Rezensions-Blog 91: Der Todesflug der Cargo 03

Posted Dezember 21st, 2016 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

ja, wir landen einmal mehr bei dem Vielschreiber Clive Cussler, dessen Werke sich zahlreich in meinen Bücherregalen befinden. Es werden noch eine ganze Menge mehr davon den Weg in meinen Rezensions-Blog finden, seid dessen versichert. Die meisten davon bieten immerhin solide Unterhaltung, manche davon sind auch ausgesprochen spannend, und wenn man sie in dosierter Quantität liest und über Monate und Jahre verstreut, lässt das Leseinteresse zu­mindest in meinem Fall nicht nach.

Hier haben wir den interessanten Fall eines „unkonventionellen“ Cuss­ler-Frühromans vorliegen, der zwar schon seine bald 40 Jahre auf dem Buckel hat, dadurch an Spannung aber nicht einbüßte, wie ich finde. Wer sich für Rätsel des Zweiten Weltkriegs interessiert und für rassistisch motivierte Rachefeldzüge, der ist hier durchaus sehr richtig am Platze.

Darum Vorhang auf für den folgenden Roman:

Der Todesflug der Cargo 03

(OT: Cargo 03)

von Clive Cussler

Goldmann 6432

Vorliegende Ausgabe: 5. Auflage 1986

Ursprüngliches Erscheinungsdatum: 1979

400 Seiten, TB

ISBN 3-442-06432-5

Aus dem Amerikanischen von Rolf Jurkeit

Man schreibt den Januar des Jahres 1954, als der Boeing-Stratosphärenclipper namens Cargo 03 von einem Militärflugplatz in Colorado zu seinem letzten Flug startet. Die mit 4 Mann unter Major Raymond Vylander besetzte Militärmaschi­ne ist schwer überladen und soll ein Eiland im Pazifik ansteuern. In ihrem Lade­raum befindet sich eine der tödlichsten Waffen, die der menschliche Erfinder­geist jemals ersonnen hat.

Aber bald nach dem Start verschwindet Cargo 03 spurlos. Jede Suchaktion bleibt erfolglos, und so wird die ganze Mission schließlich von amtlicher Seite vertuscht. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Vylanders Maschine über dem Pazifik abgestürzt ist und irgendwo auf dem Grund des Ozeans liegt. Leider ist diese Vermutung verkehrt.

34 Jahre später macht der Leiter für Spezialprojekte der NUMA, Dirk Pitt – Clive Cusslers alter Ego und Held der meisten seiner Romane – Urlaub in den Bergen von Colorado. Er hat einen guten Grund, sich gerade dieses Gebiet auszusu­chen, und das hat wenig mit landschaftlichen Reizen zu tun: Hier hat der ver­storbene Vater seiner aktuellen Freundin, der Kongressabgeordneten Loren Smith (im Roman durchgängig als „Laura“ falsch geschrieben) eine Berghütte geschaffen, auf der sich Pitt mit Loren amourösen Spielen hingibt. Man hat als Leser schnell das Gefühl, dass der damals noch sehr viel jüngere Cussler beim Schreiben dieses Romans frisch verliebt war oder zumindest unter hormonel­lem Überdruck gestanden haben muss, denn soviel Sex wie hier findet man sel­ten in späteren Cussler-Romanen.

Zu dumm, dass Pitt den Geräteschuppen der Berghütte betritt, denn dort ent­deckt er zu seiner großen Überraschung zwei Teile eines Flugzeugs, und seine Neugierde erwacht. Loren findet das etwas absurd, aber Pitt lässt dieses Rätsel nicht in Ruhe. Er fragt bei den Nachbarn, den Rafertys, nach einem Flugzeugab­sturz, schließlich bringt er die Teile zu einem Experten, und schließlich nimmt er Kontakt zu dem alten Oberst Abe Steiger auf und holt den NUMA-Kollegen Al­bert Giordino mit ins Boot.

Während die Umgebung unisono behauptet, der Fund sei bedeutungslos oder stamme höchstens von einem verschrotteten Flugzeug, das der bastelwütige Vater von Loren, der vor drei Jahren bei einer Experimentalexplosion ums Le­ben kam, für seine Experimente als Materiallieferant heranzog, ist Dirk Pitt an­derer Ansicht, und er behält Recht. Er findet das Wrack der Cargo 03 schließlich wieder, inklusive ihrer höllischen Fracht. Aber es gibt Probleme.

