Rezensions-Blog 143: Die Troja-Mission

Posted Dezember 20th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ihr wisst seit Jahren, dass ich Clive Cussler als Autor von Actionromanen nun wirklich sehr schätze und seine Bücher üblicherweise mit Genuss lese. Das tue ich, auch wenn ich der erste bin, der eingesteht, dass sie zumeist nicht realis­tisch, ziemlich theatralisch, manchmal arg gekünstelt zusammengeschustert und bisweilen recht (oft unfreiwillig) komisch sind. Dirk Pitt und Al Giordino sind einfach so eine Art von alten Vertrauten, denen man gern mal wieder bei ihren Abenteuern über die Schulter guckt.

Aber es gibt Grenzen. Auch für mich.

Ich sagte das jüngst schon, als ich mich gezwungen sah, dem Cussler-Roman „Akte Atlantis“ ein ausnehmend schlechtes Zeugnis auszustellen. Der vorliegen­de Band ist bedauerlicherweise ein ähnlicher Tiefpunkt seiner Publizität, ein – in meinen Augen – ziemlich hastig heruntergekurbelter und zusammengeschus­terter „Pflichtroman“. Das spürt man sehr rasch. Interessant ist im Nachhinein eigentlich nur eine Sache: Die These, den Trojanischen Krieg aus dem Mittel­meer zu verlagern. Denn da ist weder Cussler allein auf weiter Flur noch sein diesmaliger Gewährsmann Iman Wilkes – ich weiß inzwischen von dem italieni­schen Historiker Felice Vinci, der mit „Homer an der Ostsee“ die Ilias Homers in den Ostseeraum verlagert. Beizeiten muss ich das Buch mal genauer lesen (konnte es bislang nur als ausgeliehenes Büchereibuch anlesen, ehe ich es wie­der abgeben musste).

Ansonsten aber ist das vorliegende Buch… ach, ich lasse da besser mal die Re­zension von 2011 sprechen:

Die Troja-Mission

(OT: Trojan Odyssey)

von Clive Cussler

Blanvalet Hardcover

516 Seiten, 2004

ISBN 3-7645-0189-8

Übersetzt von Oswald Olms

Mit diesem Buch legt Bestseller-Autor Clive Cussler also sein nächstes Helden­stück um seinen in die Jahre gekommenen marinen James Bond Dirk Pitt vor und lässt es vom Leser prüfen. Und schon der verdächtig schmale Umfang des Buches signalisiert – leider – , dass Cussler allmählich die Ideen ausgehen, inno­vative und interessante Romane zu schreiben. Diese skeptische Anfangs­einschätzung hat sich bei der Lektüre leider bestätigt, auch wenn ich natürlich zugeben muss, dass er sich ein wenig gefangen hat, was solche katastrophalen Querschläger wie eines seiner jüngsten Bücher („Akte Atlantis“1) angeht. Aller­dings erreicht es durchweg nicht die Höhe des Vorgängerromans „Im Zeichen der Wikinger“.2 Dafür fällt der Autor diesmal und vielleicht unwiderruflich unter die Romantiker, was eine ganz eigenartige Folge von Konsequenzen nach sich zieht…

Wie üblich ist dem Roman ein historischer Prolog vorangestellt, diesmal um 1190 v. Christus spielend, bei „einer Bergfeste am Meer“. Eine weite Ebene, eine hohe Festung, abziehende Invasoren zu Schiff, ein seltsames Gebilde, das zurückgelassen wird und das von den beglückten Stadtbewohnern für ein Zei­chen des Sieges benutzt wird.

Der Titel macht es schon klar, wo wir sind: Trojanischer Krieg. Und so kann auch der Ablauf des Prologs nur gering verblüffen – Troja wird durch die List mit dem Trojanischen Pferd erobert (und die Deutung des Trojanischen Pferdes fand ich äußerst stichhaltig, muss ich gestehen), danach bricht der Held Odysseus auf, um nach Ithaka zurückzukehren. Doch schließt sich daran die in Homers „Odys­see“ geschilderte Irrfahrt an, bei der der Held all seine Schiffe und Mannen ver­liert und erst Jahre später zurückkehrt. Vieles im Prolog ist direkt an die Rede des Odysseus am Hofe von König Alkinoos im Lande der Phäaken angelehnt, der ihm schließlich die Rückkehr ermöglicht.

