Liebe Freunde des OSM,
ihr kennt das aus meinem Rezensions-Blog wohl zur Genüge. Da habe ich oft genug davor gewarnt, harmlos erscheinende Romane abends zu beginnen, die sich dann zu rasanten page-turnern entwickelten, aus denen man nicht mehr so schnell herauskommt und sich unversehens die Nacht um die Ohren schlägt. Ich dachte eigentlich, dass mir das bei eigenen Werken, die 40 Jahre alt sind, so schnell nicht widerfahren kann.
Nun, ich bin auch nur ein Mensch. Und ich irrte mich.
Gestern habe ich zur Vorbereitung auf diesen Beitrag meinen alten vierten Roman noch einmal gelesen, den ich vom 2. Juli bis zum 15. August 1984 schrieb. Tatsächlich hatte ich nur noch eine einzige Szene im Kopf vom ganzen Werk, und die bereitete mich in keiner Weise darauf vor, was in der Geschichte tatsächlich geschah.
Die Szene, an die ich mich erinnerte, kommt sehr weit hinten im Roman vor und zeigt eine Bildübertragung vom Planeten Ettan IV. Auf einer Straße sieht man einen Toten, dessen Fleisch gerade dabei ist, sich als eine Art von Protoplasma von den Knochen abzulösen.
Ganz recht, ein Opfer des titelgebenden Symbionten-Gegenschlags. Aber die Hintergründe der Geschichte waren mir vollkommen fremd geworden. Schauen wir uns das also mal genauer an:
Willkommen im Jahre 2582 auf dem Planeten Kotar, 289 Lichtjahre von der Erde entfernt. In dieser Hightech-Welt ist der Titelheld daheim, der von nordischen Vorfahren abstammende Space-Police-Agent Holger Bergstroem. Er ist mit seinem intelligenten Auto, das von einer KI Typ Ego-II, genannt „Darling“ (weiblich programmiert), gesteuert wird, unterwegs zu seiner Dienststelle und zu einem neuen Auftrag. Worum es geht, ging in gewisser Weise aus dem Prolog hervor, der vorangeschaltet war.
Hier war ein Rückkehrer namens Ben Faal, der von dem Planeten Oktar kam, auf der Raumstation TRANSPLUTO am Rande des solaren Systems unvermittelt gestorben. In direkter Folge kam es auf der Station zu einem Seuchenausbruch, dem die gesamte Besatzung von mehr als tausend Personen zum Opfer fiel. Der Ursprung dieser Seuche ist offensichtlich auf Oktar zu suchen – und da nun weitere Reisende von dort auf dem Planeten Ettan IV gelandet sind, auf dem immerhin zwei Milliarden Kolonisten leben, ist es existenzwichtig, schnellstmöglich ein Gegenmittel zu finden, das nur auf Oktar zu finden sein kann. Der Kolonialplanet Ettan IV ist derweil unter Quarantäne gestellt.
Bergstroem, sein Kollege Stan Corney und der Ego-II, der mitsamt dem Wagen auf das Reiseschiff verladen wird (dies ist übrigens keine nebensächliche Information, wie schnell deutlich werden wird!), machen sich also auf den Weg zur Sumpfwelt Oktar.
Hier arbeitete Ben Faal im Auftrag der Organisation Terranischer Entwicklungshelfer (OTEH), um den gnomenhaften Indigenen auf dieser Welt die Segnungen der Zivilisation zukommen zu lassen und vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die regelmäßig aufflammenden regionalen Kriege, denen viele Oktarer zum Opfer fallen, zu beenden.
Dummerweise gibt es einen Faktor, mit dem weder ich als Leser noch die Protagonisten gerechnet haben: Das Schiff wird nämlich vor Erreichen des Oktar-Systems von einer Gruppe Terroristen kurzerhand gekapert. Diese Gruppe, die sich „Freiheit für Tenbu“ (FFT) nennt (Tenbu ist mutmaßlich ein Planet, aber das kommt in der Geschichte nicht klar heraus), hat von der Notlage der terranischen Regierung erfahren und erpresst diese nun skrupellos und droht mit Scheitern der Mission der Agenten.
Entweder, es wird eine Erpressungssumme von einigen Milliarden Platin-Soldar gezahlt (wohl eine Kurzform von „solarem Dollar“, nicht unintelligent gemacht), andernfalls wird die Regierung das auf Oktar zu beschaffende Serum nicht erhalten, das für die Rettung der Kolonisten auf Ettan IV gebraucht wird, oder die Menschen werden alle sterben.
Lange Zeit sieht es so aus, als sei die Lage ausweglos. Selbst Bergstroem und Corney werden zu Geiseln der Erpresser. Und schließlich mit einem klapprigen Beiboot hinunter auf die Sumpfwelt geschickt, um binnen weniger Tage das Serum zu beschaffen.
