Rezensions-Blog 434: Hautnah und näher

Posted Dezember 13th, 2023 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

eigentlich kann es bei Schwemme erotischer Romane auf dem deutschen Buchmarkt überhaupt nicht ausbleiben, dass man in den einschlägigen Programmen der namhaften Verlage auch mal auf experimentelle Werke stößt. Das soll nicht zwingend be­deuten, dass das dann immer irgendwie Rohrkrepierer sein müssen, es gibt gelegentlich schon interessante Denkansätze darin, und ich halte mich nicht grundsätzlich von solchen Wer­ken fern.

Mit einem solchen Experiment haben wir es hier zu tun. Sozusa­gen mit einem „2 in 1“-Roman, in dem zwei Novellen, die jede für sich genommen nicht hinreichend Stoff für einen umfangrei­chen Mira-Band ergeben hätten, zu einem Werk verschmolzen wurden. Nach der Lektüre vermutete ich, dass diese Fusion der qualitativ recht unterschiedlichen Geschichten mit Bedacht vor­genommen wurde, um letztere ins Verkaufsregal zu hieven … für sich genommen wäre sie nämlich nicht zugkräftig gewesen. So ist wenigstens mein Eindruck gewesen.

Aber wer weiß, vielleicht urteile ich ja auch etwas zu harsch, das kommt gelegentlich vor. Am besten macht ihr euch selbst ein Bild von diesen beiden Novellen und schaut euch das ein­fach mal im Folgenden genauer an:

Hautnah und näher

(OT: Seducing Mr. Right & The Mercenary)

Von Cherry Adair

Mira 35037

320 Seiten, TB (2011)

ISBN 978-3-89941-865-1

Aus dem Amerikanischen von Roswitha Enwright (Roman 1)

und Elke Iheukumere (Roman 2)

Dieses Buch ist ein kleines Experiment, ich nehme an, auch ei­nes des Verlages – denn im Gegensatz zum sonstigen Pro­gramm bei MIRA findet der überraschte Leser in diesem Buch zwei Romane vor. Ein jeder davon hat rund 160 Seiten Umfang, und beide Geschichten sind sich interessanterweise recht ähn­lich, da von derselben Autorin stammend … ansonsten aber recht nett gemacht, dies gilt im besonderen Maße für die erste Geschichte.

Die Story (oder nennt es Roman, wenn ihr mögt) mit dem Titel „Sein letztes Tabu“ lässt den Leser teilhaben an dem süßen, aufreizenden Leben der jungen Ann Catherine Harris, kurz Cat genannt, und Lucas Van Buren. Anfangs versteht der Leser ein wenig Bahnhof, aber das klärt sich recht schnell auf. Dass Cat sich zu Beginn der Geschichte nackt in Lukes Bett geschmug­gelt hat, als dieser mit einer angelachten Bettbekanntschaft nach Hause kommt, lässt die Lage schon mal eskalieren. Die Bekanntschaft zieht schleunigst Leine, erklärt Luke für „pervers“, und der Haussegen zwischen Cat und Luke hängt daraufhin schief. Dabei haben sie gar nichts miteinander.

Die Lage sieht sogar noch um einiges komplizierter aus. Die völ­lig jungfräuliche Cat ist 26, Luke sieben Jahre älter. Er ist ein breitschultriger, großer Kerl, der mühelos Mädels in sein Bett bekommt; Cat hingegen schlank, durchaus ein wenig kurvig, rotmähnig und sommersprossig, hat darin keinerlei Erfahrung. Die beiden kennen sich notwendigerweise seit 26 Jahren – sie sind Stiefgeschwister. Gleiche Mutter, verschiedene Väter. Wäh­rend die Väter inzwischen tot sind, Cat hat sich hingebungsvoll um ihren leiblichen Vater gekümmert, derweil sie zu ihrer ex­zentrischen Mutter ein schlechtes Verhältnis hat, ist Luke zu ei­nem erfolgreichen Architekten an der amerikanischen Westküs­te geworden. Er arbeitet zusammen mit seinem Jugendfreund Nick, der ähnlich wie Luke regelmäßig neue Mädchen aufreißt … und auch Nick kennt Cat schon seit zahllosen Jahren.

