Rezensions-Blog 290: Der schnurrende Philosoph

Posted Oktober 14th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich bin Katzenfan, das zu leugnen, wäre völlig nutzlos. Ich bin das schon seit so vielen Jahren, dass ich eigentlich vergessen habe, wie lange ich den geschmeidigen, geheimnisvoll drein­schauenden Feliden schon fasziniert meine Aufmerksamkeit ge­widmet habe. Wann immer ich durch Zufall über interessante Katzenbücher stolpere – etwa über Insel der Kat­zen – Hydra oder jüngst „Die Katzen von Ephesos“ – , kann man re­lativ sicher meiner Aufmerksamkeit gewiss sein.

Nicht immer sind Bücher über Katzen so interessant und amüsant, dass ich sie rezensieren würde. Die Kzinti-Romane aus dem Ringwelt-Universum von Larry Niven etwa – die ja auch auf den raubkatzenartigen Kzin basieren – , haben mich irgendwie nie gereizt. Aber das hier, Leigh Rutledges Buch, in dem er in die Haut des Katers Hemingway schlüpft und aus dieser boden­ständigen und bodennahen Perspektive die Absonderlichkeiten der menschlichen „Dosenöffner“ ins Visier nimmt … doch, das musste ich sehr bald nach dem Fund des Buches auf dem Wühl­tisch goutieren.

Und lachen konnte ich dabei, du lieber Himmel! Das Buch ist wirklich ein einziges Vergnügen, und dabei zudem noch definitiv intelligent geschrieben. Des Amüsements gibt es hier also gar viel, und ich bitte um Entschuldigung, dass ich euch diesen Buchtipp erst nach 18 Realjahren in meinem Rezensions-Blog zugänglich mache.

Wie das übrigens für so alte Werke, die ich inzwischen ver­schenkt habe, leider normal ist, habe ich die ISBN nicht griffbe­reit. In meinen alten Rezensionen legte ich darauf keinen Wert (und zugegeben, manche alten Romane HABEN überhaupt kei­ne ISBN … Wie, das ist unmöglich, in Deutschland hat JEDES Buch eine ISBN? Tja, dann schaut euch beispielsweise mal alte Terra-Taschenbücher an und schüttelt ungläubig den Kopf. Die Buchwelt mag sich langsam verändern, aber sie verändert sich effektiv. Es gab auch Zeiten ohne Handys oder Internet, und die liegen noch nicht lange zurück). Heute ist das natürlich Stan­dard. Im Zweifelsfall googelt ihr einfach den Autor und den Titel, dann werdet ihr sicher fündig, wenn auch natürlich nur noch an­tiquarisch.

Für Katzenliebhaber ist das hier jedenfalls ein amüsantes Schmankerl und ein kleiner Leckerbissen, der die Lektüre lohnt. Schaut lieber selbst:

Der schnurrende Philosoph

(OT: True Confessions and Lifelong Observations of a Well-Adjusted House Cat)

Von Leigh W. Rutledge

Heyne-TB 10994

192 Seiten

2000, 14.90 DM

Übersetzt von Gabriel Stein

 

Wenn ein Buch schon im Deutschen den entschärften Untertitel „Tagebuch eines eigenwilligen Katers“ trägt (das Original ist da etwas länger. Für die Anglophilen zum Mitkichern: True Confes­sions and Lifelong Observations of a Well-Adjusted House Cat), sollte man sich besser auf Angriffe aufs Zwerchfell vorbereiten … und doch wird man sich vermutlich in die Ecke kringeln, wenn man liest, was hier so für Dinge passieren.

Eigentlich hat die gute alte Mrs. Vigil ja nur einen Kater, den sie Hemingway nennt (unser Protagonist). Er ist etwa drei Jahre alt und stromert durch die gesamte Umgebung, kennt jeden Nach­barn und deren Haustiere, die Gärten, Zäune und Garagen. Na­türlich. Wie das eben mit einem Kater so ist, man muss sich schließlich einen Überblick verschaffen über sein Revier, wenn man nicht gerade mit weltbewegenden Tätigkeiten beschäftigt ist. Als da wären?

