Liebe Freunde des OSM,

heute gönnen wir uns mal die volle Superhelden-Dröhnung. Ei­gentlich kennt man sie ja eher aus Comics und Kinofilmen, aber auf dem Romanpapier machen Superhelden auch keine schlech­te Figur – fand ich jedenfalls bei der Lektüre, die bisweilen so atemlos und actionlastig ausfällt, dass man leicht den Überblick verliert, wer jetzt wo und warum agiert und welcher Bedrohung nun noch einmal genau gegenübersteht.

Zudem gibt es eine interessante Interferenz zwischen den Film-Avengers und denen in den Comics, die mich anfänglich ver­wirrte. Ich kenne zwar die Filme recht gut und sehe sie gern auch zum vielfachen Mal an, aber mit den modernen Comics und ihrer bisweilen stark von der Verfilmung abweichenden Handlungsführung war ich nicht so vertraut.

Eins kann ich jedenfalls guten Gewissens voranschicken – was folgt, wird ziemlich turbulent, das werdet ihr rasch merken.

Also, auf ins Abenteuer …

Marvel Avengers:

Jeder will die Welt beherrschen

(OT: Avengers: Everybody wants to rule the world)

Von Dan Abnett

Panini Books, 2019

320 Seiten, TB

Übersetzt von Timothy Stahl

ISBN 978-3-8332-3772-0

Wir kennen die Haupthandlungsträger hinlänglich aus den Mar­vel-Kino-Blockbustern. Da wären etwa zu nennen: Steve Rogers alias Captain America, Natascha Romanov alias Black Widow, Clint Barton alias Hawkeye, Anthony Stark alias Iron Man, Thor, Gott des Donners, Wanda Maximoff alias Scarlet Witch1 und Bruce Banner alias Der Hulk. In den Nebenrollen, wenn man so will, treten dann noch Personen wie Nick Fury, Direktor von S.H.I.E.L.D., und Pietro Maximoff alias Quicksilver2 sowie Vision auf. Insgesamt kennt man sie als die Avengers, jene mächtigs­ten Helden der Welt, die die Erde vor globalen Gefahren schüt­zen.

Alle diese Helden werden, weitgehend unabhängig voneinander, in einem nicht klar benannten Jahr, beginnend am 12. Juni, in eine Kaskade von verschiedenartigen Katastrophenfällen verwi­ckelt, die alle auf der Einsatzskala der Avengers Alpha-Priorität beanspruchen. Und es zeigt sich schnell, dass auf sehr verschie­dene Weise die Existenz der Welt, die Freiheit der Menschheit oder gar der Fortbestand des Lebens, wie wir es verstehen, auf dem Spiel steht.

Gehen wir die Krisen mal im Schnellgang durch:

Captain America wird nach Berlin gerufen, weil hier Baron Wolf­gang von Strucker gesichtet worden ist, das Haupt von HYDRA. Er hat von einer Berliner Hightechfirma ein Gerät entwickeln lassen, das er nun offenbar sehr dringend braucht. Sein Ziel ist es, vordergründig, erst einmal eine Demonstration seiner Macht zu zeigen – indem er Berlins Bevölkerung ausrottet. Was Cap natürlich vereiteln muss und ziemlich viel Randale erzeugt, Au­tos zerschrottet, Gebäude demoliert und Menschen verletzt bzw. tötet … kurzum: Da ist eine Menge Trouble los und so schnell kein Ende in Sicht.

Das ist Krise 1.

Zeitgleich sind Hawkeye und Black Widow in einer Region der Antarktis unterwegs, die als „Savage Land“ bezeichnet wird und in der die beiden Helden zu meiner nicht geringen Verblüffung auf Dinosaurier stoßen … ich dachte, ich bin bei „Jurassic Park“, echt (oder bei „Doc Savage“, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Aber das sind nur so die Sahnekringel auf der Ge­schichte – im Zentrum der urwüchsigen Landschaft ist ein Labor der verbrecherischen Organisation A.I.M., in die einzudringen schon ein echtes Problem darstellt. Aber als die beiden Avenger drin sind und ermitteln, woran die Organisation arbeitet und was definitiv die freie Menschheit bedroht, sind sie auf einmal außerstande, Kommunikation mit irgendwem außerhalb herzu­stellen.

