Rezensions-Blog 268: Die verlorene Stadt

Posted Mai 12th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute muss ich leider mal wieder, auch wenn ich den Hauptautor wirklich sehr gerne mag, eine Warnung vor dem folgenden Roman aussprechen. Nehmt es als freundlichen Ratschlag oder als Verriss, je nachdem, wie ihr die weiter unten kommenden Worte der Rezension versteht. Ich habe das Buch eher aus Pflicht­bewusstsein denn aus Begeisterung rezensiert. Begeisternd ist daran echt nicht viel und da bedurfte es nicht der kritischen Bemerkung eines lieben Brieffreun­des, dass man doch auf Inseln wohl eher statt Riesenwuchs Zwergenwuchs vor­findet (womit er völlig im Recht ist, Flores, Zypern und diverse andere Inseln be­legen das schlagend). Aber leider wird im unten dargestellten Roman dann von „5 Meter großen Menschen“ gefaselt, und das ist – neben vielem anderen, was mir missfiel – nun wirklich dummes Zeug.

Dennoch hätte dieser eine Ausrutscher noch akzeptabel sein können. Fehler kommen bei den schönsten Werken vor, manche, die gelungen sind, lassen sich auch davon nicht entstellen. Aber wenn sonst noch vieles im Argen liegt, wenn die deutschen Klappentexter den Inhalt des Romans weiter grotesk verunstal­ten und den Leser total auf die falsche Fährte locken, dann erstirbt einem der zuckende Mundwinkel recht rasch.

Also, machen wir uns auf in den Pazifik nach Guadalcanal, d. h. den Salomonen (die nichts mit König Salomo zu tun haben, wie ich unten nachweise und damit den stumpfsinnigen Klappentext knapp ad absurdum führe). Vielleicht findet der eine oder andere von euch ja doch, dass man über die grundlegenden Schwächen des Buches hinwegsehen und darin etwas Lesenswertes finden kann.

Schaut am besten einfach selbst:

Die verlorene Stadt

(OT: The Solomon Curse)

Von Clive Cussler & Russell Blake

Blanvalet 0363; 2016, 9.99 Euro

544 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0363-6

Man nimmt an, im 21. Jahrhundert sei es ein Leichtes, versunkene Stätten der Antike zu finden, in Zeiten von Google Maps, dem Internet und hochmoderner Technologie. Aber bisweilen gibt es noch echte Überraschungen, das müssen auch Sam und Remi Fargo entdecken, als sie sich zu den Salomonen im Pazifik aufmachen, genauer: nach Guadalcanal, einer im Zweiten Weltkrieg heftig um­kämpften gebirgigen Insel, die heutzutage mehrheitlich von der Öffentlichkeit vergessen ist. Wenn man sich an Guadalcanal überhaupt noch erinnert, dann eben als Schlachtfeld des Zweiten Weltkriegs zwischen den USA und den japani­schen Besatzern.

Leonid Vasjew ist ein etwas bärbeißiger, knurriger Stipendiat der Fargo Founda­tion, der einem Tipp einer australischen Touristin nach Guadalcanal folgt und hier anstelle eines vermeintlichen Schiffswracks etwas völlig anderes entdeckt – und er alarmiert die Fargos, nicht zuletzt deswegen, weil er nicht tauchen kann.

In einer völlig abgelegenen Bucht stoßen Leonid und das Schatzsucher-Ehepaar unerwartet auf eine im Meer versunkene Tempelanlage eines hoch zivilisierten Volkes. Aber ihre Recherchen an Land sind äußerst kärglich – niemand scheint jemals von einer solchen Stadt gehört zu haben, weitere zivilisatorische Fährten gibt es keine.

