Rezensions-Blog 207: Das Aktmodell

Posted März 13th, 2019 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

sind Zeitreisen sexy? Wir Phantasten können diese Frage eigentlich nur beja­hen. Aber was geschieht, wenn sich Mainstream-Autoren an Zeitreisen wagen und sie dann munter auch noch mit Magie würzen? Dann kommt so etwas da­bei heraus wie „Feuer und Stein“ von Diana Gabaldon oder „Die Prophetin von Luxor“ von Suzanne Frank. Im günstigen Fall.

Oder es wird etwas durchwachsen und leider nur bedingt an den historischen Background angepasst, dann finden wir uns wieder bei Jina Bacarr und ihrem Roman „Das Aktmodell“, der mir in die Finger fiel, als ich damit begann, die Ro­mane der MIRA-Buchreihe im Bereich der erotischen Literatur zu vervollständi­gen. Da gibt es durchaus recht anständige Bücher, von denen ich beizeiten noch einige vorstellen werde. Dieser hier war – für einen Historiker wie mich, wohl­verstanden – ein wenig… halbgar. Ihr werdet das in der Rezension entdecken.

Aber, hey, es ist Unterhaltung, nicht wahr? Große literarische Ansprüche sollte man daran nicht knüpfen, und ja, unterhaltsam ist die Geschichte schon, wie die in eine vorzeitigen Midlife-Crisis stürzende Amerikanerin Autumn Maguire in Paris sowohl dem Schicksal wie auch der Liebe ihres Lebens über den Weg läuft, und das nur, weil sie sich ins falsche Haus verirrt, eine seltsame Geschich­te hört und dann mit einem ägyptischen Gott zusammenrasselt.

Das klingt nach wirrem Stoff? Es ist nicht ganz so wirr, wenn man meiner Rezen­sion von 2017 folgt. Neugierig geworden? Dann schmökert jetzt einfach weiter:

Das Aktmodell

(OT: Naughty Paris)

Von Jina Bacarr

Mira 35012

432 Seiten, TB (2008)

ISBN 978-3-89941-398-4

Aus dem Amerikanischen von Christine Janson

Eigentlich geht alles schief… und fast könnte man sagen, daran sei Donald Trump schuld, der tatsächlich in diesem Roman recht weit zu Beginn namentlich genannt wird. Aber so schlimm ist es dann doch nicht… wenngleich Autumn Maguire schon der festen Überzeugung ist, dass geradewegs alles Unglück der Welt seine Kübel über ihren Kopf ausgeleert hat. Sie hat bald Grund zu der An­nahme, dass alles noch sehr viel schlimmer kommt, und das hat nicht nur mit dieser mörderisch eifersüchtigen Hure zu tun.

Aber vielleicht sollte ich vorne beginnen.

Autumn Maguire, ihres Zeichens eine Amerikanerin mit teilweise irischen Wur­zeln, die ihr feuerrotes Haar, helle Haut und Sommersprossen vererbt haben, ist eigentlich frohgemut auf dem Weg nach Paris, um hier ihre Verlobung und bal­dige Heirat mit ihrem Lebensgefährten David zu feiern… zu dumm, dass der sie, während die Tickets für Paris schon gekauft sind, kurzerhand sitzen lässt, um mit einer Blondine durchzubrennen.

Dumm gelaufen, nicht?

Nun, Autumn, 35 Jahre alt, unter einer Cellulitis leidend und sich notorisch zu rundlich fühlend, nimmt kurzerhand ihre Mutter mit nach Paris… und rutscht ins nächste Chaos, nämlich während sie allein durch die Stadt streunt. Von ei­nem jähen Regenguss bis auf die Knochen durchnässt, flüchtet sie sich in ein Gebäude und findet sich in einem Zeichneratelier wieder. Der betagte Künstler scheint von ihr überaus angetan zu sein und wünscht, dass sie ihm Modell steht, nach Möglichkeit völlig nackt.

Das schmeichelt Autumn natürlich, und nach kurzem Zögern willigt sie ein. Was hat sie schon zu verlieren, nicht wahr? Sie sehnt sich wirklich sehr danach, als erotische Frau wahrgenommen zu werden – wenn’s das Selbstwertgefühl schon nicht zulässt, dann ist der getrübte Blick des alternden Malers immerhin ein netter Ersatz. So denkt sie sich das. Doch bevor das Aktstehen beginnt, wird sie auf ein phantastisches lebensechtes Porträt eines Mannes aufmerksam und be­fragt den Künstler danach. Dies sei, sagt er, ein Selbstporträt des Malers Paul Borquet. Er sei ein begnadeter Maler zu Zeiten der Impressionisten gewesen, der 1889 unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommen ist, angeblich im Feuer umgekommen, während er versuchte, die Liebe seines Lebens zu retten.

