Liebe Freunde des OSM,

oje, es ist wirklich sehr lange her, dass ich mich dieser Rubrik gewidmet habe, das ist wahr. Wer zu faul ist, um nachzuschlagen, sei darum hiermit informiert: das letzte Mal kratzte ich an den Baufehlern des frühen OSM im Blogartikel 272, das war am 20. Mai 2018, also vor rund einem Jahr.

Warum war das so? Gab es zwischendurch nicht genügend seltsame „Baustel­len“ im OSM, aus denen ich hätte zitieren können? Doch, zweifellos. Aber ich war durch E-Book-Schreiben, Todesfälle, berufliche Unwägbarkeiten, Publikati­onspläne und vieles andere einfach zu abgelenkt.

Was hat sich daran heute geändert? Ich habe heute wieder digitalisierte und kommentierte Episoden des KONFLIKTS 14 „Oki Stanwer – Feldherr der Cranyaa“ (FdC) händisch glossiert und wirklich vielfach genervt den Kopf ge­schüttelt… tja, und dann sprang mich dieser Blogeintrag-Titel einfach so an, und here I am.

Autorenwissen ist schwierig, um damit mal einzusteigen. In der Regel ist es ja so, dass Autoren mehr Kenntnisse haben als ihre Romanfiguren, denen sie mit Worten Leben einhauchen. Und wir Autoren haben stets auch zu bedenken, dass da draußen auch noch Dritte sitzen, nämlich ihr, die Leser, die einen eige­nen Kopf haben und ebenso kombinatorische Fähigkeiten. Ihr könnt aus Andeu­tungen, die wir Autoren machen, Dinge schließen, die womöglich den Romanfi­guren (für eine Weile oder dauerhaft) undurchsichtig sind. Aus der dadurch ent­stehenden informatorischen Dissonanz resultiert ein nicht eben geringer Span­nungsfaktor.

Manche Autoren unterlaufen diese Form der Autoren-Handlungspersonen-Le­ser-Kommunikation. Sie führen etwas ein, was man den „allwissenden Erzähler“ nennt. Das ist stets eine Gratwanderung, die auch schrecklich schief gehen und aus tollen Ideen veritable Katastrophen machen kann. Nur recht wenige Auto­ren, glaube ich sagen zu können, beherrschen diese Gratwanderung. Was dazu führt, dass die „allwissenden Erzähler“ üblicherweise nur sehr selten eingesetzt werden.1

Anders ist es, wenn arglose Autorenneulinge versuchen, Wissen in die Ge­schichtenhandlung einzuweben und offenkundig wird, dass das einfach so hin­ten und vorne nicht passt. Das ist mir in einem der FdC-Bände aufgefallen, den ich 1985 schrieb. Herausgekommen ist solch ein erzählerisches Desaster, dass ich beinahe beim Kommentieren im Boden versunken bin. Aber da ich jemand bin, der auch zu schriftstellerischen Fehlern der Frühzeit steht (die ihr natürlich in der Ausarbeitung so nie wieder finden werdet!), präsentiere ich euch heute einen kurzen Blick in dieses Desaster.

Zunächst aber eine Einordnung in den historischen Kontext. Aus Spoilergründen halte ich das sehr knapp: Wir befinden uns im legendären „Zeituniversum“ des KONFLIKTS 14. Oki Stanwer und seine Getreuen haben einen gigantischen Zeit­abgrund unabsichtlich überbrückt und sind in der Vergangenheit unterwegs, wo sie intelligentes Leben suchen.

Die Lichtfestung OREOC und ihre Besatzung finden dabei ein Sonnensystem, das „negiert“. Das ist grundsätzlich schon der erste Fehler, denn dieses System IST bereits negiert, die Geschehnisse liegen also schon eine ganze Weile zurück. Das System kann nicht mehr direkt angeflogen werden und wird von den „Gen­wächtern von Zykhor“ abgeriegelt.