Ein direkter Zusammenhang mit der Romanhandlung wird noch nicht sichtbar, und da der Leser nun natürlich auf das Mittelmeer geeicht ist – Troja steht be­kanntlich in der Türkei, schon vergessen? – , wird er ein wenig verdutzt, als er sich im ersten Teil der Romanhandlung dann am 15. August 2006 bei Key West in Florida wieder findet. Da man aber derlei Sprünge in Cusslers Romanen gewohnt ist, nimmt man es erst mal hin.

Hier ist das Sturmwarnungszentrum der NUMA (National Underwater and Marine Agency) gelegen, und hier wird auch die Gefahr des ersten Romanteils erkennbar. Eine Gefahr, die besonders ein gewaltiges, marines Hotel des geheimnisvollen Unternehmers Specter bedroht, das derzeit vor der Küste der Dominikanischen Republik verankert ist, das „Ocean Wanderer“. Es handelt sich dabei um ein ringförmig gebautes, schwimmendes Luxushotel, das von Schlep­pern um den Globus geschleppt und dann an vorher geschaffenen Ankerplätzen an den exotischsten Orten der Welt auf dem Meeresgrund vertäut werden kann. Deshalb besitzt das Hotel auch keinen eigenen Antrieb. Im Grunde ge­nommen ist das unproblematisch… bis Lizzie kommt.

Lizzie ist ein tropischer Hurrikan, der von der NUMA auf seinem unaufhaltsa­men Marsch über den Atlantik frühzeitig entdeckt wird und erstaunlich zielstre­big seinen Weg in die Karibik antritt, wobei er sich zu einem Sturm der Stärke 5 entwickelt mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 300 Stundenkilometern. Die Prognosen sagen aus, dass er das „Ocean Wanderer“ direkt treffen wird. Dort wird die davon ausgehende Gefahr sträflich unterschätzt, und während der gewissenlose Specter kurz vor Eintreffen des Sturms per Flugzeug flüchtet und die mehr als 2000 Gäste und das Personal im Stich lässt, scheint am dro­henden Tod der Besatzung nichts mehr zu ändern zu sein, als eine der Trossen nach der nächsten reißt.

Aber wir sind hier in einem Roman von Clive Cussler, und das merkt man schnell.

Ebenfalls vor der Küste der Dominikanischen Republik sind zur gleichen Zeit An­gestellte der NUMA auf der Fährte einer rätselhaften Meeresverschmutzung, des „braunen Schlicks“, der die Meeresflora und Meeresfauna der Korallenriffe absterben lässt. Dafür wurde auf einer Korallenbank der Navidad Bank abge­setzt, und die Besatzung besteht aus dem jungen Dirk Pitt und seiner Schwester Summer, die erst jüngst in das Leben ihres völlig überrumpelten Vaters Dirk Pitt senior getreten waren.

Der Leser mag sich daran kurz erinnern: am Ende des vorigen Romans „Im Zei­chen der Wikinger“ gibt es den völligen Überraschungsmoment, den ich als Le­ser arg kitschig fand – plötzlich tauchen Pitts Zwillingskinder auf, von deren Exis­tenz er nie etwas wusste, weil seine Geliebte Summer Moran von ihm vor über 20 Jahren tot geglaubt wurde.3 Summer Moran überlebte damals, schwer verletzt und schwanger, und sie verschwieg ihren Kindern stets, wer ihr Vater war und eröffnete es ihnen erst kurz vor ihrem Tod. Summer Pitt und Dirk Pitt junior traten daraufhin in die NUMA ein und erleben in diesem vorliegenden Roman ihr erstes Abenteuer.4

Während eines Tauchgangs findet Summer nämlich auf der Navidad Bank ein untergegangenes Gebäude und ein Artefakt aus Bronze, das, zur NUMA-Zentra­le in Washington gesandt, die Experten vor Rätsel stellt: es handelt sich um eine Bronzeamphore keltischen Ursprungs, die seit etwa 2800 Jahren auf dem Meeresgrund liegen muss. Das Kupfer darin stammt aus Hallstatt in Österreich.5

Der Sturm macht weitere Überlegungen hinfällig. Das Mutterschiff „Sea Sprite“ muss das Unterwasserhabitat im Stich lassen und sich stattdessen bald darauf an die Rettung des „Ocean Wanderer“ machen. Der Kapitän P. T. Barnum6 hat keine Ahnung, dass durch die Wucht des Sturms, der mehr als 30 Meter hohe Wogen erzeugt, das Habitat losgerissen und in eine Schlucht gestürzt wird, wo­durch die Pitt-Kinder in Lebensgefahr geraten.

