Liebe Freunde des OSM,
in Zeiten von Social Media ist vielfach davon die Rede, dass die Aufmerksamkeitsdauer insbesondere von jüngeren Mitmenschen krass verkürzt ist. Die Taktfrequenz von Instagram, TikTok & Co., der rasante Wechsel von kurzen Filmclips und die minimale Länge von Texten wird oftmals beklagt.
In einer gewissen Weise ist es faszinierend, dass es aus Fernost Vorläufer einer solchen Entwicklung gab. Oder sagen wir es freundlicher: Literaten, die explizit sehr kurze Plotstories schrieben, die auf frappierende Weise in die heutige Zeit der digitalen Kurzatmigkeit passen könnten.
Shinichi Hoshi (1926-1997) gilt als einer der drei wirkungsmächtigsten japanischen phantastischen Autoren, was ich freilich weder wusste, als ich diesen Band erwarb noch als ich ihn las … heutzutage ermöglicht eine einfache WIKIPEDIA-Recherche, einiges an Basisdaten zu ihm einzuarbeiten. Er soll zeitlebens rund tausend Kurzgeschichten verfasst haben, was durchaus nicht unglaubhaft wirkt, sieht man sich die Kürze der 40 Geschichten in diesem Band an. Auch dass er insbesondere von Ray Bradburys Werk zum Schreiben von Science Fiction animiert wurde, klingt durchaus realistisch.
Weitere Werke von ihm wurden offenbar nie übersetzt. Es hat also den Anschein, als wenn Hoshis Geschichten damals definitiv nicht den Ton der Zeit trafen … heute, so könnte ich mir nach der obigen Vermutung vorstellen, ist das vielleicht anders.
Wer mit Hoshi jedenfalls noch keine Berührung gehabt haben sollte, hiernach aber neugierig geworden ist, der lese bitte weiter:
Ein hinterlistiger Planet
Von Shinichi Hoshi
Heyne 3892, 1982
272 Seiten, TB
Aus dem Japanischen von Keiko Miriam Inuba
ISBN 3-453-30815-8
Ein hinterlistiger Planet ist es fürwahr, der die hocherfreuten Kolonisten in der ersten von insgesamt 40 Geschichten sozusagen aufs Kreuz legt und die Leser das Kichern und Schmunzeln lehrt. Und das geht auch so weiter. Ob ein Robotkonstrukteur seinen Geschöpfen allzu menschliche Züge verleiht, über die „Feineinstellung“ von Maschinen und Menschen gespottet wird, ob ein Einbrecher auf rätselhafte Weise verschwindet oder eine ultimate „Vertreibungsmaschine“ auch den hartnäckigsten Vertreter der skeptischen Menschheit verscheucht …
Fast alles in dieser Storysammlung reizt den Leser zum Nachdenken und zugleich zum Schmunzeln, macht manchmal aber auch sichtlich betroffen, insbesondere bei den letzten Geschichten wie „Hallo, komm raus!“ oder „Der eine Apparat“. Was man sich an Klischees denken kann und was mit Mutter Erde zu tun hat, wird hier zum Teil gnadenlos aufs Korn genommen und oft mit einer Prise Nachdenklichkeit gewürzt. Es sind dabei häufig typisch menschliche Charakterzüge, die der Japaner Hoshi, ein Meister der Short-Short-Stories, wie er sie selbst nennt und in den Vordergrund stellt. Seine Vorbilder sind dabei z. B. Ray Bradbury und Frederic Brown. Die Protagonisten haben häufig keine Namen oder nur Kürzel (F, N, P usw.), vorstellen kann man sie sich zumeist als Durchschnittsmenschen.
Da die meisten der Geschichten typische Pointen-Stories sind, ist es begreiflich, dass Hoshi auf gewisse Weise belehrend wirken will, was ihm auch gelingt. Er erzeugt hierbei nicht jene Betroffenheit, die das Lesen von Kurzgeschichten eines Philip K. Dick hervorruft, aber es reicht allemal, um hierbei gut unterhalten zu werden.
Es handelt sich um eine Sammlung von sehr kurzen Geschichten, zumeist um die 4-8 Seiten nur kurz, mit vielen zu den Stories passenden Bildern illustriert – diese sind zwar auf eine eher naive Weise gestaltet, aber nicht ohne Geschick – , die sich ein neugieriger Leser vielleicht einmal zu Gemüte führen sollte, wenn er Lust und Laune hat und zuweilen auch mal richtig herzhaft lachen will.
© 1994 / 2024
Gifhorn, den 10. September 1994
Abschrift aus dem Fanzine NEW WORLDS 26
In der nächsten Woche kümmere ich mich wieder um ein sehr viel jüngeres Werk, in dem wir das Schatzsucher-Ehepaar Sam und Remi Fargo bei einer weiteren Abenteuerreise begleiten.
Bis dann, mit
Oki Stanwers Gruß,
euer Uwe.