Rezensions-Blog 412: Dublin Street: Gefährliche Sehnsucht

Posted Juli 12th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

erotische oder erotisch-romantische Romane sind durchaus mein Ding, seit einer ganzen Reihe von Jahren schon. Wenn­gleich ich eingestehen muss, dass recht viele davon eher wild zusammengeschustert sind, gewissermaßen nach einer struktu­rellen Blaupause, die man relativ rasch durchschauen kann, so gibt es doch manche darunter, die sich grundlegend unterschei­den.

Zu diesen Romanen möchte ich die Serie der „Edinburgh Love Stories“ rechnen, die die Autorin Samantha Young verfasst hat. Der erste Band davon ist der Roman, den ich euch heute vor­stellen möchte.

Zugegeben: Wenn man das Genre nicht gewohnt ist und man damit rechnet, schnell einen gescheiten Überblick über die Lage zu bekommen, könnte es sein, dass man sich hier ein bisschen schwer tut. Aber wer etwas Geduld an den Tag legt, wird schön entschädigt. Denn was wir hier im Buch auftreten sehen, ist kein plump-schematisches Personal, das den ganzen Roman hindurch gleich bleibend ist. Es sind tatsächlich lebendige, glaubwürdige Protagonisten mit sehr menschlichen und indivi­duell sehr verschiedenen Problemkomplexen, die sie mit sich herumschleppen. Und die Personen entwickeln sich im Zuge des Zyklus zunehmend … ja, die Romane hängen alle personell mit­einander zusammen und sind recht eng verzahnt. Außerdem bauen sie aufeinander auf, sodass es sich nicht empfiehlt, mit Band 2, 3 oder 4 zu beginnen oder zu glauben, die Reihenfolge sei beliebig.

Startet am besten mal mit diesem Band und schaut, ob es euch reizt, detaillierter am Leben der etablierten Protagonisten teilzu­haben, als das im Rahmen einer schlichten Rezension möglich ist. Ich fand diesen Blick in die Seelen von ein paar Bürgern der Stadt Edinburgh sehr anregend und lehrreich:

Dublin Street: Gefährliche Sehnsucht

(OT: On Dublin Street)

von Samantha Young

Ullstein 28567

432 Seiten, TB

Februar 2013, 9.99 Euro

Aus dem Englischen von Nina Bader

ISBN 978-3-548-28567-2

Jocelyn Butler ist ein tiefes Wasser. Die junge Amerikanerin hat in Edinburgh studiert und sich dort mit ihrer besten Freundin Rhian niedergelassen. Durch ihr elterliches Erbe von Geldsorgen befreit, ist sie nun genötigt, eine neue Bleibe in der Stadt zu fin­den, als Rhian mit ihrem gemeinsamen Freund James nach Lon­don zieht. So kommt sie zu dem noblen Wohnraum in der Dublin Street, in der Ellie Carmichael eine Mitbewohnerin sucht. Die beiden jungen Frauen verstehen sich sofort bestens, was nie­mand mehr verblüfft als Joss (sie gestattet niemandem, sie Jo­celyn zu nennen – die Gründe dafür liegen tief in ihrer Vergan­genheit und hinter den Stahltüren ihrer Seele verborgen). Denn Joss ist jemand, der niemandem mehr vertraut. Sie hat auf här­teste Weise lernen müssen, was das für seelische Wunden zu­fügt und fest entschlossen, das niemals wieder zuzulassen.

Das Leben wünscht sich indes etwas anderes, und das hat nicht nur mit der hinreißend naiven und offenherzigen Ellie zu tun, die sich mühelos in Jocelyns Herz hineinschleicht.

Schon kurz nach dem Einzug in die Dublin Street wird Joss beim ersten Baden unvermittelt von einem unverschämten Kerl über­rascht – just dem attraktiven Anzugträger, mit dem sie schon am Taxi kollidierte, das sie zum ersten Besuch in der Dublin Street brachte. Zu dumm: Im Badezimmer ist kein Handtuch, der unverschämte Kerl sieht Joss also kurzerhand splitterfaser­nackt … und scheint sehr angetan zu sein von dem, was er sieht.