Durch eine abenteuerliche Heldentat gelingt es der Besatzung der „Sea Sprite“, in Zusammenarbeit mit den per Hubschrauber im Auge des Hurrikans auf dem „Ocean Wanderer“ abgesetzten Paars Dirk Pitt senior und Al Giordino (sie tre­ten unvermeidlich immer zusammen auf), die Kollision des Hotels und dessen drohende Versenkung abzuwenden. Und buchstäblich um Haaresbreite können sie auch die Pitt-Kinder vor dem Tod retten.

Das alles füllt die ersten, durchweg spannend geschriebenen 165 Seiten des Bu­ches, und von da an – finde ich – geht es einfach nur noch bergab.

Während die Pitt-Kinder weitere Tauchgänge an der Navidad Bank durchführen, werden Dirk Pitt senior und Al Giordino auf den „braunen Schlick“ angesetzt, der vor der Küste Nicaraguas seinen Ursprung zu haben scheint. Und sehr zu ih­rem Unbehagen müssen sie entdecken, dass sie hier von weiblichen Angestell­ten von Specters Konzern „Odyssey“ überwacht werden. Dabei bleibt es nicht, sondern die Leute haben auch sehr handfeste Methoden, ihre Abneigung kund­zutun: etwa, indem sie Pitts Boot verminen und ihn fast in die Luft sprengen.

Als nächstes stoßen sie auf eine lebende Legende, und da hatte ich grinsend das Gefühl, dass Cussler irgendwie seine Personendatenbank durcheinander ge­raten wäre. Warum? Nun, schaut es euch genau an: Angeblich soll von 1665-1680 ein Bukanier namens Leigh Hunt in der Karibik sein Unwesen getrieben haben, und den Legenden nach, die Cussler hier wiederkäut, soll das Schiff im­mer noch als Geisterschiff mit schwarzen Segeln (!) sein Unwesen treiben. Wer weiterhin bedenkt, dass der Roman 2003 geschrieben wurde, als der erste Teil von „Fluch der Karibik“ in die Kinos kam, der braucht sich vermutlich nicht zu wundern, wo Cussler hier geklaut hat. Ich habe so sehr gekichert… aber das ist nur ein Teil des Vergnügens.

Der zweite, und darauf spielte ich oben an, stellt sich nämlich ein, wenn man sich an den letzten Cussler-Roman erinnert7, in dem im zweiten Prolog anno 1894 ein „Captain Leigh Hunt“ in der Karibik unterwegs war. Normalerweise hat Cussler eher keine Probleme, seinen Protagonisten intelligente Namen zu ge­ben, aber diese Namensidentität und Ortsidentität in zwei aufeinander folgen­den Romanen fand ich dann doch schon bedenklich.8

Noch amüsanter wird es, als Pitt und seine Kameraden es TATSÄCHLICH mit ei­nem Piratensegler zu tun bekommen, der sie dazu auffordert, beizudrehen und sich entern zu lassen… was habe ich gekichert. Was sich daraus dann entwi­ckelt, ist allerdings alles andere als witzig, und es hat mit Maschinengewehren und Raketenwerfern zu tun.

Dennoch schaffen es Pitt und seine Kameraden bis zur nicaraguanischen Küste, wo sie direkt in Landnähe erst entdecken müssen, dass ein Fischerdorf sich of­fensichtlich in einen Containerhafen verwandelt hat, in dem chinesische Frachter vor Anker liegen, und dann treffen sie auf eine Art von Unterwasser-Schlammvulkan. Nach allen Informationen, die im Roman schon ausgebreitet worden sind, ist zu diesem Zeitpunkt für den Leser auf Seite 246 die Intention des Odyssey-Konzerns schon relativ klar. Cussler lässt seinen sonst nicht unintel­ligenten Dirk Pitt noch Hunderte von Seiten in ziemlich naiver Ahnungslosigkeit dahinstolpern. Das ist dann auf Dauer doch sehr ermüdend.

Nachdem sie sich eines Angriffs einer Odyssey-Yacht so erwehrt haben, dass die Yacht versenkt wird, machen sie eine Gefangene, die sich Rita Anderson nennt und ein wildes Piratengarn zum Besten gibt, was ihr natürlich nicht geglaubt wird (es ist so falsch wie ihr Name). Gut so, aber leider nicht gut genug – denn wenig später ist die Gefangene geflohen und hat sogar noch jemanden dabei umgebracht. Spätestens jetzt ist Pitt ihr rachedurstig auf den Fährten und ver­folgt die Odyssey-Spur quer durch Nicaragua weiter.

