Rezensions-Blog 150: Maia

Posted Februar 7th, 2018 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute ist es mal an der Zeit, eine Rezension auszupacken und euch vorzustellen, die ich im Jahre 2000 geschrieben habe und die einen der schönsten Romane thematisiert, den ich je gelesen habe. Kann ich nach wie vor nicht anders nen­nen, auch wenn diese Zweitlektüre, anlässlich derer diese Rezi entstand, eben schon wieder über fünfzehn Jahre her ist… ich muss das Buch dringend wieder lesen.

Die Rede ist von „Maia“ von Richard Adams. Man erinnert sich heute an den vor wenigen Monaten verstorbenen britischen Romancier deutlich eher wegen seiner Tierfabel „Watership down“ und wegen seines Engagements im Tier­schutzbereich, und das ist auch absolut berechtigt. Doch ich lernte ihn mit dem vorliegenden Roman kennen und lieben – und das phantastisch detailreich und mit enormer Liebe zu feinsten Verästelungen der Kultur und Gesellschaft ausge­arbeitete Beklanische Reich ist es, das mich, der ich mit Fantasy eigentlich sonst nicht viel am Hute habe, mühelos aus dem Bereich der Weird Fiction abdriften ließ.

Maia“ ist in meinen Augen ein sehr zu Unrecht weitgehend vergessener Ro­man, ein opulenter Schmöker mit seinen mehr als tausend eng bedruckten Sei­ten (sucht die gebundene Ausgabe antiquarisch, ihr werdet staunen, wie viel Text darin steckt, das spottet wirklich jeder Beschreibung, wenn man sich die heutigen „dicken Schinken“ im Fantasygenre anschaut. Die sehen dagegen wie Lachnummern aus, von dem Detailreichtum und der komplexen Handlung mal ganz zu schweigen), und auf seine Weise ein äußerst bemerkenswertes Werk. Und wenn ihr dieses Buch gelesen habt, dann könnt ihr gleich bei Adams´ frü­herem Werk „Shardik“ weiterlesen, das in derselben Welt handelt, zeitlich aber etwas nach „Maia“.

Wenn diese achronische Struktur ein wenig an meinen Oki Stanwer Mythos (OSM) erinnert, dann kommt das sicherlich nicht von ungefähr. Aber Adams und ich kamen natürlich völlig unabhängig voneinander darauf.

Ah, doch genug der Vorrede – auf in eine unkonventionelle Rezension, die nä­herungsweise der Komplexität des vorliegenden Stoffes gerecht wird und für die hiesige Publikation nur geringfügig überarbeitet wurde. Brechen wir auf ins Beklanische Reich, und alles beginnt mit einem Wasserfall und einem wunder­schönen blonden, singenden Mädchen:

Maia

(OT: Maia)

Von Richard Adams

C. Bertelsmann 1986

1090 Seiten, geb.

ISBN 3-570-03102-0

Was vermag die Liebe einer Frau? Manche sagen, sie ist imstande, Berge zu ver­setzen, andere fürchten, durch sie könnten alle bestehenden Ordnungen einge­rissen werden, denn ungeheuerlich sei die Kraft einer Emotion, so schrankenlos und ungezügelt, dass nichts und niemand ihr standhalten könne…

Dies alles ist wahr, und so ist die Liebe einer Frau, zumal, wenn sie noch jung ist und unerfahren, wenn sie nicht weiß, was sie will und kann, eine Gefahr für je­den Mann und jede Ordnung, die existiert. Sie wird unterschätzt, solange man sie nur als angenehme Kraft wahrnimmt, und in dem Moment, in dem sie zum reißenden Wildbach wird, ist es zu spät, ihr irgendwelche Zügel anzulegen.

Es ist wichtig, dies vorab zu wissen, denn ohne diese Kenntnis erschließt sich der Inhalt des Buches MAIA von Richard Adams nur sehr schwer.

Der Rahmen: Das Beklanische Reich

Nehmen wir an, es handele sich um eine Randprovinz der Sahara, einen step­penartigen Agrarstaat, erstarrt in feudalen Strukturen, auf einer Welt, auf der es keine Reittiere gibt. Was immer man erledigt, tut man gefälligst zu Fuß. Die einzigen Tiere, die mit unserer Welt eine Menge gemeinsam haben, sind die Rinder. Doch das sind für adelige Offiziere kaum ideale Reittiere.