So ist die Überraschung nicht eben klein, als Cat aus Beaverton, wo sie bislang in der Provinz lebte, unerwartet in San Francisco aufschlägt und sich kurzerhand bei Luke einquartiert. Formell ist sie lediglich auf der Suche nach ein paar Tipps, wie man sich er­folgreich verliebt bzw. jemanden dazu bringt, sich in sie zu ver­lieben.

Luke traut dem Braten nicht, und mit Recht. Cat ändert denn auch schnell ihre Meinung … oder Strategie. Erst will sie Rat­schläge und praktische Hilfestellungen beim Küssen, dann sucht sie einen echten Ehemann – sie ist ungeachtet der Eskapaden ihrer Mutter der Typ Frau, der sich in einer Ehe mit einem Mann, der sie liebt und den sie liebt, einfach wohlfühlen wird … im Ge­gensatz zu Luke, der sich geschworen – und mit Nick gewettet – hat, niemals heiraten zu wollen … eben wegen der Eskapaden seiner Mutter.

Doch dann wechselt Cat die Spur und möchte vielleicht doch eher einen Liebhaber kennenlernen … und es wird für den Leser recht schnell klar, auf wen sie das Interesse gerichtet hat, und zwar schon seit Jahren – nämlich auf Luke. Der ist für Cat aber nach wie vor „nur“ ein schützender Bruder. Aber die jungfräuli­che Catherine wird immer direkter und süßer und verführeri­scher … und dann sagt sie auf einmal, sie habe den Mann fürs Leben gefunden.

Da ist dann endgültig Alarmstufe Rot angesagt …!

In „Gesetz der Lust“ laufen die Dinge deutlich anders. Hier haben wir es mit einem kleinen Thriller zu tun, der interessan­terweise parapsychische und erotische Elemente mit fiktionalen Details vermischt. So gibt es beispielsweise den fiktiven mediterranen Inselstaat Marezzo, in dem vormals eine Adelsfamilie noch das Sagen hatte. Das ist vorbei – alle Familienangehörigen wurden von einer kriminellen Organisation namens „Spider“ umge­bracht, und diese Terrorgruppe dominiert nun den kleinen Staat.

Die kleine Antiterroreinheit T-FLAC wird darauf aufmerksam, und der Agent Lynx unternimmt einen Versuch, dagegen etwas zu machen. Sein vorheriger Versuch, seinen Ausbilder Marc Sa­vin alias „Phantom“ aus seiner traumabedingten Passivität zu­rückzuholen, schlägt jedoch fehl. Wenige Tage später erhält Marc die Todesmeldung von Lynx und fällt in ein noch tieferes Loch als schon zuvor.

Und dann ist da auf einmal diese zierliche, zerbrechliche Frau namens Victoria Jones (genannt Tory), die ihn in seinem einsa­men Domizil aufsucht – ganz klar erkennbar eine nervöse und absolut nicht auf die Härten des Lebens vorbereitete Buchhalte­rin, die sich Sorgen um ihren Bruder macht … um Lynx.

Marc macht das scheinbar recht arglose Mädchen darauf auf­merksam, dass Lynx tot ist. Doch das lässt sie nicht gelten, wo­mit dann das parapsychische Element sich in die Handlung ein­schleicht: Lynx und seine Schwester Tory besitzen nämlich eine telepathische Verbindung, und deshalb ist ihr klar, dass „Spi­der“ Lynx´ Tod nur vorgetäuscht hat. Er sitzt immer noch in Ma­rezzo irgendwo gefangen, aber schwer verletzt.

Von Tory aufgeschreckt beschließt Marc, doch nach Marezzo zu­rückzugehen, Lynx zu retten und gegen den Kopf der Terrororga­nisation „Spider“ zu kämpfen. Das könnte dem Mädchen so pas­sen – dummerweise schanghait der Agent die Hilfesuchende und zerrt sie ins Abenteuer mit hinein.

