Rezensions-Blog 455: Jäger des gestohlenen Goldes

Posted Mai 8th, 2024 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, hier kommt nach langer Zeit mal wieder eine Geschichte über das Schatzsucher-Ehepaar Sam und Remi Fargo. Lange, lange ist es her, dass ich zuletzt von ihnen an dieser Stelle er­zählte, ich weiß. Konkret war das am 17. Juni 2020.1 Die Fargos sind eigentlich ein reiches Unternehmerehepaar, das sich nun gewissermaßen als zweite Karriere um Schatzsuche kümmert und dabei – in Indiana Jones-Manier – nicht schießwütig agiert, sondern die Gegner, auf die sie bei ihren Suchen stoßen, in der Regel raffiniert-feinsinnig ausmanövrieren.

Hier haben wir es wieder mit einem solchen Fall zu tun, der in den Wirren der russischen Revolution 1917 beginnt und schließ­lich nach Nordafrika führt. Wer Indiana Jones oder meinethalben auch die Streaming-Serie „Blood & Treasure“ gemocht hat, kommt hier voll auf seine Kosten.

Also mal auf ins Abenteuer:

Jäger des gestohlenen Goldes

(OT: The Romanov Ransom)

Von Clive Cussler & Robin Burcell

Blanvalet 0639; 2019, 9.99 Euro

544 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0639-2

Man schreibt das Jahr 1918, als das zaristische Herrscherhaus in Russland der Revolution zum Opfer fällt. Die Romanov-Familie wird in Jekaterinburg eingesperrt und soll für den verlorenen Weltkrieg bestraft werden. Die noch in Freiheit befindliche alte Zarenmutter Maria Fjodorowna entschließt sich dazu, ein fürstli­ches Lösegeld zu zahlen, um ihre Familie zu retten – doch dieses Lösegeld kommt niemals bei den Revoluzzern um Lenin an, son­dern verschwindet spurlos.

Blende ins Jahr 1947 nach Südamerika – der Altnazi Ludwig Strassmair ist der Fährte des Zarenschatzes näher denn je, und er will ihn dazu verwenden, nach dem verlorenen Zweiten Welt­krieg den Aufstieg einer neuen Nazibewegung zu finanzieren und so einen neuen Krieg zwischen den Alliierten zu entfachen … aber es geht etwas schief, und das Dunkel der Geschichte deckt alles zu. Der Plan wird nie umgesetzt.

In der Gegenwart wird das vermögende Schatzsucher-Ehepaar Sam und Remi Fargo, das auch historische Forschungsprojekte betreut und finanziert, von einem Freund angerufen. Bei Albert Hoffler handelt es sich um den Cousin der Fargo-Angestellten Selma Wondrash. Die Fargos haben seinen beiden Söhnen bei einer Forschungsmission über die so genannte „Rattenlinie“ nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen. Über diese Untergrund­verbindung wurden nach 1945 untergetauchte Nazis primär nach Südamerika geschmuggelt. Die beiden Hoffler-Söhne stecken nun offensichtlich in Nordafrika in irgendwelchen Schwierigkeiten.

Da die Fargos sich nie der Verantwortung entziehen und stets bereit sind, wenn ein Abenteuer zu locken scheint, versprechen sie, umgehend zu helfen und reisen nach Marrakesch, um die inzwischen verschollenen Brüder Karl und Bernd Hoffler zu su­chen. Sie folgten, kristallisiert sich rasch heraus, der Fährte ei­nes Piloten, der den Absturz eines Flugzeugs in den 40er Jahren über den marokkanischen Bergen überlebte. Dummerweise ent­wickelt die Geschichte eine dramatische und unerwartete Eigen­dynamik, das hat nicht nur mit den beteiligten Personen zu tun, sondern damit, dass sie unvermittelt bei der Suche nach den Verschollenen und dem Flugzeug in eine lebensgefährliche Schatzsuche verwickelt werden.

