Rezensions-Blog 112: Die ägyptische Zeitung

Posted Mai 17th, 2017 by Uwe Lammers

Liebe Freunde des OSM,

heute verfolgen wir mal wieder historisch-didaktische Pfade mit der vorge­schlagenen Lektüreempfehlung dieser Woche. Wie ich schon verschiedentlich anmerkte, hat der Kinderbuchverlag in Luzern diverse interessante Alben aufge­legt, die sich unterschiedlichen Kulturepochen der Vergangenheit widmen. Re­zensiert habe ich im Rahmen dieses Blogs bereits „die griechische Zeitung“ (Blog 12 vom 17. Juni 2015) und „die aztekische Zeitung“ (Blog 62 vom 1. Juni 2016). Heute schickt uns Scott Steedman in das alte Ägypten und versucht, mit mehr als zweitausend Jahren Geschichte auf einmal klarzukommen, und dies auf 36 Druckseiten.

Ob das wohl gelingen mag?

Schaut einfach mal weiter:

Die ägyptische Zeitung

(OT: The Egyptian News)

von Scott Steedman

Kinderbuchverlag (kbv) Luzern

36 Seiten, gebunden, 1998

Übersetzt von Christa Holtei

Die BILD-Zeitung des Altertums sähe wohl in etwa so aus, wenn die Zeit zwi­schen 3000 vor Christus und dem Jahr 1100 vor Christus so etwas besessen hät­te. Hat sie natürlich nicht. Deshalb ist „die ägyptische Zeitung“ im wesentlichen eine Art von kindgerechtem Einstieg in die komplexe Materie der pharaoni­schen Geschichte. Nicht alleine der Verlagsname macht das schon klar, auch die Art der Aufbereitung.

Wie es schon Jean-François Champollion wusste, der geniale Entzifferer der Hieroglyphen: es ist nicht leicht, überhaupt einen vernünftigen Wegweiser in diesem Gewirr aus Jahrhunderten, Dynastien, Baustilen, Völkerwanderungen und ziemlich bizarren und vielfältigen Kulten und Göttermassen zu finden. Die­se Erkenntnis vertieft sich angesichts der Lektüre, je weiter man kommt.

Mit Unterstützung des leider nicht näher spezifizierten „Beraters“ James Put­nam (mutmaßlich ein Althistoriker, der seinen Job ordentlich gemacht hat) rollt Steedman die Geschichte des Nilreiches chronologisch auf, wobei weite Sprün­ge indes unvermeidlich sind. Man hat nur 36 Seiten Platz, es müssen eine Men­ge Bilder untergebracht werden, und kindgerecht, mithin also auch amüsant, soll das Ganze am Ende auch noch sein. Eine nicht einfache Gratwanderung. So kommt dann auch folgerichtig gleich ein richtiger „Kracher“ auf die Titelseite – die Spekulation, ob der Kind-König Tutenchamun ermordet wurde oder nicht.

Viel Platz nehmen bauliche Leistungen ein, etwa die Erfindung der Pyramiden durch den Baumeister Imhotep oder die Frage, warum Pyramiden schließlich „aus der Mode“ kamen. Eine Menge Raum verschlingen auch Fragen der staatli­chen Expansion, der Waffentechnik und Hegemonialpolitik. Doch das wird spä­ter durch Erläuterungen der gesellschaftlichen Schichtung aufgelockert, durch­aus humorvoll. Schreiber zu werden, wird etwa durchaus ambivalent betrach­tet: „Sie können nur Schreiber werden, wenn Ihr Vater Schreiber war. Glück ge­habt? Vielleicht, aber Schreiber müssen in die Schule gehen – und das ist nur der Anfang…“ Ein Anfang, der bei den Schreibern realistisch mit dem fünften Lebensjahr angesetzt wird. Kein Wunder also, dass es zum Schluss des Artikels heißt: „Denken Sie noch mal drüber nach, wenn Sie sich wieder wünschen, Schreiber zu sein. Lesen und Schreiben ist nicht immer der einfachste Weg zu Macht und Reichtum.“

