Rezensions-Blog 303: Die Schatzsucher

Posted Januar 12th, 2021 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

also, ich weiß ja nicht, wie es euch geht, Freunde, oder aus wel­chem Jahrzehnt ihr stammen mögt, aber mich hat allein der Ti­tel des Buches elektrisiert. Das kann nicht wirklich überraschen, wenn man weiß, womit ich meine Kindheit aufhellte: ich las nicht nur phantastische Romane, beileibe nicht. Ich folgte statt­dessen auch Piratenabenteuern, studierte ihre Schatzkarten und suchte literarisch nach den vergrabenen Goldkisten. Mit Begeis­terung verschlang ich Jacques Cousteaus Bericht über die „Sil­berschiffe“ der Karibik und war völlig hingerissen von versunke­nen Schiffen und den in ihrem vermodernden Leib zurückgelas­senen Pretiosen.

Als ich etwas älter wurde, versuchte ich mich dilettantisch an Schatzsuchergeschichten (die haben es allesamt nicht in die Jetztzeit geschafft). Aus einem Riesenberg Kronkorken schuf ich mir selbst einen Schatz und vergrub ihn im Wald hinter unserer Kleingartenkolonie … nur um ihn später reumütig wieder ausgraben und entsorgen zu müssen, weil „man so etwas einfach nicht tut“, wie meine Eltern mir erklärten.

Sehr viel später studierte ich dann Geschichte, bewahrte mir aber mein Faible für das Untergegangene, Vergrabene und Ver­gessene, für Gräber, Königsgruften und Abenteuerfilme, in de­nen es um verborgene Schätze ging. So etwas zieht mich bis heute in seinen Bann, womit wir einen roten Faden der Leiden­schaft haben, der mich schon ca. vierzig Jahre beschäftigt.

Dass Schatzsuchen aber auch mit dem Genre des erotischen Romans gepaart werden können, lief mir bislang doch eher sel­ten über den Weg. Entsprechend neugierig war ich auf das vor­liegende Werk, wo exakt das geschieht (und nebenbei, gewis­sermaßen, handelt es sich auch noch um einen Kriminalroman).

Man kann also konstatieren, da ist für fast jeden was literarisch dabei. Herausgekommen ist jedenfalls ein äußerst unterhalts­amer Roman. Folgt mir darum einfach mal ins ländliche England und mitten ins Abenteuer:

Die Schatzsucher

(OT: Game For Anything)

von Lyn Wood

Bastei 14969, September 2003

320 Seiten, 6.90 €

Übersetzt von Sandra Green

ISBN 3-404-14969-6

Fiona Ferris, kurz Fee von ihren Freunden genannt, kommt sich vor wie in einem falschen Film, und in gewisser Weise kann man das als Leser sehr gut verstehen – sie ist nur ihrer Freundin Rachel zuliebe in diese Geschichte hineingerutscht, mit den un­möglichsten Typen zusammen auf diesem Tudor-Anwesen, und die „Spiele“, die sie spielen, die Worte, die dort verwendet wer­den … also, das ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Und dann geht es ihr auch noch an die Wäsche …

Moment, noch einen Schritt zurück? Keiner weiß, was los ist?

Gut so, folgendes ist also vorauszuschicken: Fiona und ihre Freundin Rachel sind emanzipierte, moderne Frauen, die auch – und besonders – im Bett wissen, was sie wünschen. Pech für sie: entweder sind die Ansprüche zu hoch oder die Typen, die sie ab­schleppen (darin ist besonders Fiona Spezialistin), entpuppen sich als herbe Enttäuschung. Sie sind also beide noch bzw. wie­der solo, und insbesondere Fee ist mächtig frustriert. Sie hat’s ohnehin nicht leicht, den Perfektionsansprüchen ihrer Frau Mut­ter zu genügen, ist sie doch schließlich „nur“ Floristin geworden, und ihr Lover hat sie gerade mächtig frustriert. Rachel ist eben­falls gerade sitzen gelassen worden – zusammen mit der Einla­dung für zwei Personen auf ein Landhaus in Oxfordshire. Folg­lich fahren sie beide „solo“ hin, einmal, um auf andere Gedan­ken zu kommen und sich vielleicht interessante Männer anzula­chen.

Ihr seid phalakrespisch, nicht wahr?“, werden die beiden auch prompt gleich gefragt, woraufhin Fee, die nicht den blassesten Schimmer hat, was das wohl heißen mag, resolut mit „Nein“ antwortet (und sich insgeheim fragt: „Hatte er wissen wollen, ob sie lesbisch waren?“, womit sie natürlich völlig falsch liegt). Gefragt, was sie so mache, antwortet Rachel, sie sei Übersetze­rin und wird sofort weiterhin gefragt: „Irgendeine interessante Sprache? Mandinka, Potawatomi oder Estnisch?“ „Französisch und Spanisch.“ Was einigermaßen Enttäuschung hervorruft. Die beiden Freundinnen sind halt unter die Exoten gefallen, wie sie rasch erkennen müssen.

Die gewonnene Woche ist die sogenannte „Woche der Sprach­spiele“. Die Leute, die sich hier eingefunden haben (Rachels Ex hätte auch dazu gehört), sind Erfinder oder manische Löser von Kreuzworträtseln, Sprachforscher und Spieler, im Wesentlichen Intelligenzbestien, die sich am liebsten mit vielsilbigen Wörtern unterhalten, Anagramme im Vorbeigehen lösen, literarische Ver­weise und Metaphern mit Begeisterung entschlüsseln, und das Interessanteste aller Spiele, das alles kombiniert, ist die „Schatzsuche“.

