Blogartikel 229: Zu Gast in einer amorphen Zivilisation

Posted Juli 23rd, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

etwas Amorphes ist, das möchte ich heute voranschicken, ehe ich wirklich in unser Thema einsteige, im Grunde etwas Formloses oder Gestaltloses. Dies, wie es der Titel suggeriert, von einer Zivilisation zu behaupten, ist grundsätzlich eine Art der Beleidigung. Da wir uns heute aber wieder in der beliebten Rubrik der „Fehlerlese im OSM“ aufhalten, legt dieser Titel ebenso wie die Wortver­wendung nur eins offen: nämlich meine eigenen schriftstellerischen Schwä­chen, die ich vor sehr vielen Jahren in der Schilderung einer solchen Welt offen­barte.

Ich bin, wie ihr wisst, seit langem dabei, alte OSM-Episoden abzuschreiben und dabei schon oft auf diverse Kuriosa gestoßen. Diesmal war es wieder soweit, und es traf mich an einer Stelle, wo es etwas unerwartet war – im KONFLIKT 12 des Oki Stanwer Mythos, also der Serie „Oki Stanwer – Bezwinger des Chaos“ (BdC). Wer hier alarmiert aufhorcht, tut dies mit Recht. Wer es nicht tut, dem erkläre ich sogleich, in was für ein Minenfeld wir uns heute begeben, und wer danach gern vorzeitig die Lektüre beenden möchte, dem sehe ich das absolut nach.

Als ich mich vor ein paar Jahren intensiver mit der modernen Doctor Who-Serie befasste, lernte ich einen neckischen Begriff aus dem Mund von Professorin Dr. River Song kennen, nämlich „Spoiler“. Sie machte sich ein neckisches Vergnügen daraus (vermutlich auch eine Form von Notwendigkeit), dem Doctor gezielt Wissen vorzuenthalten. Sie tat das, weil ihre Zeitlinien entgegengesetzt verlau­fen. Die für den Doctor erste Begegnung mit ihr endet mit River Songs Tod, und für sie ist es das Ende ihrer Beziehung.

Wenn ich jetzt also betone, dass das Folgende unter Spoileralarm fällt, tue ich das absolut mit Recht. Ich zitiere aus einer Rohepisode der BdC-Serie, die ich 1989 verfasst habe. Das wäre für die meisten Geschichten unproblematisch, da sie in der Regel noch lange nicht in E-Book-Form eingeplant sind… aber die BdC-Serie ist gegenwärtig in Bearbeitung für die Publikation im E-Book-Format, und voraussichtlich erscheinen die ersten beiden Bände noch 2017 (so wenigstens meine Planung). Damit ist das, was ich weiter ausführen werde, ein Vorgriff auf E-Books, die in den nächsten Jahren planmäßig entstehen und veröffentlicht werden. Wer darum, ich wiederhole es, hier aufhören möchte, zu lesen, kann dies ausdrücklich tun.

Wer mehr wissen möchte, der lese hier weiter:

Im KONFLIKT 12 des Oki Stanwer Mythos, der Serie „Bezwinger des Chaos“, er­folgen zahlreiche Odysseen, und manche führen an Orte, wo das Vorstellungs­vermögen auf harte Proben gestellt wird. Eine solche Reise verschlägt eine Gruppe von Tasvanern an der Seite eines Helfers des Lichts Oki Stanwers in ein „Reich hinter dem Universum“. Und da sind mir, muss ich leider eingestehen, mordsmäßige Baufehler unterlaufen. Ich möchte aus Raumgründen nur ein paar davon vorführen.

Das Sonnensystem, in dem die Tasvaner landen, ist bewohnt von einer Rasse höchst fremdartiger Raupenwesen, den Llarrors. Sie sind, beunruhigend genug, selbst Sklaven geworden, und zwar hat ein wahnsinniges Computerhirn ihre Zi­vilisation seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden unterjocht und sie auf der einstigen Werftwelt, dem Planeten 11 des Systems, in den Untergrund ge­trieben. Die Ursprungswelt der Llarrors, der Planet 9, gilt inzwischen als uner­reichbares Paradies. Nur der Computer selbst vermag eine Transmitterverbin­dung dorthin herzustellen.

So weit, so gut.

Die Llarrors im Untergrund von Planet 11 befreien also einen der gefangenen Tasvaner, und dann fangen die Ungereimtheiten wirklich an. Zitat 1:

Osthey setzte sich seufzend auf den Boden und kratzte sich am Hinterkopf. Er befand sich in einem geräumigen Höhlenraum, mehr als vierzig Stockwerke un­ter dem Computerzentrum, in dem seine Freunde zusammengehalten wurden. Hier um ihn herum tagte die Versammlung der Llarrors.

„Und er ist wahnsinnig, ja?“, fragte er.

