Rezensions-Blog 282: Lurchis Abenteuer, Band 1 und 2

Posted August 18th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute machen wir mal eine witzige Zeitreise in meine Kindheit – die, wie meine unten wiedergegebenen Worte aus dem Jahre 2018 demonstrieren, durchaus sehr überraschend für mich zu­stande kam. Während vieles in meiner Kindheit dem Dämmer des Vergessens anheimgefallen und nur zu mutmaßen ist, dass es im Laufe der kommenden Jahrzehnte nach und nach aus diesem Dämmer wieder auftauchen und ins Bewusstsein zurückkehren wird, so habe ich doch nie vollständig diesen wit­zigen kleinen, Schuhe tragenden Salamander vergessen, den Lurchi.

Wer heutzutage noch Salamander-Schuhe einkauft, wird viel­leicht entdecken, dass das in den 30er Jahren begonnene Kin­der-Comicabenteuer heutzutage immer noch Bestand hat, wenn auch nicht mehr so charmant und entzückend wie zu Beginn. Wer aber den Beginn kennen lernen möchte und die witzigen wie auch die durchaus problematischen Seiten, der sollte ein­fach mal weiterlesen. Für manchen von euch ist das eventuell auch eine Reise in die Kindheit:

Lurchis Abenteuer, Band 1 & 2

Das lustige Salamanderbuch

Herausgegeben von Frölich & Kaufmann, 2018

Ursprung: Salamander GmbH, Langenfeld

328 Seiten, TB

Texte: Erwin Kühlewein

Bilder: Heinz Schubel

9,99 Euro

Es gibt schon witzige Entdeckungen in der Welt zu machen, je weiter das 21. Jahrhundert voranschreitet. Eine solche Entde­ckung machte ich jüngst, als ich den Prospekt des Versandhau­ses Frölich & Kaufmann durchblätterte, in dem mir schon viele interessante, preisreduzierte Bücher aufgefallen sind, die in den vergangenen Jahren in meinen Besitz gelangten.

Diesmal machte ich unvermittelt eine Reise in meine Kindheit.

Ich staunte wirklich nicht schlecht, als ich die dreibändige Aus­gabe von „Lurchis Abenteuern“ sah, an die ich vor Urzeiten das letzte Mal gedacht habe. In unserem Elternhaus befanden sich die ersten beiden Bände – die in diesem Paperback zusammen­gefasst sind – , und mich überfiel der Gedanke, dass es doch faszinierend sein könne, diese Werke endlich mal wieder zu le­sen. Ich vermute, die Ausgaben aus den 60er Jahren, an die ich mich erinnere, zum Teil ziemlich arg zerlesen, sind im Haushalt meiner Schwester Susan verschwunden, wie so vieles aus unse­rer Kinderzeit. Sie ist diesbezüglich, muss ich lächelnd konsta­tieren, ein ziemlich Besitz ergreifender Raffzahn … aber daran habe ich mich längst gewöhnt.

Da ich neulich nach Erhalt der Bände feststellte, dass nicht je­dermann in meinem Alter mit Lurchi etwas anzufangen weiß, sollte ich vielleicht erklären, worum es hier geht. Wir haben es in diesem Fall mit einer witzigen Melange aus Product Place­ment zu tun, wie man heutzutage wohl sagt, in der sich Marke­ting und dichterisch-zeichnerische Phantasie auf abenteuerliche Weise mischen. Der Name des Buches ist darum durchaus Pro­gramm.

Die Schuhmarke Salamander ist durch ihr Markenzeichen, einen gelbschwarzen Feuersalamander, ausgezeichnet. Dieses Wesen wurde von Erwin Kühlewein (1915-1971) in Form des „Helden“ Lurchi zum Leben erweckt – ein hübscher, aufrecht gehender und völlig nackter (dabei aber zugleich vollkommen ge­schlechtsloser – es handelt sich ja schließlich formell um Kinder­lektüre – ) Feuersalamander, der einen grünen Tirolerhut trägt. Er, der mit den Eltern in der im Wald gelegenen „Villa Salaman­der“ lebt, zieht sich die Salamander-Schuhe an und beginnt dann damit, die Welt zu erkunden. Zeichnerisch werden die Abenteuer von Heinz Schubel (1906-1997) farbenprächtig in Szene gesetzt, und zwar in großformatigen, halbseitigen Illus­trationen, auf denen sich mal eine, mal bis zu vier Panels drän­geln. Dabei korrespondieren die gedichteten Texte sehr gut mit den Illustrationen.

