Liebe Freunde des OSM,

als ich das vorliegende Buch anno 2002, also vor fast 20 Jahren las, war ich hin und her gerissen: einerseits handelte es sich um einen höchst beeindruckenden, ja intimen Blick ins Innere einer Schriftsteller-Schreibstube, bisweilen bis auf den Grund der schreibenden Seele. Das war toll und höchst beeindruckend. Zum anderen aber zeigte sich Highsmith, die von ihrer menta­len Verfassung her eher misanthropisch und knallhart war (ob das der Wahrheit entspricht oder nur ihre Maske nach außen darstellte, werden womöglich ihre Tagebücher enthüllen, die ir­gendwann in diesem oder nächsten Jahr in deutscher Übersetzung herauskom­men werden – ich bin schon wahnsinnig gespannt darauf, wie ihr am Ende dieser Rezension sicher begreifen werdet), zum an­deren also zeigte sich Patricia Highsmith, die uns heute einen Crashkurs in Schriftstellerpraxis geben wird, nachgerade gna­denlos desillusionierend.

Bücher werden so, wie man sie beim Verlag einreicht, mit Be­geisterung genommen? Könnt ihr vergessen.

Selbst bekannte Autoren müssen maximal Marginalkorrekturen an ihren Bücherskripten vornehmen? Bisweilen müssen sie hun­dert Seiten (!) streichen!

Shocking, dachte ich, als ich das las. Und das Buch hält noch andere Zumutungen parat.

Dennoch … es hat bis heute einen Ehrenplatz in meiner Biblio­thek, und das ist mit Recht so. Es ist ein tolles, wenn auch scho­nungslos drastisches Buch. Aber vieles, was Patricia Highsmith aussagt, ist einfach wahr … vieles, denn inzwischen hat sich mit der Etablierung der Selfpublisher-Szene jenseits der Kostenzu­schussverlage und der etablierten Verlage eine Community ge­bildet, die sich in gewisser Weise ihre eigenen (laxeren) Regeln setzt und das harsche Diktum von Highsmith zu einem guten Teil aushebelt.

Gleichwohl, wer bei etablierten Verlagen und deren Lektoren landen möchte, sollte sich dieses Buch unbedingt näher an­schauen. Ich glaube, ihr werdet viel daraus lernen.

Vorhang auf für:

Suspense

oder Wie man einen Thriller schreibt

(OT: Plotting and Writing Suspense Fiction)

von Patricia Highsmith

detebe 21924

144 Seiten, TB (1990)

Übersetzt von Anne Uhde

ISBN 3-257-21924-5

Dieses Buch ist kein Ratgeber-Handbuch“, beginnt Patricia Highsmith dieses fulminante Werk über das Schreiben an sich, erklärt am eigenen Beispiel. „Man kann unmöglich erklären, wie ein erfolgreiches – das heißt, ein lesbares – Buch zu schreiben ist. Doch eben das macht Schreiben zu einem lebendigen und aufregenden Beruf: die ständige Möglichkeit des Misslingens …“

Dass alle Leute von der Pike auf lernen müssen, demonstriert sie nachhaltig mit vielen Beispielen aus ihren eigenen Roma­nen, wobei sie sozusagen mit den Grundzügen anfängt: nicht gleich mit den Ideen für Bücher, sondern mit den Keimen von Ideen. Und dann mit dem Wachsen solcher Ideen, Quellen der Inspiration (Alltagserfahrungen z. B.), danach geht sie über zur „Suspense“-Kurzgeschichte und geht schließlich ein auf die Ent­wicklung, den Plot und den ersten Entwurf (letzteres Stück ist auch abgedruckt worden in dem detebe-Band „Über Patricia Highsmith“).1

Sie beschäftigt sich ausdrücklich intensiv mit den Haken und Ösen von Geschichten, insbesondere mit den Haken, also all dem, was schief gehen kann. Logische Fehler, ungenügend ge­zeichnete Charaktere, Handlungsüberlängen, die Gefahr zu langweilen und vieles andere mehr, und ich wage zu behaup­ten, jeder, der schreiben möchte, sollte sich dieses Buch wirk­lich zu Gemüte führen. Es sagt eine Menge über den Schreibpro­zess im Allgemeinen aus.