„Leider ja“, schnarrte Derron kalt. Er konnte seine Gefühle über den primiti­ven Translator nicht herüberbringen. Sie hatten mehr als zehn Stunden darauf verwenden müssen, um endlich das Grundvokabular für eine Unterhaltung zu­sammenzubekommen, bis der Translator allmählich begriff, was man von ihm wollte.

Da hatte Osthey begonnen, die Geschichte der Llarrors zu verstehen, die mit ihren Anfängen im Dunkel der Geschichte lag…

Vielleicht seht ihr das Problem nicht auf den ersten Blick. Ich erinnere hier aber gern an Band 10 der Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), wo die yantihnische Linguistin Vaniyaa, die nun wirklich ein echter Crack war, mit mo­natelangem Vorlauf immer noch sehr lange brauchte, um sich mit der zwergen­haften Spezies der Shonta zu unterhalten.

Unser Protagonist Osthey oben hingegen hat keinerlei gemeinsame Kommuni­kationsbasis, nicht mal eine in puncto Mimik und Gestik, und er will nur 10 Stunden brauchen, bis man sich gescheit mit den Llarrors unterhalten kann? Völliges Wunschdenken. Also, das kann man komplett vergessen. So wird das in der Überarbeitung natürlich nicht ablaufen.

Sehen wir uns ein weiteres Beispiel an, worin es dann um die angewandte Tech­nik geht, das ist vermutlich noch deutlich verheerender. Als Background folgen­de Info: Osthey und die Llarrors kommen überein, dass es am sinnvollsten sein würde, den wahnsinnigen Computer abzuschalten.

Auf die Idee hätte man schon vor Jahrhunderten kommen können? Je nun… das ist nicht falsch, aber nicht der entscheidende Punkt. Warum die Llarrors von solch einem Plan Abstand nahmen, ist in der Tatsache begründet, dass der Computer die Lebenserhaltungssysteme in den Höhlenlabyrinthen auf­rechterhält, in denen sie leben. Sich selbst den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen, kommt den Llarrors nicht sinnvoll vor, und das kann man durchaus ver­stehen.

Dann jedoch kommt Osthey, ein Wesen einer völlig fremden Spezies, und er meint, das sei bestimmt ohne größere Probleme möglich… warum denkt er das? Weil er typisch tasvanisch denkt: in seiner Kultur gibt es halt Backup-Syste­me, die einspringen, wenn das Hauptsystem versagt. In diesem Fall, denkt er sich, ein Zweitcomputer, der bislang nicht in Betrieb ist und deshalb vielleicht nicht so verrückt wie der Hauptrechner. Wenn man also den Hauptrechner grillt, springt die Zweitversion an und hält das System am Laufen, aber der Ver­rückte ist weg.

So denkt er und kann tatsächlich in Rekordzeit die zweifelnden Llarrors überzeu­gen (nicht sonderlich plausibel, aber das ist nicht das Schlimmste). Der Ort, an dem Sabotage verübt werden soll, ist ein Hauptkabelschacht, der senkrecht nach oben verläuft. Llarrors, die sich in der Horizontalen bewegen, kommen da nicht hin. Wer legt also die Sprengladungen? Osthey natürlich. Und das liest sich dann folgendermaßen:

Zitat 2:

Osthey sah an dem dunklen Gebilde herauf, das sich etliche Meter hinauf er­streckte. Es war ein Kabelschacht, und er befand sich im Innern… Osthey hatte sich aus einem Kabel, das er in einem Depot gefunden hatte, eine Schlinge gemacht und warf diese nun hinauf, damit sie sich irgendwo festhakte.

Tatsächlich verhakte sie sich an einem Eisenträger und wickelte sich darum. Es war ein sehr massiver Träger, und so fiel es dem Tasvaner nicht schwer, hin­aufzuklettern…

Osthey ließ sich auf dem Sims nieder, das direkt unter dem Eisenträger war. Hier stand er direkt neben dem Kabelende, das hier aus einem anderen Tunnel in der Wand kam und in einem Bogen nach oben wuchs. Es hatte einen Durch­messer, der dem von mehreren Tasvanern gleichkam.

Schimmernd und warm lag es da, gleich einem mystischen Ungeheuer, das je­derzeit aufwachen und seine Pranken ausstrecken konnte. Diese unlogische As­soziation machte dem Biologen zu schaffen. Aber dann löste er die an seinem Gürtel befestigten Sachen und betrachtete unsicher die runden Gebilde, die einen Durchmesser von zehn Zentimetern hatten, aber nur drei Zentimeter dick waren. Scheiben, die einen elektronischen Sprengstoff enthielten und laut den Llarrors dazu verwendet wurden, um defekte Schaltkreise aus Aggregatblöcken zu lösen.

