Rezensions-Blog 262: Shades of Grey 2: Gefährliche Liebe

Posted April 1st, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

auch sieben Jahre nach Veröffentlichung des vorliegenden Romans vermag die­se Trilogie interessanterweise nach wie vor Menschen auf die Palme zu bringen. Üblicherweise handelt es sich dann um Zeitgenossen, die weder die Bücher ge­lesen noch die Filme (außer in Auszügen) gesehen haben. Und jeder, der Kino­trailer kennt, weiß natürlich, dass diese in der Regel überdramatisiert Szenen zusammenschneiden und nicht selten einen falschen Eindruck der Geschichte vermitteln.

Ich finde außerdem, dass die Verfilmung insbesondere des zweiten Teils der Tri­logie von der Romanfassung deutlich abweicht, so dass man sich als Kinogänger kein qualifiziertes Urteil über das zu Grunde liegende Buch machen kann. Wer das gern tun möchte, ohne gleich in Schnappatmung zu verfallen, der sollte jetzt vielleicht weiterlesen.

Vielleicht entdeckt er/sie ja unerwartete Facetten des Werkes und wird doch neugierig:

Shades of Grey 2: Gefährliche Liebe

(OT: Fifty Shades Darker)

Von E. L. James

Goldmann 47896

608 Seiten, TB (2012)

ISBN 978-3-442-47896-5

Aus dem Amerikanischen von Andrea Brandl und Sonja Hauser

Die Welt steht Kopf für Anastasia Steele.

Die junge Literaturstudentin hat Wochen hinter sich, die sie selbst bei ruhiger Betrachtung kaum begreifen kann, und sie ist mental und emotional gewisser­maßen vollständig durch den Fleischwolf gedreht. Grund dafür ist eine Verket­tung abenteuerlicher, zufälliger Umstände, die sie in Kontakt mit einem faszinie­renden, sehr komplizierten und zudem überaus reichen Mann gebracht haben.

Christian Grey.

Einige Wochen zuvor hat sie ihn stellvertretend für ihre Mitbewohnerin und beste Freundin, Katherine Kavanagh, interviewt. Grey, der CEO und damit Vor­sitzende von Grey Enterprises, ist Förderer ihrer Hochschule, und Kate die Her­ausgeberin der Studentenzeitschrift. Da sie aber grippebedingt verhindert ist, schickt sie ihre beste Freundin Ana zu dem Termin … und dann beginnt das, was Anastasias Leben völlig umkrempelt: Christian Grey ist nicht nur unglaublich jung und attraktiv, sondern er ist auch von ihr unglaublich angetan, sucht stän­dig ihre Nähe und überhäuft sie mit Beweisen seiner Zuneigung. Dazu gehören sündhaft teure Erstausgaben von Romanen, Computer, Handys, schließlich gar ein neuwertiges Auto.

Sie ist davon einigermaßen überwältigt, aber ehe die meisten dieser Geschenke bei ihr ankommen (die meisten davon gegen ihren Willen, da sie solche Großzü­gigkeit unendlich verlegen macht), wird überdeutlich, dass Christian Grey sich insbesondere erotisch zu ihr hingezogen fühlt. Und zugleich hat er sehr … spezi­elle Vorstellungen von seiner Beziehung zu Frauen. Das hat mit seiner kompli­zierten Persönlichkeit zu tun, wie Anastasia sehr schnell entdecken muss. Er kann offensichtlich gar nicht anders, als ein BDSM-Verhältnis zwischen sich und seiner jeweiligen Gespielin zu dulden. Er ist darin der Dominus, sie die Sub, im Grunde genommen eine Sklavin für seine Bedürfnisse.

Auch wenn Anastasia sehr schnell den berauschenden Sex mit ihm unendlich genießt, selbst gewisse Sonderformen, die Augenbinden, Fesseln und ähnliches einbeziehen, gibt es doch Dinge, die sie immer wieder auf Abstand halten. Und am Schluss des ersten Romans, „Shades of Grey 1: Geheimes Verlangen“ wird Ana diese unglaublich intensive Beziehung zu viel. Schockiert davon, dass Chris­tian von ihr erwartet, sie möge sich von ihm bereitwillig Schmerz zufügen las­sen, weil er nur so vollendeten sinnlichen Genuss erleben kann, bricht sie die Beziehung ab.

