Liebe Freunde des OSM,

Literatur, die nicht in etablierten Verlagen erscheint, gilt im bibliothekarischen Jargon gemeinhin als „graue Literatur“, deren bibliografische Erfassung etwa im Rahmen der Deutschen Nationalbibliografie, schwer fällt. Hier ist sie erfreuli­cherweise geglückt, wie die ISSN bezeugt. Ebenfalls ist das Verdikt bekannt, dass die Qualität und das Lektorat solcher semiprofessioneller Schriften hinter denen der traditionellen Verlagsveröffentlichungen zurückbleiben. Meist ist das zutreffend, partiell auch in diesem Fall.

Zugleich aber, und das sollte an dieser Stelle als Positivum ausdrücklich hervor­gehoben werden, ermöglicht seit den späten 1990er Jahren die aufblühende Self­publisher-Szene, die zunehmend die Verlagsszene kontrastiert und Werke ans Licht der Öffentlichkeit hebt, für die sich normalerweise kein Verlagslektorat hinreichend begeistern kann, auch die Publikation jener Schriften, die eher für einen kleinen Interessentenkreis von Bedeutung sind. Die vorliegende Schrift aus dem Science Fiction-Club Deutschland (SFCD) ist diesem Sektor zuzurech­nen.

Ich gebe zu, ich hatte von Herbert Häußler keine Ahnung. Und während ich mich durch die Publikation las, fragte ich mich unwillkürlich immer wieder, wie wohl der ein wenig reißerische Titel „Der erste deutsche SF-Fan“ zustande ge­kommen sein mochte. Das ist ein wenig vollmundig für meinen Geschmack und wertet implizit sicherlich jede Menge weiterer deutscher SF-Fans der ersten Stunde ab. Das soll hingegen nicht bedeuten, dass die hier ausgebreitete Biogra­fie uninteressant ist, ganz im Gegenteil.

Sowohl aus zeithistorischer Sicht (für mich als Historiker mit Schwerpunkt Bio­grafiegeschichte) als auch aus milieuanalytischer Sicht heraus ist dieses Werk faszinierend. Es bietet einen faszinierenden Blick durch die Biografie eines fest in Ostdeutschland verwurzelten Literaten, Fans und Esperantisten, der ungeach­tet der Widrigkeiten der deutsch-deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert den Kontakt zur internationalen Fanszene nicht verlor. Und sein Schicksal, so denke ich, steht stellvertretend für zahlreiche weitere Phantasten, die in den ideologi­schen, politischen und biografischen Grabenkämpfen vor und während des Kal­ten Krieges in widrigen Lagen feststeckten und nicht mit gutem Gewissen vor noch zurück konnten.

Es ist eine Sache, vom Exil zu reden, eine völlig andere dagegen, diesen rigiden Schnitt im Leben auch tatsächlich zu vollziehen. Herbert Häußler hat ihn nie ge­wagt und kann somit als standorttreuer Literat und Phantast verortet werden. Er hat, zeithistorisch bedingt, den Preis für seine Standorttreue gezahlt. Aber ver­gessen worden ist er nicht.

Schaut euch einfach an, wovon ich spreche:

Herbert Häußler 1912 – 1973

Der erste deutsche SF-Fan

Eine Biographie

Von Wolfgang Both, Hans-Peter Neumann & Klaus Scheffler

Andromeda SF Magazin 148

Erlangen 2002

ISSN 0934-330X

Biografien sind spannender Stoff für Historiker. Und wenn man – wie im Falle des Rezensenten – sowohl Historiker als auch Phantast ist und sich dann diese Biografie als diejenige eines Science Fiction-Fans der ersten Stunde herausstellt, erhält dieses Werk noch einmal eine doppelt faszinierende Bedeutung. Wenn es schließlich ausdrücklich historisch interessierte Fans sind, die diese Biografie verfassen und sie innerhalb des SF-Fandoms in einer fest etablierten Zeitschrif­tenreihe des Science Fiction Clubs Deutschland (SFCD) auf den Weg bringen, kann man sich wirklich auf ein höchst interessantes Werk gefasst machen.

Um es kurz vorwegzunehmen: die Lektüre lohnt sich in der Tat, in beiderlei Hinsicht, also sowohl unter dem Aspekt der Zeithistorie und der klassischen Biografieschreibung wie unter dem Aspekt auch des Fan-Seins. Da Herbert Häußlers Lebensweg über Jahrzehnte hinweg und über alle Fährnisse der Zeit­läufte mit dem amerikanischen SF-Fan Forrest (Forry) J. Ackerman verbunden war, der auch die amerikanische Einleitung zu diesem Band verfasst hat, kann man mit Fug und Recht sagen, dass diese in jederlei Beziehung phantastische Freundschaft über die Zeitgeschichte triumphiert hat.