Ach ja, das ist doch mal wieder typisch: da sieht man schon ein gestandenes Mannsbild, in das man sich als Frau so richtig vergucken kann, und dann ist er schon seit über hundert Jahren tot, und auch noch unter tragischen Umständen umgekommen. Autumn hat es sich fast gedacht. Warum sollte ihr auch irgend­wie nur mal das Glück winken, nicht wahr? Und dabei hätte sie diesen stattli­chen Kerl wirklich gern kennen gelernt…

Und dann wird es richtig unheimlich – als Autumn nämlich, ein wenig frivol er­regt, die hier im Atelier stehende Statue des alten ägyptischen Fruchtbarkeits­gottes Min berührt, hat sie das Gefühl, von einem Blitzschlag getroffen zu wer­den und verliert das Bewusstsein. Sie erlangt es recht schnell wieder… immer noch im Atelier, aber dummerweise haben sich ein paar Dinge grundlegend ver­ändert.

Zum einen sieht sie sich überraschend dem quicklebendigen Künstler Paul Bor­quet gegenüber, und zwar ist sie dabei völlig splitternackt. Zweitens ist er von ihrer Schönheit so hingerissen, dass er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Und zum dritten muss Autumn entdecken, dass sich ihr Körper irgendwie auf magi­sche Weise verjüngt hat. Jetzt sieht sie aus, als sei sie gerade einmal neunzehn Lenze alt, mit prächtig schwellenden erotischen Körperformen… und sie re­agiert ihrerseits extrem heftig positiv auf den Pariser Künstler.

Allerdings hat sie noch nicht realisiert, dass sie in Wahrheit eine Zeitreise ins Jahr 1889 durchgemacht hat. Und ihr ist ebenfalls nicht bewusst, dass sie sich zu einem Zeitpunkt in Pauls Leben eingemischt hat, wo er etwas mit einem an­deren Mädchen laufen hat, nämlich der durchtriebenen Hure Lillie – die von nun an in Autumn eine heiße Konkurrentin um Pauls Herz sieht (mit Recht)… und sie ist sehr geübt im Umgang mit dem Messer und hat überhaupt keine Skrupel, die arglose und bald ziemlich panische Autumn mit mörderischem Hass zu verfolgen.

Das führt zu einer Vielzahl sehr waghalsiger Situationen, in denen Straßenpoli­zisten, Sittendezernate, ein Frauengefängnis, eine sinistre Bordellherrin und nicht zuletzt ein moralisch verdorbener englischer Lord mit Neigung zu Schwar­zen Messen bedeutsame Rollen zu spielen beginnen.

Schnell muss Autumn Maguire entdecken, dass sie zwar auf magische Weise verjüngt wurde und den phantastischsten Liebhaber aller Zeiten gefunden hat, der gleichfalls völlig in sie verschossen ist… dass es aber das Schicksal selbst darauf angelegt zu haben scheint, ihr gemeinsames Glück dauerhaft und rach­süchtig zu hintertreiben.

Und, schlimmer noch, ihr wird rasch klar, dass der Fruchtbarkeitsgott Min ihr zwar sexuelles Vergnügen gönnt, dass Liebe aber nicht auf dem Plan stehen darf. Anderenfalls drohen die Rückverwandlung in ihren alten Körper und der Rücksturz in ihre eigene Zeit, ohne Hoffnung, Paul jemals wieder finden zu kön­nen.

Was sie indes nicht ahnt, ist, dass auch Paul einen Pakt mit dem Fruchtbarkeits­gott eingegangen ist und ein ganz eigenes Geheimnis hat, das ihr gemeinsames Glück weiter gefährdet…

Nach dem – mir noch nicht vorliegenden1 – Buch „Die blonde Geisha“ ist dies der zweite erotische Roman, den Jina Bacarr verfasst hat. Er nimmt fast unwei­gerlich eine Menge Elemente ihres eigenen Lebens auf, so spürt man deutliche Einflüsse ihres Studiums der Kunstgeschichte wie des Französischen hierin. Es ist auch anzunehmen, dass sie mit Autumn Maguire ein wenig ein Wunsch-Alter Ego beschrieben hat. Ebenso unübersehbar sind die deutlichen gedanklichen Anleihen an Diana Gabaldon.

Eine Zeitreise zu schildern, ist offenbar ein beliebter Topos, allerdings gelingt das Bacarr nicht halb so plausibel wie Gabaldon. Auch wirkt die ständige Ac­tion-Unterbrechung, die doch sehr an die Doc Savage-Romane erinnert, auf mehrere hundert Seiten ausgedehnt, letztlich etwas störend. Man hätte als Le­ser den beiden Liebenden schon ein paar mehr gemeinsame Momente gegönnt (man vergleiche beispielsweise die Vielfalt an erotischen Szenen bei Sandra Henkes Roman „Flammenzungen“, der sehr viel kürzer ist, mit denen im vorlie­genden Buch… da sieht man deutlich, dass die deutschen Autorinnen entschie­den weniger verklemmt sind als die amerikanischen, also wirklich. Fiel mir so deutlich bislang noch nicht auf.

