Rezensions-Blog 7: In seinen Händen

Posted Mai 13th, 2015 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

wer in jüngster Zeit im Kino gewesen ist, wird kaum an diversen Plakaten oder Trailern für die Verfilmung von E. L. James´ Buch „Fifty Shades of Grey“ vorbei­gekommen sein, die Geschichte einer beunruhigenden Liaison zwischen einem dominanten, jungen Millionär mit verwundeter Seele einerseits und der jung­fräulichen Studentin Anastasia Steele auf der anderen Seite. Für amerikanische Verhältnisse ist der Film erstaunlich offenherzig, wenn man die sonstige Prüde­rie der Hollywood-Filme kennt.

Dennoch wurde dem Film von kenntnisreicher Seite verschiedentlich vorgehal­ten, er sei in wesentlichen Strukturen verzerrt und verharmlost (und das Buch ist aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso noch sehr viel heftiger). Ähnlich wür­de es sich vermutlich verhalten, wenn man das Werk zu verfilmen versuchte, was sich als schmales Taschenbuch vor ein paar Jahren in mein Bücherregal schmuggelte. Im Vergleich mit E. L. James´ voluminösen drei Bänden ein eher schmächtiges Stückchen Literatur… doch wage es niemand, diesen Trip zu un­terschätzen.

Wer neugierig geworden ist, lese einfach weiter.

In seinen Händen

(OT: Entre Seis mains)

von Marthe Blau (Pseudonym)

Goldmann 45704, 192 Seiten

Oktober 2004, 7.95 Euro

Aus dem Französischen von Gaby Wurster

Liebe ist dieses Feuerwort, das die Seele in Flammen versetzt, das die Ratio aus­schaltet und nur noch den Körper agieren lässt, wenn die Glut richtig lodert. Aber was geschieht, wenn sie falsch lodert? Kann sich das irgendwer vorstellen? Oder ist das wie mit einem luziden Traum… einem Traum, in dem man erwacht und weiß, dass man nur in einem Traum erwacht?

Elodie, eine dreißig Jahre junge, erfolgreiche Anwältin in Paris, glücklich verhei­ratet und Mutter eines kleinen Sohnes, kann sich das ebenso wenig vorstellen. Sie hat doch alles, was sie braucht, nicht wahr? Sie ist glücklich… bis sie ein Ver­hältnis mit einem attraktiven Kollegen beginnt.

Die Dinge entwickeln sich jedoch völlig anders, als Elodie sich das vorgestellt hat – er hat offensichtlich kein Interesse, mit ihr ins Bett zu gehen. Stattdessen fin­det sich die junge Anwältin rasch in einem Alptraum wieder, der um so schlim­mer wird, je länger er währt: Elodie wird erniedrigenden Fesselungen und De­mütigungen unterzogen, und je öfter ihr der geheime „Geliebte“ ins Ohr zischt, er werde sie dazu bringen, alles zu tun, was er verlange, desto mehr fühlt Elo­die, wie sie völlig die Kontrolle über sich verliert. Wie seine Worte wahr wer­den.

Binnen unbeschreiblich kurzer Zeit ist Elodie nicht mehr als seine Sklavin, abso­lut hörig nach ihm, und ohne zu verstehen, was passiert, realisiert sie schließ­lich, dass sie danach schluchzt, er möge sie doch schlagen, erniedrigen, alles mit ihr tun… wenn er nur mit ihr schlafen würde. Sie sehnt sich danach, ihrem Peiniger zu gehören.

Und der Leser beginnt bald bang zu ahnen, dass diese Geschichte im Entsetzen enden wird – vielleicht wirklich mit der Realisierung der Prophezeiung jener Wahrsagerin, die Elodie verstört sagt, ihr „Herr“ sei ein wahrer Teufel, und eines Tages werde eine Frau durch ihn umkommen…

So dünn dieses Buch auch scheinen mag… es ist als starker Tobak zu verstehen, mit Abstand wohl die heftigste erotische Geschichte, die mir je unterkam. Nichts, was man eben mal in wenigen Stunden lesen kann. Das beklemmende, obsessive Gefühl, dass die Autorin unter Pseudonym durchaus nicht fabuliert hat, jedenfalls nicht nur, sondern all dies selbst erlebt hat, ist dabei einfach überwältigend. Und das verleiht diesem Werk eine Art von morbidem Charme, der den Leser grundlegend verstört.