Nun, das ist gewissermaßen das Elixier des Lebens für die Far­gos, insofern ist das, was folgt, eigentlich nur konsequent: statt sich davon abhalten zu lassen, dass man ihnen Handtaschen auf dem Markt stiehlt oder in ihr Hotelzimmer einbricht, versu­chen Sam und Remi viel eher, herauszufinden, worum es ei­gentlich geht. Und warum offensichtlich zwei Interessengruppen dabei sind, nach dem zu suchen, was sich in dem Flugzeug be­fand und wohin die dort zu findenden Hinweise sie führen wer­den.

Es dauert aber eine ganze Weile, ehe sich langsam das Dunkel der Geschichte lichtet. Geraume Zeit geht es nur um eine rät­selhafte Kuriertasche und ein Flugzeuglogbuch, später kommen Metalldosen mit Schreibmaschinenfarbbändern hinzu.2 Eine Fraktion, die den verstreuten Hinweisen nach dem verscholle­nen Romanov-Lösegeld sucht, besteht aus Neonazis, die sich als so genannte „Wolfsgarde“ international organisiert haben und die überall ihre Augen und Ohren besitzen – sie gehen skrupel­los über Leichen und stehen unter der Leitung des rücksichtslo­sen Leopold Gaudecker, der schon sehr bald seinen größten Wunsch ausspricht: Er will die Fargos und ihre Gefährten tot se­hen.

Dummerweise ist sein Finanzier und Geschäftspartner, der deut­sche Geschäftsmann Rolf Wernher, nicht seiner Ansicht. Er möchte, dass die Fargos für ihn die Sucharbeit erledigen und anschließend den Lohn ernten, nicht zuletzt, um sich selbst fi­nanziell zu sanieren. Die Nazis sind ihm Mittel zum Zweck und ideologisch völlig egal.

Aber da ist noch eine andere Fraktion, die von der russischen Geschäftsfrau Tatjana Petrow angeführt wird, die ihren mafiösen Vater beerbt hat und ebenfalls sinistre Ziele zu verfolgen scheint. Als sie merkt, dass sie allein nicht vorwärts kommt, ver­bündet sie sich mit Gaudecker und Wernher.

Die verzwickte Suche nach den historischen Hinweisen führt die Fargos von Marokko nach Kaliningrad, früher Königsberg (wo kurzzeitig der Mythos des Bernsteinzimmers ventiliert wird), dann zu NS-Stollen unter polnischen Bergen, schließlich auf ein Adelsschloss in Deutschland, ehe sie dann gezwungen sind, in den südamerikanischen Dschungel einzutauchen und sich auch dort mit der „Wolfsgarde“ herumzuschlagen.

Aber wo, um alles in der Welt, fragen sie sich während dieser langen, über mehrere Kontinente führenden Reise, befindet sich eigentlich der Schatz selbst? Und wem in ihrem Umfeld können sie trauen? Denn immer wieder sickern Informationen an die Feinde heraus, die ihnen gnadenlos auf den Fersen bleiben …

Der zweite Roman von Robin Burcell um das Schatzsucher-Ehe­paar der Fargos erinnerte mich wirklich von der Struktur der permanenten Suche und der bisweilen sehr vertrackten Hinwei­se sehr an die frühen Romane um die Fargos, die Grant Black­wood noch schrieb („Das Gold von Sparta“). Dennoch ließ ich mir fünf Tage Zeit, um ihn geduldig durchzulesen – und zweifel­los nicht allein aufgrund der Tatsache, dass er wieder von Stamm-Übersetzer Michael Kubiak übertragen wurde (der letzte stammte Wulf Bergner), hat er mir deutlich besser gefallen als der Vorgängerband. Dort spürte man noch recht deutlich, dass die Autorin sich an das Setting und die Personen gewöhnen musste, hier agiert sie schon deutlich gelassener.

Beim Personentableau am Anfang wird mal wieder gründlich übertrieben. Ich meine, warum man selbst eine Helga aufnimmt und als „Chefin eines Partyservice“ apostrophiert, erschließt sich ebenso wenig wie die Aufnahme von Pete und Wendy aus dem Fargo-Team, die überhaupt nicht signifikant in Erscheinung treten. Da wurde wohl mal wieder zu viel des Guten getan.