Der kürzlich verstorbene Mäzen der Veranstaltung, Alfred Hicks, hat diese Woche konzipiert, und am Ende wartet sein Vermächtnis auf die Lösenden. Je zwei Schatzsucher bilden ein Team, stets Mann und Frau, wobei die Männer sich nach dem Losverfahren die Partnerinnen wählen.

Überzeugt, dass sie beide nicht viel Chancen haben, lassen sich Rachel und Fee auf das Abenteuer ein. Dabei wird Rachel vom attraktiven William „weggefischt“, wie Fee das nennt, während sie den unscheinbaren Eric Summers abbekommt, der sich nicht nur äußerst kühl verhält, sondern weder von Fees weibli­chen Reizen berührt zu sein scheint noch von ihrem Verstand sonderlich überzeugt ist. Fee selbst findet ihn auch kalt wie ei­nen Fisch und neigt dazu, Vergnügen und „Aufgabe“ strikt von­einander zu trennen – was sie rasch ins Bett des talentierten Angus treibt. Das hat natürlich Folgen.

Doch schnell bekommt sie mit, dass sich die Schatzsuche auf sehr hintergründige Weise um das Thema Sex dreht, und das macht dann doch wieder neugierig. Sehr bald muss Fiona ver­stehen, wie nicht nur Worte und Aufgaben doppel- und mehr­deutig sind, sondern auch die Charaktere der Schatzsucher selbst entsprechen dem. Die Leute tragen Pseudonyme wie „Scarab“ oder „Schwalbe“, aber auch ihre angegebenen Berufe entsprechen nicht immer dem, was wirklich stimmt. Und schließlich bekommt die Floristin heraus, dass sich unter den Schatzsuchern sogar Verbrecher befinden, die bereits einmal in das Anwesen eingebrochen sind.

Sehr schnell wird die Schatzsuche so zu einer höchst brenzligen Angelegenheit, voller wilder, verblüffender Wendungen, und sich nackt in einer Wäschekammer wiederzufinden oder stun­denlang in einem Kellerverlies eingesperrt zu sein, sind noch die harmloseren Varianten dieser turbulenten Jagd, die auch Schlammbäder, Verfolgungsjagden und wilde Tiere einschließt. Und Fee hat noch keine Vorstellung, dass es einen ganz beson­deren Preis zu erringen gilt, der nicht einmal ausgeschrieben ist …

Wenn man die zweite Hälfte eines Romans in einem Zug liest, sollte man mit Fug und Recht davon ausgehen, dass das Buch unterhaltsam ist. Das war hier der Fall. Vermutlich hätte ich das Buch mühelos an einem Nachmittag „inhalieren“ können, aber dann wäre das Vergnügen zu rasch vorbei gewesen. Und ernst­haft, ein Vergnügen ist es. Während manche erotischen Romane sich in einer eher stumpfsinnigen Marathonsex-Struktur durchs Kamasutra zu schlängeln versuchen und man quasi an zwei Händen abzählen kann, was denn als Nächstes kommen müsste (und man meistens nicht enttäuscht wird), ist es hier auf ver­gnügliche Weise anders.

Eingebettet in den Rahmen der Schatzsuche, garniert mit Wort­rätseln, Scrabble, Wörterbuchspielen, Anagrammen und ande­ren kryptografischen Rätseln, gewürzt mit Anspielungen auf My­thologie, Geschichte, Botanik, Biologie und ähnliches ergeben sich die sexuellen Begegnungen eher als Intermezzi, die auf phantasievolle Weise den Text auflockern. Parallel zu der Frage, wie sich die nächste Spirale der Schatzsuche wohl gestalten mag, wohin sie führen wird, treibt die Autorin raffiniert die Erfor­schung der Biografien und Persönlichkeiten der Protagonisten voran, und so, wie man dem Schatz näher kommt, nähern sich Rachel und Fee auch den wahren Persönlichkeiten. Niemand ist eigentlich der, für den man ihn anfänglich hält. Da gibt es Die­be, Verfolger und Vollstrecker des Letzten Willens, und dann sind da noch die „roten Heringe“, zu denen ich nichts sage.

Zwar muss man der Autorin letzten Endes attestieren, dass sie am Schluss leicht überfordert wirkte, aber über 250 Seiten lang wird man aufs Beste unterhalten, bekommt viel zum Kichern und eine Menge Denksportaufgaben geliefert. Zu schade, dass das Buch nicht auch eine Schatzkarte dabei liegen hatte. Das hätte gepasst. Wer also immer sich für solche Lektüre erwär­men kann, der sollte sich das Buch antiquarisch besorgen. Ne­ckische Unterhaltung ist garantiert.

© 2008 by Uwe Lammers

Doch, das sind unterhaltsame Stunden, die man mit diesem Ro­man zubringen kann. Das finde ich auch aus einer Distanz von 12 Jahren immer noch.

In der kommenden Woche stelle ich euch eine grand old dame der Kriminalliteratur vor, die ihr bereits aus mehreren Rezensionen kennt. Aber nun kommt ihr ihr definitiv näher.

Mehr dazu in sieben Tagen.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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