Dummerweise kollidieren sie vor der Landung mit einem aufgescheuchten Sumpfsaurier und werden von den Einheimischen gerettet. Ihr Fahrzeug ist Schrott, und der Kommunikationsgürtel, der Holger Bergstroem mit dem Ego-II im Raumschiff verbindet, wurde als Tauschgut an einen anderen Stamm weitergegeben.
Die Dinge laufen wirklich außerordentlich schlecht, und sie werden noch deutlich schlimmer. Denn die mehrheitlich animistischen Oktarer haben einen Feind auf ihrer eigenen Welt, den so genannten SCHWARZEN HERRSCHER, und in dessen Hand fällt der Gürtel … und er ist in keiner Weise kooperationsbereit, sondern schickt sich an, die terranischen Agenten ebenso zu vernichten wie die mit ihnen kooperierenden Einheimischen.
Derweil versucht der Ego-II auf dem Schiff, die Dinge zu Gunsten der Guten zu verändern …
Der Roman hat mich wirklich verblüfft, aufgrund zahlreicher Details. Zum einen fand ich es außerordentlich spannend zu lesen, dass ich 1984 schon zu ziemlich schnippischen Dialogen zwischen Bergstrom und seinem „Darling“ imstande war, das lockert den Roman wirklich schön auf. Intuitiv musste ich dabei an die alte Fernsehserie „Knight Rider“ denken, aber mir ist klar, dass ich sie immer nur vom Hörensagen kannte.
Dann ist, ebenfalls unerwartet, die Art und Weise, wie sich die Benachrichtungskapseln des Geheimdienstes nach Abspielen selbst zerstören, auf frappierende Weise vertraut aus „Mission: Impossible“ (aber auch diese Serie habe ich erst sehr viel später bewusst kennen gelernt).
Deutlich klarer ist die Anleihe des SCHWARZEN HERRSCHERS – seine Physis ist ziemlich offensichtlich übernommen aus der Zeichentrick-Verfilmung von Captain Future, die mich damals schwer beeindruckte. Der so genannte Herrscher von Megara lässt freundlich grüßen. Aber damit erschöpfen sich auch die Anleihen an die damalige visuelle Popkultur schon. Es überwiegen ganz andere Dinge.
Da ist beispielsweise das beeindruckende und unerwartet detailreiche World Building von Oktar. Eine Kultur von Jägern und Sammlern, die in großen Waldhäuserkomplexen leben und die zum Zweck der Bevölkerungskontrolle rituelle Kurzzeitkriege durchführt … ein Mittel, das die OTEH unbedingt unterbinden möchte, weil sie es für archaisch und rückständig hält (und nicht versteht) – hier schimmert auf verblüffende Weise kritisches Gedankengut an irdischen Missionaren durch, die in entlegenen Weltgegenden mehrheitlich christliche Werte und Sozialstandards durchdrücken wollten, ohne im Mindesten auf die Verhältnisse vor Ort zu achten. Da bin ich im Alter von 17 Jahren schon äußerst hellsichtig gewesen.
Eine weitere Überraschung war das unvermittelte zentrale Einbauen dessen, was man heute eine NGO nennen würde, also eine Nichtregierungsorganisation. Die OTEH ist so eine Struktur, die unter explizitem Verzicht auf militärische Hierarchie und kooperative flache Hierarchien unerwartet modern anmutet. Solche Gedanken wurden hierzulande erst sehr viel später populär. Hier tauchen sie 1984 bei mir schon auf.
Zum dritten ist da die individualisierte kybernetische Kriegsführung, die der Ego-II anwendet. Abgesehen von dem Anflug des autonomen Fahrens (!), das hier schon zu finden ist (auch eine Idee, die erst heute so allmählich Realität zu werden beginnt), findet man hier starke Ansätze von Virtual Reality, was damals ebenfalls noch aufgrund der technologischen Probleme ziemlich in den Kinderschuhen steckte.
Alles in allem ist dies also, bei allen stilistischen und manchmal holzschnittartigen Details, ein Roman, der durchaus mit etwas Schliff heutzutage für euch ein originelles Lesevergnügen darstellen könnte. In einer gewissen Weise antizipiert er übrigens schon Strukturen, die ich dann im sechsten unveröffentlichten Roman „Baumsterben auf Lepsonias“ in der Mike Cole-Serie intensiver ausgearbeitet habe. Davon erzähle ich euch dann am 22. März mehr.
Ihr braucht noch etwas Geduld bis zu diesem Blogartikel 659, aber bis dahin werdet ihr keine Langeweile leiden. In der kommenden Woche leite ich euch wieder in das Chaos des KONFLIKTS 17 „Drohung aus dem All“.
Schön neugierig bleiben, Freunde!
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.