Rezensions-Blog 106: Meine Jahre mit Pat

Posted April 5th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute gibt es eine vergleichsweise frische Rezension, die ich vor ein paar Mona­ten nach einer Reiselektüre verfasste, die ich geradewegs verschlang. Ihr wisst inzwischen, dass das grundsätzlich immer ein sehr gutes Zeichen ist, und das gilt auch für dieses durchweg ungewöhnliche Buch. Es ist eine Mischung aus Biografie und Lebensbericht über einen kleinen historischen Zeitabschnitt der 50er Jahre in den Vereinigten Staaten – und über die komplizierte Beziehung zwischen zwei intellektuellen Frauen, was man sowohl mental als auch physisch verstehen muss.

Von der einen Frau nahm ich eigentlich an, dass ich sie durchaus schon kennen würde… hier offenbarte sich mir dann aber eine faszinierende, unbekannte Sei­te der berühmten Krimi-Schriftstellerin Patricia Highsmith, die völlig unterbe­lichtet war. Ob mit Recht oder nicht, das mag der Leser entscheiden. Tatsache ist, dass sich hier wieder einmal bewahrheitete, was man oft sagt – dass Men­schen das Bild, das von ihnen in der Außenwelt existiert, oftmals „in Szene set­zen“, künstlich erschaffen, und dass man dieses mediale Ego nicht für das voll­wertige Subjekt setzen darf, das dahinter steht.

Marijane Meakers Erinnerungen an ihre Zeit mit Patricia Highsmith, mit ihren Höhen und Tiefen, den kreativen Ausbrüchen und auch Einbrüchen, das ist eine spannende Lektüre, wie ich finde, die jeder Interessierte studieren sollte. Folgt mir also in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts und in ein höchst kompliziertes Doppelleben:

Meine Jahre mit Pat

Erinnerungen an Patricia Highsmith

(OT: Highsmith – A Romance of the 1950s)

von Marijane Meaker

Diogenes 23742

Zürich 2008, 336 Seiten

Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié

ISBN 978-3-257-23742-9

Schriftsteller sind tiefe Wasser – jeder, der sich ein bisschen mit Literatur be­fasst hat, weiß, dass diese Bemerkung in den allermeisten Fällen präzise zutrifft. Das hat mit einem Charakteristikum zu tun, das zwar nicht nur Schriftstellern zu eigen ist, auf sie aber in besonderer Weise zutrifft. Aufgrund ihrer Fähigkeit, in die Haut anderer Menschen hineinzuschlüpfen, zumeist außerdem zur Ver­schleierung ihrer eigenen Vita Pseudonyme tragend, sind sie buchstäblich „viele Personen in einer“, und nur sehr selten sieht man alles von ihnen.

Als ich im Oktober 2015 über das vorliegende Buch stolperte, animierten mich drei Aspekte zum sofortigen Kauf. Nennen wir sie in der Reihenfolge, in der die Reize wirkten: das Titelbild ziert das Foto einer wunderschönen jungen Frau, das mich sofort fesselte (im ersten Moment hielt ich es für ein Bild der Autorin, aber darin irrte ich mich). Das zweite war der Name Patricia Highsmith – wer mich länger kennt, weiß, dass ich diese Autorin außerordentlich faszinierend finde und zahlreiche Werke von ihr besitze, z. T. auch schon sehr wohlwollend rezensiert. Und das dritte, aber wirklich erst an dritter Stelle, war der Preis (da ich das Buch als Remittend fand).

Ich habe es binnen von zwei Tagen während einer Dienstreise in den Süden Deutschlands durchgelesen und konnte es fast buchstäblich nicht aus der Hand legen. Was ein außerordentliches Qualitätskriterium darstellt, zumal in Anbe­tracht der Zumutungen, die mir der Inhalt antat. Davon wird gleich die Rede sein.

Das wunderschöne Mädchen auf dem Titelbild ist die junge Patricia Highsmith etwa im Alter von 25 Jahren. Das „Erinnerungsbuch“ von Marijane Meaker (*1927), das weder ein Roman noch eine Biografie noch Autobiografie ist, aber Züge von allem trägt, umfasst – wenn man den langen, mehrteiligen Epilog au­ßer Betracht lässt – , im Grunde genommen die Jahre 1959 und 1960, aber die­se Jahre breitet Meaker mit unglaublicher Akribie und erstaunlichem Detail­reichtum aus.

