Rezensions-Blog 235: Blue Mondays

Posted September 25th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ihr kennt das sicherlich auch – es gibt Werke, die einfach das sind, was ich mal als „feel good books“ bezeichnen möchte. „Feel good movies“ kennt so ziemlich jeder, aber vertraut auf meine langjährige Lesekenntnis, das kommt auch bei Büchern vor. Relativ selten, wie ich zugeben muss, und man braucht schon ei­nen gewissen Instinkt, um sie zu finden… aber ja, es gibt sie.

Das hier ist eins davon.

Ein frischer, junger und äußerst vergnüglicher erotisch-romantischer Roman, der zwei Leben gründlich durcheinander wirbelt und für amüsante Konfusion sorgt. Während ich gerade heute (28. März 2019) einen Romanzweiteiler von Vivian Hall auslas, den ich definitiv nicht rezensieren werde, weil die Protagonisten so dermaßen hohl und naiv daherkommen, und das über Hunderte von Seiten absolut nicht abstellen können, ist das bei Dubberley vollständig anders. Hier hat man es mit wirklich lebendigen, flexiblen Leuten zu tun, die dazulernen und sich einfach… ja, wie soll ich das sagen? … nun, die sich einfach natürlich verhalten.

Lässt sich schwer beschreiben.

Wenn ihr aber seht, dass ich über 200 Seiten allein am ersten Lesetag wegknab­berte und kaum wieder aus dem Buch auftauchen mochte, spürt ihr, dass das etwas für eingefleischte Romantiker ist und etwas bestätigt, was ich immer wie­der sage: die meisten guten Romane sind leider viel zu kurz (dieser hier auch), und das Lesevergnügen ist meist nach spätestens 3 Tagen vorbei (hier ebenfalls). Aber wiewohl die Lektüre der Dubberley schon fast anderthalb Jahre zurückliegt, denke ich gern an die Lesestunden zurück, die ich definitiv als amüsante Bereicherung empfunden habe.

Am besten ist es, wenn ihr einen Blick in meine damalige Rezension von 2017 werft… und danach sucht noch besser das Buch dazu. Das lohnt sich echt:

Blue Mondays

(OT: Blue Mondays)

Von Emily Dubberley

Ullstein 28796

368 Seiten, TB

Aus dem Englischen von Sybille Uplegger

ISBN 978-3-548-28796-6

Schon wieder Montag. Arbeitswochenbeginn. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Seit vier Jahren arbeitet Lucy Green, inzwischen 28 Jahre alt und frisch von einem vermeintlich optimalen Lebenspartner getrennt, in der Redaktion der Medienagentur BAM! unter ihrer herrischen Chefin Anna. Die letzten Wochenenden hat sie sich mit Mehrarbeit für ihre Chefin um die Ohren geschlagen, allmählich hat Lucy das Gefühl, überhaupt für gar nichts mehr Zeit zu finden. Der Job – sie arbeitet an Werbestrategien für Hunde-Lifestyleproduk­te – frisst sie auf, die erhoffte Anerkennung findet sie nicht, und bei Beförde­rungen wird sie regelmäßig übergangen.

Soll das wirklich alles im Leben gewesen sein?

Sie denkt an ihre beiden Schwestern – die eine ist glücklich verheiratet und hat zwei kleine Kinder, die jüngste jettet beneidenswert optimistisch und unver­drossen durch die Welt und erlebt Abenteuer, von denen Lucy mit ihrer zaghaf­ten Lebenseinstellung nur träumen kann. Sie hat einfach nicht den Mut, irgend­etwas zu riskieren, sie ist zu freundlich, tut anderen Menschen gern Gefallen, kann schlecht Nein sagen und wird schamlos ausgenutzt.

Das alles ändert sich an diesem Montag.

Sie ist mit der U-Bahn in London wieder auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle und wird wieder einmal angerempelt, böse angeblickt, obgleich sie gar nichts getan hat, und einmal mehr fühlt sie sich völlig bedeutungslos in der Welt… doch dann ist da dieser dynamische, vergnügte Mann mit seinem großen Picknick­korb, der Lucy in ein amüsantes Gespräch verwickelt und ihre Sinne verwirrt.

Ach, wenn sie doch nur mehr Zeit fände… wenn sie doch nur wagemutiger wäre… wenn sie nicht pünktlich im Büro sein müsste, damit ihre Chefin Anna nicht auf ihr herumhackt…

Und dann verliert der Unbekannte seine Brieftasche, die ihr direkt vor die Füße fällt.

