Rezensions-Blog 11: Das Erbe der Azteken (2)

Posted Juni 10th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

vor drei Wochen habe ich euch das erste Mal in ein Abenteuer mit den Schatz­suchern Samuel und Remi Fargo gescheucht, und ich denke, wenn ihr den Ro­man inzwischen gelesen habt, könnte es sein, dass ihr sie so lieb gewonnen habt wie ich selbst ebenfalls. Im Gegensatz zu mir müsst ihr heute aber nicht ein paar Monate darauf warten, ehe ihr weiter ihren Spuren folgen könnt, son­dern das geht jetzt ruckzuck – ein klares Votum für das Rezensieren älterer Ro­mane, man kommt so deutlich rascher an ergänzenden Lesestoff.

Wohin geht es diesmal? Anfangs nach Sansibar und zu einer Schiffsglocke. Und dann zu den Azteken? Wie jetzt? Tja, folgt mir in den Roman, und ihr bekommt nähere Infos:

Das Erbe der Azteken

(OT: Lost Empire)

von Clive Cussler & Grant Blackwood

Blanvalet 37949

512 Seiten, TB

München, Juli 2012

Aus dem Englischen von Michael Kubiak

ISBN 978-3-442-37949-1

Schon das Titelbild erregt Aufmerksamkeit: zwei Taucher vor smaragdgrünem bis fahlweißem Hintergrund, ein großes, offensichtlich steinernes Artefakt um­schwimmend, das eine Schlange zeigt, die sich in den Schwanz zu beißen scheint. Dazu der Klappentext: zwei Schatzjäger entdecken „bei einem Tauch­gang Teile eines aztekischen Artefakts – und befinden sich plötzlich im Visier der ultranationalistischen und skrupellosen mexikanischen Partei Mexica Tenochca…“

Ich war, zugegeben, schon vor Monaten fasziniert, als ich die Buchanzeige im In­ternet entdeckte. Und ja, ich war vorgewarnt, wenn man das so nennen möch­te. Angefixt vielleicht, das wäre ebenfalls passend. Denn ich kannte den ameri­kanischen Titel seit einem Jahr und wartete sehnsüchtig auf die Übersetzung. Der Grund liegt auf der Hand, wenn der Leser dieser Zeilen das Fanzine Baden-Württemberg Aktuell (BWA) 340 (Januar 2012) als Begründung heranzieht.

In jenem Monat rezensierte ich das Buch, das man sinnvollerweise vor diesem hier lesen sollte: „Das Gold von Sparta“. Damals machte ich die wunderbare Be­kanntschaft mit Sam und Remi Fargo, zwei passionierten Schatzsuchern mit ziemlich unverwüstlichem Charme und Humor, außerordentlich menschen­freundlich und, ja, manchmal ein wenig bestürzend naiv, was dann bisweilen dramatische Resultate erzeugen kann. Vor allen Dingen sind die Fargos aller­dings eins: sehr, sehr stur. Ich mochte die beiden und ihren Helferkreis jeden­falls sofort und entdeckte, dass Cussler und Blackwood DREI Fargo-Abenteuer zusammen geschrieben haben, die wahrscheinlich zu 98 % Blackwood und klei­nen Einsprengseln von Cussler bestehen. Wer also die manchmal doch sehr ruppige Action der Cussler-Romane nicht so schätzt, sondern wem es mehr auf Köpfchen und vergnügliches „Aufs-Glatteis-Führen“ ankommt, der ist bei den Fargos ganz am Platze.

Nun, und hier haben wir also das zweite Fargo-Abenteuer, und darum geht es:

Der Prolog spielt, rätselhaft genug, im Jahre 1864 in England. Ein Mann namens „Jotun“ versucht, die Abfahrt eines Schiffes zu verhindern. Dummerweise schei­tert er damit, und das Schiff entschwindet in den Nebel (und wer denkt, das sei alles Nebensache, der hat die Struktur der Cussler-Romane nicht begriffen. Sehr gründliches Lesen ist hier angesagt, besonders bei Blackwood! Ihr werdet es merken!).