Meaker, 1927 in Auburn, New York, geboren, arbeitete Anfang der 50er Jahre in New York beim Verlag Fawcett als Sekretärin. Ihre Freundin Louise Fitzhugh er­mutigte sie zum Schreiben, was eine großartige Entscheidung war – denn schon 1952 erlebte sie unter dem Pseudonym Vin Packer einen phänomenalen Durchbruch, der dazu führte, dass sie bald vom Schreiben leben konnte. Von ihren Kriminalromanen im Paperbackformat (und späteren Sachbüchern und Jugendromanen, unter den Pseudonymen Ann Aldrich und M. E. Kerr sowie auch Mary James veröffentlicht), erschienen bis 1969 mehr als zwanzig verschiedene Werke.

Meaker hatte allerdings ein ganz persönliches Problem – sie war lesbisch veran­lagt und folgerichtig sehr gut mit der Homosexuellen-Szene in New York ver­netzt. Zu ihren Eltern hatte sie ebenso folgerichtig ein äußerst getrübtes Ver­hältnis, lebte mit ihrer Freundin und Geliebten Kit zusammen… und dann traf sie auf einmal in einer bekannten Bar für Personen ihrer individuellen Veranla­gung eine dunkelhaarige, attraktive Person, und aus vielfältigen Andeutungen und Gesprächen unter Freundinnen und Freunden war ihr sofort klar, wer das war – Claire Morgan!

Nun war mir nicht bewusst, dass „Claire Morgan“ bürgerlich Mary Patricia Plangman hieß, die auch unter ihrem Autorennamen Patricia Highsmith inzwi­schen prominent geworden war. Highsmith hatte, um bei diesem Namen zu bleiben, unter dem Pseudonym „Claire Morgan“ den Roman „The Price of Salt“ geschrieben, einen gewagten Lesbenroman, der in der Szene 1953 Furore ge­macht hatte, weil er – wohl entgegen dem allgemeinen Mainstream, in dem lesbische Veranlagung ebenso wie Schwulsein als Makel und moralischer Defekt betrachtet wurde – dem Liebespaar einen positiven Ausgang gewährt hatte.

Man erkennt hier übrigens die strukturellen Anlagen ihrer späteren Krimis, z. B. um den Mörder Tom Ripley, der stets mit seinen Taten davonkommt und ein ab­solut unmoralisches Dasein führt. Außerdem war Highsmith natürlich durch „Strangers on a Train“ schlagartig berühmt geworden, den Hitchcock 1951 be­reits hatte verfilmen lassen (wenn auch mit Abwandlungen der Vorlage).

In Meakers Buch erfährt man nun aus Marijane Meakers Mund, dass Patricia Highsmith sich nicht nur regelmäßig in Lesbenkneipen herumtrieb (wenn man das so nennen darf), die ebenso regelmäßig in den 50er Jahren verboten wur­den, sobald man herausbekam, welches „Klientel“ sich hier tummelte, sondern dass sie auch bereits 1959 stramme Alkoholikerin war und zudem strikte Ket­tenraucherin.

Ich sagte ja – das Buch hält Zumutungen bereit. Beides sind Fakten, die ich zu­tiefst verabscheue und die in mir stets tiefes Mitgefühl für jene Menschen indu­zieren, die von einer der beiden zerstörerischen Drogenformen abhängig sind. Es war bitter, festzustellen, dass sowohl Highsmith als auch Meaker in beiden Fällen als Abhängige zu betrachten sind.

Doch zurück zur Bar „L’s“ in New York, wo die 32jährige Autorin Meaker auf die damals 38jährige Autorin Highsmith stößt, deren Fan sie schon länger ist… an diesem Tag kommt noch etwas anderes hinzu, eine Art elektrischer Entladung – denn Meaker entdeckt noch bei dieser ersten Begegnung unmissverständlich, dass Highsmith ebenfalls lesbisch veranlagt ist, und die Folge ist eine geradezu vulkanische erotische Anziehung zwischen beiden, die sehr schnell gemeinsam im Bett landen.

Und dabei bleibt es durchaus nicht… während Meaker relativ rasch feststellt, dass sie in eine Art von süßer, aber auch sehr anstrengender sinnlicher Abhän­gigkeit geraten ist und durch die „Saufexzesse“ ihrer Geliebten regelmäßig in der eigenen Schreibarbeit behindert wird, wird „Pat“ immer mehr Teil ihrer Welt. Ihre jeweiligen Lebenssphären durchdringen sich, Geheimnisse tauchen auf, ehemalige Geliebte von Pat, rätselhafte und bisweilen wahnhafte Szenen spielen sich ab… aber zugleich ist Pat von Marijane gleichfalls so gebannt, dass sie sogar eine Reise nach Europa kurzerhand in den Wind schießt, weil sie Mari­jane nicht verlassen möchte.