Die Kritiker vergleichen das Buch insgeheim mit Catherine Millets „Das sexuelle Leben der Catherine M.“, aber dieser Vergleich ist entschieden zu oberflächlich. Ich habe Millet gelesen und weiß den entscheidenden Unterschied. Während Millet mehr oder weniger eisig und gefühlskalt argumentiert, findet man bei Blau genau das Gegenteil: diesen abgründigen Strudel an ehrlichen Gefühlen, die, auch wenn sie definitiv krank sind, doch plausibel geschildert werden. Wenn Millet ein Eisschrank ist, ist Blau eher ein Brutschrank. Beides ist nicht ge­rade eine gesunde Umgebung. Allerdings bleibt der sexuell eher normal orien­tierte Leser nach der Lektüre verunsichert zurück, gleichsam desorientiert. Wie, so fragt er sich, kann sich Elodie danach SEHNEN, diesen Mann, ihren brutalen, despotischen Beherrscher, nicht zu verlieren? Ist das nicht vollkommen krank?

Ja und nein.

Das Verlangen, von jemandem dominiert zu werden, das Verlangen, absolute Hingebung zu spüren, steckt wahrscheinlich in fast jedem von uns, und die meisten Menschen können nur hilflos darauf hoffen, dass sie irgendwann ein­mal die eine Person kennen und lieben lernen, die diese Wünsche erfüllt. Doch wenn man als machtbesessener Mensch, sei es Frau oder Mann, genug von Psychologie versteht und selbst eine dominante Persönlichkeit ist, dann kann man dieses Wissen dazu verwenden, sich andere Personen untertan zu ma­chen, wie es hier mit Elodie passiert. Die Folgen sind meist schrecklich.

Elodie versteht nie richtig, warum er gerade sie gewählt hat, sie versteht ihn im Grunde genommen überhaupt nicht, weil sie in seiner Nähe überhaupt nicht mehr richtig zu denken vermag. Und gerade das ist das fatale Fluidum, das Elo­die in vollkommener Abhängigkeit hält, ein Fluidum, das bestürzend an den Rausch der Verliebtheit erinnert.

Nein, vielleicht ist die Geschichte erfunden, auch das mag sein. Aber wenn sie erfunden ist, dann würde ich sie für sehr gut gesponnen befinden. Und der Himmel alleine mag wissen, wie vielen Menschen unter ihrer Leserschaft Mar­the Blau mit diesen Erfahrungen aus dem Herzen gesprochen hat, wie viele ih­rer Leserinnen und Leser unter dem Tarnmantel der Normalität in Wahrheit ir­gend jemandes Sklave sind, auf diese Weise hörig nach einem einzigen Mann oder einer einzigen Frau. Das ist vielleicht die furchterregendste Quintessenz dieses Buches, dessen Lektüre wirklich starke Nerven verlangt.

© by Uwe Lammers, 2006

Nun, wieder aus der Schockstarre aufgewacht? Gut so. Ich habe euch ja ver­sprochen, dass dieser Blog ein wenig Wechselbadcharakter haben würde, und hier habt ihr das schon wieder erlebt. Das wird sich auch auf die weiteren Beiträge erstrecken, sowohl thematisch als auch längenmäßig.

Ihr seht jedoch ebenfalls, dass ich mein Wort halte – auf lange Beiträge folgen in der Regel angenehm kurze… was nichts über die Intensität des Inhalts aus­sagt, wie ihr gerade lernen konnte.

Was es nächste Woche an dieser Stelle zu entdecken gibt? Na, da gibt es zwei Möglichkeiten, wie ihr verfahren könnt: entweder schaut ihr einfach kommende Woche wieder rein… oder wenn ihr das nicht solange aushaltet, schaut euch auf Amazon AuthorCentral meine Autorenseite an, die ich regelmäßig mit Neu­igkeiten über meinen regulären Wochen-Blog wie auch über diesen Rezensions-Blog fülle. Dann könnt ihr ahnen, was kommt… aber was ich wirklich geschrie­ben habe, das seht ihr nur hier.

Wie gesagt – bis in einer Woche. Ich freue mich auf euer Interesse!

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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