Er verfolgt außerdem den Gedanken, dass Odyssey-Gründer Specter seinen al­ten Plan, einen Eisenbahntunnel durch den Untergrund von Nicaragua zu boh­ren, nicht aufgegeben hat, obwohl man an der Oberfläche nichts sehen kann. Er hat Recht damit und findet sich bald mit Al Giordino in einem unterirdischen Tunnelsystem erstaunlicher Ausmaße wieder. Eine der Röhren führt direkt am Fuß eines Vulkans entlang.

Derweil werden die Funde der Navidad Bank ausgewertet, und Erstaunliches kommt zutage (freundlich assistiert von dem Sachbuch „Where Troy Once Stood“ von Iman Wilkens, der, wie man in der Danksagung entdecken kann, Cussler die Idee für den ganzen Roman eingegeben hat9): es handelt sich in der Tat um keltische Artefakte, die man dort entdeckt hat, und ein Wandrelief gibt nichts Geringeres wieder als die Sage vom Trojanischen Krieg. Wilkens´ Buch verlegt offensichtlich anhand geografischer Details die trojanische Saga nämlich von Anatolien nach Südengland, und es ginge in der Geschichte auch nicht um die entführte Helena, sondern vielmehr um das Zinnmonopol der antiken Bri­ten, was die auf dem europäischen Festland siedelnden Keltenstämme geeint habe, um sie den vernichtenden Feldzug gegen Südengland unternehmen zu lassen. Und der Kelte (!) Homer habe später diese Geschichte niedergeschrie­ben. Die Odyssee des Odysseus habe nicht im Mittelmeer stattgefunden, son­dern vielmehr in der Karibik und entlang der Atlantikküste.

Diese zumindest abenteuerlich zu nennende Schlussfolgerungen führen dann zu einer Insel namens Branwyn Island in der Karibik, wo die von den Lästrygo­nen versenkten Schiffe des Odysseus mitsamt ihren Schätzen seit Tausenden von Jahren auf dem Meeresgrund liegen müssen. Wer macht sich dorthin auf, eine im Privatbesitz des Odyssey-Konzerns befindliche Insel zu besuchen und di­rekt vor der Küste zu tauchen? Na, nicht unsere kampferprobten Recken Dirk senior und Al Giordino, sondern unsere ahnungslosen Grünschnäbel von Dirk Pitt junior und seiner hübschen Schwester Summer! Was prompt zur Folge hat, dass sie gekidnappt werden und in akute Lebensgefahr geraten.

Derweil wird auch (endlich!!!!) klar, was Specter mit seinen Baumaßnahmen in Mittelamerika geplant hat, nämlich eine großmaßstäbliche Veränderung des Weltklimas, und es bleiben nur noch acht Tage, um das zu verhindern. Und dann fünf, vier, drei…

Man kann den Roman in vier Tagen lesen, wie ich es gemacht habe, und ja, ich bleibe dabei, er ist lesbar und durchaus unterhaltsam. Aber dabei bleibt es dann auch, mehr ist er nicht. Er liest sich an sehr vielen Stellen wirklich so, als habe Cussler wirklich keinen Bock gehabt, realistisch zu schreiben oder sich ein bisschen in den Stoff zu vertiefen.

Woran merkt man das? An vielen Dingen. Nehmen wir beispielsweise das „Ocean Wanderer“. Es werden hier etwa Wasserrutschen im Innern für Notfälle erwähnt. Es gibt einiges an Details, die hier auftauchen, aber sobald der Sturm das Hotel erfasst, werden alle Details plötzlich unwichtig, die zweitausend Pas­sagiere zu einer einzigen amorphen Masse kreischender und panischer Perso­nen zusammengeschoben, und während der Leser die ganze Zeit fest daran glaubt, dass der Sturm irgendwie künstlich erzeugt worden ist oder mit Vorsatz in die Karibik gesteuert wurde, ist nach dem ersten Teil des Romans weder vom Hotel noch von den Konsequenzen der Katastrophe irgendeine Rede. Folge: man vergisst den ganzen ersten Teil rasch wieder, er spielt einfach keine Rolle. Kulisse und lieblos in Szene gestellte Statisten, von einer langfristig durchgehenden Storyline keine Spur. Sehr schade.