Nun, Guadalcanal hat auch völlig andere Sorgen. Massive Arbeitslosigkeit, ge­schlossene Firmen und Bergwerke, eine blutrünstige Rebellengruppe, die Ent­wicklungshelfer tötet und die Industrien verstaatlichen möchte. Und es gibt eine sehr engagierte Ärztin, Carol Vanya, die davon träumt, ein flächendecken­des medizinisches Netzwerk auf der Insel zu etablieren, wo es auch medizinisch am Notwendigsten fehlt. Ein Plan, so entscheiden die Fargos, der durchaus da­nach ruft, durch ihre Stiftung unterstützt zu werden.

Aber die Geschehnisse auf Guadalcanal sind noch um einiges unheimlicher und rätselhafter: Kinder verschwinden seit geraumer Zeit spurlos im Urwald. Das Ehepaar wird bei einem Ausflug von der Straße gedrängt und beschossen, man bricht in ihr Hotelzimmer ein. Die Zeichen der Zeit drängen offensichtlich immer mehr in Richtung Aufstand, und Touristen verlassen fluchtartig die Insel.

Keine guten Karten für eine Schatzsuche, offensichtlich. Und einen Schatz hat es einwandfrei in der versunkenen Metropole gegeben … aber er wurde offenkun­dig schon vor Jahrzehnten geborgen, und zwar von japanischen Besatzungssol­daten.

Als die Fargos dieser Fährte folgen, geraten sie jählings in akute Lebensgefahr, zusammen mit ihren Freunden Lazlo Kemp und Leonid Vasjew …

Das zweite Fargo-Abenteuer von Russell Blake (Nr. 7 insgesamt) fällt leider im Vergleich zum Einstiegsband „Der Schwur der Wikinger“ doch deutlich ab. Hob ich in der vergangenen Rezension noch die solide Charakterisierung der „Villains“ hervor, also der Bösewichter, so hatte ich in diesem Werk das dumme Gefühl, permanent auf der Stelle zu treten. Und seien wir ehrlich: wenn es die­se Pseudo-Revolution nicht gegeben hätte, wäre der Roman noch sehr viel spannungsärmer ausgefallen. Er ist zwar umfangreicher als der Vorgänger, aber wenn man ehrlich sein soll, passiert sehr viel weniger darin. Die weitaus meiste Zeit verbringen Sam und Remi eher halbherzig damit, Fährten ins Nirgendwo zu folgen (manche verschwinden tatsächlich im Nirgendwo, etwa die um den japa­nischen Zerstörer). Und immer dann, wenn man glaubt, jetzt würden sich mal ernsthafte Probleme auftürmen, wird man prompt enttäuscht.

Beispiele dafür gefällig? Nun schön: Es gibt etwa die Fährte, die über das Tage­buch eines japanischen Offiziers direkt nach Japan führt und zu einer geheimen Armee-Einheit, die während des Krieges biologische Experimente gemacht hat. Da man ja als zeithistorisch Bewanderter ziemlich gut weiß, wie heikel die krie­gerische Vergangenheit Japans heutzutage noch ist (ich sage nur: Verehrung von Kriegsverbrechern im Yasukuni-Schrein in Japan in der Gegenwart; Leug­nung der „Trostfrauen“-Verbrechen in Korea usw.), wäre es doch höchst plausi­bel gewesen, wenn das Nachforschen des amerikanischen (!) Ehepaars Fargo in Japan auf massiven Widerstand gestoßen wäre. Stattdessen: gar nichts.

Oder nehmen wir die titelgebende versunkene Stadt (von der man eigentlich nahezu überhaupt gar nichts erfährt und die nur eine ziemlich kleine Rolle in der Geschichte spielt): hier wäre es wirklich schön gewesen, Näheres zu erfah­ren. Ein wenig mehr räumliches Denken, vielleicht hätte man ja auch mal die In­nenräume fotografieren können, um die Glyphen an den Wänden semantisch auszudeuten, wo man doch Lazlo Kemp hat, der sich nach Herausforderungen dieser Art sehnt … aber nichts dergleichen passiert.

