Rezensions-Blog 28: Abenteuer Ozean

Posted Oktober 7th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute schlagen wir mal wieder ein neues interessantes Kapitel der Lektürewelt von heute auf. Und um die bizarre, fremdartige Welt zu entdecken, die wir heute bereisen wollen, brauchen wir keinen Hyperspace-Antrieb, keine Zeitreisen und auch sonst nichts wirklich Exotisches. Diese Welt liegt buchstäblich unter unse­ren Füßen… wenn wir etwa auf einem Kreuzfahrtschiff die Weltmeere überque­ren.

Der Ozean. Ein Kosmos faszinierender Überraschungen und unerwarteter Ent­deckungen, der sich für phantastische Exkursionen geradezu anbietet. Wer da beispielsweise an die Fernsehserie SeaQuest DSV aus den 90er Jahren denkt mit Roy Scheider in der Hauptrolle, oder wer sich an Frank Schätzings fulminanten Roman „Der Schwarm“ erinnert, weiß, wovon ich rede. Das sind aber dann schon die fiktionalen, phantastischen Weiterungen.

Der Meeresforscher Robert D. Ballard hingegen steht durchaus mit beiden Fü­ßen fest auf dem Boden der Tatsachen (oder auf dem Deck eines Forschungs­schiffes). Er ist aber nicht nur ernstzunehmender Forscher, sondern kann dazu auch noch spannend über das, was er erlebt, schreiben. Und das unten aus den Myriaden Büchern heute herausgehobene Werk zeigt das recht nachdrücklich. Schaut selbst:

Abenteuer Ozean

Von Robert D. Ballard

National Geographic-Buch

National Geographic Society 2001

292 Seiten, geb., 49.95 Euro

Aus dem Amerikanischen von Theresia Übelhör

Es gibt Gebiete, die sind ideale Tummelplätze für Besessene. Ob es die Gipfel windumtoster Gebirge sind, die schier undurchdringlichen Dickichte der Urwäl­der dieser Welt… oder die Ozeane, das wohl größte und unerforschteste Myste­rium der gesamten Erde.

Wenn man sich auf die Reise macht in unbekannte (oder weitgehend unbe­kannte) Gefilde, dann tut man gut daran, sich kundige Reiseführer anzulachen. Und in solchen Regionen wie den Tiefen des Weltmeeres verspricht der Name Robert Ballard fachmännische Beratung und spannende Unterhaltung zugleich.

Ballard erlangte im Jahre 1985 schlagartig Weltberühmtheit, als ihm glückte, was vor ihm niemand geschafft hatte: er entdeckte in einer Wassertiefe von rund 3800 Metern das gigantische Wrack des Luxusschiffes TITANIC, das im April 1912 mit über tausend Menschen an Bord in den Tiefen des Atlantik ver­sank (vergegenwärtigt man sich die zurückgelegte vertikale Distanz, so müsste man eigentlich von „stürzen“ reden) und nie wieder gesehen wurde.

Doch auch zuvor war der Geologe – denn das ist er eigentlich – nicht ein unbe­schriebenes Blatt. Seine wissenschaftliche Karriere begann schon Anfang der 60er Jahre, und bereits 1959 tauchte er als Schüler der High School in die Tiefen des Ozeans ab. Spätestens seit jener Zeit hat ihn der Bann des Meeres gefesselt, lässt ihn nicht mehr los. Und diese Faszination findet sich auch zuhauf in diesem Buch wieder.

Es geht überwiegend um Unterwasserarchäologie, aber eben lange nicht nur. Wir schlängeln uns als Leser langsam und in mitunter heftigen Sprüngen durch Robert Ballards Leben und gleichzeitig durch die Geschichte der Seefahrt, die er in zahlreichen packenden Episoden in den Kontext des Buches einzubinden ver­steht (beispielsweise in den Kapiteln II-IV). Dabei muss man das Buch so lesen, dass es eine Dokumentation allmählich sich steigernder Perfektion ozeanischer Wissenschaft darstellt. Auch an dieser Perfektionierung ist Dr. Ballard maßgeb­lich beteiligt, etwa durch Entwicklung von Unterwasserrobotern.

Bekannte Episoden aus anderen Büchern – eben von der TITANIC-Expedition (Kapitel V), der Suche nach dem Schlachtschiff BISMARCK, den Tauchgängen zur LUSITANIA und den Wracks von Guadalcanal (Kapitel VI) – werden flankiert von beinahe desaströsen Erlebnissen von Kabelbränden in U-Booten, Implosionen von Kabinen in Unterwasserfahrzeugen, von Stürmen und zahlreichen anderen Dingen, die man teilweise nicht erwartet.

Wer Ballards Spuren folgt, stößt lesend vor in eine Welt, die zum Teil gar nicht so fern ist, aber unsagbar fremdartig. Um nur ein Beispiel zu nennen: heutzuta­ge ist es allgemein bekannt, dass die Erdkruste eine dünne, feste Schicht ist, die aus gigantischen Gesteinsschollen, den Kontinentalplatten, besteht. So wird schließlich Vulkanismus und Erdbebentätigkeit rund um die Erde plausibel nach­gewiesen und dargestellt.

