Rezensions-Blog 272: Killermaschine (1)

Posted Juni 10th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

das Thema „Künstliche Intelligenz“ ist en vogue, insbesondere seit jenen Zeiten der digitalen Beschleunigung, in denen sich die Rechenleistung von Mikropro­zessoren binnen weniger Jahre vervielfacht hat (ich glaube, es gibt da das so ge­nannte „Moore’sche Gesetz“, das darüber präzise Auskunft gibt). Fakt ist jeden­falls, dass wir heutzutage schon mit jedem Handy und Smartphone mehr leis­tungsstarke Hardware und Software mit uns herumtragen, als sie einst im Cock­pit von Apollo-11 installiert war, um zum Mond zu fliegen.

Warum wir es heutzutage dann nicht mehr gebacken kriegen, zum Mond zu fliegen, wo doch die Technik soviel besser geworden ist, ist vielen Leuten schlei­erhaft. Manche nehmen dann Zuflucht zu der Vorstellung, alles sei von der NASA schlicht im Fernsehstudio gestellt worden und niemals ein Mensch auf dem Mond gewesen. Wir kennen solche Verschwörungstheorien, sie sind der Vorstellung verwandt, dass die Pyramiden und die Figuren der Osterinsel sowie Stonehenge „natürlich“ von Außerirdischen erbaut worden sein müssten, denn da wir das heute kaum hinbekämen, könnten die „Steinzeitkulturen“ das ja un­möglich geschafft haben …

Nun, des Menschen Wunsch und Wille ist sein Himmelreich, und die meisten Menschen verstehen einfach nicht, dass sie schlicht zu wenig Phantasie besit­zen, um sich das Naheliegende klarzumachen. Sie sollten bei Sherlock Holmes in die Schule gehen, ehrlich.

Also, zurück zum Thema: Künstliche Intelligenz. Das ist nicht erst seit zehn Jah­ren ein brennendes Thema, sondern hat Science Fiction-Autoren schon seit über hundert Jahren umgetrieben, besonders massiv dann ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und als der Aufstieg von Microsoft begann und die digitale Tricktechnik raffinierter wurde, als solche Filme wie der „Terminator“ ins Kino kamen, da schwappte sowohl die Faszination als auch die Furcht vor intelligen­ten Maschinen auch in der Literatur wieder über die Ränder und erreichte das, was man landläufig nur „Roman“ nennt.

Wenn man diese Werke genauer betrachtet, hat man reinrassige Science Fiction vor sich. Ob es da um „intelligente“ Hochhäuser geht, die der Kontrolle entkom­men und sich gegen ihre Schöpfer wenden (wie etwa in „Game Over“ von Philip Kerr oder auch in der Serie „Akte X“) oder eben um Roboter, die klüger als ihre Erschaffer sind … genau genommen war das Anfang der 90er Jahre noch reine Science Fiction.

Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ging aber der Romanautor Robert Mason einen etwas abweichenden Weg, als er seinen Roman über den Roboter Solo schrieb. Ihn interessierte weniger die technische Realisierbarkeit als viel­mehr das, was sich im kybernetischen Hirn der Maschine abspielte. Der Innen­blick erhielt deutlich mehr Bedeutung.

Damit sind wir, wenn wir genau sein wollen, bei einem reinrassigen Erstkontakt, ohne dass es irgendwelcher Fliegenden Untertassen oder Aliens bedarf. Solo an sich ist kein Mensch, er weiß das und sagt es auch. Aber er ist ein lernendes Wesen. Und wenn ein lernendes Wesen, das stetig dazulernt und nichts verges­sen kann, von Personen geleitet wird, die es belügen, dann kann das – jeder ahnt es unheilschwanger – wirklich nicht lange gutgehen. Und so kommt es dann auch, wie es kommen muss.

Lasst euch also nicht von dem martialischen Titel blenden, der abschrecken könnte und aus rein verlagstechnischen Gründen gewählt wurde. Konzen­triert euch besser auf den Inhalt, das lohnt sich.

