Rezensions-Blog 4: Diplomat der Grenzwelten

Posted April 22nd, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ich musste schon grinsen, als ich die Rezension für heute heraussuchte… und wenn ihr auch nur ein bisschen Ahnung von dem lange verstorbenen amerikani­schen SF-Schriftsteller Keith Laumer und seiner Schöpfung, dem Diplomaten des CDT, James Retief, haben solltet, brauche ich gar nichts weiter zu sagen, das Kichern stellt sich von selbst ein. Aber wer ihn nicht kennen sollte, dem kann ich hier ein kleines, wirklich sehr witziges Schmankerl anbieten, das wirklich eine Neuentdeckung lohnen würde.

Taucht also einfach ein in dieses schrillbunte Weltraumabenteuer, mit unkon­ventionell arbeitenden Diplomaten, geradezu grotesken Politikern, noch seltsa­meren Raumpiraten und viel, viel kurioser Action. Das ist echte Gute-Laune-Lektüre. Vertraut mir, Freunde!

Diplomat der Grenzwelten

(OT: Retief and the Warlords)

von Keith Laumer

Terra-Taschenbuch 176

Moewig-Verlag, München 1970

144 Seiten, keine ISBN

Aus dem Amerikanischen von Birgit Reß-Bohusch

Nur noch antiquarisch zu erhalten

Eigentlich war das lange überfällig, und während ich kichernd an der Lektüre dieses äußerst kurzweiligen Buches war, das so absurd überdreht ist und ein­fach nur einen Riesenspaß macht, fragte ich mich wiederholt: Wieso eigentlich dauerte das so unendlich lange, bis ich mir diesen literarischen Leckerbissen zu Gemüte führte? Diese Frage konnte ich mir mit Fug und Recht stellen, denn im­merhin hatte ich das Buch auf einem Flohmarkt in Wolfsburg im Mai 1991 er­worben und, ernsthaft, erst heute ausgelesen – nach gerade mal fünf sehr mit anderen Aktivitäten angefüllten Lesetagen. Und ja, manches Mal musste ich mich in der S-Bahn sehr zusammenreißen, um nicht laut mit dem Lachen herauszuplatzen – etwas, was mir üblicherweise sehr selten widerfährt.

Als ich mich dann nach viel zu kurzer Lesezeit daran machte, diese Rezension umzusetzen, die einfach völlig unumgänglich ist, überlegte ich, ob wohl die Le­ser dieser Zeilen etwas mit der Hauptperson James Retief oder mit dem CDT oder mit dem Autor Laumer anfangen könnten… und wie das immer so ist, re­cherchierte ich dann in meinen Lese- und Publikationslisten, um mich zu verge­wissern.

Dabei entdeckte ich dann, dass der Name James Retief und das CDT vermutlich für die meisten völlige Leerstellen sein werden. Denn dummerweise fühlte ich mich zu der Zeit, in der ich diese Romane und Anthologien las, irgendwie nie als eifriger Rezensent, und so fielen die Retief-Bände durch Rezensionsraster. Mit Laumer als Verfasser war es nicht ganz so schlimm. Ich entdeckte, dass ich sechs seiner Werke im Laufe der zurückliegenden 28 (!) Jahre rezensiert habe.1 Das war natürlich nicht eben viel. Ich habe hier also ein wenig Grundlagenarbeit zu leisten, ehe ich auf dieses Buch selbst zu sprechen komme.

Der leider schon vor vielen Jahren verstorbene Keith Laumer hat eine ganze Stange Romane geschrieben und publiziert, die sich zumeist besonders dadurch auszeichnen, dass seine Protagonisten in eine Kette aberwitziger Abenteuer verwickelt werden und geradezu burleske Geschichten durchrasen. Zumeist sind sie äußerst amüsant geschrieben, entbehren aber durchaus nicht gewisser interessanter und nachdenkenswerter Aspekte.

Besonders deutlich wird das bei einer von ihm sehr intensiv betreuten Person, dem terranischen kosmischen Diplomaten James Retief.2 Er ist Mitglied des Corps Diplomatique Terrestrienne (CDT) und üblicherweise dem Unterstaatsse­kretär für Interrassische Beziehungen, Magnan, unterstellt. Während aber Ma­gnan und die ganze Riege der dortigen hochrangigen Botschafter und Diploma­ten als eine Clique von eher geschniegelten, hochnäsigen, pedantischen und peinlich überkorrekten Beamten charakterisiert werden (um es sehr freundlich zu formulieren, es gibt darunter auch weniger ehrenwerte Charaktere, die über ihre diplomatischen Finessen und ihre Karriere schon mal geflissentlich gefährliche Völkerrechtsbrüche, widerrechtliche Annektionen und offene Feindseligkeiten zu Ungunsten irdischer Siedler… na ja… verharmlosen und kleinreden, um sich anschließend mit den Aggressoren lächelnd gut zu stellen), während diese Herren also durch die Bank eher schlecht wegkommen, ist das mit der Hauptperson James Retief anders.

