Rezensions-Blog 250: Das Pimpernell-Komplott (3)

Posted Januar 8th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wirklich gelungene Zeitreiseromane sind tatsächlich recht selten, und solche, in denen die Genres miteinander geschickt vermischt werden, um den Leser gründlich aufs Glatteis zu führen, noch mehr. Ich möchte mal behaupten, selbst wenn die Lektüre des vorliegenden Romans schon mehr als fünfzehn Jahre zu­rückliegt, dass Leser, die sich für die moderne BBC-Serie Sherlock mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman begeistern können, hier ganz in ihrem Stoff wären.

Tatsächlich erweisen sich die „Time Wars“-Bände von Simon Hawke als so raffi­niert gestrickte, doppelbödige und intrigante Alpträume, dass man sich echt wundern muss, warum daraus überhaupt wieder jemand lebend auftaucht. Langweilig oder durchsichtig wird es dabei so gar nicht – aber der Kopf des Le­sers raucht gelegentlich ordentlich. Wer solche intellektuellen Leseabenteuer schätzt, in denen auch reichlich intrigiert, geschossen und gemordet wird, ist hier echt vollkommen am rechten Platz.

Ich glaube, damit habe ich genug gesagt. Vorhang auf für eine Reise in die bluti­ge Hochzeit der Französischen Revolution und die Herrschaft des „Terreurs“:

Das Pimpernell-Komplott

(OT: The Pimpernel Plot)

von Simon Hawke

TIMEWARS Band 3

Bastei 23175

288 Seiten, TB, April 1996

Übersetzt von Bernd Kling und Axel Merz

ISBN 3-404-23175-9

 

Man schreibt den September des Jahres 1792. Die Französische Revolution tritt in die blutige Phase ihrer Existenz ein, und die so genannten „Septembermor­de“ unter den Adeligen des Landes beginnen. Die Bürgerkomitees unter der Aufsicht von George Jacques Danton haben den König Ludwig XVI. gefangen ge­nommen und fangen nun an, die Blaublütigen zu inhaftieren und sie sukzessive der Guillotine zuzuliefern, die bald täglich in Aktion ist.

In dieser Lage grassiert unter den Vermögenden Frankreichs und insbesondere in Paris eine überaus verständliche Furcht, und jeder versucht, sich aus dem Land zu retten, so gut es möglich ist, und sei es auch in Verkleidung.

Bei einem Zwischenfall an einem Stadttor von Paris kommt es dabei zu einem Schusswechsel. Eine französische Aristokratin, Marguerite St. Just, verheiratet mit dem britischen Lord Sir Percy Blakeney, wird hier angeschossen, ihr Mann von Pferden zu Tode getrampelt. Außerdem kommt der Verursacher des Wirr­warrs, ein Mann namens Alex Corderro zu Tode.

Auf den ersten Blick nur ein Drama, das sich in diesen Tagen oft ereignen mag.

Auf den zweiten Blick eine temporale Katastrophe – denn Corderro ist Rekrut in den Zeitkriegen und entstammt dem 27. Jahrhundert. Und Blakeneys Karriere ist zu Ende, bevor sie begonnen hat. Ein Regulierungsteam aus der Zukunft muss nun einschreiten und die menschliche Geschichte manipulieren.

Im 27. Jahrhundert hat die Menschheit die Möglichkeit gefunden, dank der ge­nialen Vorarbeiten des Wissenschaftlers Mensinger, in der Zeit zu reisen und hier die Brennpunkte der menschlichen Geschichte zu stabilisieren. Konzerne und Länder der Gegenwart im 27. Jahrhundert tragen ihre Konflikte in Form von Beteiligungen an historischen Schlachten aus, und es existiert ein Schiedsrich­ter- und Beobachterkorps, das diese Geschehnisse zu überwachen hat. Ausge­wählte Männer der Zukunft werden ausgebildet und auf Zeit verpflichtet, um in die Vergangenheit zu „zeiten“ und hier Rollen zu übernehmen und gegebenen­falls Geschehnisse in richtige Bahnen zu lenken. Zwei von ihnen sind die Haupt­handlungsträger Lucas Priest und sein Freund Finn Delaney, die erst vor kurzem ein haarsträubendes Abenteuer in der Vergangenheit hinter sich gebracht ha­ben:1

Im 17. Jahrhundert gelang es den beiden Agenten gerade noch, die größte aller denkbaren Katastrophen zu umschiffen, die man sich überhaupt vorstellen kann: eine Teilung des Zeitstromes. Eine Gruppe abtrünniger Zeitagenten, die von irgendwo aus der Vergangenheit heraus operieren und sich „Zeitwächter“ nennen, war dabei, die Zeit gravierend zu verändern. Verschlimmert wurde die­ser Sachverhalt durch die Tatsache, dass Priests und Delaneys Helfer vom Zeit-Nachrichtendienst (ZND) unter dem Chefagenten „Mungo“ sich eine Art von Privatkrieg mit den Zeitwächtern lieferten.

Erst durch das Eingreifen der jungen Andre de la Croix, einer Frau, die eigentlich aus dem 13. Jahrhundert kam2, gelang das Ausschalten der Zeitwächter und das Einfangen des offenbar völlig durchgedrehten Agenten Mungo. Andre, die sich inzwischen Andre Cross nennt, wurde bei dieser Gelegenheit der Aufnahme ins Zeitkorps für würdig befunden und wechselte auf Lucas´ und Finns Seite.