Das Beklanische Reich wird von der Hauptstadt Bekla regiert, eigentlich der ein­zigen „Stadt“ in unserem Sinne, eine Metropole mit Tausenden von Bewoh­nern, mit einem beispiellosen Luxus, der sich unter anderem darin zeigt, dass nahezu alle Gebäude aus Stein sind. Menschen, die aus den Provinzen kommen, sind häufig atemlos und wie erstarrt angesichts solcher Bauten, die sie aus ih­ren Dörfern und kleinen Städten nicht kennen.

Großbaron Durakkon regiert Bekla, und mit ihm die Mitglieder der Clique der so genannten „Leoparden“, die sich vor sieben Jahren an die Macht geputscht ha­ben. Mit ihnen verbündet ist die politisch offiziell unbedeutende, in Wahrheit aber sehr gefürchtete Priesterkönigin der Göttin Airtha, Fornis. Durakkon ist, streng genommen, lediglich eine Marionette der Leoparden unter dem martiali­schen Kriegslord Kembri B’sai.

Und das Reich hat Probleme. Jede Menge Probleme. Im Westen bedrohen das Reich Terekenalt und Katria mit seinem König Karnat, der insgeheim die Leopar­denrevolution unterstützte und von diesen als „Stillhaltetribut“ die beklanische Sumpfprovinz Suba erhielt, die seitdem besetzt ist.

Im Osten des Reiches existiert im Wald von Chalcon in Tonilda eine Reihe von unzufriedenen Baronen, die dem gestürzten Regime nach wie vor die Treue hal­ten, aber außerstande sind, etwas gegen die Leoparden zu unternehmen. Die Galionsfiguren sind hier der Baron Santil-kè-Erketlis und der Baron Enka-Mordet.

Als wenn das noch nicht genügte, gibt es auch noch die Provinz Sarkid, in der die Sklaverei abgeschafft worden ist. Die Leoparden jedoch sind stark in den Sklavenhandel verwickelt und haben sogar Sklavenfarmen eingerichtet, wo neue Sklaven gezeugt und großgezogen werden. Anders lässt sich der kostspieli­ge Lebensstil in Bekla nicht aufrechterhalten.

Und schließlich geht in etwa anderthalb Jahren zu Beginn der Romanhandlung die zweite Amtszeit der Priesterkönigin Fornis zu Ende, etwas, was noch nie da gewesen ist. Normal ist lediglich eine einzige, alles andere ist gegen den Willen der Götter. Aber Fornis, eine äußerst grausame und machtgierige Palteshi, ist fest entschlossen, eine DRITTE Amtszeit durchzusetzen, nötigenfalls auch gegen den Willen der Götter und über die Leichen zahlloser Menschen. Jeder hat vor ihr Angst.

Das Reich, merkt man, schwebt in einem äußerst labilen Zustand. Jede Verände­rung des Status Quo kann diese Lage verheerend verschieben. Und hier kommt Maia ins Spiel. Sie ist, ohne das im Mindesten zu ahnen oder zu wollen, diese Änderung und der Stein, der die Katastrophe ins Rollen bringt.

Die Hauptperson:

Maia ist ein fünfzehnjähriges Mädchen von atemberaubender Schönheit, strah­lend blond, mit einem sehr weiblichen und jungfräulichen Körper, und sie lebt naiv und zufrieden nahe dem nördlichen Ufer des Serrelind-Sees, wo sie sich mehr oder weniger dem Müßiggang hingibt. Sie ist das älteste Kind der armen Bäuerin Morca und des Fischers Tharrin, der seinen kärglichen Lebensstandard durch diverse Reisen aufbessert.

Zwischen Morca und Maia besteht ein spannungsreiches Verhältnis, denn die Mutter mag sie absolut nicht. Tharrin hingegen, Morcas zweiter Mann, verzehrt sich still in Sehnsucht nach Maia, und als sich die Gelegenheit ergibt, verführt er sie und macht sie zur Frau. Dies tut er auf eine sehr sanfte Weise, dass sich Maia unwillkürlich in ihn verliebt, und deshalb fällt das früher oder später auch der Mutter auf.

Morca überreagiert, und bevor Maia begreift, was geschieht, findet sie sich in der Hand von Sklavenhändlern wieder, die sie nach Bekla bringen. Es ist aller­dings ihr Glück, dass sie eine Frau mit schwarzer Hautfarbe kennen lernt, die junge Occula, nur wenig älter als sie selbst, eine entschlossene, harte Frau, die Maias beste Freundin wird und sehr rasch auch ihr Bett teilt und ihr Dinge zeigt, die Frauen miteinander machen können, die das naive Bauernmädchen niemals für möglich gehalten hätte.