Retief, ein nüchterner, gern mal süffisant-ironischer und nie um trockene Kom­mentare verlegener Tatmensch, wird üblicherweise dort eingesetzt, wo es kri­senhaft wird oder sein könnte. Magnan neigt dann dazu, Retiefs Fähigkeiten no­torisch zu unterschätzen und in dem Fall, dass die desaströse Lage dank Retiefs Engagement und Improvisationstalent gemeistert werden kann, sich diese Ver­dienste selbst zuzurechnen. Mit der Konsequenz, dass Retief regelmäßig im subalternen Stadium verharrt und selbst nicht aufsteigen kann.

Soviel also zur Einstimmung. Worum geht es nun in diesem Roman?

James Retief, der eigentlich gerade seinen Rücktritt einreichen möchte, wird von seinem Vorgesetzten Magnan überredet, eine ganz einfache Aufgabe aus­zuführen. Er soll nämlich im Gebiet der Grenzwelten des terranischen Reiches dafür sorgen, dass ein Handelsabkommen, BAUER genannt, in die Tat umgesetzt wird. Es ist an die nichthumanoiden Haterakans adressiert und wird vom CDT propagiert. Zu dumm nur, dass diese Grenzwelten notorisch unsicher sind. Es gäbe, meint Magnan, „gewisse Spannungen“ zwischen den terranischen Sied­lern dort und den Haterakans auf der anderen Seite, die von den Kolonisten verächtlich „Krebse“ genannt werden. Und ja, natürlich gäbe es auch noch „Raumpiraten“. Aber um die würden sich schon die Friedensstreitkräfte küm­mern (die man sich wohl ähnlich wie UN-Blauhelme denken mag), er solle allein Kontakt mit den Haterakans aufnehmen und das BAUER-Programm vorstellen.

Alles ganz einfach, nicht wahr? Dass der letzte diplomatische Abgesandte, nach Magnans Worten zurückkehrte und „in eine Schicht gehüllt war, die bemerkens­werte Ähnlichkeit mit Teer hatte, und darüber schienen Federn zu kleben“, ist da wohl eher ein lässliches Vorkommnis.3 Darüber muss man hinwegsehen. Ande­re Völker, andere Sitten, nicht wahr…?

Nun, dummerweise sind die Dinge ganz anders.

Das erste, was Retief erlebt, als er in den Sektor der Grenzwelten einfliegt, ist ein Piratenüberfall – das Passagierschiff, auf dem er mitfliegt, wird kurzerhand von Siedlerpiraten unter dem nicht wirklich intelligenten Kapitän Lou aufge­bracht, es gelingt Retief allerdings durch ein wenig Trickserei, sich für einen ge­wissen „Bully West“ auszugeben, der ein Freund und Kamerad der Raumpiraten ist. So befindet er sich also wenig später bei den Raumpiraten, als diese ihrer­seits von den laut CDT-Angaben ganz friedfertigen Haterakans aufgebracht und teilweise massakriert werden.

Die Haterakans sind in der Tat seltsame Wesen – von Karl Stephan auf dem Ti­telbild gut getroffen: vierbeinige und vierarmige Wesen mit einem fassförmigen Körper und einem runden Kopf, zwei der Arme enden in Scherenhänden. Dass sie von insektoiden Vorfahren abstammen, ist unübersehbar. Und dass sie lie­bend gern Terrys gefangen nehmen, um sie dann in Gefangenschaft „weiterzu­züchten“, damit sie anschließend die Nachkommenschaft verzehren können, daraus macht Kapitän Harrumph keinen Hehl.

Dummerweise gelingt es Retief und den gefangenen Piraten, Harrumphs Kom­mando zu überwältigen, worauf dieser erst in Ungnade fällt und schließlich mit Retief auf dem Blauen Mond notlandet, der von terranischen Siedlern bevölkert wird. Die wiederum haben – abstrus genug – nichts Eiligeres zu tun, als Retief kurzerhand in den Dünen als Spion zu füsilieren.

Unnötig zu erwähnen, dass das auch nicht gelingt.4

Es ist aber auch wie verrückt – wohin James Retief auch blickt, überall findet er nur außerordentlich kriegslüsterne Personen, sowohl bei den Haterakans als auch bei den Siedlern, und die wenigen Diplomaten, die ihm über den Weg lau­fen, haben ebenfalls nichts Besseres zu tun, als ihn als Hochverräter zu behan­deln und einzusperren.