Zum einen enthält das Wrack nicht vier Leichen, sondern fünf, und die fünfte ist im Laderaum angekettet und deutlich späteren Datums. So wird aus dem bishe­rigen Abenteuerroman unvermittelt ein Mordfall – der klassische „Whodunnit“. Zum anderen fehlen von den Behältern im Laderaum einige… und nachdem Pitt mit einem überlebenden Verantwortlichen gesprochen hat, begreift er auch, was für eine unermessliche Gefahr von diesen Behältern ausgeht, die unbedingt gefunden werden müssen.

Auf einer Parallelhandlungsschiene findet der Leser sich in Südafrika des Jahres 1988 wieder. Hier machen wir die Bekanntschaft mit dem pensionierten schot­tischen Seemann Patrick McKenzie Fawkes, der mit seiner kleinen Familie eine Farm in Natal betreibt und von Spionen der Afrikanischen Revolutionsarmee (ARA) beobachtet wird. Der hier eingesetzte Späher wird einigermaßen fas­sungslos Zeuge davon, dass während Fawkes´ Abwesenheit ein Kommando­trupp schwarzer Soldaten in ARA-Uniformen die gesamte Farmbevölkerung nie­dermetzelt – ohne dass er selbst davon Kenntnis hat.

Fawkes selbst wird derweil vom südafrikanischen Generalstab unter Pieter de­Vaal und Oberst Zeegler in das „Unternehmen ‚Wilde Rose’“ eingeweiht, ein Planspiel, mit dessen Hilfe der ARA die Möglichkeit genommen werden soll, ausländische Unterstützung einzuwerben. Fawkes lehnt die Teilnahme an die­sem Unternehmen ab… aber nach der Rückkehr auf seine inzwischen zerstörte Farm ändert er seine Meinung und wünscht den schwarzen Mördern nur noch den Tod an den Hals, insbesondere ihrem Anführer, Hiram Lusana.

Lusana ist ein Schwarzer afrikanischer Abstammung, der jedoch in den USA auf­gewachsen ist und sich hier als Kleinkrimineller hochgearbeitet hat, ehe er nach Südafrika zurückging und dort die ARA grundlegend neu strukturierte. Er reist, während all diese Zwischenfälle geschehen, nach Washington, um dort mit ei­nem befreundeten Kongressabgeordneten hochrangige Sympathisanten für sei­ne Sache einzuwerben. Sein Helfer schreckt dabei vor übler moralischer Erpres­sung nicht zurück, und dummerweise geraten Dirk Pitt und Loren Smith in sein Visier.

Von all diesen Dingen ungeachtet übernimmt Kommandant McKenzie Fawkes sein letztes Kommando, und am 7. Dezember 1988 ist es dann soweit, an dem Tag, an dem einstmals der Überfall auf Pearl Harbor stattfand – doch dieses Mal regnet es Granaten auf Washington, und der Tod von Hunderttausenden ist nur noch eine Frage von Minuten…

Verglichen mit anderen, späteren Cussler-Romanen ist dieser hier über weite Strecken hinweg ganz erstaunlich ruhig geschrieben. Sehr viel Raum nimmt die ruhige und nahezu kriminalistisch zu nennende Fahndungsgeschichte nach der „Cargo 03“ in Anspruch, die erst nach mehr als 60 Seiten kulminiert. Dramati­sche Verfolgungsjagden oder Feuergefechte fehlen nahezu völlig, und mögli­cherweise hat Cussler deshalb auch die zahlreichen erotischen Intermezzi ein­gebaut, um die Neugierde des Lesers wach zu halten. Nun, für mich war das un­nötig, wie man sich vorstellen kann. Ich fand den Roman schon bei meiner Erst­lektüre vor fast 30 Jahren packend… wenn auch wohl nicht so packend, dass ich ihn unten in meinen Bücherregalen gehalten hätte. Ich fand ihn erst kürzlich auf dem Dachboden meiner Mutter wieder.