Warum hat er einen Schlüssel für Ellies Wohnung? Weil er ihr Bruder ist, Braden Carmichael, erfolgreicher Jungunternehmer in Edinburgh und notorischer Playboy mit ständig wechselndem weiblichem Anhang – etwas, was Ellie kategorisch missbilligt. Und nun beginnt Braden damit, sich auf Joss einzuschießen. Und das, obwohl er, wie sich schnell herausstellt, eine Freundin hat … nun, was man so Freundin nennen kann.

Rasch entdeckt Joss zudem, während sie an ihrem Plan feilt, eine freiberufliche Schriftstellerin zu werden und nebenbei an einigen Tagen im „Club 39“ als Bedienung arbeitet, dass sich eine menschliche Nähe zu ihren neuen Freunden in Edinburgh einstellt, die ihr durchweg unheimlich ist. Der Grund dafür, dass ihr das eher unheimlich ist, wurzelt in Jocelyns Panikattacken, die zwar schon sehr lange zurückliegen und mit ihrer traumati­schen Vergangenheit zu tun haben. Sie rühren von dem tragi­schen Verlust ihrer ganzen Familie her, als sie 14 Jahre alt war, was gleich im Prolog thematisiert wird. Das liegt nun schreckli­che acht Jahre zurück, aber wiewohl sie sich anderes einredet, hat sie diesen Verlust nie wirklich verarbeitet.

Jetzt kehren diese Panikattacken wieder, schlimmer denn je, und sie sind offensichtlich unberechenbar – grässliche Flash­backs, bei denen die ganze Umwelt um sie herum im Strudel der Vergangenheit versinkt und Joss kollabieren lässt. Sie kön­nen sie in der heimischen Küche in der Dublin Street überfallen, bei einem gemeinsamen Essen mit Ellies und Bradens Familie oder im Fitnessstudio, während sie auf dem Laufband trainiert. Bei der Gelegenheit lernt sie dann auch noch Gavin kennen, was neues Krisenpotenzial heraufbeschwört. Und zudem befin­det sich Joss rasch außerdem in einer Art ungefragter Schieds­richterrolle zwischen Ellie Carmichael und Bradens Arbeitskolle­gen Adam, die in einer höchst unentschlossenen Form von Bei­nahe-Beziehung gefangen sind.

Eigentlich will Joss also gar keine Nähe, kapselt sich ab und pan­zert ihre Seele ein, weil sie fest davon überzeugt ist, sowieso je­dem Menschen in ihrer Umgebung nur Schaden zuzufügen, wenn sie Nähe zulässt – und zu leiden, wenn diese Gefühle bu­merangartig zu ihr zurückkehren.

Aber Braden Carmichael, der immer stärker von dieser resolu­ten, kratzbürstigen und abweisenden Frau angezogen wird und spürt, dass unterschwellig dieselben Gefühle an Joss nagen, ist fest entschlossen, sie in sein Bett zu bekommen. Was das zur Folge hat, vermögen sich beide nicht einmal entfernt vorzustel­len …

Mit Samantha Young habe ich eine weitere höchst interessante und sehr lesenswerte Autorin entdeckt, die ungeniert als New York Times-Bestsellerautorin plakatiert wird (wie etwa auch Clive Cussler auf der maskulinen Seite), und der erste Band ihres auf sieben Bände angelegten Zyklus „Edinburgh Love Sto­ries“, der hiermit vorgelegt wird, kam alleine bis 2015 auf sie­ben deutsche Auflagen (das ist die Ausgabe, die mir vorliegt, ich kann mir mühelos vorstellen, dass es inzwischen zahlreiche weitere gab). Nachdem ich im ersten Anlauf mehr als hundert­dreißig Seiten weit kam und mich dann, familiär bedingt, mit dem weiteren Lesen zurückhalten musste, dauerte es nur bis zum Ende des zweiten Lesetages, um das Buch dann vollstän­dig auszulesen – ein klares Qualitätsurteil, weil ich sonst bei Ro­manen dieses Typs meist drei bis vier Tage brauche. Hier konnte ich mit dem Lesen aber einfach nicht mehr aufhören, und das hatte nichts damit zu tun, dass es so hitzige Liebesszenen gab (die in der zweiten Hälfte des Romans natürlich dennoch reich­lich vorkommen).

