Liebe Freunde des OSM,
wenn sich ausgesprochene Kurzgeschichten-AutorInnen an Romanen versuchen, mag das manchmal gutgehen. Sehr viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass das Ergebnis … sagen wir mal zurückhaltend … durchwachsen ausfällt. Eine solche Sorte Text haben wir hier heute vor uns.
Wie ich schon 2017, als ich den folgenden Roman rezensierte, schrieb, kannte ich die Verfasserin zuvor als ausgesprochene Kurzgeschichten-Autorin, deren Werke selten über 30 Seiten hinausgehen. Und da ist sie wirklich gut, unbestreitbar. Da hat sie ihre Figuren im Griff, die Storyline ist glatt und klar, größere Verwerfungen der Handlung sind mir da nie aufgefallen.
Bekanntlich gelten aber für Romane andere Regeln als für Kurzgeschichten. Sie sind nicht nur länger und brauchen mehr Zeit, auch die Storyline ist bei Romanen grundsätzlich anders. Es gibt sehr viel zu beachten und zu planen, wenn man nicht gerade ein intuitiv schreibender Verfasser ist, der gewissermaßen aus dem hohlen Bauch heraus formuliert.
Ganz schwierig wird es, wenn man sich relativ ungeniert an aktuell gängigen Topoi anderer erfolgreicher Literatur bedient und meint, man könne daraus mal eben einen erfolgreichen Roman zusammenbrauen. Im Zweifelsfall auch unter Ausblenden von Handlungslogik. Das ist immer sehr risky, gerade dann, wenn der Rezensent ein wenig logisch denken kann und historisches Hintergrundwissen besitzt (und die Romane, aus denen sich hier schamlos thematisch bedient wird, selbst gelesen hat!).
Schaut euch am besten mal an, was daraus entstanden ist:
Göttin vom Himmel
(OT: Bright Fire)
Von Maya Hess
Bastei 15996
272 Seiten, TB (2009)
ISBN 978-3-89941-488-2
Aus dem Englischen von Sandra Green
Die Lage ist wirklich verworren, und es wird dadurch nicht besser, dass die freiberufliche Pilotin Jenna Bright versehentlich ein Handygespräch mithört. Das Handy gehört ihrer besten Freundin Mel (die im ganzen Roman bedauerlicherweise keinen vollen Namen erhält und damit, ungeachtet all ihrer Aktivität, als klare Statistin geoutet wird). Und dummerweise hat sie vergessen, es auszuschalten, während sie sich munter von Hugh Vandenbrink von Vandenbrink Holdings Ltd. vernaschen lässt.
Wo ist das Problem?
Nun, Hugh ist Jennas Verlobter, und sie wollen bald im Anschluss an den Flug, den sie gerade nach Schottland unternimmt, heiraten. Begreiflicherweise kühlt Jennas Begeisterung angesichts dieser demonstrativen Untreue doch erheblich ab. Gut, sie weiß natürlich, dass Hugh einer dieser dominanten Kerle ist, die mehrmals täglich Sex brauchen, weil sie sonst ungenießbar sind. Und er ist auch wirklich gut im Bett, das kann man nicht leugnen, immerhin ist sie selbst üblicherweise Nutznießerin seiner verschärften Libido. Dagegen hat sie auch wirklich nichts einzuwenden. Aber dass er hinter ihrem Rücken ihre beste Freundin aufs Kreuz legt … muss man das billigen? Und dann unmittelbar vor der Heirat?
Jenna schäumt also begreiflicherweise, wünscht ihren untreuen Verlobten hinter den Mond und lenkt sich ab, indem sie mit ihrer Piper frustriert gen Schottland startet. Ein reicher Schlossbesitzer hat auf einer Auktion eine Antiquität ersteigert, die sie in ihrem Laderaum bei sich hat und überbringen soll, und für ein Wochenende aufs Schloss eingeladen hat er sie zudem auch noch. Na, angesichts der Umstände ist das doch wohl genau die richtige Ablenkung für die temperamentvolle Jenna.
Zu dumm, dass sie dort nicht ankommt.
Während eines aus dem Nichts auftauchenden Sturms macht sie vielmehr eine Bruchlandung … irgendwo im Nirgendwo. Im Nirgendwann ist, wie ihr rasch deutlich wird, offensichtlich korrekter. Denn direkt nach der Landung, die das Flugzeug arg mitgenommen hat, pflügt sie erst mal fast eine Gruppe von abenteuerlich kostümierten Leuten um. Kurz danach findet sie sich in bizarrer Gastfreundschaft wieder, die ihr in einem archaischen Dorf zuteil wird – inklusive einer unglaublichen Fruchtbarkeitszeremonie, die sie nackt, gefesselt und geknebelt über sich zu ergehen lassen hat, während die anwesenden Kerle ihr nacheinander völlig ungeniert die Muschi ausschlecken …!
Also wirklich, das kann ja wohl alles gar nicht wahr sein!
Jennas Entsetzen ist allerdings maßlos, als ihr klar wird, dass es sich bei dem ganzen Spektakel durchaus nicht um ein bizarres, lüsternes Szenario handelt, das sich ihr millionenschwerer, dauergeiler Verlobter erlaubt hat (so etwas würde sie Hugh und seiner perversen Phantasie absolut zutrauen!), und auch nicht um einen verrückten Fiebertraum. Vielmehr ist Jenna auf unergründliche Weise durch die Zeit gestürzt und befindet sich nun im keltischen Britannien, wenigstens zweitausend Jahre von der Gegenwart entfernt. Sie wird als „Göttin vom Himmel“ verehrt und wechselt ohne Absicht recht schnell ihren Status von einer „Feuergöttin“ zu einer „Fruchtbarkeitsgöttin“, und ihr Aufenthalt hier ist auf Dauer geplant – gern auch gegen ihren Willen!