Es gibt den vergnüglichen Bericht eines Steuerprüfers, der sich letztendlich so­gar mit einem „Bodyguard“ schützen lassen muss, Tipps, wie man zum erfolg­reichen Kaufmann werden kann und was man besser sein lassen sollte. Manche Ratschläge sind indes nicht so ganz empfehlenswert, etwa die Antwort auf die besorgte Frage eines Mannes nach Heilung der allmählichen Erblindung seiner Frau. So soll man – dem Buch zufolge – vorgehen, um das zu ändern:

Gibt es eine Heilung?“, fragt der Mann. „Vielleicht“ lautet die Antwort darauf. „Bringen Sie sie zu einem guten Arzt, der eine Salbe aus Honig, roter Erde und einem zermahlenen Schweinsauge herstellen wird. Der Arzt wird die Salbe in die Ohren Ihrer Frau streichen und zweimal den Zauberspruch sagen: ‚Diese Salbe ist gegen die Krankheit. Du wirst wieder sehen.‘“

Aber realistisch fügt der Autor an: „Erwarten Sie nicht zu viel. Blindheit ist sehr schwierig zu heilen.“ Warum die Salbe indes gerade in die OHREN gestrichen werden soll, entzieht sich dem Verständnis des Rezensenten. Aber alles andere wäre dann doch vielleicht etwas sehr eklig gewesen…

Es scheint auch recht neckische Posten im Reich des Nil gegeben zu haben, möchte man die ganzen Kleinanzeigen ernst nehmen. So heißt es etwa in einer Anzeige für Saisonarbeiter: „Unterstützt die Bauern! Können Sie gut Krach ma­chen? Wir suchen Jungen, die Vögel aus den Feldern vertreiben. Erfahrung nicht erforderlich, laute Stimme und Steinschleuder von Vorteil…“ Na, da wünscht man sich doch manchmal, Horden von „Schlachtenbummlern“ vor Fußballspie­len, die das Lärm machen weiß Gott beherrschen, ins alte Ägypten expedieren zu können…

Alles in allem stellt sich „Die ägyptische Zeitung“ eine Aufgabe, die sie nicht er­füllen kann. Ein Zeitraum von fast 2000 Jahren inklusive einer wildbewegten Zeit und einer überaus fremdartigen historischen Kultur kann nicht auf einem Raum von 36 Druckseiten abgehandelt zu werden, ohne in durchweg anekdoti­sche Oberflächlichkeit abzuirren. Zwar erfährt der dem Pharaonenreich nicht so Nahestehende eine Menge über die Zeiten und die Alltagskultur der Pharao­nen, doch bleibt es überall bei einem bloßen Schrammen am Wesentlichen. Verglichen etwa mit der „Azteken-Zeitung“, die schon rezensiert wurde, taucht der Leser ein wenig enttäuscht hieraus wieder auf. Zumal, natürlich, der histo­risch vorgebildete Leser.

Indes, und das ist eine wichtige Einschränkung, der Rezensent ist keine zehn Jahre mehr alt. In diesem Alter wäre er von dieser bildreichen Darbietung kurz­weiliger Informationshäppchen über das alte Pharaonien vielleicht begeistert gewesen. Der didaktische Test an Kindern steht noch aus. Es lohnt den Versuch.

© 2015 by Uwe Lammers

Also, ein netter Versuch, der für Kinder im genannten Alter durchaus akzeptabel sein mag, aber für die Erwachsenen eher unpassend ist? Okay. Dann schauen wir uns in der kommenden Woche mal ein Sachbuch an, das geografisch in der Nähe bleibt. Aber diesmal ist es ausdrücklich ein historisches Sachbuch für deutlich gereifteres Publikum.

Welches Werk ich meine? Tja, da spanne ich euch noch ein paar Tage auf die Folter… bis in einer Woche dann.

Oki Stanwers Gruß,

euer Uwe.

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