Gegenwart, Chumbe Island vor Sansibar bei Tansania: Das Schatzsucher-Ehe­paar Sam und Remi Fargo macht wieder einmal Urlaub auf Sansibar wie schon häufig zuvor. Der Grund dafür liegt nicht nur in ihrer Liebe zu Afrika begründet, die hier sehr schön ausgearbeitet wird, sondern auch in der Tatsache, dass der Meeresgrund um Sansibar gepflastert ist mit antiken Schiffswracks unterschied­lichster Mächte und Reiche und Jahrhunderte. Die Riffe hier und die tropischen Stürme sind eben außerordentlich tückisch. Und so tauchen die beiden also und denken sich: vielleicht finden wir ja im Urlaub auch mal einen kleinen Hin­weis auf einen Schatz. Und verdienen uns sozusagen ein Zubrot und bessern die Urlaubskasse auf.

Sie finden nicht einen kleinen, sondern einen außerordentlich gewichtigen Schatz – nämlich eine Schiffsglocke, die mehrere Zentner wiegt. Eine erste Re­cherche ergibt, dass der Fund nicht zu einer in der Nähe entdeckten Goldmünze passt (diese hätte, aber davon wird im Roman mehr erzählt, im Grunde zu ei­nem Piratenschatz geführt). Die Glocke ist zu groß für das gesuchte Schiff, ge­hört also zu einem anderen.

Da gibt es nur eins: die Glocke bergen.

Interessanterweise lockt allein schon die Gegenwart der Fargos eine zweite In­teressengruppe auf den Plan, die es ganz offenkundig auf die Glocke abgesehen hat – aber nicht, um das damit verbundene Geheimnis zu entschlüsseln, son­dern um es weiter zu verheimlichen.

Diese Gruppe schreckt vor Mord nicht zurück, und die Fargos geraten rasch in Lebensgefahr. Das Dumme daran ist, dass weder der Leser noch die Schatzsu­cher selbst recht verstehen, wie die Mosaikstücke zusammenpassen. Während ein Parallelhandlungsstrang rasch deutlich macht, dass die Gegenseite von dem fanatischen Aztekenverehrer Quauthli Garza in Mexiko gelenkt wird, beginnen sich die Fargos zu fragen, wieso die Mexikaner wohl hinter der Glocke her sind… denn die Glocke scheint zu einem amerikanischen Schiff namens „Shenandoah“ zu gehören, und das wiederum war ein Schiff der Konföderierten aus dem ame­rikanischen Bürgerkrieg, nach dem die Fargos schon lange suchen und über das zahlreiche Legenden kursieren (nicht zuletzt drei unterschiedliche Termine für ihr Ende, die geografisch und zeitlich weit auseinander liegen, und keiner davon ist verifiziert). Um die Angelegenheit noch komplizierter zu machen, ist in die Glocke ein zweiter Name eingraviert, nämlich „Ophelia“. Und diese Spur führt die Fargos dann nach Bagamoyo auf dem Festland, wo es das so genannte „Blaylock-Museum“ gibt und eine Zeichnung der „Ophelia“ hängt. Die unbe­streitbar mit der „Shenandoah“ identisch ist.

Aber wer war der rätselhafte und scheinbar geistesgestörte Blaylock? Warum wurde das Schiff umbenannt? Warum werden die Leute, die über das Schiff stolpern, von den Mexikanern kurzerhand umgebracht?

Und was hat das alles mit den Azteken zu tun?

Rätsel über Rätsel.

Die Sache wird noch um einiges abenteuerlicher, als die Fargos endlich die Gele­genheit bekommen, sich das Innere der Glocke anzuschauen – denn das ist über und über bedeckt mit aztekischen Bildglyphen.