Auch in der Gegenwart bahnen sich derweil Verwicklungen an, die dazu führen, dass sich beide temporale Schienen annähern: denn der Zufall will es, dass der Schlossherr Euan Douglas und Hugh Vandenbrink auf derselben Auktion an demselben Gegenstand interessiert waren – an der Statue einer keltischen Fruchtbarkeitsgöttin Druantia. Just die Figur, die Jenna zu Euan Douglas nach Schottland transportieren sollte, wo sie nie ankam.
Hugh ist nicht bereit, die Statue in andere Hände zu geben, und so macht er sich mit seiner persönlichen Assistentin Rachel („in meiner Gegenwart hast du nackt zu sein!“, lautet Hughs unmissverständliche Ansage, und Rachel hält sich nur zu gern daran) und seiner Geliebten Mel ebenfalls auf den Weg nach Schottland, um die Statue zurückzuerobern. Dass sie dabei alle in ein Netz uralter Magie geraten, ist niemandem von ihnen klar …
Es ist ein seltsamer Roman, fand ich bei der zwar durchweg kurzweiligen Lektüre, einer, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er a) ein zeitgenössischer erotischer Roman, b) ein historischer Roman (mit erotischen Komponenten) oder c) ein durchweg erotischer Fantasy-Roman sein möchte. Dass er unweigerlich im Fahrwasser von Diana Gabaldons „Highland“-Romanen schwimmt, ist jedenfalls unübersehbar bei all den „schottischen“ Anspielungen.
Wiewohl die erotischen Eskapaden schon ganz nett zu lesen sind, ist es doch einigermaßen auffallend, dass die Autorin sie so exzessiv einsetzte. Ich kenne Maya Hess bislang als Kurzgeschichtenautorin, wo sie deutlich konzentrierter arbeitete, und es kann nicht verblüffen, dass ich das Gefühl hatte, hier hätte sie eher angestrengt den Handlungsbogen zu halten versucht. Der Zufall wird sehr strapaziert, wesentliche Elemente der Geschichte kommen dagegen so flüchtig weg, dass man sich fragt, ob die Verfasserin ganz bei der Sache war. Nehmen wir nur zwei Details exemplarisch heraus:
Als Jenna bei Brogans Clan notlandet, wird ihr – die auf der Suche nach dem noch gar nicht gegründeten Dundee ist – klar gemacht, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft ein weiterer Clan existiert, der angeblich ganz, ganz schlimm sei (was sich nachher als üble Nachrede herausstellt). Da die Pilotin dennoch dorthin flüchtet, wäre jetzt eigentlich die logische Konsequenz gewesen, dass Brogan energisch seine „Göttin“ zurückholt. Was nicht passiert. Es gibt einen halbherzigen Versuch, der ins Leere läuft, daraufhin ist das Thema für die Autorin gegessen … nicht wirklich realistisch.
Punkt 2: Die Entführung des notgelandeten Flugzeugs. Jenna schleicht sich mit Angehörigen des zweiten Clans nicht nur klammheimlich zu dem Flugzeug, sondern die Männer nehmen es sogar auf die Schultern und tragen es munter durch den Wald davon … das mag mit einer Piper vom Gewicht her vermutlich funktionieren. Aber es ist kaum anzunehmen, dass es in der Wildnis Pfade gibt, die breit genug sind, um die Flügel eines Flugzeugs schadlos durchzulassen. Reden wir gar nicht mal davon, dass das alles völlig lautlos und ohne Entdeckung durch Brogans Leute geschehen muss … also, hier wurde so massiv idealisiert und schöngefärbt, dass ich schon fast Zahnschmerzen bekam.
Schweigen wir mal ganz davon, wie problemlos der spätere Start ohne vorbereitete Landebahn funktioniert … da sind wir bei reiner Fantasy angelangt, und der Realismus verabschiedet sich schnell und nachdrücklich. Das gilt erst recht dann für den rosaroten Schluss des Romans. Die keltische Handlungsebene und deren Protagonisten sind doch eher schlicht gestrickt und gestaltet (und nicht zu vergessen: ignoriert einen Gutteil des Klappentextes, der mal wieder munter herumspinnt).
Den Grund für die Zeitreise kann man sich dann zwar recht schnell fast denken, aber diese Form der göttlichen Intervention ist doch, im Rückblick betrachtet, einigermaßen überflüssig, der direkte Zielkurs hätte es auch getan … aber dann hätte Frau Hess ja eine Kurzgeschichte gehabt, keinen Roman.
In einer gewissen Weise wird hier also aufreizende Schaumschlägerei auf hohem Niveau versucht. Kritischer Lektüre hält die Storyline leider nicht wirklich stand. Für eine Novelle mag der Handlungsbogen akzeptabel sein, für das Volumen eines Romans gilt das eher nicht. Da gelten doch deutlich andere Ansprüche, die man erfüllen muss.
Mein Fazit: Ja, man kann den Roman lesen, wenn man ein paar aufregende Spielchen miterleben möchte, aber die große Handlungslinie ist eigentlich für die Katz. Mal schauen, wie sich die Autorin in späteren Romanen schlägt. Der hier ist noch etwas unbeholfen ausgefallen.
© 2017 by Uwe Lammers
Oje, sagt ihr euch? Tja, dem ist kaum zu widersprechen. Wenn man den Roman nur wegen der erotischen „Stellen“ liest, kommt man als Leser vermutlich auf seine Kosten. Aber ansonsten sollte man sein Hirn besser abstellen.
Wird das nächste Woche besser werden? Nun, da kehren wir immerhin in den recht soliden Romankosmos von Clive Cussler zurück. Wir können also hoffen.
Nächste Woche seid ihr schlauer, Freunde.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.