Rezensions-Blog 261: Der Schwur der Wikinger

Posted März 25th, 2020 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

woran mag es liegen, dass Romansequels von wechselnden Coautoren betreut werden? Dass das nicht immer so sein muss, beweist etwa ein Justin Scott, der nach wie vor den Detektiv Isaac Bell betreut, den Clive Cussler sich vor Jahren ausdachte. Aber sowohl bei den NUMA-Wissenschaftlern Kurt Austin und Joe Zavala ist kürzlich ein Autorenwechsel eingetreten, und nun wird schon nach dem zweiten Band Thomas Perry von dem Schatzsucherehepaar Sam und Remi Fargo abberufen und durch Russell Blake ersetzt.

Mag sein, dass Cussler bei den Fargos grundsätzlich nur 3-Romane-Optionen vergibt und dann neue Mitspieler sucht, vielleicht hat das auch was mit Verlags­querelen in den USA oder stagnierenden Absatzzahlen zu tun, no idea. Ärgerlich bleibt jedenfalls, dass die Abenteurer auf diese Weise immer wieder in einer Art von Wiederholungsschleife landen, ohne langfristig Profil entwickeln zu kön­nen.

Positiv bleibt indes zu konstatieren, dass die Fargo-Abenteuer immer noch Spaß machen. Diesmal geht es, wiewohl titelmäßig die Wikinger im Zentrum stehen sollten (was sie nicht tun), um Kontakte zwischen mesoamerikanischen Kultu­ren und Europa lange vor Kolumbus. Wie ich in der Rezension aussage, ist das ein Thema, das selbst bei Cussler nicht eben neu ist. Aber es wird hier auf inter­essante Weise inszeniert, und wer wenig über die Tolteken weiß, lernt hier ver­mutlich noch etwas dazu.

Bei allen unten angerissenen Schwachpunkten fand ich den Roman durchaus unterhaltenswert und für einen Erstling auf diesem Sektor ganz passabel gelun­gen.

Was das im Detail heißt? Schaut es euch mal genauer an:

Der Schwur der Wikinger

(OT: The Eye of Heaven)

Von Clive Cussler & Russell Blake

Blanvalet 0236

März 2016, 9.99 Euro

512 Seiten, TB

Übersetzt von Michael Kubiak

ISBN 978-3-7341-0236-3

Es ist eine ungemütliche, um nicht zu sagen tödliche Sache, im Jahre 1085 A. D. in der Labradorsee mit einem Langboot der Wikinger unterwegs zu sein. Das Langboot Sigrun unter dem Kommando des Wikingers Vidar gerät auf seiner Fahrt in eisige und unerforschte Gewässer und landet schließlich in einem Fjord, wo es in der Vergessenheit versinkt.

In der Gegenwart und Aberhunderte von Seemeilen weiter südlich begegnen wir als Leser dann alten Bekannten – dem Schatzsucherehepaar Sam und Remi Fargo, die befreundeten Wissenschaftlern bei der Kartierung eines versunkenen antiken Schiffs helfen, in dessen Rumpf noch Kunstwerke verborgen sind. Zu dumm, dass sie dabei Besuch bekommen. Auf einmal ankert nämlich eine prächtige Yacht dicht bei dem Bergungsschiff, und die Fargos kennen sogar sei­nen Besitzer – Janus Benedict, einen Mann, der ihren Weg schon verschiedent­lich kreuzte.

Benedict ist ein skrupelloser Mann mit eleganten Manieren, der aber insbeson­dere vom illegalen Waffenhandel lebt. Inzwischen ist er auch in den Antiquitä­tenschmuggel eingestiegen, und nur um Haaresbreite können die Fargos ver­hindern, dass er kurzerhand das gesamte Wrack unter ihnen ausplündert und davonkommt. In der Folge schwelt Benedicts Rachsucht. Sein jüngerer und weitaus impulsiverer Bruder Reginald Benedict, der sehr schnell mit dem Griff zur Waffe ist, entwickelt sich alsbald zum Problem, denn er hat verheerende Vorstellungen, wie er sich an den Schatzsuchern für die zugefügte Schmach rä­chen kann. Janus rät zur Zurückhaltung. Die Zeit zur Rache werde schon noch kommen …

Und das ist dann tatsächlich der Fall, aber auf eine ganz andere Art und Weise, als sie sich das alle vorstellen können. Zunächst nämlich nimmt das Ehepaar Fargo einen völlig anderen Forschungsauftrag an, der mit der Erforschung von Eis an der nordamerikanischen Küste zu tun hat … wobei sie dann zu ihrer eige­nen nicht geringen Überraschung das eingefrorene Langboot der Wikinger aus dem Prolog finden (es sieht nicht ganz so hübsch aus wie auf dem Cover, aber immerhin sehr ähnlich).

