Rezensions-Blog 360: Der grüne Jademond

Posted Juli 13th, 2022 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, ich weiß, dass dieses Buch alt ist – ebenso übrigens wie die Rezension von mir selbst auch, die ich nach 20 realen Jahren wieder ausgegraben habe. Aber Robert Sheckley ist einfach ein Schriftsteller gewesen, der erstaunlich intelligente und zumeist überaus witzige Geschichten zu schreiben verstand (wenn auch mitunter mit einem schwarzen Humor gewürzt, der einem Roald Dahl gut angestanden hätte!).

08/15-Geschichten finden wir hier also eher nicht, sondern meist sehr obskure Werke, die sich wirkungsvoll ins Gedächtnis einprägen. Damals habe ich nur einen Teil der gesamten Story­sammlung in Andeutungen vorgestellt, sodass jedermann, der die genannten Geschichten schon kennen sollte, immer noch al­lerlei in dem Buch vorfindet, das unvertraut ist und die Entde­ckung lohnt.

Robert Sheckley mag lange tot sein (+2005), aber das gilt definitiv nicht für sein Werk, und das ist gut so. Wer den Namen noch nie ge­hört hat (oder nur unter „ferner liefen“ und selbst noch keine li­terarische Direktberührung gehabt haben sollte), der dürfte nach meinen unten wiedergegebenen Worten von 2002 wohl recht neugierig auf einige der Geschichten sein.

Sheckley lohnt sich allemal – schaut mal genauer hin:

Der grüne Jademond

(OT: Can you feel anything when I do this?)

von Robert Sheckley

Goldmann 0167

162 Seiten, TB

Storysammlung (1973)

Übersetzt von Tony Westermayr

ISBN 3-442-23167-1

Sheckley ist berüchtigt.

Robert Sheckley stellt einen jener Schriftsteller dar, deren Wer­ke sowohl gefürchtet als auch geliebt werden. In seinen Ge­schichten findet man sich mit sturen Robotern, unbeheizten Raumanzügen, Urlaubstrips mit unvorhersehbaren Nebenwir­kungen, seltsam menschlichen Außerirdischen und manchmal bizarr unmenschlichen Normalsterblichen konfrontiert. Nicht sel­ten nehmen seine Geschichten Wege in die Niederungen des schwarzen Humors, gegen den jeder Espresso wie Mineralwas­ser wirkt.

Schon seit Jahrzehnten schlachtet er in seinen Stories und Ro­manen die goldenen Kühe der Science Fiction, überschreitet munter die Grenzlinien zwischen Phantastik und Mainstream und ist, was immer man sonst von ihm halten mag, meist unbe­streitbar und unterhaltsam lesbar. Das gilt auch für diese alte Storysammlung, die ich in meinen Bücherregalen nach sieben darbenden Jahren sehnsüchtigen Wartens auf lesehungrige Au­gen ausgrub.

Die Geschichten in diesem Band entstanden in den Jahren 1961 bis 1971. Es handelt sich um 16 zum Teil bitterböse Blicke in eine nahe oder fernere Zukunft, in andere Welten und andere Zivilisationen. Und meist ist nicht alles so, wie sich der Leser das ausmalt:

In der Titelstory Der grüne Jademond, der scheinbar gut zum Cover zu passen scheint, auf dem ein ebensolcher zu sehen ist, überrascht in mehrerlei Hinsicht. Erstens geht es nicht um Raumfahrt, sondern die Geschichte bleibt äußerst bodenstän­dig. „Der grüne Jademond“ ist nämlich das „beste indonesische Restaurant auf den Balearen“, das ein holländischer Unterneh­mer (gebürtiger Römer) eröffnet, wobei er nicht versäumt, dar­auf hinzuweisen, dass er dieses Lokal nur deshalb gegründet habe, weil er den balearischen Künstlern der Künstlerkolonie Ibi­za nahe sein wolle, und eigentlich habe er sowieso vor, Kunst­maler zu werden.

Er muss sich bald bitter über mangelnde Kundschaft beklagen, nur ein unterbezahlter Kellner, zugleich Plattenwechsler für die Musik und ein einziger Gast unterbrechen seine Einsamkeit. Kein Wunder, dass er beginnt, diesen Gast zu hegen und zu pflegen, ihm jeden kulinarischen Wunsch in vorauseilendem Ge­horsam zu erfüllen, bevor er ihn äußert. Und irgendwann merkt der Küchenchef dann, dass er dabei ist, seinen Kunden auf höchst appetitliche Weise zu ermorden …

Ein wahrhaft höllisches Produkt hat Mr. Charles Sitwell zu ver­kaufen, seines Zeichens „Außendienstmitarbeiter des Teufels“. In der Hölle herrscht Überfüllung, deshalb schüttet der Satan eine Art von Dividende (ohne Hintergedanken, wie Sitwell versi­chert!) aus: drei Wünsche. Und ein armer, glücklicher Jude na­mens Edelstein, der keine Feinde kennt und keine Wünsche zu haben scheint, ist ausgerechnet auserkoren, diese Dividende zu erhalten. Wie gesagt: bis zu diesem Zeitpunkt ist er glücklich. Dann jedoch …

Rückkehr aus dem tiefsten Weltraum ist eine Story, in der der Leser darüber grübeln kann, ob der Mann namens Papazian wirklich ein ausgeflippter außerirdischer Tourist ist, der die Men­schen schocken möchte … oder ob er wirklich nur ein geistig verwirrter Mann ist, dessen Frau ihn völlig verzweifelt schließlich in den Straßen der Stadt auflesen lässt, um an sein Erinne­rungsvermögen zu appellieren. Die Lösung ist dann doch etwas strange.