Auf in ein euch vielleicht unbekanntes Leseabenteuer, Freunde, macht Bekannt­schaft mit Solo, einem faszinierenden Wesen:

Killermaschine1

(OT: Weapon)

von Robert Mason

Heyne 8742

320 Seiten, Juni 1993

Aus dem Englischen von Thomas Hag

ISBN 3-453-06376-7

Die Forschung ist sich bis heute nicht völlig sicher – ist es möglich, Maschinen so zu konstruieren, dass sie eine intellektuelle Denkfähigkeit erlangen, die der des Menschen gleichkommt? Ist es denkbar, eine selbst-bewusste Maschine zu erschaffen, die gleich einem Kind autonom lernt und von seinen Erbauern den­noch steuerbar bleibt? Wenn so etwas möglich wäre … wäre es wünschens­wert? Und wofür würden die Erbauer solche Wesen verwenden?

Dieses Buch geht davon aus, dass die Erschaffung eines solchen Wesens gelun­gen ist, und der Roman handelt weiterhin von dem ultimativen Test dieser Ma­schine und davon, wie das alles aus dem Ruder läuft.

Sommer 1988, Pazifikküste von Costa Rica.

Dr. William „Bill“ Thompson, Eigentümer der Firma Electron Dynamics, hat in Zusammenarbeit mit dem US-Militär einen autonomen Roboter namens SOLO entwickelt. Solo ist vorgesehen als Kampfmaschine, und abgesehen von einigen – allerdings folgenschweren – Zwischenfällen während seiner monatelangen Ausbildung (er hat unter anderem seinem Trainer im Zweikampf den Schädel zertrümmert) hat er sich ausgesprochen wacker geschlagen. General Clyde Hay­nes, der das Projekt leitet, möchte darum auch unbedingt den ultimaten Test durchführen. Gegen Bills ausdrückliche Warnung hin verfrachtet er Solo und seinen Schöpfer nach Costa Rica.

Jenseits der Grenze zu Nicaragua unterstützt das US-Militär von zu diesem Zeit­punkt die Untergrundbewegung der Contras gegen die herrschende (kommu­nistischen) Sandinista-Regierung von Daniel Ortega. Das Ziel ist ein militärischer Putsch der Contras, damit die USA einen zweiten Kanal durch die mittelameri­kanische Landbrücke bauen können.

Dem Roboter Solo ist eingehämmert worden, dass die „Feinde“ natürlich „die Kommunisten“ sind und die Guten „die Amerikaner“. Bill hält das für arg verein­facht, und das ist es auch. Er argwöhnt, weil er sein Werk kennt, dass Solo sich nicht lange mit solchen Schwarzweißmustern blenden lassen wird. Clyde ist hin­gegen der ignoranten Ansicht, Solo sei etwas in der Richtung einer „intelligen­ten Blechbüchse“, die man an- und abschalten kann. Er verfügt über keinerlei Phantasie und wird dementsprechend von der Handlung auch überrumpelt, als nicht mehr alles nach Plan verläuft.

Der hünenhafte, humanoid gestaltete Solo wird von einer solchen Vorstellung nur höchst unzureichend erfasst. Sein Gehirn sitzt im Brustkasten, der gepan­zerte Kopf enthält ein Kamerasystem, mit dem er auf allen Wellenlängen sehen kann. Er „spürt“ mittels einer Ganzkörpersensorik sogar Personen, die sich ihm von hinten nähern, und rasch stellt der Leser fest, dass Solo noch ganz andere „Tricks“ beherrscht. Natürlich benötigt er im Grunde genommen keine Nahrung, da eine kleine Plutoniumbatterie sein Denkzentrum mit Energie versorgt, an­sonsten ist er allerdings von Generatoren abhängig. Der Roboter ist absolut wasserdicht und druckresistent bis in eine Tiefe von 80 Metern, und dank seiner Panzerung ist er fast völlig unempfindlich für Beschuss.