Es stellt sich – wenig überraschend – bald heraus, dass Tory, die wider Willen immer stärker zu Marc hingezogen wird, schon in Marezzo war, auf eigene Faust … und dass sie hier in Gefangen­schaft von „Spider“ geriet. Ist also ihre Sorge um ihren Bruder aufrichtig, oder ist sie nur ein besonders raffinierter, süßer Kö­der, den die Terrororganisation ausgelegt hat, um den Komman­danten von T-FLAC, eben Marc Savin, zu fangen?

Ein riskantes Spiel mit dem Feuer beginnt, in dessen Verlauf sich beide Protagonisten auf durchaus widersprüchliche Weise emotional einander annähern …

Jeder dieser beiden Kurzromane lässt sich problemlos in zwei Ta­gen durchschmökern, insofern kann man ihnen wieder ge­schmeidige Lesbarkeit zuschreiben. Allerdings fand ich, ehrlich gesprochen, den ersten Roman interessanter und süßer als den zweiten. Lasst mich das mal kurz begründen:

Natürlich kann man in „Sein letztes Tabu“ konstatieren, dass wir es hier mit einer ausgesprochenen Schmalspur-Geschichte zu tun haben. Es ist schnell deutlich, dass Luke und Cat sich zu­einander hingezogen fühlen. Wie sie zueinander kommen, das ist das eigentlich Goldige an der Geschichte, das sie sehr kurz­weilig macht. In dieser Geschichte gibt es zahllose prickelnd-erotische Momente, aber nur wenig wirklich praktizierten Sex. Da schimmert das originär Amerikanische der Verfasserin deut­lich durch. Das wirklich Witzige ist im Grunde genommen diese Form von magnetischer Anziehungskraft von beiden Seiten, de­ren Erfüllung sich beide Protagonisten massiv im Weg stehen. Aber wie man sich denken kann, gibt es da schon einen Weg.

Der zweite Roman „Gesetz der Lust“ ist dann meiner Ansicht nach zu halbherzig geworden, zu gezwungen schematisch, auch der Titel bereitet nicht wirklich darauf vor, worum es geht. Das ist verschenktes Potential. Der Söldnercharakter Marc Savin kommt leider nur halbherzig herüber, Torys Fähigkeit zur Telepa­thie in der Nähe ihres Bruders wird überhaupt nicht begründet. Und dass sie sich zickig verhält und ihr rechter Unterarm in Gips liegt, erschwert natürlich ebenfalls sehr die Handlungsführung … doch darüber hinaus gibt es Plausibilitätslücken in der Geschichte, die die ganze Story entwerten. Gar zu aufgesetzt und hastig wirkt die Storyline, um dem Leser das Gefühl zu geben, sie sei ähnlich gut durchdacht wie die erste. Das ist sie nämlich nicht. Ich hatte das Gefühl, die Autorin sollte sich von Agentengeschichten tunlichst fernhalten. Das ist nicht wirklich das, wo sie zur Höchstform aufläuft.

So bleibt ein etwas schaler Nachgeschmack bei diesem Doppel­band zurück. Die erste Geschichte ist sehr lesenswert, amüsant und kurzweilig. Die zweite hingegen hätte es verdient gehabt, deutlich mehr Seiten zu gewinnen. So hängt Victorias Telepathie einfach so in der Luft und wird viel zu schnell akzeptiert, um nur mal ein Beispiel zu nennen. „Spider“ und „T-FLAC“ (die Abkür­zung wird nie erklärt!) kommen geradewegs aus dem Nichts, und es gibt noch einiges mehr an Dingen, die sich nicht solide ausgearbeitet in die Storyline einfügen lassen.

Ergo: eingeschränkte Leseempfehlung, primär für Leser, die sich ohnehin unpässlich fühlen und dringend locker-leichte und vergnügliche Lesekost suchen. Wer Tiefgang sucht, wird hier nicht fündig. Es gibt allerdings deutlich schlimmere Werke, muss ich gestehen … und nein, so indiskret, dass ich da jetzt Namen oder Bücher nenne, bin ich selbstverständlich nicht!

© 2017 by Uwe Lammers

In der kommenden Woche kehren wir in den Kosmos der Sigma Force von James Rollins zurück, die in ihrem siebten Abenteuer mit einer fatalen Katastrophe konfrontiert werden. Da ist Dauer­spannung angesagt!

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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