyn Daniel: Enzyklopädie der Archäologie, Bergisch-Gladbach 1996, S. 177. Hier wird freilich der Ort ebenfalls falsch geschrieben, diesmal als „Gokstadt“. Aber das Buch wimmelt leider sowieso von Druckfeh­lern. Die Fakten selbst sind indes präzise.

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