Diebstähle, die nicht verfolgt werden. Rätselhaft abweisende Ordnungshüter, die sich als zahnlose Tiger entpuppen. Ein australischer Magnat, der nur die Börse manipuliert und auf unklare Weise mit einer unbekannten Person auf den Salomonen in Kontakt gekommen ist (über diese Kontaktanbahnung erfährt man rein gar nichts), als einer der Strippenzieher im Hintergrund.

Damit will ich nicht grundsätzlich sagen, dass der Roman langweilig und öde ist, er hat schon gewisse interessante Aspekte. Aber das meiste ist doch sehr halb­herzig ausgeführt und kommt in keiner Weise an den Erstling heran, von den früheren Autoren Grant Blackwood oder Thomas Perry mal ganz zu schweigen. Der Roman kommt leider mehr als eine Pflichtübung daher, bei der der Verfas­ser wenig zu erzählen wusste. Und am Ende trudelt die Geschichte sogar gänz­lich in den Bereich der Fantasy ab, als von „5 Meter großen Riesen“ erzählt wird, deren Leichname man sogar noch findet. Also bitte, fünf Meter große Men­schen… biologisch vollkommener Nonsens! Hätten 2,50 Meter nicht völlig aus­gereicht, um für die kleinwüchsigen Insulaner als „Riesen“ zu gelten? Das hier war nun echt grotesk überzogen. Ganz zu schweigen davon, dass die vermeintli­chen „kannibalischen Riesen“, vor denen ständig gewarnt wird (die realen sind seit Jahrtausenden ausgestorben!), völlig unmotiviert als Schreckgespenst an die Wand gemalt werden. Wenn man mal logisch daran geht, macht das keinen Sinn: wenn man schon die historischen Vorbilder nicht kennt, wie will man dann „moderne“ Riesen zusammenphantasieren …?

Ach ja, und schweigen wir mal ganz davon, dass das prinzipiell interessante Co­ver leider mit dem Inhalt nichts zu tun hat und es natürlich auch NICHT um den „Schatz des Königs Salomo“ geht. Bekanntlich haben die Salomonen auch nichts mit König Salomo zu tun, ebenso wenig, wie die Westindischen Inseln vor Indi­en liegen, gell? Das alles hat der Klappentexter frei erfunden. Ebenso frei erfun­den übrigens wie der im Originaltitel vorkommende „Fluch“ der Salomonen. Den gibt es nämlich ebenso wenig wie den „Fluch des Pharaos“, damit das mal klar ist. Wer so etwas erwartet, kann hier lange warten.

Und ebenfalls allmählich so richtig nervig ist die unglaubliche Prüderie, die die­sen Roman durchzieht – Sam und Remi sind seit Jahren verheiratet, und eigent­lich sollte man doch annehmen, dass sie einander ihre Liebe durchaus handfes­ter beweisen als durch neckende Wortkabbeleien. Aber auf erotische Szenen braucht man bei diesem Autor wirklich überhaupt nicht zu hoffen. Er beschreibt die Fargos wie absolut platonische Freunde, das geht so überhaupt nicht.

Schade eigentlich, ich beginne nach diesem zweiten Roman von Blake zu verste­hen, warum er alsbald ebenfalls als Fargo-Autor ausgewechselt wurde. Diese Vorstellung hier war echt nicht berauschend. Launige Dialoge und sympathische Heldenfiguren sind eben nicht wirklich alles, da muss schon ein bisschen mehr geboten werden, soviel ist sicher.

Leider nur eine sehr eingeschränkte Leseempfehlung für ausdrückliche Fans …

© 2018 by Uwe Lammers

Nach dieser Schlaftablette, dachte ich, sollte ich euch mal wieder etwas aufwe­cken. Und ich nahm als nächstes Buch in der Reihe eine interessante Biografie auf, also mal wieder das totale Kontrastprogramm. Einer der mit Abstand wich­tigsten Menschen des 20. Jahrhunderts wird von mir in der kommenden Woche vorgestellt. Wer genau? Lasst euch überraschen!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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