An Bord des Schiffes befindet sich, wie die Entdecker fassungslos registrieren, eine Unmenge von mesoamerikanischen Artefakten, die später der Kultur der Tolteken zugeordnet werden. Im Laderaum ist außerdem ein großer Runenstein zu finden, der zunächst nicht weiter beachtet und für Ballast gehalten wird. Es ist einfach faszinierend für die Fargos, plötzlich handfeste Beweise für eine alte Forscherhypothese zu haben, nämlich die Erkenntnis, dass es tatsächlich schon Kontakte der alten amerikanischen Hochkulturen mit Europa gegeben hat. Bis­lang sind das alles nur Legenden.

Da sie erst kurz zuvor in Mexiko gewesen sind und dabei halfen, einen erhalte­nen Maya-Kodex zu restituieren1, ist es nun nur recht und billig, wenn sie ihrer Neugierde nachgeben und sich an Ort und Stelle etwas mehr über die Tolteken kundig machen.

Hier kommt ihnen ein Zufall zu Hilfe – ein Erdbeben hat kurz zuvor einen tolte­kischen Grabkomplex zum Vorschein gebracht, der nun von den mexikanischen Wissenschaftlern erforscht wird. Unter der Leitung von Carlos Ramirez arbeiten die höchst attraktiven Geschwister Antonio und Maribela Casuela an der Aus­grabungsstätte. Und dummerweise stochern die Fargos hier dann wieder in ei­nem Geheimnis der Vergangenheit herum, das ihre Schatzsucherleidenschaft anstachelt.

Es gibt, sagen die Geschwister Casuela, die Legende, dass der mesoamerikani­sche Gott Quetzalcoatl ein Hüne von Mann gewesen sein soll, mit einem völlig untypischen Bart. Er habe den Tolteken die Metallbearbeitung beigebracht und zahlreiche weitere technische Neuerungen, habe Feldzüge geführt und sei schließlich mit einem atemberaubenden Schatz begraben worden. Das zentrale Objekt des Schatzes sei „das Auge des Himmels“, angeblich ein Edelstein von Kopfgröße. Zweifellos eine hemmungslose Übertreibung. Das Grab selbst sei niemals gefunden worden und wahrscheinlich auch nur ein Mythos.

Sam und Remi fragen sich, ob der legendäre Quetzalcoatl wohl ein Wikinger ge­wesen sein könnte. Und ob sie mit dem Fund des Langbootes an der Küste von Labrador ein Mosaikstück eines Puzzles gefunden haben, das es ihnen ermög­licht, das Geheimnis von Quetzalcoatls Schatz zu lüften. Sie machen sich auf die Suche nach exakt diesem Rätsel – nach dem Grab des mythischen Gottes Quetzalcoatl!

Ehe sich der Leser versieht, hat die archäologische Schnitzeljagd a la Indiana Jo­nes schon begonnen. Und es gibt reichlich Reisen: nach Kuba, in den Dschungel von Laos, quer durch Mexiko zur gewaltigen Totenstadt von Teotihuacan, es werden Gräber kartiert und neue gefunden, Schätze kommen zutage … und es gibt Tote. Reichlich Tote.

Denn Mexiko ist leider auch ein Land, das unter einem brutalen Bandenterror leidet. Und die Brüder Benedict verfolgen alles, was die Fargos machen, mit Ar­gusaugen, und sie scheinen auf frustrierende Weise immer genau Bescheid zu wissen, was die Schatzsucher tun. Haben sie einen Maulwurf eingeschleust? Sind Personen aus dem direkten Umfeld der Fargos bestochen worden? Wie viel Information dürfen sie an ihre Freunde und Helfer weitergeben, ohne die Gegner direkt zum nächsten Punkt der Schatzsuche zu geleiten?

Und wie weit würden die Benedicts gehen, um selbst an das „Auge des Him­mels“ zu gelangen? Auch über die Leichen des Ehepaars Fargo …?

Mit dem neuen Coautor der Fargo-Adventures, Russell Blake (auf dem Um­schlag vom Verlag demütigenderweise falsch geschrieben)2 kommt frischer Wind in die Schatzsucherabenteuer, und das ist grundsätzlich begrüßenswert. Die Idee, dass die alten mesoamerikanischen Kulturen Kontakte zu den Nord­männern gehabt haben könnten, ist nicht wirklich neu, partiell klingt sie in man­chen anderen Romanen Clive Cusslers schon an. Nach dem Grab des Quetzal­coatl ist allerdings bislang noch nicht gesucht worden, insofern ist das eine posi­tive Entwicklung. Leider scheint mir die Ausführung nur bedingt gelungen.