Wohltuend sind dagegen ein paar andere Details – die Länge der Geschichte, die der Komplexität durchaus angemessen ist, zum einen, zum anderen der zumindest diesmal hergestellte In­haltsbezug des Titelbildes (auch wenn das unübersehbar aus mehreren digitalen Komponenten zusammengeschustert wur­de). Auch gefiel mir die gelegentliche thematische und perso­nelle Anbindung an frühere Romane der Serie, die sich so be­mühte, ein Kontinuum zu erzeugen. Natürlich blieb ein gewisser Schematismus der Personencharakterisierung, der bei Cussler-Romanen nie unterbleibt. Aber die Gegner der Fargos waren die­ses Mal nicht gar so unterbelichtet wie beim „Schatz des Pira­ten“.

Auffallend fand ich allerdings die Kontinuitätslücken: Wie der Schatz der Romanovs nach 1918 in Sicherheit gebracht wird, wie die Nazis auf ihn aufmerksam werden und er schließlich dorthin gelangt ist, wo er letzten Endes gefunden wird, das bleibt verschwommen und wird nur angedeutet. In meinen Au­gen markiert das eine Plausibilitätslücke der Geschichte. Wer zu schnell liest, wird das vermutlich gar nicht registrieren, denn abenteuerlich und rasant bleibt es die ganze Zeit über.

Vergnüglich auch der Cameo-Auftritt des inzwischen verstorbe­nen Clive Cussler, der mich inzwischen stets an die Cameo-Auf­tritte des (ebenfalls verstorbenen) Stan Lee in den Marvel-Fil­men erinnerte. Wer so etwas mag, wird hier also schön bedient. Der Schluss kam mir ein wenig halbherzig vor, aber das ist mög­licherweise Geschmackssache.

Alles in allem eine durchaus solide Arbeit, die zu gefallen weiß. Hoffen wir, dass Robin Burcell der Serie länger erhalten bleibt als über den kommenden Roman. Wir wissen, dass 3 Bände ir­gendwie die Schallmauer für Coautoren bei den Fargos zu sein scheint … eine Kontinuität wie bei den Isaac Bell-Abenteuern wäre definitiv erstrebenswert. Lassen wir uns da mal überra­schen.

© 2021 by Uwe Lammers

Doch, das war ein sehr solider, äußerst unterhaltsamer Roman. Und da es noch eine ganze Reihe von Cussler-Romanen gibt, die ich bereits gelesen habe, aber hier noch nicht rezensiert vor­stellen konnte, könnt ihr euch nach und nach auf weitere Werke aus diesem Segment freuen. Dazu zählen dann natürlich auch weitere Geschichten um den Detektiv Isaac Bell sowie aus dem Bereich der NUMA-Abenteuer.

In der nächsten Woche werden wir dann wieder etwas seichter und gleiten ab in einen erotischen Parallelkosmos.

Bis dann, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Es handelt sich, für diejenigen unter euch, die nachlesen möchten, um den Rezensi­ons-Blog 273, der den Roman „Der Schatz des Piraten“ thematisierte.

2 Dass diese Spur nicht intensiver verfolgt wird, fand ich sehr nützlich – immerhin mut­maße ich, dass die Autorin oder der Übersetzer den Unterschied zwischen Carbon- und Nylon-Schreibmaschinenband nicht recht auf dem Schirm hatten. Man muss wohl selbst mit beidem gearbeitet haben, um das zu wissen: bei Carbonbändern kann man die Schrift nachträglich noch auf dem Band erkennen, da jede Stelle nur einmal be­rührt wird. Nylonbänder laufen nonstop durch und werden mit jedem Durchgang blas­ser. Wer also gestochen scharfe Schrift benötigt, nahm in der Regel Carbonbänder, Standard, zumal im Zweiten Weltkrieg, waren aber meines Wissens Nylonbänder oder sonstige Stoff-Schreibbänder, denen man nachträglich nichts Gescheites mehr entneh­men kann.

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