Es ist natürlich ein wenig kurios zu nennen, dass der Titelbezug des Romans tat­sächlich schon auf Seite 16 endet. Und es gibt noch ein paar andere Kuriosa, die dieses Werk gründlich von späteren Romanen Clive Cusslers unterscheiden. Na­mentlich gilt das für die moralischen Details und für offene Enden. Ich nenne nur ein paar davon: Ich kann mich nicht entsinnen, dass es einen anderen Cuss­ler-Roman gibt, in dem Dirk Pitt hinterrücks eine Frau über den Haufen schießt – wie das hier passiert. Mörderin hin oder her, offenbar kam er nach diesem Buch zu dem Schluss, dass die Leser so etwas nicht mögen, und er hat es nie wieder zugelassen. Ähnlich mit dem Liebesleben. Eine Hauptperson zu be­schreiben, die unverhohlen Sex mit zwei verschiedenen Männern hat und sich zwischen ihnen nicht entscheiden kann, das kam wohl auch nicht so gut an… wenngleich das selbst in den prüden USA der Gegenwart vermutlich nicht allzu selten sein dürfte.

Und was die offenen Enden angeht… ich hatte zwar sehr viel von der Erstlektüre vergessen, aber ich war dann doch verdutzt, wie die Geschichte des Geheim­agenten „Emma“ ausgeht bzw. nicht ausgeht. Und dass die Sache mit Loren Smith´ Vater nur partiell aufgeklärt wurde, hat mich auch verwundert. Da hat Cussler in späteren Romanen deutlich dazugelernt.

Ein paar Logikschnitzer gibt es natürlich auch. So hat Übersetzer Jurkeit gleich zu Beginn die drollige Fehlübersetzung drin, dass er das amerikanische „billion“ mit „Billion“ übersetzt, was in Wahrheit „Milliarde“ bei uns heißt. Und später kommt dann noch die reichlich abstruse Behauptung, Bakterien würden von Neutronenstrahlung nicht zerstört werden, was erkennbar falsch ist. Der Ab­wurf einer Neutronenbombe sterilisiert den Aufprallort, aber alle anderen Ge­genstände wie etwa Elektronik usw. bleiben erhalten. Bakterien werden dabei aber ziemlich sicher vollständig vernichtet. Dummerweise musste Cussler so eine dumme Aussage treffen, um den Romanplot zu erhalten.

Interessant ist der Roman auch deswegen, weil Cussler hier einige bemerkens­werte politische Positionen bezieht, die er später nicht mehr so deutlich akzen­tuiert. So kommen etwa eine sehr kritische Position gegenüber amerikanischem Waffenhandel zum Vorschein und sein Ressentiment gegenüber korrupten amerikanischen Politikern. Schön fand ich auch, dass Pitts Vorgesetzter, Admiral James Sandecker, sich überraschend in einer recht aktiven Position wieder fin­det, was man sonst so nicht kennt, und dass Pitts Sidekick Giordino nur einen ziemlich kleinen Part an der Geschichte bestreiten kann, was sich dann insbe­sondere im Finale zeigt. Da muss man dann auf die unerwarteten Verbündeten zurückgreifen, die sich einem anbieten. Selbst wenn einer davon dann Fawkes heißt (was bekanntlich ein „sprechender“ Name ist, der Bezug zu Guy Fawkes und der britischen Geschichte ist allzu deutlich, mir bei der Erstlektüre so aber nicht bewusst gewesen).

Das alles macht aus diesem Roman ein durchaus unkonventionelles Leseaben­teuer mit Drehungen und Wendungen, die man so vielleicht nicht erwartet. Wer also einen durchaus sehr „ruhigen“ Clive Cussler-Roman lesen möchte, um ihn als Einstiegsvehikel in den NUMA-Kosmos zu verwenden, der ist hier genau richtig. Und mir hat er auch nach fast 30 Jahren noch einiges Lesevergnügen be­reitet, was man daran sieht, dass ich ihn in drei Tagen verschlungen hatte…

© 2015 by Uwe Lammers

Das Buch der kommenden Woche führt uns in eine ganz andere Region unserer Welt und, das besonders, in eine ganz andere Zeit und ein völlig differentes Genre. Wer von euch ein gewisses Faible für alte Hochkulturen hat und ganz be­sonders für die Zeit der Pharaonen und ihrer Wiederentdeckung in den letzten Jahrhunderten, der sollte die Buchvorstellung der kommenden Woche echt nicht verpassen. Es geht da um ein legendäres Tal und eine Vielzahl von exzentrischen Forschern.

Mehr am nächsten Mittwoch an dieser Stelle.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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