Doch was wir heute als selbstverständliches Schulwissen hinnehmen, war An­fang der 60er Jahre (!) des 20. Jahrhunderts alles andere als unangefochten. Wegeners Kontinentalschollentheorie aus den 30er Jahren galt als kühnes Ge­dankenkonstrukt, das unbeweisbar schien. Bis zur Entdeckung der ozeanischen Plattengrenzen. Und in diesem Zusammenhang – in den Ballard involviert war, wie er hier darlegt (Kapitel VII) – wurde zugleich eine weitere These ad acta ge­legt: die These nämlich, dass die Tiefsee eine öde, lebensfeindliche Wüstenei sei, in der rein gar nichts existierte (es sei denn, einzelne wenige Exemplare von aquatischen Lebensformen verirrten sich dorthin).

Auch für jemanden wie mich, der doch einigermaßen belesen ist, was Ozeano­grafie und Unterwasserarchäologie angeht, hat das Buch noch einiges Packende zu bieten. Ballards These etwa, dass das Leben nicht vor zahllosen Hunderten Millionen von Jahren in flachen Binnengewässern nahe der Oberfläche der Erde entstanden sei, sondern es viel plausibler wäre, einen Ursprung des Lebens auf dem Grund der Ozeane anzunehmen (Kapitel VIII), diese These hat viel für sich.

Und absolut spannend wird es, als der Erzähler den Handlungsbogen von Kapi­tel I „Archäologie der Tiefsee“ – hier geht es im wesentlichen um die Verifikati­on einer Theorie von der Sintflut; sie soll angeblich auf den Bruch des Isthmus der Dardanellen zum Schwarzen Meer zurückzuführen sein, was ich wenigstens anzweifeln möchte – zum Kapitel IX „Museum der Tiefe“ schlägt und einen atemberaubenden Ausblick auf die nahe Zukunft darbietet. Inklusive Fotos ei­nes Schiffes, das in perfektem Erhaltungszustand seit 1500 (!) Jahren in den Tie­fen des Schwarzen Meeres liegt, inklusive stehendem Mast und gut erkennba­ren Seilknoten.

Ballard erklärt plausibel, wie das möglich ist: einst, erläutert er, war das Schwar­ze Meer ein Binnengewässer, also ein durch Flüsse gespeistes Süßwasserreser­voir. Bis sich die Meerenge der Dardanellen öffnete und Salzwasser einströmen ließ. Sehr viel Salzwasser. Dieses Wasser bildete schließlich eine über hundert Meter dicke Schicht, die die Süßwasserschicht darunter völlig vom Sauerstoffaustausch abschnitt. Im Laufe von Jahrhunderten wurde aller Sauerstoff aufge­braucht, die Mikroorganismen starben ab. Die Tiefsee des Schwarzen Meeres ist also absolut steril. Was dorthin absinkt, wird konserviert und kann nicht zerfal­len.

Alleine die Vorstellung, zahllose Schiffe entdecken zu können, die seit Jahrtau­senden dort unten zur ewigen Ruhe gebettet worden sind, ist unglaublich pa­ckend. Die Forschungen dort sind noch lange nicht beendet. Im Gegenteil – zu diesem Teil der Tiefsee, einem einmaligen „Museum der Tiefe“, wie er zu Recht sagt, hat die moderne Technologie gerade erst die Tür geöffnet. Und wir leben in der richtigen Zeit, um mit Ballard und seinen Schülern dieses Zauberreich un­ter dem Ozean betreten zu können, um Dinge zu sehen, die nie zuvor ein Men­schenauge erblicken konnte…

Wenn man ein wenig Interesse hat für das Meer, wenn man sich für historische Biografien, Entdeckerfahrten, Piraten, Tiefseeleben, Unterwasserarchäologie oder schlicht für Bob Ballards durchaus spannendes Leben interessiert, ist man hier eindeutig recht am Platze. Der Preis des Buches mag ein wenig peinigend sein, aber die absolut opulente Bildqualität und die sehr lesbare Übersetzung entschädigen dafür hinreichend.

Mein Fazit lautet also, und nicht nur für Historiker: das Buch ist absolut empfeh­lenswert. Nur schade – wie bei allen guten Büchern – , dass es so schnell wie­der vorüber ist. Seufz.

© by Uwe Lammers, 2005

Tja, und da dieses Buch natürlich auch schon wieder lange vergriffen ist, machte es Sinn, wenn ich euch hiermit ein wenig den Mund wässrig gemacht habe, indem ich über ein Buch mit dem Thema Meereskunde im weiteren Sinne sprach – und das als passionierter Nichtschwimmer! Welch pikantes Paradoxon! – , dann schlage ich einfach vor: Durchforstet die Weiten der Internetantiquariate. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ihr da fündig werdet, zweifellos auch für einen deutlich geringeren Preis als im Jahre 2001.

In der kommenden Woche werde ich an dieser Stelle wieder eine schöne Stippvisite bei dem Detektiv aus der Baker Street 226B machen. Ja, und ich weiß mindestens einen Leser dieses Blogs, den das frohlocken lassen wird. Fragte er mich doch bald nach Erscheinen des Blogs 5 „Sherlock Holmes und der Fluch von Addleton“, ob es wohl „einen Teil 2“ dazu gäbe.

In gewisser Weise kann er das in der kommenden Woche an dieser Stelle lesen. Ich freue mich drauf, euch das nächste faszinierende Sherlock-Buch vorzustel­len. Um welches es genau geht, wird noch nicht vorweggenommen.

Stay tuned, Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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