Lucy hat fünf Sekunden, sich zu entscheiden, was sie tut – und sie macht etwas noch nie Dagewesenes: sie entschließt sich ganz spontan dazu, die Brieftasche nicht bei der nächsten Haltestelle abzugeben, sondern rennt dem Unbekannten hinterher, um sie ihm persönlich wieder zu geben. Und damit direkt in ein Abenteuer, das ihr Leben binnen kürzester Zeit komplett auf den Kopf stellt und einen Prozess auslöst, mit dem die biedere Werbeangestellte nie gerechnet hät­te.

An diesem Vormittag findet sie nicht nur den Fremden mit dem Picknickkorb wieder, einen kulinarisch extrem versierten Selfmademan namens Ben Turner, sondern sie kommt in den Genuss eines phantastischen Frühstücks hoch über den Dächern von London, entdeckt dort lebende Flamingos mit gestutzten Flü­geln, und in vollständigem Einverständnis raubt ihr Ben nicht nur ein paar Küs­se, sondern er verleitet sie auch dazu, an diesem Tag blau zu machen und nach Brighton „abzuhauen“, wo er daheim ist.

Ein aufreizendes erotisches Abenteuer, dessen Erfüllung sich freilich erstaunlich hinzieht, wird mit dieser Ereigniskette entfesselt, und eine ganze Reihe von Le­ben ändert sich mit dem von Ben und Lucy, als wären sie Dominosteine in ei­nem komplex aufgestellten Spiel. Und am Ende ist nichts mehr so, wie es ein­mal war…

Emily Dubberley? Nie gehört, den Namen, musste ich zugeben, als ich am 21. Dezember 2017 auf dem Wühltisch über dieses Buch stolperte. Aber da ich grundsätzlich schon seit langem neugierig bin, neue Autorinnen kennen zu ler­nen, da der Roman ferner ausdrücklich als erotischer Roman etikettiert war und zudem sehr romantisch zu werden versprach, wenn man dem Klappentext trau­en durfte, kaufte ich ihn.

Nun, selten habe ich die Investition von 3,99 Euro weniger bedauert als hier. Der Roman reizte mich vom ersten Tag an, ihn unverzüglich „außerhalb der Rei­he“ zu lesen, aber es hat dann doch ein paar Tage gedauert, ehe ich spontan zu­griff und zu schmökern begann. Es mag hinreichen, zu erwähnen, dass ich die ersten 278 Seiten annähernd binnen 24 Stunden las (wenn auch verteilt auf zwei Tage, da ich spät abends mit der Lektüre begann und bis Mitternacht nur das erste Kapitel schaffte).

Es ist ein köstlicher Roman, und das ist nicht allein kulinarisch zu verstehen. Lucy Green ist eine junge, sympathische Frau mit so begreiflichen wie weit ver­breiteten Schwächen, dass sich zweifelsohne zahllose Leserinnen in ihr wieder erkennen werden. Anstrengende Chefs? Kennt man. Nervige, zickige, fordernde Kolleginnen und Kollegen? Kennt man bestimmt auch. Geldnot? Allgemein ver­traut. Gruppendruck und Dresscode? Zwangs-Gelage nach Feierabend, um dazu zu gehören? Klingt auch sehr bekannt. Überstunden? Arbeit, die man ins Wo­chenende mitnimmt und für deren Abarbeitung man nicht mal gelobt wird? Auch das klingt verdammt vertraut. Selbst dass in der Werbebranche (und si­cherlich nicht nur dort) starker Alkoholkonsum und sogar Drogenkonsum weit verbreitet sind, dass Betrug vorkommt, üble Gerüchtebildung und Schlimmeres, das ist so aus dem Leben gegriffen, dass man Lucys verstörte, reichlich desillusionierte Lebenseinstellung nur zu gut begreifen kann.

Sie als die Vorzeigestudentin, die nach außen immer den Schein des braven Mädchens wahren muss, sich vorbildlich verhalten will und damit unweigerlich immer mehr verbiegt, wird in diesem Roman überrumpelnd mit einem völlig anderen Lebensbild konfrontiert – mit dem lebenslustigen Ben, der Spaß an dem hat, was er tut, der die Alltagssorgen gering schätzt, den Moment genießt und von Lucy einfach nur beneidet wird. Das führt recht schnell dazu, dass sie Bens kritische Fragen über ihre Lebenseinstellung reflektiert und damit beginnt, ihr Leben mehr und mehr umzukrempeln. Dabei entdeckt sie nicht nur, dass ihr eigenes Dasein aus den Fugen geraten ist, und zwar schon ziemlich lange, son­dern auch, dass die Umwelt völlig anders tickt, als sie sich das bislang vorge­stellt hat.