Eine „Waffe“, wie man ihn einstuft und wie er sich – anfangs – auch selbst be­zeichnet. Sein Hauptproblem ist indes, dass er nicht töten kann. Bei den „leta­len“ Tests versagt er konsequent, unter anderem, weil er die Notwendigkeit ei­nes solchen Tests in Frage stellt. Clyde Haynes schickt ihn also in den Dschun­gel, direkt in die Nähe einer Sandinista-Patrouille, um so eine Ernstfall-Situation zu erzwingen.

Soweit klappt die Sache auch, doch dann läuft Solo aus dem Ruder. Durch die Kommunikation mit der Heimatbasis begreift er, dass er bei der Rückkehr „um­programmiert“ werden wird, was er – irrational genug, aber im Kern zutreffend – mit der Zerstörung seiner Persönlichkeit gleichsetzt. Und er verweigert den Gehorsam, um im Dschungel unterzutauchen. Nun hat er etwa zwanzig Stunden Zeit, bis seine Energien zur Neige gehen. Scheinbar brauchen seine Auftragge­ber nur zu warten und ihn wieder einzusammeln … aber ganz so leicht wird die Angelegenheit dann doch nicht.

Solos „Seele“, mit Abstand das Faszinierendste an ihm, ist ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt der parallelgeschalteten Computerprozessoren in seiner Brust. Wie es der Kybernetiker Marvin Minsky vermutet, gibt es eine kritische Grenze, die bei ihm überschritten wird, und direkt anschließend an die Loyalitätskrise beginnt Solo sich Fragen zu stellen, die er zuvor nicht kannte. Besonders akut werden diese Fragen, als er von nicaraguanischen Kindern entdeckt und in das Heimatdorf Las Cruzas geschleppt wird.

Auf einmal nämlich entstehen in Solo Überlegungen, die vorher völlig undenk­bar waren, beispielsweise diese: was bedeutet es, mit einem Menschen be­freundet zu sein? Wie weit geht man, wenn man jemanden als Freund betrach­tet? Würde man für diese neuen Freunde töten …?

Obwohl das leider sehr schlampig lektorierte Buch, das eine geradezu unglaub­liche Menge an Druckfehlern enthält (z. T. werden die Personen verwechselt, Anreden klein geschrieben, Worte grundlegend falsch geschrieben usw.), was eindeutig das Lesevergnügen beeinträchtigt, eine Menge Action beinhaltet, sind die meines Erachtens wichtigsten Passagen des Romans durchaus nicht die Actionsequenzen. Obschon diese natürlich sehr beeindruckend sind und sich mit Fortgang der Handlung stetig steigern. Wenn man den Roman nämlich ge­nau liest, entdeckt man ein bisschen überrascht, dass es sich um eine Form von beiderseitigem Erstkontakt handelt, für den man nicht mal unseren Planeten Erde verlassen muss2:

Die schlichten, vom Krieg heimgesuchten Indios, die Solo jenseits seiner Schwarz-Weiß-Programmierung entdeckt und deren Handeln ihm anfangs in höchstem Maße irrational erscheint, sind für den Roboter auf ihre Weise eben­so fremdartig wie er selbst für sie.

Anfangs denken auch die Dörfler von der Maschine wirklich nur als einer Ma­schine – etwa so wie von einem Kühlschrank, einem Radio oder Auto. Das än­dert sich rasch, als ihnen klar wird, wie unglaublich menschlich er ist. Mitfüh­lend. Irritierbar. Besorgt geradezu. Und manchmal ist er tatsächlich, wie die jun­ge Nicaraguanerin Agela erklärt, „der bessere Mensch“. So schlägt Solo zu­nächst Misstrauen, dann Bewunderung und schließlich blanke Freundschaft entgegen. Und das alles wirkt sich auf Solo aus.

Fast scheint es, als würde er tatsächlich „menschlich“ werden.

Dabei ist er natürlich genau dies nicht. Solo ist, wie er es dem Geistlichen Padre Cerna sagt, eigentlich nicht ein besserer Mensch, sondern in der Tat eine Ma­schine, er empfindet sich jedoch als eine mit eigenem, stetig dazu lernenden Bewusstsein, einem „ghost in the machine“ im klassischen Sinn.