Hm, Zeitung lesen etwa (was sich darin äußert, Mrs. Vigil unter die Zeitung zu kriechen und sie nachdrücklich aufzufordern, statt zu lesen eher zu streicheln). Oder Gardinenklettern. Auch schön ist es, zu Weihnachten beim Schmücken des Baumes zu helfen (natürlich entwickelt Hemingway GANZ ANDERE Vorstel­lungen davon, wie der Baum dekoriert werden soll. Logisch, hm?). Besonders nett ist es, Pakete einzupacken und sich im Te­safilm zu verheddern …

Auch eine intelligente Beobachtung des Katers ist es, den Nach­barn zuzuhören: der guten Mrs. Thornhill, die in Dauerfehde mit ihrer pubertierenden Tochter und deren Freund liegt. Der seltsa­men, alten Mrs. Mintucket zuzuschauen, die mit ihren Schuhen redet und sie wie lebendige Wesen behandelt (bis sie auf einmal verschwunden ist, nachdem sie sehr flinke rote Sportschuhe an­gezogen hat! Wer den Film Forrest Gump kennt, wird danach eine Szene deutlich wiedererkennen1).

Oder den Passanten zu lauschen, die sich nicht einig sind, ob Katzen überhaupt denken können – sich dann aber Gedanken darüber machen, wer wohl die Katzen füttert, wenn die Mensch­heit bei einem Nuklearkrieg ausgerottet werden sollte. Schließ­lich überleben DANN (angeblich) nur Katzen und Kakerlaken. Und da erstere letztere nicht unbedingt als Mahlzeit schätzen, wird konstatiert, dass die Katzen deshalb also selbst in den menschenleeren Supermärkten shoppen gehen werden. Klar, oder …?

Auch wenn es sich bei der Bühne des Geschehens „nur“ um ei­nen Straßenzug innerhalb einer Kleinstadt und zudem um ein einziges, aber recht ereignisreiches Jahr durchschnittlicher ame­rikanischer Familien handelt, lässt sich vieles philosophisch er­schließen, was da so passiert. Der ganz normale Wahnsinn der Nachbarschaft sozusagen. Inklusive Katastrophen …

Leigh W. Rutledge, ein Mann, der es wissen muss – er ist Besit­zer von 24 Katzen! – hat hiermit ein ausgesprochen humorvol­les, höchst ironisches Buch geschrieben, das die menschliche Rasse aus dem vierbeinig-kätzischen Blickwinkel kritisch beäugt und feststellt, dass die Menschen die Katzen vielleicht manch­mal nicht als denkende Wesen wahrnehmen, dass sie SELBST in den Augen der Katzen meist kaum besser wegkommen. Okay, in ihrer Funktion als „Dosenöffner“ sind sie natürlich unüber­troffen …

Wenn Mrs. Vigil einmal sagt, ob es nicht schwer sein müsse, im­mer „süß und lieb zu wirken“, so könnte man im Umkehrschluss sagen, dass Menschen offenkundig meist eine Art von angebo­renem Kuschelreflex besitzen müssen, weil sie sich im Ange­sicht von Katzen völlig verändern und ins Kindheitsstadium zu­rückfallen (man beobachte mal erwachsene Menschen im Ange­sicht von kleinen Katzen! Seht zu und staunt!) …

Wie, ihr meint, im Buch gäbe es eine Ausnahme? Miss Axe, die offenkundig allen Tieren den Kampf angesagt hat? Ja, natürlich. Aber ich will doch nicht alles verraten. Ich habe schließlich auch Bobbie Boop, Brigitte und Zacharias ausgelassen. Ganz zu schweigen von diesem Monster Wladimir …

Nein, alles verraten möchte ich nicht.

Dies ist dezidiert ein Buch für die Badewanne oder für den Schaukelstuhl, für sonnige Nachmittage, wenn man im Garten dösen möchte, ohne sich großartig anzustrengen. Am besten kommt das wohl, wenn man das Buch liest und eine Katze ne­ben – oder auf sich hat. Das kann dann freilich die Lektüre et­was dehnen. Auf seine Kosten kommt der Leser aber garantiert. Und vielleicht, ja, vielleicht versteht man hinterher etwas mehr davon, weshalb die Katzen die Welt regieren, wie wir immer schon geahnt, aber nie gewusst haben …

© 2002 by Uwe Lammers

Nach meinem Geburtstag reise ich dann in eine völlig andere Denksphäre, da geht es dann nicht mehr um philosophierende Katzentiere, sondern um Seelenwanderung. Auch ein spannen­des Thema, bei dem man gut über den Tellerrand schauen kann. Ihr werdet es sehen.

Nächste Woche erfahrt ihr dann mehr.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Außerdem sind die „red shoes“ natürlich eine Anspielung auf die sagenhaften roten Schuhe im „Wizard of Oz“ von L. Frank Baum, aber das nur am Rande bemerkt.

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