Auf die Frage Spüren Sie etwas, wenn ich das mache? kennt die schöne Melisande schließlich nur eine rigorose Antwort, mit der ihr ungewöhnlicher neuer Bewunderer ganz und gar nicht ge­rechnet hat. Und ich, muss ich gestehen, auch nicht so recht. Manchmal kann Sheckley schon richtig brutal sein.

Wenn jemand in New York auf offener Straße aus dem Nichts er­scheint und wie ein Wanderprediger anfängt, wunderbare Pillen als Allheilmittel gegen die Blaue Pest anzubieten, sollten Sie zu­greifen, selbst wenn Sie von dieser angeblich so verheerenden Krankheit (bis zu 5000 Tote pro Tag, kein Medikament wirkt, Re­gierung und Kommunen sind völlig überfordert … Psst, das ist natürlich alles streng geheim, nicht wahr?) noch nie etwas ge­hört haben sollten. Es könnte nämlich sein, dass der vermeintli­che Irre ein Zeitreisender ist und die undankbare Aufgabe hat, die Pest erst auszulösen …

Für Howard Cordle ist das Leben ein Spießrutenlauf: ständig wird er schikaniert und herumgestoßen, andere Leute schnap­pen ihm die schönen Mädchen und die guten Posten im Leben weg. Er versteht das nicht bis zu jenem Tag in Spanien, an dem er Die göttliche Formel kennenlernt: „Cordle konnte nicht be­greifen, weshalb das so war, bis ihm an einem Hochsommertag, an dem er auf einem Drogentrip war und durch die Nordprovinz Spaniens fuhr, der Gott Thoth-Hermes echte Erleuchtung zuteil werden ließ, als er murmelte: „Äh, schau, Baby, ich versteh´ dich schon, aber kapier das, wir müssen Karotten reintun, sonst gibt’s kein Stew.“

Wer das nicht kapiert, sollte die Story lesen und begreifen, wie sich Cordle plötzlich von einer „kleinen, perlweißen Zwiebel“ – zumindest zeitweise – in eine Karotte verwandelt (jedenfalls charakterlich), und was das für Folgen hat. Unter anderem, um es vorwegzunehmen, führt es beinahe zu einem Krieg der Su­permächte, ausgelöst durch einen Stau in Italien, und dazu, dass Cordle seine künftige Ehefrau und Mutter seiner Kinder kennenlernt. Aber was dazwischen passiert, ist schieres, reines Vergnügen für den Leser …

Wenn man die Story um Doktor Zombie und seine kleinen pelzi­gen Freunde liest, bekommt man fast Mitleid mit dem armen Kerl, der durch und durch ein Idealist ist und ein Ziel verfolgt, das weit schlimmer ist als das der Nazis im Zweiten Weltkrieg, nämlich nichts Geringeres als die fast vollständige Auslöschung der Menschheit. Doch die Sache geht schief, und das nur wegen … ahem, das wollte ich ja nicht verraten.

Die grausamen Gleichungen zeigen auf fast schon zynische Weise eine Wahrheit, die jeder Computer-User schon einmal ge­macht hat: diese Kästen sind einfach dämlich und mit einer ver­drahteten Sturheit ausgerüstet, die jeden Menschen in den Wahnsinn zu treiben fähig ist. Dasselbe gilt auch von Robotern, denen Sheckley offenkundig nicht allzu viel zutraut. Max, ei­gentlich der Wachroboter WR 22-0134, jener babyblau gestri­chene Kamerad der Expedition nach Regulus V hat eigentlich nur die Aufgabe, das Lager gegen Feinde von außen zu schüt­zen. Das tut er auch, aber mit einer Effizienz, die verstörend ist …

Und dann war da noch Lanigans versteinerte Welt, die nicht im Wortsinn versteinert ist, aber dann, wenn man begreift, woher Lanigan kommt, durchaus diese Bezeichnung verdient. Verblüfft es wohl, wenn man anfängt zu kreischen vor panischer Angst, wenn man erkennt, dass die Welt an sich – weil unveränderlich – schon lange tot ist („Der Himmel war von unveränderlichem Blau, war es offenbar schon seit geraumer Zeit“)? Das muss man doch verstehen, oder …?

Dies sind nur ein paar Schlaglichter auf eine Reihe von insge­samt 16 Geschichten der Storysammlung, die durchaus sehr he­terogenen Charakter besitzen und von kurzen Anekdoten bis hin zu wirklich wilden, faszinierenden Werken eine reichliche Spann­breite des Sheckleyschen Humors zeigen. Langeweile kommt nur selten auf, obgleich das Werk fast dreißig Jahre und manche Story über 40 Jahre alt ist. Alle Achtung, kann man da nur sa­gen. Wer das Schmunzeln bei der Lektüre nicht verlernen möch­te, sollte sich Sheckley greifen. Es lohnt sich.

© 2002 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche werden wir zwar nicht allzu viel aktu­eller, aber genretechnisch wechseln wir wieder mal gründlich – diesmal zu einem seltenen Ausflug in den Bereich der Fantasy.

Genaueres verrate ich in sieben Tagen an dieser Stelle.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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