Der Leser erfährt nun aus der Perspektive „von außen“ Näheres zum System. Ich zitiere: „Die Welt Ceqqolar war eine schöne Welt gewesen.2 Grüne Wiesen, sanft geschwungene Hänge und abgerundete Bergkuppen gaben dem alten Pla­neten seine Konturen. Die Meere waren seicht und infolge der fehlenden Monde fast spiegelglatt. Die Bewohner von Ceqqolar waren freundliche, weise Wesen.3 Sie waren humanoid und hatten eine hochentwickelte, aber umweltfreundliche Technologie. Sie beuteten ihre Mutterwelt nicht aus, wie es dereinst ihre Ahnen getan hatten, sondern sie gewannen Materie aus Energie, Energie aus Materie. Nichts ging in diesem ewigen Kreislauf verloren. Nicht einmal die Überreste der langlebigen Wesen selbst.4

Sie trieben Handel mit mehreren fremden Welten, die samt und sonders einem Fremdvolk gehörten. Dem Volk der DIGANTEN! Die DIGANTEN waren bittere, verzweifelte und manchmal sogar hysterische Technokraten, die ihre eigenen Welten mit einer unvorstellbaren Pedanterie ausbeuteten. Seit einiger Zeit hat­ten die DIGANTEN, die nach Ceqqolar zur Erholung kamen, Kontakt mit einem Abgesandten eines weiteren Volkes. Es nannte sich das Ewige Volk, das das Ewi­ge Reich gegründet hatte, ausgehend vom Schwarzen Stern TOTAM. Dieser Name weckte in den Bewohnern von Ceqqolar schon seltsamerweise Abscheu. Das hatten sie den DIGANTEN auch gesagt.5

Und nun zeigte sich die grausame Psyche dieser Wesen. Wenige Wochen darauf erschienen bereits große, schwarze Kegelschiffe über der Welt Ceqqolar und verankerten sich.6 Keiner wusste genau, wie viele es waren, aber sie waren un­antastbar. Alles, was sich ihnen näherte, zerfiel binnen kurzer Zeit zu Staub. Der Radius, in dem sich alles zu Staub veränderte und zersetzte, wuchs ständig. Und die Reste begannen zu schillern in einem satten Violett!7

Von den Kegelschiffen stachen somit gewaltige violette Lichtkegel gen Himmel, die ein Netz um das Sonnensystem legten. Die Maschen dieses Netzes zogen sich immer weiter zusammen, bis es ein komplettes Ganzes war. Die Wesen, die den tödlichen Auren entkamen, wurden von den sich herniedersenkenden vio­letten Nebeln eingehüllt und erstarrten zur Regungslosigkeit. Sie veränderten sich allmählich grundlegend. Aus den Überlebenden von Ceqqolar wurden die Freunde Timor-Dols. Aus ihnen entwickelten sich die NEGATIVEN!8

+

OREOC stand still. Oder besser doch relativ still, denn die Driftgeschwindigkeit bremste OREOC nicht. Sie schwebten am Rand des fluoreszierenden, violetten Feldes und beobachteten die Veränderung der Umgebung. Es war ein grauen­hafter Prozess, nicht nur wegen seiner Lautlosigkeit.

Die Bildschirme füllten sich mit einem matten Violett…“

Also… ihr merkt schon an der aus der kommentierten Episode übernommenen Kommentierung, dass hier eine vollständige Katastrophe vorliegt. Und ich versi­chere euch, das ist nur ein sehr kleiner Teil des Problems. Es gibt auch massive Komplikationen mit Erstkontakt mit den Genwächtern, mit den gesprochenen Sprachen, mit Vertrauensseligkeit und unendlicher Naivität usw. Die ganze Epi­sode ist ein einziges argumentatives Inferno.

Der Grund dafür ist offenkundig: Ich besaß im Kopf einen Riesenwust an Infor­mationen zur vorliegenden Episode… und ich fragte mich offenbar verzweifelt, wie ich dieses Wissen hier zur Geltung bringen sollte. Dummer Entschluss: ein­fach reinschreiben! Ist mir doch egal, aus wessen Perspektive die Geschichte gerade erzählt wird und wie viele Millionen Kilometer Distanz zwischen dem Planeten und den Beobachtern liegen. Ich schreibe das jetzt einfach rein, basta!

Wir sind uns sicherlich darin einig, dass das eine unreife, infantile und einfach schlechte Schreibentscheidung war. Die Besatzung von OREOC dürfte weder den Namen des Planeten noch irgendetwas von seinen Bewohnern oder deren Verbindungen zu den DIGANTEN erfahren, weil das dort überhaupt nicht verba­lisiert wird.