Die Autorin macht sich ein wunderbares, sanftmütiges und bisweilen sehr ironi­sches Vergnügen daraus, Lucys Leben kritisch zu durchleuchten, und sie geht immer mehr verblüffende Pfade. Dabei verknüpft sie auf spielerische Weise Reiseziele und familiäre Personen mit Ereignissen aus Lucys Vergangenheit, flechtet die Geschichte ihrer Freundschaften und Liebschaften sehr entspannt zusammen zu einem Baldachin, der bislang ihre Lebensführung völlig verschat­tet hat. Und dieser Baldachin ist reich an Details, wie man sie etwa in einer oberflächlich dahinhastenden Geschichte a la „80 Days“ (Vina Jackson) völlig vergebens sucht.1 Ganz zu schweigen von diesen köstlichen Vorfällen, die sich auf dem Weg zu Lucys gründlichem Sinneswandel ergeben. Ich nehme nur mal zwei davon heraus.

Da ist zum Beispiel diese Geschichte mit der Wunschquelle fernab von London, von der sie erfährt. Um dorthin zu gelangen, heißt es, müsse man dem Zugfüh­rer signalisieren, dass man an einem bestimmten Punkt der Strecke aussteigen wolle, um dann zu Fuß zur Quelle zu gelangen. Und auf dem Rückweg müsse man, ebenfalls neben den Gleisen stehend, den Zug durch Winken anhalten.

Abenteuerlich? Einwandfrei. Aber ich bin überzeugt, dass das der Realität ent­spricht. So etwas Kurioses habe ich noch in keinem anderen Roman gelesen, hier macht es auf faszinierende Weise Sinn.

Oder diese andere Stelle: Lucy und Ben treffen sich auf der Rückfahrt von Corn­wall zufällig und nehmen denselben Zug zurück. Ben bereitet erst ein köstliches, unglaublich einfallsreiches Mahl für sie beide vor, und anschließend verabreicht er Lucy eine sinnliche Massage, die sie wahnsinnig genießt. Und ich dachte noch, während sie sich entspannte und entspannte: Verdammt, gleich schläft sie ein! Eigentlich wollten sie ja nur (endlich) noch richtigen Sex miteinander haben, aber dann lese ich weiter und musste bei der folgenden Stelle unver­meidlich prusten: „Seine Daumen verweilten an ihren Hüften und zogen dort langsame Kreise, aber als er das Handtuch weiter nach unten schieben wollte, stutzte er plötzlich, weil er ein leises Schnarchen hörte. Lucy war eingeschlafen.“

Gott, ich musste so lachen!

Und glaubt mir, es gibt eine Menge solch süßer und köstlicher Szenen im Buch, dass man die Protagonisten einfach lieben muss. Das ist wirklich ein sanftmüti­ges, romantisches Buch mit nur sehr wenig finsteren Passagen, und eines, das die faszinierende und nicht immer unproblematische innere Wandlung einer jungen, attraktiven Frau zeigt, die ihren Lebensweg durch Bens unvermittelten Anstoß gründlich verändert.

Eindeutig ein Buch, das sehr lesenswert ist und dazu außerdem noch diverse sozialkritische Gedanken transportiert, auf eine geradezu spielerische Weise. Der vorgehaltene Spiegel kommt aber nicht mit dem eingebildeten moralischen Zeigefinger daher, sondern inspiriert dazu, sein Arbeitsumfeld genauer zu inspi­zieren, seine Bekanntenkreise gründlicher zu beleuchten, öfter mal kategorisch Nein zu sagen (was selbstverständlich schwer fällt) und sich von unberechtigten Selbstvorwürfen zu befreien. Das Buch ist mithin nicht einfach nur lockere, leichte Unterhaltung, wiewohl es sich leicht und geschwind lesen lässt, es hat schon durchaus ernste Dinge zu sagen. Natürlich ist es viel zu kurz, doch das ist ja bei guten Büchern immer so, ihr kennt das. Aber wer weiß, vielleicht gibt es dereinst einen zweiten Teil dazu. Lucys Leben würde dazu definitiv einladen.

Klare Leseempfehlung!

© 2017 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche reisen wir wieder in den nordeuropäischen Comic-Parallelkosmos, den ich schon im Blogartikel 232 besucht habe. Also das nächs­te vollständige Kontrastprogramm, ihr werdet es erleben.

Bis nächste Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Ich sollte an dieser Stelle einflechten, dass ich den genannten Romanzyklus von Vina Jackson (ein nie aufge­löstes Doppel-Personen-Pseudonym) gelesen und rezensiert habe. Aber da die Romane meiner Ansicht nach so schlecht sind, werde ich diese Rezensionen hier definitiv nicht bringen… dafür gibt es viele sehr viel eher gelungene Romane, die ich gern besprechen möchte. Die Vina Jackson-Rezensionen veröffentliche ich an an­deren Orten mit weniger Lesepublikum.

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