„… dies war nicht das erste Buch, mit dem ich Pech hatte. Mit DIE ZWEI GESICHTER DES JANUARS ging es mir genauso; da war die erste Fassung völlig verkorkst … Ich ließ einige Zeit ver­streichen und schrieb ein anderes Buch, das angenommen wur­de; dann kam ich auf JANUAR zurück und schrieb es um, kam aber nirgends auf das erste Manuskript zurück, denn ich hatte alles vollständig geändert: Plot, Alter und Charakter der Frau, Charakter des jungen Helden – alles bis auf das Layout des Pa­lastes von Knossos. Eine Dreiviertelseite war alles, was ich von dem ersten Manuskript benutzte.“

So redet eine Schriftstellerin von ihrem Werk und den alltägli­chen Qualen, denen man ausgesetzt ist, wenn man professio­nell arbeitet und mit dem Verfassen von Kurzgeschichten und Romanen das Geld zum Leben verdient. Nüchtern, illusionslos, aber doch nicht ganz ohne eigenen Reiz und Charme. Sie ist sehr ehrlich dabei und scheut sich keineswegs, eigene Fehler und Versäumnisse einzugestehen.

Noch ein kleiner Geschmack aus dieser Welt der Professionalität gefällig? Es betrifft ebenfalls den oben genannten Roman: „… ich versuchte es bei Doubleday und legte ihnen ein Umbruchexemplar der Heinemann-Ausgabe … vor. Das Buch wurde angenommen, aber ich musste vierzig Seiten streichen, eine Seite umschreiben und sie in den Umbruch einkleben … Ich muss mich sicherlich dreißig mal durch den Umbruch durchgearbeitet haben, bis ich endlich die richtige Anzahl Zeilen gestrichen hatte – eintausendreihundertzwanzig Zeilen, im ganzen vierzig Seiten … Am Ende aller Streichungen – manche in Schwarz und dann, beim zweiten Mal, in Rot – waren auf einigen Seiten nur drei Zeilen stehengeblieben.“

Erschreckend?

Wer das so sieht und sich als angehender Literat empfindet, sollte dieses Buch lieber nicht kaufen. Denn er sollte sich mög­lichst schnell von einer Reihe lieb gewonnener Illusionen lösen, von denen sich die wohl schmerzhafteste in „Liebe zur ersten Niederschrift“ ausdrücken ließe. Jeder Autor hängt an seinen Worten, das braucht man gar nicht zu leugnen. Es ist ja auch gut so.

Patricia Highsmith macht dem werdenden Schriftsteller – und al­len Leuten, die das Schreiben für eine leichte Kunst halten – mit unnachahmlich schlichten und doch so erbarmungslos eindring­lichen Worten klar, dass es alles das gewiss nicht ist. Sondern eben: harte Arbeit. Kaum ein Satz, der nicht der eigenen Zensur zum Opfer fällt, kaum ein Wort, das nicht auf der Goldwaage ge­wogen wird, kaum eine Szene, die ohne Blessuren durch das Lektorat kommt (vieles wird ersatzlos gestrichen).

Nehmen wir noch ein drittes, prägnantes Detail. Zu ihrem Ro­man DIE GLÄSERNE ZELLE sagt die Highsmith: „In der ersten Hälfte, die im Gefängnis spielt, musste ich sehr viel streichen, und das fiel mir oft schwer, denn ich hielt gerade diesen Teil für interessant. Dabei genügte das, was ich herausnahm, meinem Lektor noch immer nicht, ich musste später noch mehr strei­chen, im ganzen 105 Seiten.“

