Rezensions-Blog 339: Blümchen, Sex und Peitsche

Posted Februar 16th, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

Komödien sind feinsinnige Gesellschaftsstücke, die in der Regel allgemeine Charakterzüge von Menschen ins Absurde überdre­hen und Protagonisten aufeinanderprallen lassen, die dadurch regelmäßig chaotische Verwirrungen produzieren … wenn man dies als die Grundcharakteristika klassischer Komödien ansehen kann, würde ich sagen, haben wir hiermit ein wirklich gelunge­nes Beispiel dergleichen vorliegen.

Als ich den Roman vor inzwischen über zwei Jahren las, ahnte ich nichts von den drei unzufriedenen Ehefrauen und dem alko­holischen Zwangs-Gelage im Pfarrhaus, das aus einer kleinen Lesegruppe eine abenteuerlustige Meute machen sollte, und ich konnte mir schon gar nicht vorstellen, dass das alles von E. L. James‘ Erotikbestseller „Fifty Shades of Grey“ initiiert werden sollte. Nun, ich sollte dazu lernen, und zwar sehr schnell, wäh­rend ich bei der Lektüre des vorliegenden Bandes aus dem Ge­kicher nicht mehr recht herauskam.

Das ist immer ein gutes Zeichen und selten dazu.

Ich meine, filmisch bin ich eher nicht so der Komödientyp, aber das hier … also, das hatte was, das ist unleugbar. Wer sich von dem martialisch klingenden, aber durch und durch ironisch ge­meinten Titel nicht allzu schnell ins Bockshorn jagen lässt, sollte sich dieses Lesevergnügen echt nicht entgehen lassen.

Worum genau geht es? Schaut einfach mal weiter:

Blümchen, Sex und Peitsche

von Iska Lavin

Bastei 16873

224 Seiten, TB (2013)

ISBN 978-3-404-17873-6

Das Buch wird kontrovers diskutiert. Die einen stürzen sich be­gierig auf die Abenteuer der jungfräulichen Anastasia Steele und ihres dominanten, sexuell erfahrenen und sadistischen Liebhabers Christian Grey. Andere finden das Buch sexistisch, es erniedrige Frauen, glorifiziere sexistische Gewalt und sei in seiner Ausformung einfach nur grotesk. Zumeist handelt es sich bei letzteren Einschätzungen allerdings um Aussagen von Men­schen, die das Werk höchstens in Auszügen, in Form von partei­ischen Rezensionen oder Ausschnitten der Verfilmung einschät­zen.

Kurz nach dem Erscheinen des Buches setzt aber interessanter­weise auch auf belletristischer Ebene eine Auseinandersetzung mit dem Werk ein, und das vielleicht vergnüglichste Resultat dieser Entwicklung stellt der vorliegende Roman dar. Denn in der Tat geht alles mit „Shades of Grey“-Band 1 los und eskaliert schließlich ins völlige Chaos, wo kein Auge trocken, keine Person ungeschoren und quasi kein Stein mehr auf dem anderen bleibt.

Und dabei fängt doch so harmlos an …

Elsa, Imogen und Jasmin sind drei Frauen in unterschiedlichem Lebensalter, die sich anfangs nicht mal persönlich kennen und unter normalen Umständen auch nie kennen gelernt hätten. Zu verschieden sind ihre Leben: Elsa (50) führt mit ihrem Mann Al­bert (Berti) eine Firma, die sich auf Erotikartikel spezialisiert hat. Sie hat mit ihrem Berti zwei inzwischen erwachsene Söhne groß gezogen und ist mit dem Leben im Kern total zufrieden. Okay, es nervt sie, dass Berti ständig mit seinem engsten Freund Hei­ner durch die Lande gurkt und Vögel beobachtet. Aber wenn er wieder daheim ist, ist der gemeinsame Sex immer noch große Klasse.

Dennoch beginnt sie sich schließlich zu langweilen und ent­scheidet sich dafür, wenn Berti schon ständig was für sich un­ternimmt, sich selbst auch mal was zu gönnen. Aber was soll das sein? Spontan fällt ihr ein, dass sie ja einen Aufruf in die Zeitung setzen könnte, um einen Frauen-Lesekreis zu bilden. Das ist ganz unverfänglich und sicherlich eine schöne Abwechs­lung für das ständige Managen der Firma.

