Liebe Freunde des OSM,
Gentry Lee führte ohne Zweifel Regie, als dieser Roman das Licht der Welt erblickte. Arthur C. Clarke, ohne dem verstorbenen Großmeister zu nahe treten zu wollen, hatte in seinen doch sehr nüchtern, mehrheitlich technisch ausgerichteten Romanen leidenschaftliche Emotionen üblicherweise sehr stark unter Kontrolle. Davon kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Die Konsequenz sind dramatische soziale Interaktionen, die sich zunächst zwischen den auf RAMA II Gestrandeten abspielen und später, als RAMA III mit dem „Sozialexperiment“ der Ramaner zum NODUS zurückkehren soll, endgültig eskalieren.
Wer die ersten beiden Romane des vierbändigen Zyklus mit Gewinn gelesen hat, wird am Ende dieses Buches womöglich auf den Fingernägeln kauen, denn es hat einen ganz üblen Cliff-hanger, das sei hier schon verraten.
In vier Wochen erfahrt ihr dann die Auflösung. Aber erst mal bauen wir das Tableau auf und zeigen, worum es eigentlich geht:
Die nächste Begegnung
(OT: The Garden of Rama)
von Arthur C. Clarke und Gentry Lee
Heyne 8452
576 Seiten, TB
München 1992
Übersetzt von Roland Fleissner
ISBN 3-453-05668-X
Das zylindrische Raumschiff namens RAMA II verlässt im Jahr 2200 irdischer Zeitrechnung wieder das solare System, nachdem ein Kontakt mit der menschlichen Rasse fehlgeschlagen ist. Damit hat sich die Menschheit gewissermaßen als aggressive Spezies „geoutet“. Doch an Bord von RAMA II sind drei Verschollene des Expeditionskorps der NEWTON zurückgeblieben: Nicole des Jardins, Biologin und Ärztin, Richard Wakefield, genialer Mathematiker und Computertechniker sowie fanatischer Shakespeare-Liebhaber, der unfähig scheint, eine vernünftige Beziehung zu Frauen aufzunehmen – sowie der alte Michael O’Toole, dessen erzchristliche Einstellung die Vernichtung von RAMA II mit zu verhindern half.
Während des Fluges ins Ungewisse, der aller Wahrscheinlichkeit Jahrzehnte dauern wird und dessen Ende sie wohl selbst nicht mehr erleben werden, ist Nicole gezwungen, eine Art von „genetischem Plan“ für das Überleben der eigenen Kinder zu erstellen, und dieser Plan sieht vor, dass sie mit beiden Männern Nachwuchs bekommt – was, wie unschwer vorstellbar, zu massiven Problemen mit beiden führt. Unmittelbar nach den ersten „Versuchen“, mit Michael Kinder zu zeugen, verschwindet Nicoles Ehemann Richard (inzwischen Vater der beiden Töchter Simone und Katie Wakefield) spurlos und bleibt rund drei Jahre in RAMA II verschollen (in der Zwischenzeit erblicken Benjy O’Toole und Patrick O’Toole das Licht der Welt) und wird dann, im Koma liegend, wieder gefunden. Als er schließlich Jahre später wieder einigermaßen genesen ist (wobei er große Erinnerungslücken besitzt), kommt als letztes Kind von allen, bevor Nicole unfruchtbar wird, noch Ellie Wakefield auf die Welt. Die Reise dauert inzwischen schon über zehn Jahre.
Das Ziel RAMAS scheint der Stern Sirius zu sein, über 8 Lichtjahre von der Erde entfernt, und diesen erreichen sie nach diversen Beschleunigungsphasen im Dilatationsflug im – nach interner Zeitrechnung – Jahr 2213.
Hier finden sie den NODUS vor, werden endlich von Biotentypen in Englisch angesprochen, und ihnen wird erklärt, dass sie im Plan der so genannten „Ramaner“, wie die Terraner die Erbauer des NODUS, jenes gewaltigen Werftkomplexes, in dem die RAMA-Raumschiffe (und andere!) gewartet werden, eine große Rolle spielen. Während ein geschlechtsfähiges Paar von ihnen im NODUS zurückbleibt, wird Nicole als Botschafterin der Ramaner in RAMA III zur Erde zurückgesandt. Alle ihren anderen Angehörigen der Familie kommen mit ihnen ins Solsystem zurück, das sie – in Hibernation – im Jahre 2245 erreichen.
In der Hibernation altern Nicoles Kinder und sie weiter, doch während ihr das nicht mehr viel ausmacht, werden die Kinder nahezu erwachsen. Ihr jüngstes Kind, Ellie, das gerade vier Jahre alt war, ist nun ein Teenager, die anderen haben im Tank die Pubertät übersprungen, aber ihre geistige Entwicklung ist stehengeblieben. Das wird besonders bei Katie ein Problem.
