Liebe Freunde des OSM,
Mord ist nie eine Lösung – so ist zumindest meine Auffassung nach 57 Lebensjahren. Ich habe genug historische Indizien gesehen und gelesen, um das immer wieder in der Geschichte der Menschheit bestätigt zu finden. Denn ganz ungeachtet, ob es Einzelpersonen sind, die töten oder Staatenlenker, die im staatlichen Auftrag töten lassen … sie werden damit selbst schuldig und verwerfen jedwede demokratische Verhandlungslösung und treten das moderne Strafrecht mit Füßen. Aus denselben Gründen bin ich auch kategorisch gegen die Todesstrafe.
Meiner Ansicht nach sind alle Argumente für die Todesstrafe – oder eben auch Attentate, also politischen Mord – fadenscheinig. Entweder handelt es sich um Bequemlichkeitslösungen, weil man den oftmals beschwerlichen Verhandlungsweg scheut, oder man fanatisiert Menschen auf politische, ideologische oder religiöse Weise und führt sie so zu wahnhaften Mordaufträgen. Mitunter ist es auch schlichte, blinde Rachsucht, die noch nie ein guter Ratgeber war.
Gerade in der Gegenwart sehen wir im Nahen Osten, dass das stumpfsinnige Rezept, eine Terrororganisation mittels Attentat zu „enthaupten“ und so zur Auflösung zu bringen, einfach nicht funktioniert.
Vielleicht ist das ein guter Anlass, einmal einen Blick zurück zu werfen in die Geschichte und sich anzusehen, ob es jemals anders war, ob politischer Mord je zu einer wirklichen Verbesserung geführt haben könnte. Es gibt dazu Literatur, und eine kleine Einstiegslektüre dafür habe ich euch heute herausgesucht:
Attentat
Mord mit gutem Gewissen
Von Julius Cäsar bis Jitzhak Rabin
Jörg von Uthmann
Siedler 75508, Juni 1998
194 Seiten, TB
ISBN 3-442-75508-5
Ein gutes Gewissen, so schreibt der Autor, hatten die Attentäter stets, wenn sie aufbrachen und ihren mörderischen Auftrag ausführten. Vom eigenen Gewissen getrieben, von wahnhaften Ideen besessen oder ausgeschickt mit religiösem oder politisch-terroristischem Motiv brachten sie Männer von weltpolitischer Bedeutung um. Das konnten unbequeme Kleriker sein wie Thomas Becket oder herausragende, bisweilen selbst diktatorische Herrscher (etwa Jean-Paul Marat). Minderheiten wandten mörderischen Terror an, um sich an die Macht zu putschen oder dies wenigstens zu versuchen, andere Attentäter zielten auf Rache an repräsentativen Personen, die sie für eine grundlegende Veränderung des politischen Systems verantwortlich machten, in dessen neuen Bahnen sie keinen Platz mehr fanden.
Der Autor Jörg von Uthmann, langjähriger Diplomat, Journalist und inzwischen freier Schriftsteller, geht hierbei chronologisch vor und greift aus der fast unüberschaubaren Zahl von politischen Morden nur 25 Personen heraus, die er in neunzehn knappen Essays bespricht. Dennoch, damit schafft er einen Bogen der blutigen Fortsetzung des Krieges mit den sinistren und kryptischen Mitteln der Verschwörung, des Wahnsinns und der schieren Mordlust, dass es den Leser schaudern machen kann.
Ob es um Tyrannenmord geht (wie er im Fall von Julius Cäsar diskutiert), die Beseitigung eines politisch schwierigen Monarchen wie Heinrich IV., ob die legendäre Wallenstein-Tragödie verfolgt wird oder der verstörende und bis heute nicht ganz gelöste Fall von Kaspar Hauser, oftmals geht es um dynastische Verflechtungen, die sich offenkundig auf politische Weise nicht lösen lassen oder um Leute, deren bloße Existenz für Herrschende zur Gefahr wird.
Eine andere Qualität haben solche Morde an Literaten wie August von Kotzebue, Politikern a la Malcolm X, Martin Luther King und Mahatma Gandhi. Hier erfolgt die Legitimation gerne durch das „Volksgewissen“ oder religiöse Inspiration. Es gibt auch offenkundige Einzeltäter wie den Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald (hier scheut sich von Uthmann auch nicht, Oliver Stone, dem Regisseur des Films „JFK“ massive Geschichtsklitterung nachzuweisen), so dass man sagen kann, alle wesentlichen „Muster“ von Attentätern und Attentaten seien in dieser knappen Auswahl berücksichtigt.