Keine Verbindung zu S.H.I.E.L.D.

Keine Verbindung zu den restlichen Avengers.

Alle globalen Datenkanäle scheinen tot zu sein.

Das ist Krise 2.

Dies wiederum hat mit dem zu tun, was – zeitgleich – in Washington, D.C., geschieht. Iron Man hat hier die Fährte zu ei­nem von ihm so genannten Null Sechs-Ereignis aufgenommen. In einem geheimen Datenzentrum nahe Washington wird gera­de das Ende der Welt vorbereitet, indem sich eine Datenver­dichtung zu einer alles vernichtenden Künstlichen Intelligenz ak­kumuliert. Ihr Name – wie Iron Man feststellt, als er vor Ort ist und die Details ermitteln kann, während er um sein Leben kämpft – lautet, für ihn wenig überraschend: Ultron!

Die Künstliche Intelligenz, mit der er einstmals den Planeten Erde gegen eine Invasion von Aliens schützen wollte, ehe diese entschied, dass das größte Hindernis für die Evolution die menschliche Spezies sei und sich deren Vernichtung auf die Fah­nen schrieb (so anzusehen im Film „Avengers 2: Age of Ultron“).

Das also ist Krise Nummer 3.

Gleichzeitig (eigenartig, nicht wahr?) gibt es auch in Sibirien ein seltsames Alpha-Alarmsignal, das diesmal magischer Natur zu sein scheint. Also genau das Richtige für den nächsten Avenger, Thor Odinssohn. Er muss bestürzt entdecken, dass ein Teil der Erde geradewegs in eine andere Dimension abgesaugt worden ist, und er trifft mit einem Wesen zusammen, das vorgibt, Scar­let Witch zu sein, dann aber Anstalten macht, ihn kurzerhand umzubringen. Die echte Wanda Maximoff taucht gerade noch zeitig auf, um das zu vereiteln, aber daraufhin sitzen sie beide in der Falle … und es scheint nur noch eine Frage weniger Stun­den zu sein, bis der Finsterherrscher Dormammu die Erde aus­löscht.

Damit bahnt sich also Krise Nummer 4 an.

Und dann wäre da noch in asiatischen Gefilden eine Enklave der Gesetzlosigkeit, die Stadt Madripoor (bekannt aus der Marvel-Miniserie „Falcon and the Winter Soldier“). Hier treffen wir auf einen scheuen Wissenschaftler namens Bruce Banner, der nach besten Kräften versucht, nicht grün und damit zum unkontrol­lierbaren Hulk zu werden. Das ist nur schwierig, denn die Ange­legenheit, der er nachgehen soll, führt ihn geradewegs zu einer gigantischen Gamma-Bombe, mithin genau zu dem Gegen­stand, dessen Nähe er tunlichst vermeiden sollte.

Krise Nummer 5.

Und so gehen die Avengers, isoliert und weithin von allen Kom­munikationskanälen abgeschnitten und jeder Menge tödlicher Gegner ausgesetzt, dazu über, parallel diese Krisen zu lösen und die Bedrohungen niederzukämpfen …

Ich muss zugeben, Abnett versteht es durchaus, packend zu schreiben, und Stahl hat die Übersetzung nicht minder rasant ausgeführt. Man erkennt schön die einzelnen Marvel-Charaktere wieder inklusive ihrer manchmal nervigen Sprüche … aber mir kam diese Ballung an Krisen doch etwas sehr exaltiert vor. Zu­mal ich hier Schwierigkeiten mit den Verbindungslinien zu den Filmen hatte. Manches davon passt einfach nicht zusammen, und das hat vermutlich damit zu tun, dass Abnett wesentlich aus dem Ereignisraum der Marvel-Comics (!) kommt. Die Verfil­mungen gehen mit diesen Stoffen relativ frei um, und so kommt es zu zahlreichen Verwerfungslinien, die dem Leser des Buches, der die Filme kennt, doch zu schaffen machen. Ich deute mal ein paar davon an.