Zu Beginn ist Lurchi noch allein unterwegs, aber wie in klassi­schen Fabeln bleibt das nicht lange so. Zunächst stößt er auf Störche und Schlangen, dann auf Igel und Zwerge, und recht schnell verschwimmt die Grenze zwischen realer Welt und Mär­chen. Feen treten in Erscheinung, seltsam vermenschlichte Frö­sche (einer davon wird sein Reisegefährte Hopps), Maulwürfe mit unterirdischer Wohnstube und Lehnsessel. In der Waldschu­le stoßen weitere Protagonisten zu Lurchis zukünftiger Freun­desschar: der strenge Ordnungshüter Unkerich (eine Gelb­bauchunke), Lurchis Rock tragende Schwester Trine sowie Pieps, die Maus.

Etwas später während eines Feuerwehreinsatzes im Wald taucht „Zwerg Piping“ auf, der in zahlreichen späteren Abenteuern noch eine Rolle spielen wird, ein Igel („Igelmann“) vervollstän­digt den Reigen. Und es ist wirklich verblüffend, was für wilde Einfälle in diesen Geschichten auftauchen. In mancherlei Fällen glaubt man beinahe, eine Blaupause für James Bond-Geschich­ten vorliegen zu haben.

Wieso dies? Na, man schaue sich nur mal an, wie Lurchi, um schneller zum Einsatzziel zu gelangen, einen Feuerwehr-Leiter­wagen in ein Flugzeug umbaut! Wen das nicht an „Der Mann mit dem goldenen Colt“ erinnert, dem muss man auf die Sprünge helfen. Freilich gibt es dabei ein Problem – die zeichne­rische Vorlage stammt von 1937. Es ist zwar nicht undenkbar, dass sich 007-Designer Ken Adam von Lurchi hat animieren las­sen, stammt Adam doch schließlich aus Deutschland … aber ich halte es für wenig plausibel.

Sprechende Tiere also, alle möglichen Arten, sind hier vollkom­mene Normalität, insofern befinden wir uns strikt auf Fabelni­veau. Dann aber mengen sich immer wieder auf faszinierende Weise moderne Neuerungen hinein – es geht um Olympische Spiele, um Motorrennen, Ballonfahrten und dergleichen.

Und dann auf Seite 74 fiel mir auf, dass die political correctness zugeschlagen hat. Das erkennt man aber nur dann, wenn man die Originalalben kennt, die ich ja in den frühen 70er Jahren las. In vielen Panels findet man durchaus zeitgenössische Anspielun­gen auf politische Strukturen der damaligen Zeit, d. h. der 30er und 40er Jahre. Als Lurchi mit seinen Freunden nach Afrika ge­langt, werden sie – im Originalheft – von einer Gruppe Kanniba­len gefangen und sollen verspeist werden. Dies sind übrigens die einzigen Schwarzen, die im ganzen Band auftauchen (bei den Aborigines ist das später etwas anderes, die wurden beibe­halten). Die gesamte Kannibalenszene wurde entfernt … aber das Folgepanel beginnt bei dem verwüsteten Kochplatz, der ohne das entfernte Panel wenig Sinn ergibt, und hier machen sich Lurchi & Co. einen garstigen Scherz und färben sich mit Asche zu „Afrikanern“ um, woraufhin sie prompt eingefangen und verschifft werden.

Natürlich war man, nehme ich an, bei Frölich & Kaufmann etwas unangenehm berührt, dass der Lurchi-Texter und -Zeichner alle Afrikaner ungeniert als menschenfressende Barbaren hinstellte (passend zum politischen Denkbild der NS-Zeit).