Während der mexikanische Berufskiller Rivera mit seinen Kollegen hinter den beiden Schatzsuchern her ist (bzw. manchmal unangenehmerweise ein paar Schritte voraus!) und nach und nach wirklich genug Grund für Antipathien be­kommt (das muss man nachlesen, das ist wirklich äußerst vergnüglich und sehr turbulent), pirschen sich die stetig neugieriger werdenden Abenteurer an das ziemlich knifflige Rätsel heran, das wesentlich mit dem rätselhaften Jäger Blay­lock zu tun hat, mit dem Sezessionskrieg, mit Verrat und Massenmord, aber eben auch mit codierten Nachrichten, uralten Agentennetzen, berühmten Per­sönlichkeiten der Vergangenheit, Fibonacci-Folgen und einem aufregenden Ge­heimnis, das schließlich bis zu einer der schlimmsten Naturkatastrophen des 19. Jahrhunderts führt – zum Ausbruch des Vulkans Krakatau im Jahre 1883…

Fangen wir mit einem Plus an: Der Roman liest sich unglaublich rasant und sehr vergnüglich, und eine Ahnung davon, worum es eigentlich tatsächlich geht, er­hält man erst etwa auf Seite 250, also in der Mitte des Buches. Für kombinie­rende, gern kniffelnde Leser, die etwa Sherlock Holmes-Romane oder Holmes-Romane der Epigonen genießen, wenn sie gut gemacht sind, ist das idealer Le­sestoff. Das gilt zur allgemeinen Überraschung umso mehr, und damit kommen wir dann zu den Eintrübungen, als das Äußere des Buches den Neugierigen gründlich in die Irre führt. Wer beispielsweise darauf wartet, dass die Titelszene irgendwo in Erscheinung tritt, der wartet 512 Seiten völlig vergebens. Das ist al­les Quatsch, dieses schöne Artefakt gibt es nicht, das ist frei erfunden (wenn auch sehr nett gezeichnet).

Natürlich, derlei vermeintlich verkaufsfördernde Irreführungen ist man auch von anderen Romanen Cusslers gewohnt. Aber wenn man sich den ersten Far­go-Roman anschaut, wo das Cover ideal zum Inhalt passte, dann muss man kon­statieren, dass der Verlag hier klar geschwächelt hat. Das ist, was den Klappen­text angeht, noch übler. Denn natürlich finden die Fargos KEIN aztekisches Arte­fakt… äh, wenigstens nicht beim TAUCHEN. Nachher schon, aber das muss man dann nachlesen. Da hat jemand sich beim Verlag offenkundig zu sehr am vorlie­genden Titelbild orientiert und den Roman nicht gelesen. Das trübt dann doch die Lesefreude ein wenig ein.

Ansonsten kann man die Geschichte recht gut in drei Tagen lesen (ich für mei­nen Teil las die zweite Hälfte des Romans an einem Nachmittag und Abend, weil ich nicht mehr aufhören konnte, und das will immer was Gutes heißen). Zu mei­nem Verdruss wurde die Story dann zum Schluss hin aber leider immer dünner und löste sich beinahe wie ein Nebelschweif fast in Luft auf… damit blieb sie dann doch deutlich hinter den Erwartungen zurück, die sich nach dem ersten Fargo-Roman in mir aufgebaut hatten, und dem Titel wurde sie auch nur seeeehr bedingt gerecht.

Ja, es geht hier um ein „verlorenes Reich“, insofern ist das ganz präzise. Aber lei­der hat sich – so las es sich wenigstens – Blackwood nicht hinreichend in die dazu passende Kultur eingearbeitet, um schlussendlich auch tatsächlich Nägel mit Köpfen zu machen (und eine Spur, die ich für sehr verheißungsvoll hielt, wird schließlich ganz und gar ignoriert, was doch sehr schade ist).

Überaus raffiniert und kenntnisreich indes ist dann die Codierung, die den Weg zum „lost empire“ weist, und da ist Blackwood erkennbar in seinem Element. Dieser durchgängige Schatzsuchercharakter prägt ganz wie im ersten Roman die ganze Geschichte und verleiht ihr eine Art von Indiana-Jones-Flair, und das ret­tet dann im Grunde das Werk doch noch.

Gleichwohl bleibt der Wermutstropfen bestehen: an den ersten Fargo-Roman reicht der Nachkömmling nicht heran. Bleibt also abzuwarten, wie der dritte ge­raten ist, der wahrscheinlich anno 2013 auf den deutschen Buchmarkt kommt. Ihr werdet es erfahren, denn ich werde ihn ganz bestimmt kaufen, lesen und re­zensieren.

© by Uwe Lammers, 2012

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