Das Ende des ersten Romans ertrinkt in unendlich vielen Tränen.

Der vorliegende zweite Roman des Zyklus setzt quasi direkt nahtlos daran an, und man tut gut daran, die Lektüre unmittelbar an Band 1 anzuschließen.

Zur Handlung:

Seit der Trennung von Christian Grey sind erst wenige Tage vergangen. Hinter Anastasia liegen ihr Studienabschluss, der Umzug nach Seattle, wo Christian Grey auch lebt, und ihr Arbeitsbeginn als Praktikantin in dem kleinen Verlag SIP unter dem Lektor Jack Hyde.

Und Anastasia sieht die Welt absolut grau in grau. Nichts bereitet ihr mehr Ver­gnügen, und ebenso wie sie die stürmischen Liebesmomente mit Christian Grey vermisst, ebenso überzeugt ist sie doch davon, dass sie ihm niemals das wird geben können, was er unbedingt braucht. Es sieht doch sehr danach aus, als wenn Christian eine ihm ergebene Sub benötigt, die bereitwillig für seine Züch­tigungen zur Verfügung steht. Und das kann und will sie selbst nicht geben. Aber vergessen kann sie ihn ebenso wenig. Sie hat keinen Appetit, verliert an Gewicht1, und stets ist sich Ana der Tatsache bewusst, dass Christian in der Stadt ist, dass die Beziehung prinzipiell jederzeit wieder aufflackern kann.

Dennoch … dennoch nimmt sie mit ihm Kontakt auf, als ihr Studienfreund José Rodriguez (ebenfalls bekannt aus Band 1) seine Foto-Vernissage in Portland er­öffnet und sie einlädt. Ein sehr distanzierter Christian Grey nimmt sie höchst bereitwillig mit zur Eröffnung, die einige Überraschungen für die beiden bereit­hält (dies wird, wie Kundige wissen, im zweiten Film völlig anders vermittelt, wie der Film sowieso vieles dramatisiert).

Und das Knistern breitet sich unweigerlich wieder zwischen den Liebenden aus … denn das sind sie, das ist jedem Leser und jeder Leserin schon nach dem ers­ten Band felsenfest klar. Während Ana nun also versucht, bei SIP Fuß zu fassen und nur langsam realisiert, dass Jack Hyde mehr von ihr möchte, als nur ihr Chef zu sein, intensiviert sich ihre aufgefrischte Beziehung zu Christian Grey, und fast scheint es, als sei der grässliche Zwischenfall in seinem „Spielzimmer“ gar nicht vorgefallen.

Vergessen können die beiden ihn gleichwohl auch nicht.

Leider ist die fragile und immer wieder von Missstimmungen durchzogene Be­ziehung zwischen den Liebenden nicht das einzige Problem. Christian Grey hat zugegeben, dass er früher schon Beziehungen zu einer Reihe anderer Frauen hatte, seinen „Subs“, von denen ihm eine ganz besondere Sorgen bereitet: Leila. Während diese Person in der Verfilmung des ersten Romans noch keine Rolle spielt, taucht sie nun unvermittelt in Anastasias Leben auf und verfolgt sie. Vollends dramatisch wird es, als man herausfindet, dass sie offensichtlich mit einer Schusswaffe unterwegs ist und psychisch unzurechnungsfähig.

Außerdem lernt Ana während dieser Folgewochen Elena Lincoln kennen, die sie von Anfang an als „Mrs. Robinson“ charakterisiert und von Herzen zu hassen beginnt. Sie ist die Frau, die den jungen Christian im Alter von fünfzehn Jahren unter ihre Fittiche genommen hat, was in diesem Fall bedeutete, dass sie seine speziellen Neigungen entwickelte und, wie er es selbst drastisch sagt, „das Ficken beibrachte“. In Anas Augen hat sie damit seine jugendliche Entwicklung gestört und gilt im Grunde als Kinderschänderin. Es ist ihr unerklärlich, dass Christian mit Elena immer noch befreundet ist, und im Laufe des Romans entwi­ckelt sich das zunehmend zu einem ernsthaften Problem. Dasselbe gilt für die Sache mit Anas Chef, dem Lektor Jack Hyde.