Wie, mag man sich fragen, vermag so ein wehrloses Mädchen das Schicksal ei­nes ganzen Reiches zu verändern? Das weiß niemand, am wenigsten Maia selbst. Und doch führt alles ganz unmerklich dazu.

Die Handlung:

In Bekla werden die beiden Mädchen ausgerechnet in das Haus des Großrats Sencho bè-L’vandor verkauft, eines ungeheuer feisten, aufgeschwemmten und verdorbenen Mannes, der überaus grausam ist und darüber hinaus den Geheimdienst der Leoparden im ganzen Reich leitet und lenkt. Er weiß nahezu alles, besitzt eine menschenverachtende Schläue, und eine Leidenschaft von ihm ist es, Menschen zu demütigen.

Das schafft er auch mit Maia und Occula, aber nach einer schweren Anfangszeit gewöhnt sich das Bauernmädchen daran und genießt allmählich die subtile Macht, die es im Dienst des Großrats über Männer ausübt, an die er sie aus­leiht, damit sie das Bett mit ihnen teilt.

Unter diesen Männern befindet sich unter anderem Lord Randronoth, der Gou­verneur von Lapan, der sich (bedauerlicherweise) unsterblich in sie verliebt, was Maia gar nicht registriert. Außerdem gibt sie sich Lord Kembri hin, der sie daraufhin zu seiner persönlichen Agentin bzw. Doppelagentin macht. Und sie schläft mit Eud-Ecachlon, dem Erben des Großbarons von Urtah, einer unruhi­gen Provinz, deren Neigung zu König Karnat von Terekenalt hinlänglich bekannt ist. Nur auf den undurchsichtigen und hässlichen Subanier Bayub-Otal, der von ihrem Anblick unerklärlich beunruhigt wird, scheint ihre erotische Macht nicht zu wirken, was das Mädchen stark kränkt und dazu führt, dass es ihn schließlich hasst.

Auf diese Weise rutscht Maia immer tiefer in das Machtgeflecht hinein, macht sich durch ihre Schönheit und Natürlichkeit und ihre erotischen Aufträge eine Menge Freunde, verletzt jedoch auch eine Reihe von Herzen, was sie, wie ge­sagt, nicht bemerkt und was noch große, schlimme Folgen zeitigen wird. Das Schicksal wird äußerst grausam, als auf dem Fest nach der Regenzeit beinahe in ihrem Dabeisein der Großrat ermordet wird. Die Mörder werden nicht gefasst, aber alles, was Sencho gehört, fällt nun an den Tempel und Königin Fornis. Zwar kann Maia durch Kembris Intervention freikommen, doch der hat nun seiner­seits eigene Pläne mit ihr: sie soll Bayub-Otal aufsuchen und zu flüchten versu­chen. Dabei lautet ihr Auftrag, Kembris Agenten Informationen über die Pläne des Subaniers zukommen zu lassen.

Tatsächlich kehrt Bayub-Otal nach Suba zurück, bevor er von den Leoparden un­ter Verdacht des Hochverrats (Beteiligung am Mord an Sencho) festgenommen werden kann. Das schöne Mädchen nimmt er dabei mit in das Sumpfland. Maia kann jedoch keinerlei Informationen weitergeben.

Und obwohl sie den Subanier hasst, scheint das subanische Volk über alle Ma­ßen von ihr fasziniert zu sein. Und dann… tja, dann begegnet Maia der wahren und einzigen Liebe, und von da an entwickeln sich die Geschehnisse mit einer unbegreiflichen Rasanz und ungestümen Unvorhersehbarkeit, dass alle, die damit zu tun haben, davon überwältigt werden.

Binnen von wenigen Tagen steigt Maia vom wunderschönen, jungen und naiven „Bettmädchen“ auf zur Serrelinda, zur gefeierten Volksheldin des ganzen Rei­ches, fast zu einer Sagengestalt, die die Herzen der einfachen Leute spielend leicht für sich gewinnt. Nur verliert sie dadurch das, was ihr am meisten wert war – ihren Geliebten. Und so wird sie das reichste, bezauberndste und gefeier­teste Mädchen des ganzen Reiches – und das unglücklichste dazu. Denn nie­mandem kann Maia richtig vertrauen und vor allen Dingen ihren Kummer an­vertrauen.