Die Biografie orientiert sich, wie zumeist üblich, am Zeitstrahl Häußlers (S. 69 in der gebotenen Knappheit noch einmal auf einer Seite resümiert) und ist eng mit dem zeitgeschichtlichen Kontext verwoben, so dass man nicht, wie es manchmal leider immer noch geschieht, eine Art Tunnelblick geboten bekommt und das Leben aus dem weiteren historischen und auch politischen Kontext her­ausgelöst wird, was der Einbettung in ebendiesen üblicherweise Gewalt antut.

Herbert Häußler wird in einfachen Verhältnissen in Reichenbach/Vogtland am 8. Mai 1912 geboren, vor genau hundert Jahren also, und hier ist sein Lebensmit­telpunkt, zunächst im Kaiserreich, das im Ersten Weltkrieg untergeht, in dem auch sein Vater 1916 den Tod findet. Die heile Welt zerbricht in jederlei Bezie­hung, und so sind die Anfangsseiten der Biografie auch stark auf den zeithistori­schen Kontext dieser Jahre fixiert, der im weiteren Verlauf immer wieder durch­klingt.

1925 macht er seine ersten Leseerfahrungen mit der Phantastik (Otto Willi Gail „Der Schuss ins All“), nachdem er zuvor über das neue Medium Film schon ers­te Berührungen damit gehabt hat. Zunächst aber ist er mehr damit befasst, eine Kaufmannslehre zu absolvieren, die „phantastischen Nerven“ bleiben zunächst eher passiv. Das ändert sich, als er 1928 auf die Kunstsprache Esperanto stößt. Zeitlebens wird Häußler ein intensiver internationaler Esperantist bleiben, und auf diesem Weg wird er 1931 Kontakt in die USA bekommen und nach seiner Heirat 1934 – er bleibt, der beginnenden Naziherrschaft ungeachtet, seiner vogt­ländischen Heimat treu – schließlich 1935 Forrest Ackerman kennen und schät­zen lernen.

Während der Austausch über Esperantisten besonders aus den USA, namentlich eben Ackerman, ihm zahlreiche ausländische SF-Magazine zugänglich macht und seine Neugierde auf die phantastischen Welten der Science Fiction immer größer macht, beginnt sich privat allmählich die Umwelt zu verfinstern.

1937 wird dem Ehepaar Häußler der Sohn Wolfgang geboren, der leider bald ernste Lernschwierigkeiten offenbart und auf diese Weise den Nazi-Behörden mit ihrem Rassenwahn auffällt. Als Herbert Häußler 1940 in die Wehrmacht ein­gezogen und gen Osten geschickt wird, gerät der Sohn Wolfgang in die Mühlen der Euthanasie-Aktionen der Nazis und noch in den Endtagen des Krieges getö­tet – offiziell stirbt er an „Lungenentzündung“.

Häußler selbst befindet sich inzwischen im Lazarett und anschließend als „pri­soner of war“ in einem Kriegsgefangenenlager. Hier kann er glücklicherweise nach dem Fall des Naziregimes wieder Kontakt mit Forrest Ackerman aufneh­men, der jahrelang unterbrochen war, und so gelingt ihm schließlich die Rück­kehr in die Heimat.

Aber er bleibt im Vogtland, das durch die deutsche Teilung nun in den Bereich der DDR fällt. Politisch noch immer eher naiv, versucht sich Häußler mit den Verhältnissen wieder zu arrangieren und die Esperantistenkontakte zu pflegen. Tatsächlich kommt es dann 1957 auch zu einem ersten Treffen mit Forrest Ackerman in Deutschland.

Traurigerweise ist der DDR-Regierung das Esperanto ebenso suspekt wie der Briefkontakt zu „Klassenfeinden“ im Ausland, und so reißt der Kontakt zwi­schen Häußler und Forry wieder für eine Weile ab. Dafür kann Häußler aber Kontakte ins westdeutsche Fandom aufbauen, die natürlich von der DDR-Staats­sicherheit überwacht werden.

Häußler ist nun vielfältig fannisch aktiv, einmal auf der Esperantoschiene, dann aber auch durch die Herausgabe von Fanzines, insbesondere mit Schwerpunkt auf Rezensionen phantastischer Filme und Bücher. In den Jahren seit dem SFCD-Con 1957 in Bad Homburg, woran er teilnehmen kann, bis hin zu seinem Tod im Jahre 1973 ist Häußler reger Phantast in vielfältiger Weise, freilich im­mer etwas geknebelt durch den Ost-West-Gegensatz, die übermächtige SED und die Zensurbehörden, die mal Sendungen aus dem Westen zu ihm durchlassen, mal wieder beschlagnahmen. Manches davon wird sich nach seinem Tod in sei­ner Stasi-Akte finden, die fragmentarisch erhalten ist.