Natürlich kann Autorenwissen gelegentlich mit einfließen, aber immer im Rah­men gewisser Grenzen. Man muss sich darüber klar sein, wie viel von dem Wis­sen überhaupt für die Protagonisten erfahrbar ist. Oder man baut eine zweite Handlungslinie auf, die gewissermaßen von Ceqqolar aus die historische Per­spektive einnimmt. Dann hat man ein informatorisches Gefälle der Art, wie ich es oben andeutete: Autor weiß sehr viel, Leser wissen ebenfalls viel, die Prot­agonisten auf unterschiedlichen Ebenen eher wenig, erst recht, wenn die Hand­lungsebenen nicht interagieren können, wie es hier bei Ceqqolar der Fall wäre.

Deshalb ist Autorenwissen stets schwierig zu händeln. Agiert man ungeschickt wie ich in diesem Fall im Alter von 18 Lenzen, erzeugt man ausgesprochene Ka­tastrophengeschichten und blamiert sich bis auf die Knochen. Ich bin also echt sehr froh, dass diese Episode – abgesehen von einem einzigen Leser – niemals jemand zu Gesicht bekommen hat. Das war wirklich kein Ruhmesblatt.

Soviel also für heute aus der chaotischen Frühzeit des OSM. In der nächsten Woche kehre ich in die Rubrik „Was ist eigentlich der OSM?“ zurück und berich­te dann etwas zeitnäher aus der jüngsten Vergangenheit.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Wer ein Beispiel davon sehen möchte, schaue sich Félix J. Palmas „Landkarten“-Trilogie an, die für den Re­zensions-Blog in Vorbereitung ist. Auf der einen Seite ein tolles Lesevergnügen, aber der auktoriale Erzähler hat mich doch nicht selten ziemlich frustriert.

2 Dieser ganze Abschnitt ist, wie oben angedeutet, höchst unglücklich geraten. Warum? Nicht weil er inhalt­lich völlig falsch wäre. Er gibt durchaus schon das wieder, was geschehen ist. Aber die Frage an den Autor muss lauten: wie viel davon bekommt GOONEX mit? Was SIEHT er auf dem Bildschirm? Dass die Welt Ceqqolar heißt? Nein. Der Planet trägt ja kein tausend Kilometer großes Schild mit dem Namen. Wie die Be­wohner von Ceqqolar heißen, sage ich oben nicht mal (ganz schwerer Fehler!). Dass das eine idyllische Welt war, kann Goonex nicht mehr erkennen, weil er sie nur im negierten Zustand zu sehen bekommt (der aber nicht beschrieben wird!!). Dass die DIGANTEN dort Urlaub machten und wie dieses Volk überhaupt heißt, dass sie mit TOTAM verbündet sind und warum sie Entropie-Experimente machen… all das ist nichts Gegen­ständliches. Das kann sich Goonex nicht mal entfernt zusammenreimen. Der gesamte Textblock ist hier also aus Verlegenheit in den Haupttext projiziertes Autorenwissen. Autsch! Das muss dringend geändert werden.

3 Name des Volkes? Und ein bisschen mehr als „humanoid und friedfertig“ kann man über die Leute schon sagen. Fiel mir damals im Traum nicht ein. Begründung? „Das Volk ist doch eh gleich tot und spielt danach keine Rolle mehr. Also, so what?“ Das ist natürlich nicht einmal entfernt genügend. Ausbauen und vor allen Dingen die Perspektive beachten. Goonex kann nur das mitbekommen, was die Geräte von OREOC zeigen, nichts sonst!

4 Auch dies ist Autorenwissen. Goonex kann das durch Ferndiagnose doch nicht entdecken.

5 Aber davon kann Goonex nichts wissen.

6 Da das schon vor längerer Zeit passiert ist, kann Goonex das auch nicht mitbekommen. Was genau BEOB­ACHTET er eigentlich??

7 Das kann OREOC aus der Distanz von wenigstens einigen Millionen Kilometern Distanz natürlich auch nicht beobachten!

8 Das kann Goonex VERMUTEN, aber miterleben kann er es nicht. Das bedarf einer völlig anderen Perspekti­ve, nämlich einer von innen heraus, die uns auch das Volk von Ceqqolar näher bringen kann. So. Geht. Das. Nicht!

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