Und diese künstliche Seele lernt ständig dazu, auf unterschiedlichsten Feldern. Sie versucht metaphysische Konzepte wie „Geister“ zu verstehen. Gefühle. Loyalität jenseits der militärischen Bedeutung dieses Wortes. Solo spürt rasch auch logische Fehler in der Argumentation des Gegenüber auf, entdeckt verräterische biometrische Signale, die auf Lügen hindeuten, und da er taktisch höchst geschult ist, entpuppt sich der eigentliche, sich anbahnende Kampf weniger als der mit Waffen (wiewohl auch der geführt wird, natürlich, und es geht ziemlich zur Sache) – es ist vielmehr ein raffiniertes Duell zwischen Mensch und der rasch dazulernenden Maschine. Wobei das Zeitfenster, Solo zu besiegen, schnell immer kleiner wird.

Und noch kleiner …

Das Buch selbst bleibt deshalb auch 14 Jahre nach seinem Erscheinen (und nach meiner zweiten Lektüre, ebenfalls im Abstand von 14 Jahren) ein bemerkens­wert klarsichtiges Plädoyer für die Künstliche Intelligenz, ihre Risiken, aber auch ihre unbestreitbaren Entwicklungsmöglichkeiten. Und es enthält eine eindringli­che Warnung: dass wir, falls unsere Maschinen dereinst solche Intelligenz ent­wickeln sollten, die von der menschlichen gründlich verschieden ist, aufrichtig ihnen gegenüber sein sollten. Anderenfalls könnte das passieren, was Bill Thompson sagt: „Auf lange Sicht, pflegte Marvin Minsky zu sagen, können wir froh sein, wenn sie [die Maschinen gleich Solo, UL] uns als Haustiere halten.“

Tolle Aussicht, hm? Das sollte uns zu denken geben, immer noch.

Und dem Leser sollte gleichfalls zu denken geben, dass es zu diesem Buch einen zweiten Teil gibt …

© 2007/2019 by Uwe Lammers

Natürlich ist der Roman inzwischen fast 30 Jahre alt und zweifellos längst ver­griffen und nur noch antiquarisch zu erhalten. Und gewiss muten viele der Prä­missen im Roman, was die neuronalen Netze Solos angeht und seine Möglich­keiten, für damalige Verhältnisse aberwitzig futuristisch an. Doch sollte man sich als neugieriger Leser weniger auf die technisch etwas unplausibel wirkende Struktur konzentrieren als vielmehr auf das, was ich oben in der Einleitung sag­te.

Wenn eine Maschine so etwas wie „Intelligenz“ erlangen kann, wird sie sich un­bestreitbar völlig von uns unterscheiden. Mit ihr dann zu interagieren, wird sein, als würden wir einer unbekannten Spezies von Intelligenz, etwa mutmaßli­chen Aliens, begegnen. Und dann landen wir ganz automatisch bei dem altbe­kannten Spiel von Ruf und Echo – unser Verhalten erzeugt einen gewissen Ver­haltens-Widerhall im Gegenüber, und wenn das Gegenüber scharfsinniger und schneller denken kann als wir und unsere Absichten durchschaut, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn uns die Reaktion des Gegenübers nicht sehr ge­fällt.

In zwei Wochen stelle ich euch den Folgeroman vor, mit dem Solos Abenteuer fortgesetzt werden – und ich versichere euch, die haben es auch wieder heftig in sich. Nächste Woche gehen wir hingegen auf Schatzsuche. Mehr sei noch nicht verraten.

Einfach neugierig bleiben, Freunde!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Das Buch wurde von mir nach der Erstlektüre 1993 für das Fanzine ORGASMIC NIGHTMARE rezensiert. Die Rezension erschien damals im Oktober 1993.

2 Folgerichtig ist dieses Buch auch in der allgemeinen Reihe erschienen, wiewohl es vom Sujet her ein reinras­siger SF-Roman ist, mit einer Grenzfläche zum Kriegsroman und Politthriller.

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