Woran lag das dann?

Es waren die Persönlichkeiten, die mich daran reizten. Insbeson­dere bestürzend fand ich Joss´ Panikattacken, deren tiefere Hin­tergründe sich erst nach und nach aus den Nebeln der Vermu­tungen schälen. Und ihre … ja, man muss wirklich sagen: maso­chistische Veranlagung, dem eigenen Glück im Weg zu stehen, die hat mich auch mitfiebern lassen. Demgegenüber bleibt Bra­den dummerweise recht lange diffus. Auf eine neckische Weise passen die beiden recht gut zueinander, der nach außen unge­nierte Lebemann, der Frauen wie Dutzendware zu sich ins Bett zieht und wieder an die Luft setzt, und Joss, die keinen Kerl mehr an sich ranlässt und sich dann, als sie der Anziehung Bra­dens nachgibt, kurzerhand selbst wieder wegschleicht – wie sonst üblicherweise ein Kerl bei One Night Stands … und noch grotesker sind dann ihre Hilfeversuche gegenüber Ellie, die durch die Metaperspektive von Jocelyns Gesprächen mit ihrer Therapeutin in Edinburgh gewissermaßen von außen beleuchtet werden.

Da dachte ich mir dann immer: es ist doch interessant, wie ähn­lich die Probleme sind, mit denen sich Joss und Ellie herum­schlagen. Und noch witziger, dass Joss zwar dieses Problem bei ihrer Freundin genauestens sieht, aber unfähig ist, die mentale Übertragung auf das eigene Leben durchzuführen. Stattdessen steht sie lange, lange, lange völlig auf dem Schlauch, und es bedarf einiger dramatischer Vorkommnisse, die zu tränenrei­chen Konsequenzen führen, ehe der harte Panzer ihrer Unzu­gänglichkeit aufgeweicht wird. Das ist manchmal regelrecht quälend mit anzusehen, aber auf der anderen Seite auch – wie mir schien – durchaus glaubwürdig umgesetzt. Auf den theatra­lischen deutschen Untertitel sollte man allerdings nicht viel ge­ben, sonderlich „gefährlich“ wird’s in dem Roman eigentlich nicht, eher emotional dramatisch.

Glaubwürdige Personen, komplizierte Biografien und sehr emotionale Seelen, das ist jedenfalls das Erfolgsrezept dieses Romans und zweifellos auch der folgenden, die alle in und um Edinburgh spielen und im weiteren Dunstkreis um Jocelyn Butler und Braden Carmichael handeln. Der zweite Band, „London Road“, hat beispielsweise Joss´ Arbeitskollegin Johanna Walker (die in diesem Band nur „Jo“ genannt wird) als Fokus, mit der sie im „Club 39“ zeitweise zusammenarbeitet. Ich bin gespannt, wie sich diese Lebensspur entwickelt. Das vorliegende Buch ist auf jeden Fall für jeden romantischen Leser eine Entdeckung wert.

© 2019 by Uwe Lammers

Ich denke, das mag als Appetizer für diesen Roman dann erst einmal hinreichen. Fortgesetzt wird diese Reihe im Blogartikel 416 in vier Wochen. In sieben Tagen an dieser Stelle kehren wir ins Genre der Science Fiction zurück mit einem recht alten, aber immer noch durchweg empfehlenswerten Buch, über das ich noch nichts Näheres verraten mag.

Schaut einfach wieder rein, Freunde!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

Leave a Reply

XHTML: You can use these tags: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>