Auf der anderen Seite lernt Anastasia aber auch einen anderen, einen neuen Christian Grey kennen – nicht den herrischen CEO von Grey Enterprises und auch nicht den grausamen Dom, der seine Sub herumkommandieren möchte … sondern sie hat einen ganz besonderen Einfluss auf ihn und verändert ihn. Sie bringt ihn auf zumeist äußerst amüsant zu lesende Weise und nicht selten wirk­lich berechnend zur Weißglut und dazu, immer mehr von seinem einseitigen Pfad abzuweichen.

Denn, um die Wahrheit zu sagen: Christian Grey ist zutiefst verstört und er­schüttert gewesen, ja, panisch, als sie ihn verlassen hat. Er kann sie nicht ver­gessen und will sie nicht verlieren. Das stürzt ihn in komplizierte emotionale Ab­gründe, die ihm vorher nicht zugänglich waren. Und er hat beschlossen, sein Le­ben grundlegend neu zu überdenken, Ana zuzugestehen, eine Art von Landkar­te zugänglich zu machen, die sein kompliziertes Herz und seine Seele für sie verständlich machen. Dies alles führt Anastasia Steele zu völlig neuen Erfahrun­gen und Horizonten, und dasselbe gilt auch für Christian Grey, der das rätselhaf­te und schwierige Neuland der leidenschaftlichen Liebe zu entdecken beginnt …

Der zweite Roman der Trilogie um Christian Grey und Anastasia Steele wartet zum einen mit einer Vielzahl von sympathischen Charakteren auf, die z. T. schon im ersten Band eine Rolle spielten, hier aber nun klarere Konturen und teilwei­se auch mehr historischen Tiefgang erhalten. Nach wie vor stürmisch und unbe­rechenbar ist die Beziehung zwischen Ana und Christian, die wirklich bei jeder sich bietenden Gelegenheit berauschenden Sex praktizieren. Und während im ersten Roman mehrheitlich die anfangs jungfräuliche Anastasia völlig überwäl­tigt war, geht es nun zunehmend auch ihrem reichen Geliebten so.

Er, der bislang alles strikt durchplante, weil er eben ein notorischer Kontroll­freak ist, lernt nun, dass das Herz einer Frau, zumal einer von 21 Lenzen, durch­aus sprunghaft, launisch und schnippisch sein kann. Dass Anastasia auch hier wieder reichliche Szenen bietet, in denen sie zutiefst errötet oder sich vor lau­ter inneren Gewissensbissen kaum retten kann, gehört unbedingt dazu. Wer die Bücher kennt, mag verstehen, dass ich immer wieder kichere, wenn einer von beiden mit den Augen rollt, wenn Ana sich auf die Unterlippe beißt oder die sinnbildlichen Funken zwischen den beiden sprühen. Es ist einfach ein Vergnü­gen, diese Geschichte zu lesen, das gilt auch für den zweiten Teil.

Was die Verfilmung angeht, so weicht sie in zahlreichen Variationen von der Ro­mangeschichte ab. So spielt etwa Ethan, Kate Kavanaghs Bruder, in zahlreichen Stellen des Films überhaupt keine Rolle, sehr wohl aber im Buch. Dasselbe gilt für José, der im Film schnell an die Wand gedrückt wird, was sich im Buch völlig anders liest. Mia Grey, Christians jüngere Schwester, gespielt von Rita Ora im Film, hat im Buch auch einiges mehr zu sagen als in der filmischen Umsetzung. Die Rolle der Elena, im Film faszinierend von der älteren Kim Basinger gespielt, ist im Buch sehr viel komplizierter angelegt, und eine ganze Weile lang hat man das Gefühl, dass sie und Ana vielleicht doch noch einen modus vivendi finden können.

Andere Stellen fehlen in der Verfilmung ganz, was man bei manchen erotischen Stellen gut verstehen kann (ich denke da besonders an diese Badezimmerszene, die Passage auf dem Boot oder auch die Szenen im Spielzimmer, die im Buch z. T. sehr viel anders ausgeschmückt sind). Insbesondere vieles aus dem Leila-Handlungsstrang läuft hier grundlegend anders ab als im Film. Die Szene mit der Hausbegehung kommt überhaupt nicht vor (allerdings gibt es eine kleine Andeutung im Film während der Bootsfahrt auf „The Grace“). Die Rolle, die Kate Kavanagh mit ihrer „Inquisition“ spielt, ist im Film auch sehr heruntergekocht.