Der keltisch vage und ziemlich banal überkrustete Odyssey-Konzern ist an Sche­matismus wirklich kaum zu überbieten, zumal sich Cussler keine Mühe macht, hier irgendwie in die Details zu gehen oder Personen Tiefe zu verleihen. Auch das Geheimnis des rätselhaften Specter war mir schon sehr bald klar, der Epilog bot in der Hinsicht so überhaupt keine Überraschung mehr, da habe ich nur noch gegähnt. Zur Oberflächlichkeit der Betrachtungsweise dieses Konzerns ge­hört es übrigens auch, dass das in Brasilien angesiedelte Unternehmen ebenso wenig genauer betrachtet wird wie die Herkunft von Specter, der „mit südame­rikanischem Akzent“ spricht. Die Verbindung zu den Chinesen bleibt ebenfalls vollkommen diffus.

Da der Gegner – hier Odyssey – fast durch die Bank weiblich ist und Cussler den Gentleman in sich nicht ablegen kann, kommt es bei Kämpfen, von denen es ei­nige gibt, zu geradezu abstrusen, nahezu peinlichen Folgen, bei denen man als Leser ungläubig die Augen verdreht und sich denkt, das kann man jetzt nicht gelesen haben. Ähnlich halbherzig fällt dann auch die Lösung der ganzen Ge­schichte aus und kann so überhaupt nicht zufrieden stellen. Die hochdrama­tische Gefahr für das Weltklima, die immerhin mehrere hundert Seiten des Ro­mans beherrscht und völlig unausweichlich scheint, wird dann, ohne Witz, in ZWEI ABSÄTZEN ausgeschaltet! Da dachte ich echt, ich bin im falschen Film. Das war wirklich lächerlich.

Auch brauche ich nicht zu betonen, dass der amerikanische wie deutsche Titel etwas in die Irre führt. Der amerikanische ganz besonders, denn „Trojan Odys­sey“ kann man mit „trojanische Odyssee“ übersetzen. Nur werden die Trojaner bekanntlich bei Homer und auch hier alle niedergemetzelt. Wer hier auf Odys­see geht, ist Odysseus, und der ist – nach dieser Deutung – eben Kelte. Was sich im Übrigen nicht sonderlich realistisch anhört. Gerade die schriftlose keltische Kultur soll einen Dichter wie Homer hervorgebracht haben? Und dann wird die­se Saga nicht in Zentraleuropa, sondern in Griechenland überliefert? Äh? Und dann all die griechischen Namen… also, das muss natürlich alles Zufall sein…

Manche der Schlussfolgerungen, mit denen die Spezialisten der NUMA und die hinzugezogenen Historiker die These von der Verlagerung der Troja-Sage nach Südengland plausibel zu machen versuchen, überzeugen mich übrigens auch nicht. Etwa die Behauptung, im Mittelmeerraum gäbe es mehrheitlich Nadel­wälder, Homer schriebe aber von Laubbäumen – zu seiner Zeit waren Korkei­chenwälder im Mittelmeerraum weit verbreitet, sie wurden erst später abge­holzt. Das Klima sei feuchter und nebliger gewesen – ja, aber große Laubwälder verändern das lokale Klima entsprechend, außerdem dürfte die Region des Mit­telmeeres vor dreitausend Jahren generell kühler und regenreicher gewesen sein… all solche Details stören in Cusslers „glatter“ Argumentation.

Auch dass wirklich IMMER das passende technische Gerät, helfende Hände, Mi­litär oder passende Gelegenheiten zur Hand sind, die den gealterten Helden die reibungslose Durchführung ihrer bisweilen doch recht abenteuerlichen Taten ermöglichen, ermüdet den Leser – es läuft viel zu glatt, und da, wo Protagonis­ten in ernstliche Gefahr geraten, WEISS man schon, dass die Helden auf jeden Fall kurz vor dem tödlichem Finale gerettet werden. Das tötet die Spannung so wirkungsvoll ab wie antiseptische Lösung bakterielle Verunreinigungen.10

Sogar die Handlungslogik wird manchmal konsequent ausgeschaltet, am nach­drücklichsten in dem Moment, wo Al und Dirk Pitt senior das erste Mal auftau­chen und per Helikopter auf dem „Ocean Wanderer“ landen. Wie hat der Heli­kopter die mehrere tausend Meter hohe Sturmfront durchquert? Überflogen vielleicht? Hallo? „Ach, schaut doch nicht so genau hin, das interessiert doch niemanden!“, mag Cussler bei so nervigen Nachfragen an Stellen, wo die Hand­lungslogik wirklich gar nicht mehr funktioniert, sagen. Da kräuseln sich mir die Nackenhaare, ehrlich. So was sollte ein Autor wirklich nicht machen, er schreibt doch nicht für Vollidioten! Und so etwas passiert nicht nur einmal, sondern häufiger. Wenn auch, zugegeben, nicht so drastisch.