Recht bald wird klar, dass die Dinge hier sehr, sehr seltsam laufen, und vieles geht buchstäblich nicht mit rechten Dingen zu. Retief wittert mit Recht Verrat, und während er noch ermittelt, wer hier gegen wen intrigiert und mit welchem Ziel, scheint der Sand in der Sanduhr unerbittlich zu verrinnen – und den Grenz­weltlern beider Völker läuft die Zeit davon. Der Ausbruch eines durchaus ver­meidbaren Krieges scheint unaufhaltsam zu sein…

Ich schweige davon, was für aberwitzige Wendungen dieser Roman noch so al­les enthält, es sei nur angedeutet, dass da unter anderem eine Droge eine wich­tige Rolle spielt, notorischer Rassismus, pathologisches Misstrauen und doppel­züngige Diplomatie, die man durchaus als Appeasement-Diplomatie bezeichnen kann und die zweifellos auch genau so intendiert ist. Wer sich ein bisschen mit Geschichte auskennt, insbesondere mit der jüngeren deutschen Geschichte, kommt hier an manchen Stellen aus dem Gruseln nur schwer heraus. Schade übrigens, dass der Roman nicht einen dem Originaltitel entsprechenderen Titel bekommen hat. Denn „Retief und die Warlords“ ist ganz offensichtlich der pas­sendere Titel für dieses abenteuerliche Werk. Aber „Warlords“ waren 1970 wohl als Titel-Substantiv nicht politisch korrekt (das ist jedoch der gesamte Ro­man nicht, wenn man ihn gelesen hat, weiß man das).

Keith Laumer, das ist ganz unübersehbar, hat nicht wirklich viel für die geschnie­gelten, geschmeidigen Diplomaten mit ihren freundlichen, schönfärberischen Reden übrig. Insofern ist die Schöpfung des James Retief, seines hemdsärmeli­gen Diplomaten als Tatmenschen, vollkommen folgerichtig. Und die Überset­zung von Birgit Reß-Bohusch ist selbst für schöne Subtilitäten hinreißend gelun­gen. Beispielsweise diese wunderbar fatalistische Äußerung des Haterakans Harrumph: „Aber sso zerbröckelt jeder Kuchen.“ Man kann sie auch übertragen mit „Sic transit gloria mundi“, d. h. „So vergeht der Glanz der Welt“… es wim­melt von solchen kleinen Neckereien in dem Buch, und ich glaube, jeder, der sich auf dieses Abenteuer einlässt, wird nach viel Gekicher am Ende der Ansicht sein, dass es sich durchaus lohnt, die alten Retief-Abenteuer einmal neu zu ent­decken.

Das ist ganz meine Meinung.

© by Uwe Lammers, 2013

Ich glaube, ich habe nicht zuviel versprochen. Wohin es uns dann nächste Wo­che an dieser Stelle verschlägt? Na, das verrate ich noch nicht. Da lasst euch mal überraschen und schaut einfach wieder rein. Langeweile tritt hier jedenfalls noch lange nicht auf.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Angefangen mit der Terra Astra-Heftveröffentlichung „Zeitlabyrinth“ in der Roman-Post 17 (1985), das ungekürzte, gleichnamige Taschenbuch rezensierte ich dann in BWA 249 anno 2004. Es folgten der Zweiteiler „Invasoren der Erde“ und „Feinde aus dem Jenseits“ in New Worlds 23/24 anno 1994, „Der Krieg mit den Hukk“ in BWA 215 anno 2001, außer­dem „Zeit-Odyssee“ in EXTERRA 38 (2007) und BWA 299 (2008), fälschlicherweise auch noch ein zweites Mal in BWA 338 (2011). Und dann war da noch „Der Ultimax“, den ich für EXTERRA 48 (2010) rezensierte.

2 Ich lernte ihn lektüretechnisch 1988 kennen und konnte da nur das Statement meines da­maligen Gifhorner Freundes Gerd Steinbach – großer Laumer-Fan – bestätigen: Gute-Lau­ne-Lektüre! In der Reihenfolge las ich sechs Retief-Bände vor diesem hier: „Diplomat der Galaxis“ (gelesen im Juli 1988), „Der Mann vom CDT“ (Januar 1989), „Diplomat der Ster­ne“ (März 1990), „Diplomat und Rebell von Terra“ (Juni 1993), „Der Drachentöter“ (April 1995) und „Friedenskommissare der Galaxis“ (Dezember 1995). Danach waren gewisser­maßen meine Retief-Reserven und auch die Laumer-Reserven erschöpft, die ich greifbar hatte. Zwölf weitere Laumer-Taschenbücher hatte ich zu dem Zeitpunkt schon gelesen, aber leider keins davon rezensiert. Ihr merkt, das ist schon ein ziemlicher Haufen.

3 Retief meint dazu übrigens trocken, „dass sich der nächste Terry, der die Grenzlinie über­schreitet, dick mit Vaseline einreiben sollte“. Das gibt schon auf Seite 6 einen netten Vor­geschmack vom Rest des Romans.

4 Harrumph meint daraufhin übrigens: „Ich muss ssagen, dass ich die Manieren Ihress Vol­kess rätsselhaft finde.“ Und Retief gibt zu: „Da sind Sie nicht der einzige.“ Daraufhin ist der Leser mal wieder am Kichern.

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