Diesmal werden Lucas und seine Gefährten auf ein besonderes Problem ange­setzt, das anfangs ganz routinemäßig aussieht: Sie sollen zurückgehen unmittel­bar hinter den Moment des Unfalls mit Sir Blakeney, wo Operateure inzwischen Marguerite Blakeney wieder versorgt haben. Finn hat Blakeneys Stelle einzu­nehmen, Andre und Lucas sollen ihm bei der Aufgabe assistieren, die der Adeli­ge hat.

Blakeney ist, was sonst kaum jemand ahnt, auch seine eigene Frau nicht, ein Mann mit einem Doppelleben. Während er nach außen einen eher dümmlichen und seiner Frau gegenüber recht abweisenden Ehemann spielt, versucht er zu­gleich, französische Adelige aus Frankreich nach England zu schmuggeln. Dafür bedient er sich des Tarnnamens „Scarlett Pimpernell“.

Nun könnte das immer noch eine recht einfache Geschichte sein. Leider ist Marguerite überzeugte Republikanerin (also Gegnerin des französischen Adels) und hat bereits eine Familie ans Richtbeil ausgeliefert; und zum zweiten verliebt sich Finn unsterblich in sie (er darf es aber, seiner Rolle gemäß, nicht zeigen). Und als ob das noch nicht genügen würde, erfahren sie auch noch, dass der Agent Mungo aus dem vergangenen Einsatz, dessen Karriere Lucas und Finn rui­niert haben, aus unerklärlichen Gründen wieder in die Vergangenheit geschickt wurde und nun IHR Kontaktoffizier ist. Bald scheint es, dass Mungo jede er­denkliche Möglichkeit wahrnimmt, um die beiden Agenten zu blamieren und ihren Ruf zu ruinieren.

So wenigstens sieht es aus. Aber leider ist das nur die Oberfläche, und die Wahrheit ist noch viel schlimmer und verstörender, als sie alle ahnen können …

Simon Hawke hat es mit diesem Roman erneut geschafft, ein anfangs ganz rou­tinemäßiges Abenteuer auf solche psychotischen Abwege zu bringen, dass dem Leser angst und bange dabei werden kann. Ist es schon verwirrend genug, mit Zeitreisen zu jonglieren, verharrt er nicht hierbei, sondern mischt – wie schon im vergangenen Roman – diese Problematik mit der Geheimdienstpsychose, die bald so ausgeprägt ist, dass der Leser Gespenster zu sehen und jedem zu miss­trauen beginnt (allerdings nicht genug, wie man am Ende weiß!).

Genau diese Mischung macht den Roman jedoch auch lesenswert. Im Vergleich zu den ersten beiden Bänden der Serie ist diese Geschichte relativ arm an De­tails, was vermutlich daran liegt, dass er sich hier auf eine m. E. nicht-reale Figur stützt (ich konnte Blakeney und Pimpernell in Lexika zu der Zeit nicht finden). Er schreibt ja an einer Stelle des Buches selbst, dass manche Dinge, die als Fiktion gelten, hier durch „Zeitnachprüfung“ zu wirklichen Fakten werden (nur so kann er beispielsweise in Band 2 d’Artagnan und die Musketiere als reale Personen behandeln). Außerdem erschwert es das ständige Hin- und Herpendeln von Frankreich nach England, sich an einem Schauplatz fest und intensiv zu verankern.

Dennoch hat er eine Reihe von erstaunlichen Bonmots zu bieten. Einen jugend­lichen Mörder und späteren Piraten gefällig? Bitte, findet sich hier. Zeitgespens­ter? Bitte sehr, ebenfalls vorhanden. Paranoia? Reichlich. Sich entwickelnde Handlungspersonen: ebenfalls. Und auch dann, wenn man denkt, das Ende sei voraussehbar, eine vollständige Kehrtwendung mit ziemlichem Knall. Wow, sagt sich der beeindruckte Leser.

Konsequenz: die Geschichte geht zwar gemächlich los, aber wer die ersten bei­den Bände der Serie gelesen hat, wird rasch wieder drin sein und sich gewiss nicht langweilen. Und die letzten 80 Seiten kann man das Buch gar nicht mehr weglegen. Guter Stoff!

© 2003/2018 by Uwe Lammers

Tja, was soll ich dazu noch mehr sagen?

Wie jetzt, ihr habt für den Teil 250 meines Rezensions-Blogs etwas sehr Beson­deres erwartet? Das tut mir leid, euch da ein wenig enttäuscht zu haben, aber es gelingt einfach nicht immer, so etwas zu organisieren. Da ich mich außerdem gerade in der Besprechung eines Mehrteilers in relativ klar festgelegten Abstän­den befand, rumpelte gerade diese Rezension in Position 250 des Blogs.

Macht nicht so lange Gesichter, Freunde. In der kommenden Woche gibt es hier das nächste Schmankerl, in dem ihr dem legendären beratenden Detektiv aus der 221B-Baker Street begegnen werdet. Sherlock Holmes durchlebt seine Aben­teuer ja unabhängig von Sir Arthur Conan Doyle, womit wieder einmal schla­gend bewiesen wäre, dass Romanfiguren den Tod ihres Schöpfers mitunter mü­helos überleben können – wohingegen gerade Holmes belegt, dass der umge­kehrte Fall leicht fehlschlägt.

Mehr zu Sherlock Holmes also in der kommenden Woche.

Bis dann, meine Freunde, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. „Die Richelieu-Intrige“, Bastei 23171 (siehe dazu den Rezensions-Blog 245 vom 4. Dezember 2019).

2 Vgl. „Das Ivanhoe-Gambit“, Bastei 13166 (siehe dazu den Rezensions-Blog 241 vom 6. November 2019).

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>