Aber auch sonst enthält das Buch noch mancherlei Details, die den Leser, der diesen Band für seine Kinder zur Verfügung stellt, bedenklich stimmen könnten. Da ist etwa jene Szene, wo Lurchi & Co., aus dem Stillen Ozean mittels eines durch Sturm­wind getragenen Hauses (!) geradewegs nach Spanien geweht werden und in einer Stierkampfarena landen. Hier bricht Lurchi mit beherztem Salamander-Schuhfußtritt einem Stier das Ge­nick. An anderer Stelle werden Tiere hemmungslos in einer Höh­le ausgeräuchert oder Zauberer kurzerhand in Wolkengebilde zerblasen … es gibt, wenn man mit sehr wachen Sinnen liest, schon ein paar sehr problematische Passagen in diesem Buch, die mir als Kind natürlich nicht aufgefallen sind.

Dann aber wieder schäumt die Phantasie munter über und ver­irrt sich in verrückte Gefilde. Unbeschreiblich erheiternd sind etwa jene Stellen, wo Lurchi kurzerhand einen Vulkanausbruch dadurch zum Stillstand bringt, indem er den Krater mit einem Lasso abschnürt. Ebenfalls urig jene Stelle, wo er mit einer Ra­kete in Richtung Mars unterwegs ist und seinen havarierten Freund Hopps, dessen Niesen seine Rakete gesprengt hat (!), einfängt, ihm Sauerstoffgerät und Salamander-Schuhe für den „Weltraumspaziergang“ zukommen lässt. Oder wie sie Rahm von der „Milchstraße“ abschöpfen …

Wer sich also von den oben angemerkten Eintrübungen nicht abhalten lässt und wer zudem ein Faible für Bildfabeln, wilde und einfallsreiche Abenteuer hat sowie eine gewisse Neigung zu gereimten Texte hat – denn alle Bildseiten werden von den ge­reimten Texten Heinz Schubels begleitet, die hat man in Kauf zu nehmen – , der hat hier eine hinreißende Entdeckung zu gewär­tigen.

Ich selbst fand beim Wieder-Lesen nach Jahrzehnten, dass die­ser Band sehr geeignet ist, die Wortvielfalt der deutschen Spra­che im Kind zu vergrößern, die Kenntnis der Tierwelt zu verbrei­tern und grundsätzliches Interesse an Bildergeschichten zu we­cken. Ich nehme sehr stark an, dass es diese Lurchi-Abenteuer waren, die meine Neugierde an der Archäologie, an der Phan­tastik und an phantastischen Comics beförderten, die meine Kindheit – nach meiner massiven Dinosaurier-Phase – stark ge­prägt haben. Vielleicht stammt auch meine frühe Kenntnis über Siebenschläfer, die ich erstmals erst nach dem Jahre 2000 in natura erleben durfte, ebenfalls von hier. Ziemlich sicher aber hat mich unterbewusst das „Abenteuer im Urwald Australiens“ mit dem eingegrabenen Pangolin zu einer Szene in meinem Ar­chipel-Roman „Christinas Schicksal“ inspiriert, in dem ich erstmals einen Cooro sah.1

Heute mag ich also einen „gealterten“, reiferen Blick auf diese Geschichten haben und daher nicht mehr ganz zum idealen Zielpublikum zählen, schon wahr. Aber deshalb machen sie im­mer noch mächtig Spaß, durchaus nicht nur für Nostalgiker und Romantiker wie mich.

Ach ja, und nicht zu vergessen: jede vollständige Geschichte en­det mit einer Variation des Werbeslogans der Firma Salamander: „Lange schallt’s im Walde noch: Salamander lebe hoch!“

Ich denke, dieser Klassiker lohnt eine Neuentdeckung. Vielleicht durchaus auch für die Kinder von heute.

© 2018 by Uwe Lammers

Surprise, surprise, nicht wahr? Tja, so seltsame und überra­schende Entdeckungen kann man in meinem Rezensions-Blog machen. Im kommenden Beitrag reisen wir zurück in die Früh­zeit des 20. Jahrhunderts und auf einen Ozeanriesen, auf dem sich ein kriminalistisches Drama anbahnt.

Es bleibt spannend, das könnt ihr mir glauben, Freunde.

Bis nächste Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

 

1 Näheres dazu findet man beizeiten in der Archipel-Story „Meister Vansiintas Magie“ (Juli 2009), die bisher noch nicht veröffentlicht wurde.

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