Doch sie hat nicht nur harsche oder desillusionierende Worte übrig für die Anfänger oder jene, die noch bereit sind, sich wei­terentwickeln zu wollen. Sie erklärt schließlich, dass es, ganz egal, was man schreibt, dabei am wichtigsten auf folgende Ei­genschaften ankommt, die einen Roman erst zum Roman mach­ten: „Scharfblick, Charakter, Horizonterweiterung für die Phan­tasie des Lesers.“

Wichtig sei es, dass „die erfundenen Menschen … wie wirkliche Menschen aussehen“ und man seinen „Spielgeist“ nicht einbü­ße, während man schreibe. „Spielgeist ist notwendig, wenn man einen Suspense-Roman aufbaut, damit die Phantasie freien Lauf hat.“

Ganz wichtig aber sei, in jeder Phase des Arbeitens, das Glücksgefühl. Was auch immer der angehende Schriftsteller vom Leben erwarte, im Wesentlichen ließe es sich darin zusam­menfassen, dass Schriftsteller eine recht unsichere Existenz ha­ben, aber während des Schreibprozesses ein Gefühl der Indivi­dualität des „Glücks des Schreibens“ empfänden, „das man nicht in Worte fassen und an einen anderen weitergeben“ kön­ne. Darin stimme ich ihr vollkommen zu.

Ein Schriftsteller“, fährt Highsmith fort, „hat ein ungebundenes und freies Leben; es gibt Härten … (z.B. die Finanz), aber das gehört bei diesem Spiel dazu.“ Und sie erklärt abschließend noch etwas sehr Wichtiges, was deprimieren könnte, aber nicht zwingend müsste: „Der Autorenverband hat festgestellt, dass in Amerika fünfundneunzig Prozent aller Schriftsteller ihr Leben lang einen Brotjob behalten müssen, um über die Runden zu kommen.“ Doch ihr Trost kommt gleich hinterdrein: „Wenn die Natur einem die Extrakraft dazu nicht gibt, dann wird die Liebe zum Schreiben und der Drang zum Schreiben sie geben.“

Es zeugt also keineswegs von mangelnder Befähigung oder missmutigen Lektoren und feindseligen Verlagsagenten, wenn man neben der Schriftstellerei auch noch einem Broterwerb nachgehen muss. Jeder Literat oder Möchtegernliterat ist primär ein Egozentriker und denkt an die Unwiderstehlichkeit seiner Prosa oder Lyrik. Doch wisse, schreibendes Wesen, es gibt Hun­derttausende von ihnen, und die wenigen Verlage und Lektoren werden täglich mit unendlich viel Material überschüttet, das wohlmeinende, sehr von sich selbst eingenommene junge Men­schen an sie schicken in der Hoffnung, von ihnen hänge die Se­ligkeit der gebildeten Volksschichten ab.

Verabschiedet euch von diesem Glauben, er ist irrig.

Der Markt ist, wie Highsmith zugibt, wählerisch, und er kann es sich erlauben, das zu sein. Schreiben ist Berufung, aber zu­gleich aktiver, ständiger Lernprozess. Und bis man eines Tages seinen Namen auf einem Buch gedruckt sehen wird, fordert der Weg dahin Schweiß und Tränen en masse. Und manchmal muss man ein paar Schritte zurückstecken, um letzten Endes ans Ziel zu gelangen.

Wer sich nicht entmutigen lassen möchte und im Gegenteil lern­eifrig und lernwillig ist, der ist mit diesem Buch gut beraten. Nehmt es zur Hand, lest es und macht das Beste aus den wirk­lich guten Ratschlägen, die darin stehen. Hilfreich sind sie in je­dem Fall.

© 2002, 2020 by Uwe Lammers

Ich sagte ja einleitend, das ist recht harter Tobak … aber sehr, sehr lesenswert und unglaublich lehrreich für alle, die sich von ihrem Traum, Autor werden zu wollen, nicht abbringen lassen. Möge es euch helfen.

Nächste Woche präsentiere ich euch entspanntere Kost, ver­traut mir.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu den Rezensions-Blog 304 vom 20. Januar 2021.

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