Im Jahre 1966 wird bei Häußler Diabetes diagnostiziert, bald darauf stellen sich auch Folgeprobleme seiner Kriegsverletzung ein. Am 11. Dezember 1973 ver­stirbt Herbert Häußler im Alter von nur 61 Jahren. Seine Frau Gertrud überlebt ihn um 20 Jahre und verstirbt 1994 in einem Pflegeheim im wiedervereinigten Deutschland.

Traurigerweise geht aus dem Epilog der Biografie hervor, dass sie mit der phan­tastischen Sammlung ihres verstorbenen Mannes nicht viel anzufangen wusste. „… so nutzte sie die Gelegenheit, die umfangreiche Sammlung zu versilbern“, heißt es hier recht drastisch. Auf diese Weise ist Häußlers Nachlass leider so gut wie nicht mehr vorhanden. Doch in dieser Hinsicht sind jene Briefe, die er ins Ausland schickte und die erhalten blieben – beispielsweise im Dunstkreis des SFCD oder auch im Nachlass von Forrest Ackerman – sowie auch (grotesker­weise) seine Stasi-Akte von Bedeutung. Sie wurden zum erheblichen Teil in die­ses vorliegende Werk eingearbeitet.

So ist letzten Endes ein sehr vielseitiges, faszinierendes und insbesondere auch zeithistorisch interessantes Porträt eines Mannes entstanden, den man wirklich als „Wanderer zwischen den Welten“ betrachten kann, der in jederlei Beziehung „in interessanten Zeiten“ gelebt hat, wie das chinesische Sprichwort sagt. Ange­siedelt an einem leider durchweg problematischen Ort Deutschlands machte Häußler physisch und lokal verankert die Unbilden des Ersten und Zweiten Weltkriegs mit, der Nazi- und DDR-Diktatur, die deutsche Teilung mit all ihren Turbulenzen und Beschränkungen, erlitt Arbeitslosigkeit, Kriegsgefangenschaft und Ausgrenzung …

Doch auf der anderen Seite, im Geiste, war er frei genug, nach den Sternen zu greifen und dies mit Gleichgesinnten zu tun, die er dank der Sprache Esperanto überall auf der Welt kennen lernen konnte. Man hätte ihm gewünscht, dass er sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Übersiedelung nach Westdeutschland ent­schlossen hätte, wo er fraglos bessere Entwicklungsmöglichkeiten gehabt hätte. Aber das ist Kontrafaktik, in unserer Welt wenigstens ist dies nicht geschehen.

Die verdienstvolle Aufgabe der drei Verfasser ist ein sehr bemerkenswertes Werk, das Häußlers Bedeutung in der frühen Phantastik Deutschlands nachdrü­cklich herausarbeitet. An manchen Stellen des schön illustrierten Werkes hätte freilich ein besseres Lektorat gut getan. Solche Worte wie „Fratanisierungsver­bot“ (S. 32, gemeint ist natürlich „Fraternisierungsverbot“), „Todspritzen“ (S. 35, gemeint ist „Totspritzen“) oder „skurille“ (S. 53, gemeint ist „skurrile“) sind dann einfach ärgerlich. Auch Namensfehler kommen durchaus vor, die hätten vermieden werden können: „Chrustschow“ (S. 42, gemeint ist „Nikita Chruschtschow“), „J. v. Putkammer“ (S. 43, gemeint ist „Jesco von Puttkamer“). Insgesamt ist aber die Fehlerdichte erstaunlich niedrig und tut der Lektüre nur höchst selten Abbruch.

Wer immer sich für den Zeithorizont zwischen 1912 und 1973 und das, was in dieser Zeit in der weltweiten, d. h. zumeist angloamerikanischen Phantastik je­ner Zeit tat, interessiert und dies durch eine spannende, wechselvolle Biografie eines deutschen frühen Phantasten vermittelt haben möchte, sei nachdrücklich auf diese Biografie hingewiesen. Sie lohnt die Lektüre!

© 2012 by Uwe Lammers

Der Schluss meiner fast zehn Jahre alten Rezension mag ein wenig besserwisse­risch klingen, ich weiß. Aber die darüber stehenden Worte zeigen recht klar, dass ich diese Fan-Biografie durchaus gelungen finde. Das Leben Herbert Häußlers, eingebettet in die internationale Esperantistenszene und Phantastik-Szene, u.a. über die Schiene zu Forrest Ackerman in den USA, ist es auf jeden Fall wert, in Erinnerung behalten zu werden. Und vielleicht liefert sie die Blaupause für wei­tere ähnliche Lebensläufe. Insbesondere das Stasi-Unterlagenarchiv und seine Zweigstellen beinhalten ohne Zweifel noch jede Menge Material, das uns beizei­ten weitere Überraschungen bescheren wird.

Ich bin mal sehr gespannt darauf.

In der kommenden Woche kehren wir dann von der biografischen Bodenstruktur der Phantastik wieder zu den Sternen zurück zu einem klassischen SF-Roman. Mehr dazu in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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