Zu sagen, man würde nur wohliges Gruseln verspüren, wenn man diese Ausflüge in die Geschichte mitmacht, hieße indes, zu kurz zu greifen. Jörg von Uthmann bettet die Morde schon in die historische Vorgeschichte ein, allerdings merkt man zum Ende des Buches hin, also etwa ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, wie der Duktus hastiger und oberflächlicher wird. Das raubt dem Werk einiges an Qualität. Dennoch stellt er anschaulich und gut einführend dar, wie Täter und Opfer biografisch aufgebaut waren, was die Attentäter bezweckten und was sie letzten Endes erreichten. Das Resümee, dass keiner der Attentäter schließlich das intendierte Ziel erreicht habe, mag auf den ersten Blick erleichtern. Aber es ist von den Zeitläuften leider überholt worden:
Das letzte behandelte Attentat fand am 4. November 1995 in Tel Aviv auf den israelischen Premierminister Jitzhak Rabin statt. Der Attentäter Jigal Amir, dessen erschreckendes Lächeln auf dem letzten Foto des Buches zu sehen ist, kommentiert von Uthmann folgendermaßen: „Als Amir dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde, zeigte er nicht die geringste Reue. Mit heiterer Miene bekannte er sich zu seiner Tat. War die Heiterkeit berechtigt? Auf kurze Sicht schon: Rabins Beseitigung hat den Ausgleich mit den Palästinensern fraglos um Jahre verzögert. Dass sie ihn ein für allemal verhindert hätte, ist dagegen zu bezweifeln. Die Mehrheit der Israelis ist kriegsmüde und bejaht den Friedensprozeß. Daher ist die Hoffnung erlaubt, dass es nicht Amir ist, der zuletzt und am besten lacht.“
Bedauerlicherweise hat sich durch die israelischen Regierungen Netanjahu und inzwischen Scharon der politische Kurs in Israel dramatisch radikalisiert.1 Der Friedensprozess muss inzwischen als tot bezeichnet werden, die Tausende von Opfern, die seither auf beiden Seiten zu beklagen sind, namentlich durch Terroranschläge und „Vergeltungsmaßnahmen“ der israelischen Armee, dies alles deutet nicht darauf hin, dass ein Frieden im Nahen Osten in greifbarer Nähe ist. Bis heute, würde ich also konstatieren, hat Jigal Amir – zu wie vielen Jahren Haft er auch immer verurteilt worden sein mag – , der Mörder Rabins, vermutlich allen Grund zum Lachen. Bedauerlicherweise.
Wer übrigens lesen möchte, was Historiker zum Thema Attentat zu sagen haben, der sei auf den ausgezeichneten, vom Berliner Historiker Alexander Demandt herausgegebenen Aufsatzband „Das Attentat in der Geschichte“ (suhrkamp 2936, 1999) hingewiesen. Er rekurriert im Vorwort direkt auf das hier rezensierte Werk. Zum Teil findet man bei Demandt dieselben Fälle, die auch von Uthmann behandelt, hier indes mit umfangreichem Fußnotenapparat und historisch-kritisch durchleuchtet. Wer also mit von Uthmanns kurzem Buch einsteigt, kann bei Demandt seine Kenntnisse erweitern und vertiefen.
Prädikat: mit Abstrichen als Einstiegslektüre geeignet.
© 2004 by Uwe Lammers
Ja, ich gebe zu, das war ein ungenießbares Thema … aber wie ihr an meiner Nachbemerkung sehen könnt, ist es traurigerweise immer noch so, dass die Menschheit nicht klüger geworden ist und es nach wie vor verblendete Volltrottel gibt, die der Ansicht sind, „Rübe ab“ sei ein probates Mittel, um politische, soziale oder religiöse Probleme zu lösen.
Das ist, wie beispielhaft das Trump-Attentat im vergangenen Jahr zeigt, nicht einmal auf nahöstliche Staaten, Diktaturen oder dergleichen Staatsformen beschränkt, das kommt durchaus auch in westlichen Demokratien vor, wo Gewalt als vermeintliches Mittel der Konfliktlösung sich in den letzten Jahren immer stärker wieder positioniert hat.
Wie ich eingangs sagte, halte ich das für einen Fehler und Irrweg, aus dem nichts Gutes erwachsen kann. Wir müssen leider einfach mal schauen, wie sich die Dinge weiter entwickeln und das Beste hoffen.
In der nächsten Woche entführe ich euch in eine ferne Zukunft, in eine Welt, in der das solare System erneut von einem Alien-Raumschiff Besuch bekommt … von RAMA II.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.
1 Nachtrag vom September 2024: Wenn man sich 20 Jahre nach den obigen Zeilen anschaut, wie sehr sich die Lage in Israel-Palästina nach Scharons Tod und der erneuten Machtübernahme durch Netanjahu verhärtet hat, sind die obigen Bemerkungen eher noch verharmlosend zu nennen. Die Zeichen stehen leider im Nahen Osten weiterhin auf Krieg, Mord und Totschlag – und die israelische Regierung ist hier gleichfalls sich nicht zu schade, zum Mittel des politischen Mordes, also des Attentats, zu greifen. Dass das dem Frieden in irgendeiner Weise dienlich ist, konnte man damals schon bezweifeln, heute ist es gänzlich ausgeschlossen.