Wieso dies?

Nun, wenn man sich den Anfang des Romans ansieht, fällt unschön auf, dass die Wikingerspur gewissermaßen im Nichts verläuft. Das hätte dann doch deutlich besser gehandhabt werden können. Auch die Verfolgung der Schatzfährte selbst ist einigermaßen holprig und manchmal doch arg gekünstelt. Nicht, dass Scheingräber und Ersatz-Schatzgrüfte etwas Ungewöhnliches für antike Kultu­ren wären, aber irgendwie hatte ich bei dieser Geschichte immer ein wenig das Gefühl, gleich lugt Indy Jones um die Ecke und grinst, wobei er bemerkt: „Hey, das Abenteuer habe ich doch auch schon mal erlebt…“ An die Rätsellösungs-Raffinesse eines Grant Blackwood kommt Blake dann leider (noch?) nicht her­an.

Reizvoll hingegen und damit deutlich dem Vorgänger-Coautor Perry überlegen, ist die Charakterisierung der Villains, insbesondere Janus Benedict fand ich durchaus gelungen. Sein Bruder Reginald hingegen … nun, schweigen wir, was ihn angeht. Die Los Zetas-Banditen dagegen sind einfach nur primitiv-böse und einigermaßen einfallslos. Janus Benedict hingegen besitzt die raffinierte Bosheit eines Schurken von Format.

Eher lästig fand ich die vielen Verfolgungs- und Beschattungsaktionen, die manchmal zwar ganz nett sind, aber immer halbherzig ausgeführt werden. Auch hier war Grant Blackwood einwandfrei sehr viel versierter. Ebenfalls wird das muntere „Marken-Setting“ fortgesetzt, insbesondere durch Automobile, Kleidung und Nahrungsmittel signalisiert. Damit deutet der Autor zwar an, auf diesem Sektor sehr versiert zu sein, aber eigentlich liest man Fargo-Romane nicht wegen der gepflegten Mahlzeiten.

Gut gezeigt werden konnte dann freilich durch die Einführung des gescheiterten Wissenschaftlers und Chiffrierexperten Lazlo Kemp, dass die Fargos bei allem Fachwissen nicht perfekt sind. Denn es ist wesentlich der chaotische, versoffene Lazlo, von dem sich die Fargos am liebsten weit fern halten, der ihnen schluss­endlich eine große Hilfe bei diesem Fall ist.

Was hat es mit dem deutschen Titel, dem „Schwur der Wikinger“ zu tun? Das bleibt reichlich rätselhaft, zumal alle Protagonisten der Wikinger ja nach dem Prolog tot sind, und zwar schon seit etlichen Jahrhunderten. Es wäre deutlich klüger gewesen, den Titel 1:1 einzudeutschen, aber so etwas kann man Verla­gen nur in Ausnahmefällen klarmachen. Zu schade. Hier also ein klarer Minus­punkt.

Alles in allem meiner Überzeugung nach ein durchwachsener Einstiegsband von Russell Blake, der noch deutlich hätte optimiert werden können. Eindeutig bes­ser als die beiden vorangegangenen Fargo-Adventures, aber immer noch im Schatten von Grant Blackwood stehend. Schade … aber ich gehe mal davon aus, dass hier noch Steigerungspotenzial existiert. Ich hoffe, das erweist sich auch, wenn Russell Blake seinen Wohnort an der Pazifikküste von Mexiko deutlich hinter sich lässt. Diesmal hatten wir ja einen mehrheitlich „mexikanischen“ Cussler.

Dennoch – durchaus lesenswert und sehr kurzweilig.

© 2017 by Uwe Lammers

Ihr habt gemerkt, bei aller Kritik war ich doch recht wohlwollend gegenüber Russell Blake. Die Zukunft muss zeigen, ob ich dieses Fazit aufrechterhalten kann oder er zu schwächeln beginnt.

In der kommenden Woche kehren wird in den Norden der Vereinigten Staaten zurück. Anastasia Steele gibt ihrem sadomasochistischen Liebhaber eine zweite Chance …

Bis nächste Woche, mit

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

1 Vgl. dazu Clive Cussler & Thomas Perry: „Das Vermächtnis der Maya”, 2015. Vgl. dazu auch den Rezensions-Blog 255 vom 12. Februar 2020.

2 Das ist noch peinlicher als die Tatsache, dass im Impressum alle Fargo-Romane Grant Blackwood zugerech­net werden, auch die beiden Romane, die Thomas Perry verfasst hat …

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