Und süß ist zu sehen, dass sich im Buch Ana unabsichtlich als Verkupplerin noch zwischen zwei weiteren Freunden erweist. Es sei nicht verraten, wen es trifft – aber es ist auf alle Fälle ein Indiz, dass den Leser des abschließenden dritten Teils womöglich eine Dreifachheirat erwarten könnte. Gemessen an der bislang zur Schau gestellten romantischen Ader von Frau James dürfte das letzten En­des eines der Ziele der Geschichte sein. Schwierig bleibt aber die allmählich deutlicher zu sehende Grundlinie, dass sadomasochistische Neigungen hin in eine „krankhafte“ Richtung gedrängt werden, die man nur mit bedingungsloser Liebe „kurieren“ kann … das ist höchstwahrscheinlich zu schematisch und eindi­mensional.

Die Geschichte bewegt sich also gründlich von der Basislinie weg. Christian gibt einen guten Teil seiner „hard limits“ ab, während Ana ihm gegenüber einige Zu­geständnisse hinsichtlich seines „Spielzimmers“ gestattet und sie ansonsten so versessen aufeinander sind, dass sie nicht die Finger von sich lassen können. Und gleichzeitig ziehen sich finstere Schicksalswolken über den beiden zusam­men … man darf auf das Finale sehr gespannt sein.

Auch hier eine klare Leseempfehlung.

© 2017 by Uwe Lammers

May be, es mag sein, dass ich zu optimistisch geurteilt habe, und mancherlei Leserkommentare, die ich erhielt, nachdem diese Rezension anderwärts Lesern zugänglich gemacht wurde, fielen recht kritisch aus. Ich bleibe allerdings durch­aus dabei, dass ich diese Geschichte bei allem Schematismus, den sie durchaus besitzt und der mir auch nicht entgangen ist, im Kern zutiefst humorvoll und lei­denschaftlich ist.

Wer diese Geschichte um Anastasia und Christian allein auf die „frauenverach­tende“ und sexistische Ebene herabzerren möchte und denkt, dass Ana doch nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, wenn sie sich wissentlich ein zweites Mal auf diese Beziehung einlässt, der sieht das alles viel zu kurz. Man muss nicht nur ein Negativfaktum herausziehen und dann sofort ein moralisches Vernichtungs­urteil fällen, sondern die Gesamtkomposition sehen und danach versuchen, zu einem ausgewogenen Eindruck zu gelangen.

Für mich überwiegt der zwischenmenschlich-humorvolle Aspekt in der Ge­schichte nach wie vor, auch wenn ein wenig „missionarischer“ Eifer zu erkennen ist, wenn die Autorin etwas eindimensional Sadomasochismus bei dominanten Männern über eine traumatische Kindheit erklären will und sie durch „ehrliche Liebe“ zu läutern versucht.

Was ich aber, wie ich immer noch finde, relativ gut herausarbeiten konnte, sind die Differenzen zwischen Buch und Verfilmung. Das ist zwar immer so, aber mir kam es noch nie so überdeutlich zu Bewusstsein wie hier. Die Filme ersetzen also in keiner Weise die Bücher. Die Romane sind deutlich besser als die filmi­sche Umsetzung – es ist definitiv einen Versuch wert, vertraut mir.

In der kommenden Woche kehren wir in phantastische Landen zurück zu einem Altmeister der Science Fiction und dystopischen Blicken in zukünftige Sphären. Mehr dazu in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Ebenfalls etwas sehr Charakteristisches in diesen beiden Bänden des Zyklus ist Anas regelmäßige Appetitlo­sigkeit und Christians besorgter, meist befehlender Appell, sie möge dich etwas zu sich nehmen. Ana könnte – und das ist nun wirklich ein Zustand, den jeder Verliebte bestens kennt – auch nur von Luft und Liebe le­ben … und Liebe in Form von leidenschaftlichem Sex bekommen die beiden hier fürwahr reichlich.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>