So unterhaltsam und bisweilen auch wirklich witzig dieser Roman also auch ist, so wurde ich doch bei fortschreitender Lektüre das dumme Gefühl nicht los, dass hier ständig gewissermaßen mit angezogener Handbremse gefahren wur­de. Dass Autumn wiederholt denselben Fehler begeht und wirklich so gar nicht gescheit nachdenkt, und dass sie lange Zeit hinweg überhaupt nicht weiß, was sie eigentlich will, das macht die Angelegenheit recht anstrengend und verkompliziert den Handlungsverlauf. Wäre den Personen etwas mehr Autonomie gestattet worden, statt sie mehrheitlich recht schematisch zu gestalten, hätte der Roman äußerst interessant sein können.

So bleiben Lord Bingham und Madame Chapet seltsam konturenlos jenseits ih­rer bloßen Rollen, auch Lillie ist eigentlich NUR eifersüchtig und mörderisch. Und das, was sich bei einer Sandra Henke auf hundertfünfzig Seiten lebendig und durchaus glaubwürdig entfaltet, nämlich eine nachvollziehbare Beziehung zwischen den Personen, das gelingt in diesem Buch nicht mal auf dreihundert. Das Buch ist also zwar durchaus unterhaltsam und in vier Tagen mühelos zu le­sen (vielleicht auch geschwinder), aber irgendwie erinnert es mich vom Gefühl her an Fastfood. Man hat viel Zeit darin investiert, die ganze Geschichte inha­liert, und am Ende ist man immer noch hungrig.

Auch ist ihre Schilderung des Paris des Jahres 1889 außerordentlich flüchtig – man bedenke bitte, dass dies das Jahr der Pariser Weltausstellung mit 28 Millio­nen Besuchern war. Davon merkt man im ganzen Roman nicht mit einer Silbe etwas. Auch wäre auf den brandneu und eigens für die Weltausstellung ge­schaffenen Eiffelturm hinzuweisen gewesen (der die Weltausstellung ja nur überlebte, weil er anschließend als Funkmast gebraucht wurde, anderenfalls wäre er 1890 wieder abgerissen worden… wie weiland der Kristallpalast in Lon­don oder die Pavillons der Weltausstellung von Chicago 1934, um nur mal zwei Beispiele zu nennen). Autumn kommt zwar recht weit in der Stadt herum, aber dass man als Leser wirklich einen gescheiten Eindruck davon bekommt, kann ich nicht bestätigen. Hier wird also nicht nur mit angezogener Handbremse ge­fahren, sondern auch noch mit Tunnelblick und Scheuklappen… wäre dieser Blick dann wenigstens primär auf das sinnliche Glück der beiden Hauptperso­nen fixiert gewesen, hätte man das noch genießen können, aber das passiert ja auch nicht.

Vielleicht bin ich einfach ein zu anspruchsvoller Leser, aber meiner Überzeu­gung nach hätte die Autorin sicherlich etwas mehr Energie in die Personencha­rakterisierung und die sinnliche Ausstrahlung der Protagonisten investieren können. Es bleibt also nur zu sagen, dass das vorliegende Buch für gründliche Leser vielleicht eine Enttäuschung sein könnte. Da sollte man sich dann viel­leicht doch besser an Diana Gabaldon oder andere Autorinnen halten, die eroti­sche Romane in historischem Setting verfassen. Das hier wäre nicht meine erste Wahl, wiewohl das Werk ganz passabel ist.

© 2017 by Uwe Lammers

Autsch, könnt ihr natürlich nun sagen, hat der Uwe nicht mal erzählt, er rezen­siert aus Prinzip nur Romane, die er selbst gern gelesen hat? Jein, das wäre so nicht ganz präzise. Ich rezensiere durchaus auch manchmal Romane, die deutli­che Schwächen aufweisen und publiziere diese Besprechungen. Nur die von Werken, die ich für ganz und gar unangenehm halte, werden ihren Weg nicht hierher in den Blog finden. Ihr braucht also nicht zu erwarten, dass ich euch mit den Rezensionen zu Vina Jackson nerve… die veröffentliche ich anderswo.

In der kommenden Woche geht es dann in eine völlig andere Richtung, ein paar Jahrzehnte Richtung Zukunft, ein paar hundert Kilometer weiter ostwärts. Auf nach Afghanistan und zu jemandem, der wirklich packend zu schreiben ver­mochte (und sich leider dummerweise frühzeitig selbst aus dieser Welt schoss, sniff). Wer das war und was für ein Werk ich besprechen möchte? Dazu erfahrt ihr Näheres nächste Woche an diesem Ort.

Ich freue mich auf euren Besuch!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Ergänzung vom Oktober 2018: Diese Info ist inzwischen veraltet, der Roman aber noch nicht gelesen.

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