Sie hat keine Ahnung, dass sie die Zündschnur an ein Pulverfass legt, das jede Menge Leben binnen kürzester Zeit entgleisen lassen wird, ihr eigenes ausdrücklich eingeschlossen. Auch der Leser kann sich das nicht vorstellen.

Imogen (39) ist eine vor langer Zeit aus Ostdeutschland in den Westen übersiedelte, inzwischen ziemlich gereizte Finanzamts­beamtin. Unglücklich verheiratet mit „ihrem Ralle“ hat sie sich in einem frustrierenden Leben eingerichtet und erträgt mühsam die ständigen herablassenden Ossi-Scherze ihres Bürokollegen Kjell, der offensichtlich mit einer tollen Frau verheiratet ist, ob­wohl er einfach nach überhaupt gar nichts aussieht. Das Leben kann schon echt total ungerecht sein. Hat das nicht mehr zu bieten? Als sie Elsas Anzeige liest, denkt sie, dass vielleicht ein wenig Abwechslung nicht schaden kann. Aber große Hoffnungen hat sie nicht. Sie meldet sich bei Elsa.

Damit beginnt auch ihr Leben zu entgleisen (was natürlich we­der Elsa noch sie ahnen).

Und dann ist da noch die Studentin Jasmin (26), die unglücklich in den Cafébesitzer Benedikt verschossen ist und bei ihren zag­haften Annäherungsversuchen so ziemlich alles falsch macht, was man nur falsch machen kann. Zum einen unterläuft ihr in einem stockenden Gespräch der Fehler, dass sie ihn als stillos bezeichnet, und dann rutscht ihr versehentlich auch noch her­aus, sie fände sein Café so schön plüschig, wie es Schwule ein­richteten … woraufhin er eingeschnappt ist und sie am Boden zerstört. Hat sie ihn echt gerade als stillos und schwul bezeich­net? Das wollte sie doch gar nicht sagen, sondern ihm eigent­lich eher ein Kompliment machen …

Gott, sie kann aber auch wirklich gar nicht so mit Männern um­gehen! Alles geht den Bach runter, und niemand wird sich je­mals für sie interessieren, schon gar nicht der Mann, den sie so gern näher kennen lernen würde und soeben tödlich beleidigt hat … in der Stimmung findet Jasmin dann Elsas Anzeige und entschließt sich dazu, eher aus einem Versehen heraus, an der Leserunde teilzunehmen. Natürlich wird sie angenommen, denn eine Leserunde sollte ja mindestens aus drei Personen beste­hen, sonst wäre es ja keine Runde. Und aus reinem Pflichtbe­wusstsein geht Jasmin hin, auch wenn sie mit Literatur nun so gar nichts am Hut hat. Und sowieso ganz andere Sorgen (siehe oben).

Vielleicht ist diese spontane Fehlentscheidung Schicksal. So sieht es nachher jedenfalls aus.

Am Anfang wirkt das völlig anders. Im Pfarrhaus, wo Elsa diesen Lesekreis organisiert, versucht die intellektuelle Elsa ihren bei­den grundverschiedenen Mitstreiterinnen zunächst das Buch „Jane Eyre“ schmackhaft zu machen. Es stößt nur auf bedingt Gegenliebe. Imogen favorisiert eher Thriller. „Aber ohne Mes­ser!“, besteht Jasmin, die meint, danach sonst nicht mehr schla­fen zu können.

Damit scheiden Thriller also auch aus.

Auch der zweite Buchtipp, der dann von Imogen kommt und den unprosaischen Titel „Trittbelastung an Seen und Weihern im östlichen Landkreis Ravensburg“ trägt (ernsthaft!), kann sich nicht in der Runde durchsetzen. Aus einer gewissen Frustration heraus wählt Elsa anschließend ein Buch, das man ihr zur Lektü­re empfohlen hat, das sie aber noch nicht lesen konnte: „Sha­des of Grey“.

Damit fängt das Verhängnis an.

Während Elsa, die sich in dem Sex-Business beruflich ja aus­kennt, von der Geschichte durchaus schnell fasziniert ist, sind sich ihre Mitstreiterinnen nicht ganz so sicher, und das steigert sich alsbald zu einem handfesten Zerwürfnis, das den Lesekreis nach dem zweiten Treffen sprengen würde … tja, wenn denn die Tür des Gemeindesaales wieder aufgehen würde. Tut sie aber nicht. Der schwerhörige Pfarrer hat sie offenbar ahnungslos ein­geschlossen. Die Handys sind auf dem Flur und unerreichbar, und der Gemeindesaal liegt im zweiten Stock und geht zum menschenleeren Hof hinaus.