Ein von Nicole im Auftrag der Ramaner gemachtes Video informierte ein paar Jahren vorher die Erdregierungen davon, dass RAMA III kommen würde und dort ein „Erdhabitat“ geschaffen wurde, in dem 2000 Menschen die Reise zum NODUS antreten können.
Diese Information wurde vom Council of Governments (COG), der zur Zeit der Ankunft die Macht über die Raumfahrt im Sonnensystem hat, jedoch unterdrückt und zunächst für einen Bluff gehalten, schließlich hatte man nach amtlichen Informationen RAMA II zerstört, wobei Nicole notwendig den Tod gefunden haben musste.
Dennoch richtet der COG eine Expedition zum Marsorbit aus, in dem die Siedler RAMA III treffen sollen. Drei Schiffe, nach den Schiffen des Kolumbus benannt, erreichen im Spätsommer 2245 den Mars und docken an RAMA III an. Im Innern finden sie in der Tat eine Kolonie vor, die von menschenähnlichen Bioten betreut wird, und die Kolonie „New Eden“ entwickelt sich im Laufe der nächsten Zeit nach dem Abflug von RAMA III aus dem Solsystem prächtig.
Nur gibt es fundamentale Probleme, die allmählich ans Tageslicht kommen: Dreihundert Siedler sind Strafgefangene von der Erde, die aus Kostengründen mitgenommen wurden. Unter ihnen errichtet Toshio Nakamura ein Regiment und etabliert solche Vergnügungen wie Glücksspiel, Drogenverkauf, Prostitution und ähnliches. Es geschehen Morde und Vergewaltigungen.
Nicole, anfangs Gouverneurin der Kolonie, zieht sich aus dem Regierungsamt zurück, als ein gemäßigter Siedler aus Japan, Kenji Watanabe, Gouverneur wird. Leider ist er mit Nakamura persönlich bekannt und letztlich verantwortlich, dass dieser mit auf die Mission kam. Und verfeindet sind sie überdies.
Während Nicole verzweifelt anmahnt, dass sie von den Ramanern überwacht werden und sich mäßigen sollen, fährt Nakamura einen gnadenlosen Konfrontationskurs, der auch dazu führt, das Expeditionen in das bislang noch unbekannte Nachbarhabitat durchgeführt werden, in dem sich später Avianer zeigen.
Als die Klimakontrolle zusammenbricht und Kenji ermordet wird, als sich Katie Wakefield auf Nakamuras Seite stellt und Nicole wegen „Hochverrats“ im Gefängnis landet, da scheint sich die menschliche gierige Natur wieder einmal durchzusetzen und das „kontrollierte Experiment“ der Ramaner verheerend zu enden …
Dies also ist der dritte Teil von Clarkes vierteiliger Geschichte um RAMA und die Ramaner, die angeblich „alles dreimal“ tun. Nun, RAMA III bestätigt all das wieder einmal, und in diesem Roman zeigen Gentry Lee und Clarke in eindrucksvoller Weise, wie man offenkundig aus einem Paradies in geradezu infernalischer Weise eine Hölle machen kann, wenn man nur will. Wie Richard Wakefield einmal gesagt hat: Man müsste schon die Geister aller Beteiligten löschen und völlig neu anfangen. Das aber ist natürlich nicht im Sinne der Ramaner, die wissen wollen, wie die Menschen sich unter solchen Bedingungen verhalten.
Deshalb ist der Roman eine fantastische Parabel auf die Art und Weise, wie wir global mit unserer Umwelt umgehen. Nur dass wir eben keine Ramaner haben, die uns im Notfall helfen könnten. Aber auch in RAMA III sind die Ramaner sehr weit weg. Und ob sie eingreifen, das erfahren die Leser leider erst im Roman „Rama IV“, dem letzten Roman des Zyklus, der den Titel „Rama Revealed“ trägt, zu deutsch (platt): Nodus.
Mitunter ist es beunruhigend, wenn man sich vorstellt, wie ein solches Wunderwerk, wie es die RAMA-Raumschiffe sind, von Menschen auf so hirnlose Weise beschädigt und manipuliert werden, nur um des persönlichen Vorteils willen. Es ist allerdings auch nur konsequent dargestellt und damit eine überaus plausible Überlegung. Aber auch losgelöst von solchen Gedanken ist der Roman zweifellos ein Genuss für die Freunde guter Phantastik und überaus empfehlenswert.
© 1998 / 2023 by Uwe Lammers
Es empfiehlt sich wirklich sehr, Band 3 und 4 dieses Zyklus in kurzer Folge zu konsumieren, da sie beide direkt aneinander anschließen. Zwischendurch aber lenke ich in den nächsten Wochen auf andere Felde ab.
Nächste Woche begrüßen wir wieder unseren allseits beliebten beratenden Detektiv aus der Baker Street 221B in einem Epigonen-Abenteuer der besonders phantastischen Art.
Näheres in sieben Tagen an dieser Stelle.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.