Vorsichtig brachte er die überall haftenden Gebilde in regelmäßigen Abstän­den um den Kabelstrang an, denn es durfte nicht vorkommen, dass eine oder zwei Leitungen überlebten…

Osthey hatte sich gewundert, dass der Kabelschacht nicht bewacht war, aber es hatte eine logische Erklärung dafür gegeben, die schon bei den Llarrors durchgeschimmert hatte…

„Ich komme wieder herunter!“, rief der Tasvaner. „Geht in Deckung, gleich gehen die Ladungen hoch!“

Er rutschte rasch an dem Kabel herab, das ihm fast die Hände aufscheuerte, da es spiralig gewunden war und keine glatte Oberfläche besaß…

Man merkt hieran natürlich sofort, wie ausgesprochen detailliert der Kabel­schacht beschrieben wird (quasi gar nicht) und wie die Sprengladungen missver­ständlich dargestellt sind (ist das jetzt klebriges Zeug, das der Sprengmeister selbst nicht mehr von seinen Fingern abbekommt, oder wollte ich vor mehr als 25 Jahren nur ausdrücken, dass die Ladungen, einmal an Untergrund gepresst, überall haften können? Ich nehme Letzteres an…).

Schweigen wir davon, dass die fremde Alientechnik doch sehr verblüffend an ir­dische Installationen erinnert und man wohl kaum davon ausgehen darf, dass diese Materialien in einem irdischen Baumarkt gekauft wurden… allein, die Phantasie des Autors versagte damals angesichts dieser Herausforderung voll­kommen, und was erhält man dann? Einen Kabelschacht. Na toll. Geht echt gar nicht!

Und so weiter und so fort, wirklich, in fast jedem Absatz der Episode findet man solche haarsträubenden Auslassungen. Wie sehen die einzelnen Llarrors aus? Wie sehen die Untergrundgänge aus? Wie viele Exilanten leben dort? Gibt es eine Hierarchie? Existieren unterschiedliche Interessengruppierungen? Anzu­nehmen wäre beispielsweise eine Art von technischem Orden, der das Wissen über die Jahrhunderte tradiert. Kein Wort davon. Haben die Llarrors eine Schrift? Wie sieht die Geschichte dieses Volkes wirklich aus?

Tja, da ist wirklich gar nichts. Hektischer Aktionismus, nicht sonderlich viel Durchdachtes – ein klares Indiz dafür, dass ich damals nicht „in“ der Story steck­te, sondern einfach darüber hinflog, mich auf Floskeln und das, was ein guter Brieffreund mal „Standardhandlungen“ nannte, ich würde es als Schematismus-Bausteine bezeichnen (was auch nicht freundlicher ist), beschränkte. Und zwar in dem naiven Glauben, damit würde ich doch schon eine interessante Story er­zählen…

Nun, ihr ahnt, dass das heute nicht mehr meine Ansicht ist. Deshalb werdet ihr die obigen Zitate auch so in der späteren Überarbeitung nicht mehr vorfinden. Da wird quasi jedes Wort ausgetauscht werden müssen.

Es tut mir zwar leid, so barsch mit meinen eigenen Texten umspringen zu müs­sen, aber was einfach schlecht geschrieben ist, ist eben schlecht geschrieben, das zu bagatellisieren, wäre kaum zielführend.

Ich glaube, ich erspare es euch, noch weitere Beispiele zu bringen. Es gäbe sie reichlich. Etwa die angeblich im „Handumdrehen“ erfolgende Hochschaltung des Ersatzgehirns des Planeten, das natürlich – welche Überraschung – nicht gestört ist. Auch dass die Llarrors, die so lange von jedweder technischen Ent­wicklung abgeschnitten waren, sich mühelos mit Gleitfahrzeugen an der Ober­fläche auskennen, glaubt ihnen niemand. Und die Mühelosigkeit, mit der sie schließlich auf der gesamten Planetenoberfläche (!) zielsicher das Raumschiff ausfindig machen, mit denen die Tasvaner gekommen sind (wobei ich eine Rei­he anderer, die es dort ebenfalls gab, völlig vergaß, ist auch absolut nicht realis­tisch.

Nein, die Llarror-Zivilisation bekommt man wirklich nur in schematischen Wort­hülsen und Redewendungen zu sehen, was sie tatsächlich ausmacht, bleibt im Dunkeln. Das haben diese faszinierenden Wesen nun wirklich nicht verdient. Der Erstkontakt hier muss sehr viel intensiver geschildert werden, und ich ver­spreche euch, genau das tue ich auch. Momentan ist diese Zivilisation völlig amorph und ungegenständlich… das wird geändert werden.

Und was unseren Protagonisten Osthey angeht… den werdet ihr in der nahen Zukunft auch kennenlernen, besser charakterisiert als bislang, versteht sich. Darauf könnt ihr euch schon freuen.

Damit schließe ich für heute das Fehlersuchkapitel des Oki Stanwer Mythos. In der nächsten Woche findet ihr an diesem Ort den „Work in Progress“-Report für den Monat April 2017.

Bis bald, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>