Noch schlimmer ist jedoch, dass sie sich überall Feindschaft zuzieht, vor allen Dingen, weil alle denken, sie möchte das Amt der Priesterkönigin übernehmen. Außerdem verlieren die Leoparden nach Senchos Tod die Kontrolle über das Spionagenetz, und das fragile Gleichgewicht wird zerstört. Das Beklanische Reich gerät an den Rand eines Bürgerkriegs. Und die berühmte Maia ist mitten­drin als Zentralfigur. So nehmen die schrecklichen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des Romans unaufhaltsam ihren Lauf…

Mit dem Roman MAIA hat sich Richard Adams schon 1987 fest in mein Herz eingeschrieben. Er verdrängte damals spielend Howard Phillips Lovecraft, der bis dahin mein designierter Lieblingsautor war, auf einen der hintersten Plätze. Dies war damals das einzige Buch, von dem ich mit Fug und Recht behauptete, nachdem ich es gerade zugemacht hatte: jetzt würde ich es am liebsten sofort umdrehen und AUF DER STELLE noch einmal von vorne beginnen!

Dies war damals mein Eindruck, und er war ungeheuer prägend. Als ich vor ei­ner guten Woche wieder anfing, das Buch zu lesen, fragte ich mich ständig kopf­schüttelnd, wie ich es fertig gebracht hatte, dieses Buch ganze ZWÖLF JAHRE im Regal stehen zu lassen, ohne es erneut zu lesen. Jeder TAG, den ich es nicht ge­tan hatte, war im Grunde genommen ein verlorener Tag…

Neben der unsagbar lieben, verspielten, arglosen Hauptperson sind es insbe­sondere die unglaubliche Wortgewalt von Richard Adams und die Überset­zungsleistung von Gisela Stege, die dem Leser schon auf den ersten Seiten ins Auge stechen. Ob die Pracht eines beklanischen Festes, das ausgelassene Bad der schönen Maia im Serrelind-See oder aber das labyrinthische Gewusel der beklanischen Metropole Bekla dem Leser vor das Auge tritt, all dies wird mit sehr inniger Liebe zum Detail ausgebreitet, einem prachtvollen alten Gobelin nicht unähnlich. Wer bildreiche Romane liebt, wechselvolle Charaktere, aber auch Ränke und mitunter lustvolle Umwege, der kommt hier voll auf seine Kosten.

Allerdings ist Maias Welt nicht eine, die nur positiv ist. Es ist eine Welt, in der versklavt wird, in der die Rechte von Frauen zweitrangig sind und fast alles käuf­lich ist. Eine Welt, in der Verrat zur zweiten Natur wird und Moral und Sitte ero­dieren und inzwischen fast unbekannt sind. Doch es blühen auch seltene Blu­men der Freundschaft und Sympathie zwischen den abgründigen Rissen im be­klanischen Wohlstandsgemäuer.

MAIA ist, man kann es nicht anders sagen, ein Abenteuer, doch eines, auf das man sich frohen Herzens einlassen sollte, insbesondere dann, wenn man ver­liebt ist. Denn die Botschaft, die ich daraus gelesen habe, ist die, dass die Liebe immer irgendeinen Weg finden wird, um in Erfüllung zu gehen. Und das, sollte man denken, ist eine Hoffnung, die man immer hegen sollte, ein Ziel, an das man immer glauben muss.

Und eins sollte ich noch hinterherschicken: direkt beim Lesen und kurz danach bin ich erfüllt von einem unglaublichen, alles erfüllenden Frieden, einer Harmo­nie, die so gewaltig ist, als ob ich die ganze Welt damit umfassen könnte. Well, ich glaube, ich bin schlicht und einfach glücklich, so glücklich wie schon seit ewi­gen Zeiten nicht mehr. Und wenn ein ROMAN dies bewirkt, dann MUSS er doch wohl gut sein, nicht wahr?

© 2000; 2016 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche machen wir eine weitere abenteuerliche Reise in eine faszinierende Parallelwelt, der man dies auf den ersten Blick gar nicht an­sieht… aber wer genau liest, wird schnell ein paar interessante Details entde­cken, die so bei uns definitiv nicht passiert sind und die mich bei der Lektüre doch sehr faszinierten.

Clive Cussler und sein Coautor Craig Dirgo schlugen jenseits der NUMA-Pfade auf einmal einen alternativen Pfad ein und verfolgten eine Seitenspur von Cuss­lers Romanprotagonisten… eigentlich höchst unüblich, aber sehr, sehr wir­kungsvoll. So entstand ein urkomischer, rasanter und extrem durchgestylter Ro­man, der mir so gut gefiel, dass ich mich mit den neuen Personen sehr schnell anfreundete.

Welche neuen Personen sind das? Nun, davon erzähle ich in sieben Tagen. Aber ich kann jetzt schon versprechen, es wird euch gefallen, sie kennen zu lernen. Schaut wieder rein und überzeugt euch selbst.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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