Wolfgang von Strucker und Pietro Maximoff kommen im Film „Avengers 2: Age of Ultron“ ums Leben. Hier sind und bleiben beide quicklebendig, was manches verwirrte Augenzwinkern auslöste.

Wir treffen Dormammu, den Finsterling aus „Doctor Strange“. Aber von Stephen Strange, dessen Eingreifen man unwillkürlich erwartet, fehlt jede Spur.

Wanda Maximoff nimmt den Namen „Scarlet Witch“ erst im zweiten Strange-Film „Doctor Strange in the Multiverse of Ma­dness“ an, und zwar hier ausdrücklich als Villain-Name einer ul­timativen Bedrohung. Davon ist im Buch überhaupt keine Spur zu entdecken. Wandas Name und der der Scarlet Witch wird un­geniert synonym verwendet.

Ultron, der hier vergleichsweise gut charakterisiert wird, wird am Ende des genannten Ultron-Films von Vision eliminiert. Hier ist er auf einmal wieder quicklebendig und so gut wie unkaputt­bar.

Na ja, und als wenn diese Ballung von Superschurken und den dazu gehörigen Armeen nicht reichen würde, gibt es „natürlich“ noch eine sinistre „Über-Bedrohung“ hinter den ganzen aufmar­schierten Bösewichtern, mit der es die Avengers dann ebenfalls zu tun bekommen.

Nein, ich verrate nicht, was da jetzt noch lauert, man kann das gern selbst nachlesen. Ich fand insgesamt jedenfalls, dass Ab­nett einfach zu viele Bedrohungen auf einem Haufen ausgelöst hat (die sich nicht mal, was völlig abwegig schien, ins Gehege kamen und gegenseitig bekämpften, wiewohl sie sehr ähnliche totalitäre und deshalb strikt konkurrierende Ziele verfolgten). So interessant also auch die Parzellierung der Avengers und ihre datentechnische Isolation sein mag … sie führte zu einem ziem­lichen Kuddelmuddel von unabhängigen Kämpfen, wodurch die große Stärke der Avengers, nämlich als ein Team zusammenzu­arbeiten, kurzerhand auf der Strecke blieb.

So unterhaltsam der Roman sich also auch lesen ließ – davon war ich rechtschaffen enttäuscht. Weniger Bedrohungen, mehr Teamwork, das hätte einen sehr viel weniger schematischen und wesentlich lebendigeren Roman ergeben. Auch hätte ein Hinweis nicht schaden können, dass dieser Roman grundlegend von den Filmversionen abweicht. Das hätte manches Stirnrun­zeln verhindern können.

So kann ich also leider nur eine eingeschränkte Leseempfehlung für ausgesprochene Fans aussprechen. Sorry.

© 2022 by Uwe Lammers

Ein ernüchterndes Fazit von jemandem, der Superheldenverfil­mungen im Grunde recht gern leiden kann? Wahr. Aber das ist schlicht meine Meinung. Wer die Schraube überdreht und denkt, mehr und mehr und mehr sei automatisch immer besser, be­nimmt sich so kurzsichtig wie jemand, der sich am Büffet voll­futtert, weil „all you can eat“ doch so preiswert ist … und nicht daran denkt, dass er sich damit womöglich trotz leckeren Es­sens massive gesundheitliche Probleme einhandeln könnte.

Maßhalten wäre auch in diesem Roman die deutlich bessere Va­riante gewesen. Aber dieser Zug wurde leider verpasst.

In der kommenden Woche machen wir an dieser Stelle eine ne­ckische kleine Zeitreise. Schnallt euch schon mal an, Freunde!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Nicht hier schon wundern, ich sage dazu noch etwas.

2 Auch hier: Noch nicht wundern … und ignorieren wir mal geflissentlich, dass Quicksilver eigentlich ein Heldenname ist, der von den X-Men her­stammt. Soweit ich das sehen kann, wird er Pietro in den Filmen gar nicht gegeben.

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