Man erzähle, was man möchte – aber ich halte das für aufrichtige, ehrliche Lie­be.

Meaker berichtet aus dem Abstand von Jahrzehnten (das Buch ist 2005 erstmals erschienen, 10 Jahre nach Highsmith´ Tod in der Schweiz) über all die seltsamen Irrwege ihrer gemeinsamen Liebe, über zahlreiche verbundene Schriftstellerkol­legen, über Eifersuchtsdramen, Romanentwürfe, Romanvollendungen, über die Katzen (eine Leidenschaft, die Meaker bis heute prägt, wenn man sich auf ih­rem Wikipedia-Eintrag das Bild anschaut)… und man erfährt auch sehr viel über das sozial-repressive Klima in den USA gegenüber der Homosexuellen-Szene in den späten 50er und frühen 60er Jahren… so etwa, dass es schon als „Code“ galt, wenn eine Frau in Hosen in eine Bar gehen wollte – faszinierende soziale Details, die ich so noch nirgendwo gelesen hatte.

Alles in allem ist dies eine Liebesgeschichte mit einer Reihe recht ungenießba­rer Zutaten, aber, wie Thomas Wagner von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Recht sagt: „Meaker schildert ohne Groll die Geschichte ihrer Liebe bis zu ihrem Scheitern. Sie beschreibt, was war, ohne zu übertreiben oder zu beschö­nigen.“

Es ist ein äußerst lesenswertes Buch, das eine ausgezeichnete Übersetzung er­fahren hat. Und es enthüllt mit der Tatsache der lesbischen Orientierung beider Autorinnen ein Detail, das selbst bis heute totgeschwiegen wird. Man schaue sich bitte mal die aktuellen Wikipedia-Einträge zu Meaker (28. Dezember 2015) und Highsmith (24. Januar 2016!) an: nirgends eine Zeile über ihre sexuelle Ori­entierung, die ich persönlich nicht als Makel empfinde! Es ist doch wirklich sehr betrüblich, dass das allgemeine Klima im Zuge der Gender-Debatten scheinbar liberal geworden ist, aber in solchen Fällen nach wie vor unbestreitbar Schwei­gepolitik betrieben wird.

Meakers Buch ist auch deshalb so interessant, weil es zahlreiche Werke von Highsmith transparenter gestaltet. So war mir beispielsweise nicht klar, dass der Titel ihres letzten Romans „Small g – eine Sommeridylle“ ursprünglich ein Code für eine Lesben-Bar war (das große G stand für Schwule, das kleine g für Les­ben), womit Highsmith auf ihren ersten prominenten Roman zurückgriff, eben auf „The Price of Salt“. Und auch die Sache mit „Miranda the Panda is on the Veranda“ (1958) ist schleierhaft, wenn man Meakers Buch nicht kennt… denn hier wird die süße Entstehungsgeschichte dieses Kinderbuchs mit Zeichnungen von Patricia Highsmith erläutert.

Ich fand folgerichtig, als ich dieses Buch in Rekordzeit auslas, dass es eine Fülle von neuen, mir unbekannten Informationen enthielt, die mir ein paar sehr in­teressante, wenn manchmal auch sehr unsympathische Facetten ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit enthüllten, die man sonst so nicht ohne weiteres fin­den kann. Und ernstlich – die Liebesgeschichte zwischen Pat und Marijane, die durchaus Züge einer massiven Suchtabhängigkeit annimmt, ist absolut fesselnd. Wer also mal einen wirklich interessanten biografischen Blick in einen Spiegel wagen möchte, der unsereins üblicherweise verschlossen bleibt, nämlich den Blick in die Parallelwelt der weiblichen Homosexualität mit all ihren Schwierig­keiten, Vorurteilen, Besessenheiten, aber auch schönen, anrührenden Szenen und Gesten.. der ist hier hervorragend aufgehoben.

Ich wünsche diesem tollen Buch möglichst viele Leser.

© 2016 by Uwe Lammers

In der nächsten Woche landen wir dann im Rahmen der Reihe der Clive Cussler-Romane bei einer Zumutung völlig anderer Art. Es gibt einige wenige Bücher von ihm, die ich beim besten Willen nicht gelungen finde, und das, was ich in sieben Tagen hier vorstellen möchte, ist eins davon. Wenn ihr euch jetzt fragt, wie es zu diesem doch ein wenig überraschenden Urteil kommt, dann schaut wieder hier herein. Ich denke, es wird ein interessantes Lehrstück über ein… sagen wir… eigenartiges Buch sein.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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