Und, durch zahllose Dialoge zwischen Al, Dirk Pitt senior und seiner Langzeit-Geliebten, der Abgeordneten Loren Smith vorgewarnt, konnte Cussler natürlich am Ende auch den sentimentalen Schmalz nicht mehr abstellen, der schon „Im Zeichen der Wikinger“ so süßlich verkitschte. Ich sage nicht, was er hier getan hat, aber soviel: das wäre ein guter Schlusspunkt für die gesamte Serie gewe­sen. Leider wissen wir, dass er weitergeschrieben hat. Demnächst werdet ihr er­fahren, was das für Konsequenzen zeitigt. Der nächste Roman „Geheimcode Makaze“, erstmals mit seinem Sohn Dirk (!) geschrieben, steht schon im Regal bereit. Aber was diesen Roman hier angeht, noch ein letztes Wort: das ist ein bisschen romantische Schlummerlektüre für Senioren. Realismus wird klein ge­schrieben, Romantik groß, und so allmählich entwickelt sich Cussler echt zum Friede-Freude-Eierkuchen-Freund.

Lest die alten Romane, Jungs und Mädels, die lohnen sich wirklich, die sind spannend. Der hier eher nicht. Der ist zum Gähnen.

© 2011 by Uwe Lammers

Oje, höre ich euch seufzen? Ein Buch, das man ganz bestimmt nicht lesen sollte? Nun, gar so weit würde ich nicht gehen… aber es hat definitiv keine Prio­rität auf der Leseskala, darin stimme ich euch zu.

Im kommenden Monat könnt ihr euch entspannter zurücklehnen, da geht es zu­rück zur Zaubererschule Hogwarts und zu Harry Potters zweitem Abenteuer.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Vgl. Clive Cussler: „Akte Atlantis“. Siehe dazu auch den Rezensions-Blog 123 vom 2. August 2017.

2 Vgl. Clive Cussler: „Im Zeichen der Wikinger“. Siehe dazu auch den Rezensions-Blog 135 vom 25. Oktober 2017.

3 Vgl. dazu Clive Cussler: „Im Todesnebel“. Siehe auch den Rezensions-Blog 66 vom 29. Juni 2016.

4 Bei dem sie freilich, wie ich hier seufzend anmerken muss, eine höchst unrühmliche Figur machen. Ihr wer­det es lesen, wenn ihr den Roman anschaut. Ich sage dazu weiter nichts.

5 Dank der modernen Isotopenbestimmung ist es möglich, solche geografischen Zuordnungen zu machen, das geht auch bei Edelsteinen.

6 Warum ich bei ihm immer an Zirkusse denken musste, kann ich mir echt nicht erklären…

7 Vgl. Clive Cussler: „Im Zeichen der Wikinger“.

8 Nun, hier bin ich heute etwas schlauer und weiß, dass Cussler seinen alten Spezi Leigh Hunt regelmäßig an unterschiedlicher Position in seinen Romanen unterbrachte – das ist eine ähnliche Form von Cameo-Auftritt, wie sie Stan Lee in den Marvel-Verfilmungen etabliert hat. Inzwischen ist Hunt verstorben, und die Cameos haben aufgehört.

9 Analog zu dem Verfahren im Roman „Akte Atlantis“, der daraufhin ja völlig logisch entgleiste. Hier ist die Ge­dankenführung ähnlich verbohrt, aber glücklicherweise nicht ganz so aberwitzig. Aber indem er sich ganz an der Argumentation von Wilkens´ Buch entlang hangelt, schmirgelt Cussler seinen Handlungsstrom bedau­ernswert glatt und macht ihn damit naiv und durchsichtig.

10 Man schaue sich mal, um einen wesentlich lebendigeren Vergleich einer spannenden Handlung zu haben, Arthur C. Clarkes und Mike McQuays Roman „Stärke 10“ an. Er stammt von 1996, und Clarke war damals schon deutlich älter als Cussler! Vgl. im Detail dazu die entsprechende Rezension im Rezensions-Blog 57 vom 27. April 2016.

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