Dumm gelaufen.

In der Küche gibt es aber wenigstens noch vom Gemeindefest kalt gestellten Sekt und Knabberzeug. So eingesperrt und ratlos beginnen die drei Frauen ein eher ungeplantes Gelage und wer­den, während sie sich immer mehr besaufen, zu besten Freun­dinnen, die einander die Herzen ausschütten.

Imogen klagt über ihren biestigen Kollegen Kjell und über ihr unbefriedigendes Dasein, über ihren verschollenen, treulosen Jugendfreund René, der ihr ewige Liebe geschworen habe und dann spurlos verschwunden sei. Nur „Ralle“ sei ein Lichtblick. Vielleicht habe sie es also ja eigentlich nicht völlig schlecht.

Jasmin, die eigentlich keinen Alkohol trinkt, aber heftig dem Sekt zuspricht, plappert über ihre Sehnsucht nach Benedikt.

Elsa wünscht sich, endlich mal Firma Firma sein lassen zu kön­nen, um beispielsweise auf dem Hamburger Kiez „mal richtig die Sau rauszulassen“. Und da sie mit Abstand die trinkfesteste von ihnen ist und von Natur aus gern Pläne macht, entschließt sie, einen Schlachtplan zu entwickeln, mit dessen Hilfe sie alle drei zu ihrem Glück kommen sollen.

So werden aus drei grundverschiedenen Frauen Verschworene.

Und dann geht alles schief, und zwar auf die aberwitzigste Wei­se, die man sich nur vorstellen kann. Darin spielen zentrale wei­tere Rollen: Imogens Arbeitskollege Kjell. Jasmins Schwarm Be­nedikt und dessen Großmutter. Bertis bester Freund Heiner und dessen Ehefrau Monika (stets Monique genannt) sowie deren Tochter Caroline. Und dann sind da auch noch der prügelnde Paartherapeut Tizian und Herr Sternchen (und weitere) …

Ja, Sternchen sieht man am Ende dann auch, und die Lachmus­keln schmerzen … denn je weiter sich die Geschichte entwi­ckelt, desto grotesker wird sie. Sicherlich wird, wie in jeder gu­ten Komödie, der Wahrscheinlichkeit Gewalt angetan, und wie in Theaterstücken tauchen die unpassenden Figuren zu den unglü­cklichsten Gelegenheiten auf dem Schauplatz auf … aber es macht einfach einen wahnsinnigen Spaß, das zu lesen. Zu ent­decken, wie durch die Lektüre eines skandalösen Bestsellers und eines ungeplanten Zwangs-Sekt-Gelages im Pfarrhaus die Leben aller beteiligten Personen gründlich entgleisen und jede Menge empfindliches Porzellan zerschlagen wird … das ist so abenteuerlich wie lesenswert.

Ich habe ja sonst nicht viel für Komödien übrig, weder im Film noch im Buch, aber das hier war eine sehr kurzweilige, muntere Abwechslung zu meinen sonstigen Lesestoffen. Entgegen dem etwas marktschreierischen Titel ist darin weniger Sex enthalten, als man glauben könnte, und noch weniger Sadomaso-Kram, dafür unglaublich viel Humor. Ich würde also vermuten, die Au­torin hat „Shades of Grey“ definitiv richtig gelesen und insbe­sondere den darin verborgenen Humor, der mir die Lektüre sehr angenehm machte (und von den meisten vorurteilsbehafteten, ahnungslosen Kritikern einfach übersehen wird), solide adap­tiert.

Ein wirkliches Lesevergnügen, sehr zu empfehlen.

© 2019 by Uwe Lammers

Abenteuer mal auf völlig andere Art und Weise – ich hoffe, ich konnte neugierig auf das Werk machen, es lohnt sich unbedingt als Training für die Lachmuskeln.

Auch im nächsten Band bleiben wir im Hier und Jetzt und an ei­nem Ort, an dem sich Dinge ereignen, die man dort eigentlich nicht erwartet, nämlich Mord in einer Bibliothek. Wann, wo und wie? Nun, das erfahrt ihr in der nächsten Woche.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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